Schlagwort-Archive: Enno Bunger

Song des Tages: Maria Basel & Tex – „Regen“


Christoph „Tex“ Drieschner geht eigentlich immer und ist bereits (fastseit den Anfangstagen von ANEWFRIEND ein treuer Gast bei den „Songs des Tages“.

Heute mit einer Coverversion des Enno Bunger-Songs „Regen“, bei welcher er stimmliche Unterstützung von Maria Basel erhält. Wenig verwunderlich, dass – angesichts des tollen Originals (vom 2012er Album „Wir sind vorbei„) – auch die Variante des „TV Noir“-Chefs, die weniger auf ein sich langsam aufbauendes Crescendo setzt, sondern vielmehr auf reduzierte Unplugged-Melancholie, zu überzeugen weiß.

(Was mir übrigens bis jetzt nicht geläufig war: Von der Nummer haben auch Klaas Heufer-Umlauf und seine Band Gloria anno 2013 eine Version aufgenommen. Sachen gibt’s…)

Rock and Roll.

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Song des Tages: Enno Bunger – „Kein Mensch startet einen Krieg“


Foto: oh.sweebe

Der Hamburger Singer/Songwriter Enno Bunger lässt mal wieder etwas von sich hören und veröffentlicht mit „Kein Mensch startet einen Krieg“ den ersten neuen Song seit dem Herbst des vergangenen Jahres.

„Wenn jede Hand ’ne andere hält

Macht keine, dass ’ne Bombe fällt

Und kein Mensch startet einen Krieg…“

Anhand von Refrainzeilen wie diesen, aber im Grunde bereits angesichts des Titels ist das Thema klar: Hey, ihr Soldaten, und auch ihr Mächtigen, ihr Machtgeilen, ihr vor Paranoia schon ganz aufgedunsenen Staatschefs – lasst das mit euren Schwanzvergleichskriegen, die sind scheiße, führen zu nichts Gutem und töten man Ende vor allem die Falschen, die Schutzlosen: die Zivilisten! Ein wenig zu viel Kindersprech? Passt schon, denn durch deren Augen singt der 35-jährige Liedermacher das knapp dreiminütige Stück – und erinnert damit ein wenig an Udo Lindenbergs 1981 erschienene Anti-Kriegs-Hmyne „Wozu sind Kriege da„. Diese mag zwar bereits vier Jahrzehnte auch dem Buckel haben, dafür jedoch – leider, leider – einmal mehr aktueller denn je sein. Und zum Glück deckt Bunger, der aktuell am Nachfolger zum 2019 erschienenen Album „Was berührt, das bleibt.“ arbeitet, sein Stück nicht mit pathetischen Streichern zu, sondern lässt seine erfrischend emphatischen Zeilen zu simpler Klavierbegleitung wirken. Ein leiser Song in einer lauten Welt, bei dem es lohnt, genau hinzuhören…

Es fällt ihm schwer zu glauben

Die Bilder nicht vor Augen

Denn solche Filme darf er noch nicht sehen

Er wartet auf die Pause

Und sie will nur nach Hause

Noch einmal so, als wäre nichts geschehen…“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Enno Bunger – „Weiter so!“


“Weiter so!” heißt der satirische Song, mit dem Enno Bunger die aktuelle Politik kommentiert – und ganz unironisch zur am kommenden Wochenende anstehenden Bundestagswahl aufruft. Geschrieben hat der Hamburger Singer/Songwriter, dessen letztes Album „Was berührt, das bleibt.“ 2019 erschien, das Lied gemeinsam mit Sarah Muldoon und Roland Meyer de Voltaire. In der Nacht zum Dienstag wurde zudem das dazugehörige Musikvideo veröffentlicht.

“Weiter so! Für mehr Seil- statt Wissenschaft! Weiter so! Artenschutz nur für den DAX! Weiter so! Was kümmert das den Staat? Das mit dem Klima, das regelt schon der Markt!”, singt Enno Bunger in dem gerade einmal etwas mehr als zwei Minuten kurzen Stück unter anderem und parodiert dazu so einige Partei-Slogans. Allen augenzwinkernden Zeitgeist-Kommentaren zum Trotz folgt am Ende (s)ein völlig ernst gemeintes Statement mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September: “Geht wählen!”

Freilich macht der Sänger, Pianist, Komponist und Produzent – wie viele seiner Musikerkollegen auch – keinen Hehl aus seiner Zuneigung zu den Grünen. So trat er am Montag im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung von Robert Habeck in Hamburg auf. Zudem veröffentlichte er auf YouTube unter dem Musikvideo ein Zitat der Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Maja Göpel:

Wenn die CEOs und wirtschaftlichen Entscheider dieser Republik und der Welt inzwischen sagen: von den Top 6 globalen Risiken sind 5 ökologisch und das sechste Massenvernichtungswaffen, dann ist doch einfach die Zeit vorbei, wo man darüber reden muss, ob jetzt Ökologie etwas kosten darf.“

Und ganz gleich, wie man sich selbst am Ende politisch positionieren – und zu einer Partei wie etwa den Grünen stehen – mag, so darf man sich gern den ein oder anderen Gedanken aus „Weiter so!“ zu Herzen nehmen (und noch lieber mal durchs Haupthirn wandern lassen). In einem Punkt dürften wir uns jedoch alle einig sein: “Geht wählen!”

Rock and Roll.

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„Das Erste Deutsche Weiße Fernsehen“ mit einem Kebekus-„Brennpunkt“ zum Thema „Rassismus“…


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Wenn er in einer Rolle besetzt wurde, war er fast immer „der Andere“. Der Flüchtling, der Amerikaner, der Engländer. So gut wie nie tauchte er bislang hingegen in einer Rolle als klassisches „Mitglied der Gesellschaft“ auf – was er aber ja ist, erzählt Schauspieler und Produzent Tyron Ricketts.

Er ist bei weitem nicht der Einzige, der in einem dringend sehenswerten knapp viertelstündigen Beitrag über seine Erfahrungen mit Rassismus im bundesdeutschen Alltag berichtet. Denn Comedienne Carolin Kebekus hat einen Teil ihrer WDR-Show nach den jüngsten Ereignissen und Protesten rund um den gewaltsamen Tod von George Floyd in Minnesota einfach zum zur Abwechslung gar nicht mal so lustigen „Brennpunkt“ erklärt, nachdem die ARD selbst bislang keinen zu diesem Thema im Programm hatte.

Ein „Brennpunkt“, in dem in Deutschland lebende Menschen mit dunkler Haut 8:46 Minuten lang über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen – so lange, wie der Todeskampf von George Floyd dauerte, der in den USA am 25. Mai durch Polizeigewalt ums Leben kam. Die Hauptmoderation liegt dabei nicht bei Kebekus, sondern bei Shary Reeves, die nicht nur WDR-Moderatorin („Wissen macht Ah!“) ist, sondern auch noch Schauspielerin, Autorin, Produzentin – und ehemalige Fußballspielerin.

Im Filmbeitrag erzählen neben Ricketts weitere Frauen und Männer von ihrem Alltag mit Beleidigungen, Beschimpfungen und sogar Tätlichkeiten. Etwa Grünen-Politikerin Aminata Touré, Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Journalistin Alice Hasters, SPD-Politker und Chemiker Karamba Diaby, Musiker Dennis „Denyo“ Lisk oder Kabarettist und Schauspieler Marius Jung. Starker Tobak – so wichtig, so schaurig *hust* „gut“, so derb on point. Starker Tobak, gepaart mit der – leider nicht eben neuen – Erkenntnis: Wenn es um Rassismus geht, sind die USA doch gar nicht so weit von Deutschland (oder jedem anderen Land dieser Welt) entfernt (was auch dieser wichtige Facebook-Post von Enno Bunger, welchen ihr der Einfachheit halber auch noch mal weiter unten findet, eindrücklich belegt). Nicht erst seit all dem, was da gerade auf der anderen Seite des Atlantiks so viele Menschen zu berechtigten Protesten auf die Straße treibt, sollte jede(r) von uns dringend sich selbst hinterfragen, zunächst vor der eigenen Haustür kehren. Laut werden, Alltagsrassismus im eigenen Umfeld im Keim ersticken, selbstverliebten Hass-Predigern (das geht an euch, ihr blauen Anti-Alternativen!) oder Höcke-Faschisten keine Stimme, keine Beachtung, keinen Millimeter Meinungsraum geben.

Selbst wenn’s sich pathetisch lesen mag, so ist’s doch am Ende ganz einfach: Ein Freund ist ein Freund, gleich welcher Hautfarbe. Auf der anderen Seite ist eben – pardon my French! – ein Arschloch ein Arschloch – auch hier spielen Pigmente keine verdammte Rolle. Klar gibt es für das, was vor allem schwarze US-Amerikaner seit Tagen verstärkt auf die Straßen von Minneapolis, von New York, von Los Angeles und Co. treibt, noch andere, weitaus tiefer gehende und nicht eben in ein, zwei Zeilen er- und begründbare Ursachen geben. Klar habe auch ich weder den Löffel der Weisheit in der Schublade noch das eine Patentrezept parat. Dennoch: Würden wir jeden Menschen als Individuum nur nach dem, was er tut und von sich gibt, beurteilen anstatt nach seinem Äußeren (was ihm – was ein Clou! – zu großen Teilen eben von Geburt an gegeben ist), so wäre die Welt eine bessere, gerechtere, ohne dass sich irgendjemand von uns für ein nettes, ehrlich empfundenes Wort oder Lächeln eine Zacken aus dem Krönchen brechen muss. (Im Zweifel ist sogar kostenlos, ihr griesgrämigen Hobby-Schwaben!) Eine Freundin schrieb heute, dass ihr sechsjähriger Sohn unlängst zu ihr meinte: „Mama, ich verstehe die ganze Welt nicht.“ – Man kann’s ihm von Tag zu Tag immer weniger verdenken. Trotzdem darf jede(r) gern sein (oder eben ihr) kleines Stück dazu beitragen, dass das Morgen ein kitzekleines bisschen besser zu verstehen ist. Wie der große Scott Hutchison einst sang: Make tiny changes. Denn: All is not lost. Probiert’s aus, bitte. Danke. ❤️

 

 

 

 

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick – Teil 1


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Was für Musik braucht man in einem Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf die Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie Schlechte – für Momente vergessen lässt. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2019 einmal mehr wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!

 

sam fender1.  Sam Fender – Hypersonic Missiles

Knapp zwei Jahre lang hätte Sam Fender auch gut als Spiegel für das musikalische Konsumverhalten der ADHS-geschädigten breiten Masse herhalten können. Wer braucht schon noch Alben, wenn der Künstler des Vertrauens reihenweise Songs raushaut, die sich via Spotify und Co. doch allzu hervorragend in die persönliche Playlist integrieren lassen? Anders hier: Die elf zwischen 2017 und dem Erscheinungstag von „Hypersonic Missiles“ im September diesen Jahres veröffentlichten Stücke (von denen sich schlussendlich nicht einmal alle auf dem Album wiederfinden) waren vielmehr ein wahres Appetizer-Festival und so etwas wie die Deluxe Edition eines erwartungsfreudigen Spannungsbogens. Parallel zur Release-Strategie ließ sich eine immens wachsende Fanschar ausmachen, die den Newcomer im Londoner Hyde Park auf dieselbe Bühne mit Größen wie Bob Dylan oder Neil Young spülte. Was summa summarum nach Hype müffelt, mag wohlmöglich auch einer sein. Aber wenn, dann ist es im doch recht schnelllebigen Pop-Rock-Bizz einer berechtigtsten der vergangenen Jahre. Potential? En masse vorhanden.

Oder reiten Sam Fender und seine Band doch vielmehr auf der Retro-Welle? Schließlich reichen schon ein paar Töne zu Beginn des Albums, um Fenders Vorliebe für Bruce Springsteen als fast schon schamlos direkte, ehrwürdig inszenierte Verbeugung im Soundbild zu identifizieren. Die Saxophon-Soli im eröffnenden Titelstück und in „You’re Not The Only One“ fungieren als unverhüllte Hommage an den großen Clarence „Big Man“ Clemons – bis zu seinem Tod 2011 jahrzehntelang Springsteens wohl wichtigstes Puzzle-Stück in der berühmt-berüchtigten E Street Band – und sind gerade im Dialog mit dem Glockenspiel und der leicht zeternden E-Gitarre ein untrügliches Zeichen für expliziten Boss-Content. Der straighte Beat mit Achtziger-Touch in „The Borders“ und die Geschichte über unglückliche, zerrüttete und zerrissene Familien lassen sich als eine klangliche Addition zu Evergreens wie „Dancing In The Dark“, „Bobby Jean“ oder „No Surrender“ hören, während die Gedanken spätestens im ausgedehnten Outro (und vor allem der stellenweise doch recht flächigen Produktion wegen) zu The War On Drugs‘ „A Deeper Understanding“ wandern. Der feine, dezent hibbelige Unter-drei-Minuten-Ohrwurm “Will We Talk?“ hingegen könnte auch unter den Bannern New Jersey meets Newcastle oder Springsteen meets The Strokes‘ „Last Nite“ stehen – eine Wiederaufführung des altbekannten Dramas der verlorenen Jugend, jedoch eine mit neuer Dringlichkeit.

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Fest steht, erfreulicherweise: Samuel Thomas Fender hält dem Erwartungsdruck über den ersten (Ohren-)Eindruck hinaus problemlos Stand. Er ist nicht nur ein (weiterer) bleichgesichtiger Justin-Bieber-Lookalike-Hansel mit Gitarre, dem von irgendwelchen findigen PR-Managern ein leidlich interessanter Lebenslauf samt veritablen Referenzpunkten angedichtet wurde. Live ohnehin nicht. Wie er mit seinen Band-Lads agiert, unachtsam-juvenil die eigenen Stimmbänder strapaziert und sich am Ende verdutzt fragt, warum sich plötzlich so viele Menschen für einen 25-Jährigen aus North Shields im Nordosten Englands interessieren, der sich – ganz englisches Klischee – bis vor Kurzem noch mit dem Zapfen von Pints hinter dem lokalen Pub-Tresen über Wasser hielt, das besitzt schon ein gewisses Maß an unaufgesetztem Charme. Die Live-Version von „Use“ (oder eben zig im reduzierten Ambiente aufgenommene Live Sessions bei YouTube und Co.) dient insofern als Beleg, dass Sam Fender, lediglich vom Keyboard oder seiner E-Gitarre begleitet, durchaus in der Lage ist, dem Hörer auf beeindruckende Weise Volumen und Bandbreite seiner Stimmbänder um die Ohren zu pfeffern.

Ebenso erfreulich: Bei genauerem Hinhören überzeugt der junge Brite auch textlich. So hält er schlagenden Vätern und tablettenabhängigen Müttern ebenso den trüben Alltagsgrau-Spiegel vor wie der Masse von traditionell zum nächstbesten Absturz wankenden Binge-Trinkern („Saturday“). Das sinistre „Play God“ zeichnet autokratische Allmachtsfantasien, und seine ungefilterten Wahrnehmungen im beatlosen „White Privilege“ reichen von einer zur Kleingeistigkeit verdammten Generation über digitales Meinungszerfleischen bis hin zu den “old cunts“, die gemeinsam mit ihrer Upper-Class-Mischpoke und einer Horde aus tumben „Yes!“-Brüllern den Brexit (und dessen Chaos) verbockt haben: „The patriarchy is real, the proof is here in my song / I’ll sit and mansplain every detail of the things it does wrong / ‚Cause I’m a white male, full of shame / My ancestry is evil and their evil is still not gone“. Als zackiger Hit verpackt, thematisiert Fender zu treibenden Gitarren in „Dead Boys“ (welches bereits der 2018er Debüt-EP ihren Titel gab) die Ignoranz gegenüber der hohen Selbstmordrate junger Männer in seiner Heimat. Er, der selbst Freunde durch Suizid verlor, führt in der Herleitung mit „toxic masculinity“ einen Begriff aus der Soziologie an, dem er bereits im vergangenen Jahr auf „Friday Fighting“ Beachtung schenkte: „We close our eyes, learn our pain / Nobody ever could explain / All the dead boys in our hometown“. Fazit? In Indierock eingelegte Gänsehaut.

Sam Fender ist weder Problemlöser noch Analytiker, sondern aufgewühlter Beobachter und Zeichner von Verzweiflung. Irgendwo zwischen Herz, Hirn, Seele und Arschtritt treffen zwischenmenschliche Geflechte und Pub-Talk auf geo-, sozio- und gesellschaftspolitische Themenkomplexe. So wohnt dem Namenspatron der Platte, „Hypersonic Missiles“, ein morbider Zauber inne. Während die Welt unter Raketenbeschuss zugrunde geht, blüht die Beziehung zweier Liebender auf. Fender selbst bezeichnet das Stück als eine verkappte Liebesgeschichte: „This world is gonna end but ‚til then I give you everything I have“ – ein Boss-Move galore (ebenso übrigens wie die augenzwinkernde Behauptung des 2019er Senkrechtstarters, mit seinem Langspiel-Debüt so etwas wie „eine Emo-Version von ‚Darkness On The Edge Of Town‘“ im Sinn gehabt zu haben). Nach den rauschhaften Rocknummern und einem dicken Paket an Hits versteckt der Mittzwanziger zum Ende des Debüts in „Leave Fast“ einmal mehr eine seiner springsteen’schen Fluchtpunktperspektiven. Hieß es anno dazumal beim US-Vorbild noch „We gotta get out while we’re young“ oder „It’s a death trap, it’s a suicide rap“, singt Sam Fender nun mit Blick auf seine politisch vernachlässigte Kleinstadt und Heimat „Leave fast or stay forever“. Entkontextualisiert bitte letzteres. Denn obgleich Sam Fender – zum Glück – kein Kaschemmen bespielender Geheimtipp mehr sein mag, so ist der Brite doch ein gern angenommenes Geschenk. File under: Die Frontmänner von The Gaslight Anthem und The Killers treffen sich im englischen Pub zum schwarzhumorigen Springsteen-Tribute-Abend. Rein zufällig würde man Sam Fender denn noch genau zwischen ebenjene Brian Fallon und Brandon Flowers ins Albumregal einsortieren… Aber an Zufälle glaube ich sowieso nicht. Von daher: (m)ein verdientes Album des Jahres.

 

 

thees uhlmann2.  Thees Uhlmann – Junkies und Scientologen

Die Schönheit der Chance: Thees Uhlmann musste erst seine Begleitband neu durchmischen, musste erst ein missglücktes Album in die Studiotonne werfen, damit ihm „Junkies und Scientologen“ gelingen konnte – und das ist mit seinem Töne gewordenen Lebenshunger und Optimismus, mit seinem Füllhorn an verschmitzten popkulturellen Anspielungen eine der zweifellos wichtigsten (deutschsprachigen) Platten des Jahres. Klingt 2019 sonst – und selbst beim Radiopop von Abwegig-Popsternchen Billie Eilish („bad guy“) – allzu oft hülsenreich bedeutungsgeschwängert, ernst und schwer, so geht „Uhlo“ auf seinem dritten Solo-Album, auf das seine Fans geschlagene sechs Jahre warten mussten, viele Dinge wieder etwas anders an, bringt – nach dem tollen Einstieg „Fünf Jahre nicht gesungen“ – schon in den ersten vier Stücken drei popkulturell gefärbte Liebeserklärungen – und sprechsingt in bekannt-unnachahmlicher Manier in „Danke für die Angst“, „Avicii“ und „Was wird aus Hannover“ nicht nur über den (ohnehin gerade oft Tribut gezollten) Horror-Kultautor Stephen King, den im vergangenen Jahr jung verstorbenen schwedischen Pop-DJ und die niedersächsische Landeshauptstadt (als Metapher für bundesdeutsche Verdienstrocker wie die Scorpions), sondern das Leben an sich als stetig buntes Wunder (der kaum weniger tolle, gleichsam sympathische Gisbert zu Knyphausen brachte es vor ein paar Monden mit der Zeile „Die Welt ist grässlich und wunderschön“ auf ebenso treffliche Weise auf den Punkt) Ob in Dur oder in Moll, in melancholischen Balladen oder enthusiastischem Indierock, ob in der Spingsteen’esken Musik-Lobpreisung „100.000 Songs“ oder dem stillen Nachruf „Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt“: Überall blickt Uhlmann mit so viel Wärme und Mitgefühl auf das Leben, schüttelt locker, beschwingt, federleicht und selbstsicher die Hits und Punchlines aus den Ärmeln seines GHvC-Longsleeves, dass sich am Ende jede noch so gedehnte Silbe und jeder hemdsärmelig-ehrlich zurechtgebogene Reim absolut richtig, absolut gelungen anfühlt. Zumal „Junkies und Scientologen“ zwar von der erhabenen Alltagsphilosophie des Musikers, der 2015 mit „Sophia, der Tod und ich“ auch unter die Romanautoren ging, lebt, dazwischen aber immer wieder klare Haltung aufblitzt: die Leadsingle, das sechsminütige Titelstück oder das im Grunde doch recht alberne „Katy Grayson Perry“ lassen in nur wenigen Worten durchblicken, was von Nationalismus und Misogynie zu halten ist – ein Mittelfinger mit Herz(chen). So ist „Junkies und Scientologen“ nicht nur Uhlmanns bisher gelungenster Alleingang (der obendrein in der erweiterten Version noch mit feinen Coverversionen von Künstlerinnen wie Sophie Hunger oder Judith Holofernes punktet), sondern irgendwie auch wie ein Kneipenabend mit einem alten Freund: Danach mag zwar noch immer derselbe nasskalte Herbstregen auf einen hinab prasseln, aber die Welt, sie fühlt sich ein kitzekleines Stückchen sonniger und heiler an.

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better oblivion community center3.  Better Oblivion Community Center – Better Oblivion Community Center

Sollte heutzutage noch jemand Liebeskummer haben oder an gepflegten Selbstzweifeln laborieren, so sind Conor Obersts Bright-Eyes-Veröffentlichungen von „Letting off the Happiness“ bis mindestens „Cassadaga“ nach wie vor eine gute Soundtrack-Adresse. Doch die Zeiten sind komplizierter geworden, und auch Oberst selbst, mittlerweile eigentlich teenage angst-ferne 39 Lenze alt, strauchelte in den letzten Jahren mit mal feinen, mal jedoch auch mittelmäßigen Soloalben oder recht altbacken dadrockenden Americana-Projekten – auch wenn jüngst mit der zusammenhängenden Doppel-Veröffentlichung von „Ruminations“ und „Salutations“ die Alt.Country-meets-Indiefolk-Formkurve wieder nach oben zeigte (ersteres war anno 2016 gar ANEWFRIENDs „Album des Jahres“). 

Nun hat das „Wunderkind mit Reifegrad“ ausgerechnet in der 25-jährigen Songwriterin Phoebe Bridgers (s)eine gleichgesinnte Seele und Duettpartnerin gefunden – ebenjene Phoebe Bridgers, auf deren herausragendem Debüt-Longplayer „Stranger In The Alps“ er bereits bei der einsamen Nummer „Would You Rather“ zu hören war und die zuletzt mit dem boygenius-Projekt an der Seite von Lucy Dacus und Julien Baker überzeugen konnte. Gemeinsam stecken die beiden unter dem nebulös-vielsagenden Banner Better Oblivion Community Center das Feld zwischen Emo-Folk und Indierock neu ab, und anstatt wieder einmal die Mundharmonika hervor zu kramen, setzen sie bei „Exception To The Rule“ auch mal Synthies ein oder verschleppen bei „Sleepwalkin’“ die Gitarrenakkorde. Während Oberst hier an alte Glanzleistungen anknüpfen kann, ist es Bridgers, die mit einer ganz neuen Wandelbarkeit begeistert. In „Big Black Heart“ schreit sie sich das titelgebende schwarze Herz aus dem Leib. Im Kontrast dazu steht der Opener „Didn‘t Know What I Was In For“, in dem sie so einsam und verlassen wie der letzte Mensch auf der Welt klingt. Bei der durchaus fuzzig-hittigen Single „Dylan Thomas“ ist dann auch noch Yeah Yeah Yeahs-Saitenmann Nick Zinner an der Gitarre dabei, und selbst wenn die Ballade „Chesapeake“, welche Phoebe Bridgers als zarte Duett-Partnerin zeigt, die sich mit ätherischen Harmonien wie eine beruhigende Warmfläsche an Conor Obersts nervöse Stimme anschmiegt, nach dem ein oder anderen Tränchen verlangt und sich die Texte immer wieder in der Beschissenheit der Gegenwart verfangen, haben die beiden doch auch kleine Auszeiten eingebaut. Ganz zum Schluss heißt es in „Dominos“ sogar „If you’re not feeling ready, there’s always tomorrow“. Ergibt schon Sinn, dass Oberst und Bridgers ihr Bandprojekt Better Oblivion Community Center nennen und es zur Hauruck-Veröffentlichung im Januar gar mit mit einer fingierten Infobroschüre samt Hotlinenummer bewarben. Dieses Update schadet der alten Bright-Eyes-Sammlung auf keinen Fall, und der (beileibe nicht unkritische) olle Conor-Oberst-Ultra in mir jubiliert ohnehin einmal mehr.

 

 

steiner & madlaina4.  Steiner & Madlaina – Cheers

Schon bemerkenswert, was Nora Steiner und Madlaina Pollina, jüngere Schwester von Julian „Faber“ Pollina, da auf ihrem gemeinsamen Album „Cheers“ auf die Schweizer Beine stellen. Und selbst, wenn der scheinbar mühelos zwischen Stimmungen und Genres changierende Zehnerpack an Songs bereits 2018 erschien, so bleibt unterm Strich eines meiner liebsten (Herbst)Alben des Musikjahres. Hört, hört!

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greet death5.  Greet Death – New Hell

Wie ich vor einigen Wochen schrob: „Obwohl ‚New Hell‘, Great Deaths so unerwartet wie unverhofft grandios mit schwerem Herzen daher rockender zweiter Albumstreich, stellenweise recht introspektiv und keineswegs leichter Tobak ist, wurde schöner länger nicht mehr in aschfahl schimmernden Herbstdepressionsgewässern gebadet. Sollte man gehört haben!“

Stimmt natürlich immer noch. Dieses Ungeheuer von Album kam krachend durch die Tür, hat mich in seine Krallen genommen und bis jetzt nicht wirklich losgelassen. Greet Death, die Band dahinter, rückt aber auch jeden Knopf, der mich potentiell anmachen könnte: Emo, Indie Rock, Shoegaze, Post Rock – und dann alles einfach mal in einen Topf voll mit tiefstem Schwarz getaucht. Denn viel Sonne? Kommt hier nicht durch. Am meisten beeindruckt dabei die Wandlungsfähigkeit: Vom schweren Opener „Circles Of Hell“ (puh) zur leisen Folk-Ballade „Let It Die“ (uff) bis hin zum Fast-Popsong „Do You Feel Nothing?“ (verdammt) und dem übergroßen „You’re Gonna Hate What You’ve Done“ (jeez). Dauerschleife seit Release, mit Tendenz zum Grower über alle Maßen. Und belegt daher, als Album, in das man sich Hals über Kopfhörer fallen lassen kann, als überraschender Späteinsteiger einen verdienten vorderen Platz in den Langspieler-Bestenliste. Geheimtipp des Jahres.

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tool6.  Tool – Fear Inoculum

Die unmögliche Platte. Der BER würde früher fertiggestellt sein als dieses eine Album, hieß es. Axl Rose wäre bereits neidisch, hieß es. Dreizehn Jahre nach „10,000 Days“, als wirklich niemand mehr tatsächlich daran glaubte, gaben uns Tool: den Rest, das Maximum, die neuste, die eventuell endgültige Selbstverortung. Und das Album, das sich langfristig vielleicht nicht als ihr bestes, dafür jedoch als jenes mit dem größten Tool-Trademark-Faktor erweisen wird – ihre Visitenkarte ab sofort, wenn man so mag. 

Nach allem, was zum fünften Album der zweifellos wichtigsten Band des Alternative Metal geschrieben wurde – nicht zuletzt in all den Jahren bevor „Fear Inoculum“ tatsächlich erschien -, sucht man instinktiv nach einem der weniger ausgelatschten Pfade, um sich den fast 90 Minuten zu nähern. Zum einen holt einen das Album genau da ab, wo Tool 2006 den letzten Ton auf Band gespielt hatten. Ein klares Soundkonzept, so archaisch und selbstbestimmt wie in den ersten Momenten von „Sober“ oder den letzten von „Rosetta Stoned“, ohne aufgeblasene Production Values und übermäßige technische Kosmetik. Alles, wirklich alles auf „Fear Inoculum“ ist Handwerk, so bestechend, dass einem die kleinen Ungenauigkeiten, die diese Band nie durch Quantisierung glattbügeln würde, die Haare zu Berge stehen lassen. Das vielschichtige Schlagzeugspiel, die mittenlastige Gitarre, der wuchtige Bass: Das, was den Sound von Tool so ikonisch, so unverwechselbar macht, ist seine Konsequenz. Leicht haben es sich Danny Carey, Adam Jones und Justin Chancellor dabei nicht gemacht. Die sorgfältig gebauten Prog-Spannungsbögen, die sie ihrem Sänger zu Füßen legen, nimmt Maynard James Keenan mit bis dato ungehörter Disziplin und Eleganz auf (wenngleich sich der oberflächlich kreative Anteil des seit eh und je enigmatischen Frontmanns auf den neusten Stücken etwas geringer als noch auf früheren Werken gestaltet). 

Klar: Eine Band, die in 29 Jahren gerade einmal fünf Alben veröffentlicht, aber trotz alledem als eine der relevantesten Metal-Bands des Universums und als lebendes Gesamtkunstwerk gefeiert wird, sklavisch verehrt wird von (s)einer Heerschar von Die-Hard-Fans, die sich auch exorbitante Preise für die audiovisuellen Leckerbissen eines Tool-Artworks vom Munde absparen, konnte mit „Fear Inoculum“ musikalisch nicht wirklich etwas falsch machen. Allen Unkenrufen zum Trotz ist das Album trotzdem genau das monströse Meisterwerk geworden, das man sich gewünscht hat. Und ebenjenes wird wohl mindestens 10.000 Durchgänge benötigen, um es im Ansatz zu begreifen…

 

 

amanda palmer7.  Amanda Palmer – There Will Be No Intermission

Um gar nicht erst den Anschein von Mansplaining zu erwecken – niemand mit Y-Chromosom kann einschätzen, was sich wie für eine Frau ändert, wenn sie Mutter wird. Im Falle von Amanda Palmer ermöglicht ihr drittes Soloalbum (das erste seit 2012, obwohl die Ex-Dresden-Dolls-Frontfrau andererseits keine wirkliche Kreativpause kennt) aber zumindest eine vage Vermutung.

Dass Palmer auf „There Will Be No Intermission“ über Themen wie Fehlgeburten, Abtreibungen und den Verlust von Freunden an das alte Arschloch Krebs auch aus eigenen Erfahrungen berichtet, sollte die wenigsten Fans und treuen Patreon-Unterstützer schockieren. Schließlich gehört sie zu jenen Künstlerinnen, die aus ihrem Privatleben und ihren innersten Gedanken nie einen Hehl machten, wie Unmengen von Tweets, Blog-Einträgen und Video-Tagebüchern ebenso zeigen wie das reine Ausmaß der oft autobiographischen Geschichten, die auf diesem nicht eben einfach zu hörendem Werk erzählt werden: Mehrere dieser epischen Diskurs- und Klagelieder knacken (fast) die Zehn-Minuten-Marke, einige davon sind recht monoton und karg mit Ukulele instrumentiert, als könnte der Drang, zu erzählen, kein großes Brimborium und keine ausgefeilten Songwritingprozesse abwarten.

So ist „Drowning In The Sound“ einer ebenjener liebgewonnenen Amanda-Palmer-Standards mit Stakkatoklavier und dramatischer Phrasierung, „The Thing About Things“ wiederholt das gleiche Prinzip an der Ukulele, bevor sich der Song zur Hymne aufbäumt. Ihre teils fast schon zynische Leichtfüßigkeit kann Palmer dennoch nicht ganz einbüßen: In „A Mother’s Confession“ lässt sie einen ganzen Frauenchor schmettern, dass trotz aller Probleme und Fehlerchen immerhin das Baby noch nicht tot sei; die Angst vor der Unberechenbarkeit des Lebens mit einer Zeile wie „Suicide, homicide, genocide – that’s a fuckton of -cides to choose from“ auszudrücken, würde auch nicht jeder einfallen – doch auch deshalb wird die 43-jährige Herzblut-und-Herz-auf-der-Zunge-Indie-Musikerin von ihrer Hörerschaft mit Haut und Haar geliebt. Im Gegensatz zu (insbesondere) den frühen Dresden-Dolls-Werken geschieht dies jedoch immer öfter in einem gemächlichen Dreivierteltakt und – bis auf Zoe Keatings Cello in „Bigger On The Inside“ – mit Fokus auf dem Piano (oder eben der Ukulele).

Mit dem Stream-of-consciousness-Mammutwerk „There Will Be No Intermission“ festigt Amanda Palmer endgültig ihre Stellung als Grande Dame in ihrem Genre (welches das auch immer sein mag). Nur der Albumtitel „There Will Be No Intermission“ stimmt hinsichtlich der vielen kleinen filmsoundtrackhaften Interludes, die Melodiefragmente oder Textzeilen der Songs aufgreifen, wohl nicht ganz. Mit diesen reizt die Platte die klassisch-altmodischen 80 Minuten Speicherkapazität einer CD fast komplett aus – und das, ohne – fernab von Easy Listening – an irgendeiner Stelle je zu langweilen.

 

 

last train8.  Last Train – The Big Picture

Hört man die Songs von Last Trains zweitem Album „The Big Picture“, so würde man diese durchaus rauschhaft-wilde, im besten Sinne gleichsam jung wie befreit aufspielende Rock-Orgie leichtfertig irgendwo zwischen San Francisco, Seattle, Manchester, Chicago und Down Under verorten, jedoch kaum in einer 100.000-Einwohner-Stadt im Elsass. Auch (und gerade!) deshalb ist das erstaunlich junge Quartett Frankreichs formidabelste Rockband des Musikjahres. Pas de discussion, sans doute!

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faber9.  Faber – I Fucking Love My Life

Im Jahr 2017 veröffentlichte der Schweizer Faber mit „Sei ein Faber im Wind“ sein Debüt, das Polka und Blechbläser mit kontroversem, bissigem Songwriting verband (und absolut zurecht ANEWFRIENDs „Album des Jahres“ wurde). Die einen lobten Julian Pollina in den Himmel, andere sahen in ihm nur einen Provokateur, der es verstand, seine Musik ins Scheinwerferlicht zu rücken (und überhörten somit dessen kluges Zerrspiel mit anderen Identitäten).

Zwei Jahre später liefert Faber nun den mit Spannung erwarteten und in Gänze deutlich reiferen, experimentelleren Nachfolger „I Fucking Love My Life“. Dort wettert er zwar immer noch am liebsten gegen die Millennials, Social Media und den Abstieg ins Spießbürgertum, aber die musikalische Untermalung kommt um einiges vielseitiger ums Eck: teils nur mit Akustischer („Ihr habt meinen Segen„), dann wieder mit größenwahnsinnigem Nölen, Streichern und Piano erforscht Faber die eigene Bandbreite und die seiner Band. Lange im Kopf bleiben Zeilen wie „Ich hab‘ mehr Highlights im Gesicht als im Leben“ oder auch „Ich würd‘ gerne Immobilienhaie fischen aus dem Zürichsee mit dir“ (und freilich die Kontroverse um den Vorab-Song „Das Boot ist voll„). Das Albumcover zeigt ihn im Stile eines Paparazzi-Schnappschusses im Morgenmantel mit Goldkettchen und Kippenschachtel – Großkotzigkeit, Mummenschanz und Ironie gehen bei Julian „Faber“ Pollina auch 2019 Hand in Hand.

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future teens10.  Future Teens – Breakup Season

„Breakup Season“ macht in der Tat auch all jenen mächtig Laune, die ihren Alltag längst jenseits der herzschmerzenden Zwanziger verbringen. „Bummer Pop“ nennen Future Teens, das aus Boston, Massachusetts stammende Viergespann, das Ganze dann. Und liefern mit den zehn Songs ihres zweiten Albums den wohl schönsten, himmelhoch heulenden Herzensbrecher-Indierock in der Tradition von Klassikern wie etwa Weezers „Pinkerton“, den man in diesem Herbst finden konnte. It’s breakup season, y’all!

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…und auf den weiteren Plätzen:

Various Artists – Tiny Changes: A Celebration of Frightened Rabbit’s ‚The Midnight Organ Fight‘ mehr…

BRUTUS – Nest mehr…

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Song des Tages: Enno Bunger – „Konfetti“


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Selbst wenn sich Enno Bunger in den letzten Wochen anlässlich seines am vergangenen Freitag erschienenen neuen Albums „Was berührt, das bleibt.“ öfter auf diesen bescheidenen Blog-Seiten wiederfand – ein vielleicht letztes Mal sei dem 32-jährigen Hamburger Indie-Pop-Pianisten definitiv noch gegönnt, denn: diese Platte ist, wie ich anhand der immerhin fünf vorab veröffentlichten Stücke „Bucketlist“, „Stark sein“, „Ponyhof“, „Konfetti“ und „Kalifornien“ (gibt’s weiter unten) bereits vermutet und gehofft hatte, in der Tat schon jetzt eine der besten, da bewegendsten deutschsprachigen Veröffentlichungen des Musikjahres. Und auch Bunger selbst meint: „Ich kann, will und werde wohl nie wieder ein solches Album schreiben.“

60346108_10157507537598783_1118283628451725312_oDass „Was berührt, das bleibt.“ dabei ebenso wohlwollende Rezensionen wie Schnellschuss-Verrisse einheimst, liegt wohl in der Natur der Sache, schließlich war es bei „großer Kunst“ (dieses Siegel verleihe ich der Platte an dieser Stelle mal eben) schon immer so, dass ebendiese polarisiert. Und am Ende darf sich jede(r) nur allzu gern selbst durch die elf Stücke, in denen sich der vielseitige Liedermacher so persönlich wie nie präsentiert, hören. So oder so: es lohnt sich, denn auch ich hatte lange nicht mehr so viele Tränen im Knopfloch, so viele Wellen Gänsehaut innerhalb eines dreiviertelstündigen musikalischen Platten-Erstkontakts…

Und wer schon nicht mir Glauben schenken mag, dem sei an dieser Stelle gern die nicht minder euphorische Review des ebenfalls nicht selten großartigen Bunger’schen Liedermacher-Kollegen Wolfgang Müller ans Herz gelegt, die dieser unlängst via Facebook ins weltweite Netz entließ, denn bessere, passendere Worte habe auch ich nicht für das tolle „Was berührt, das bleibt.“, dessen Titel gleich doppelt zu bejahen ist. Gänsehaut. Nachhall. Der Rest ist hören. Danke dafür, Enno. ❤️

 

„HERZRASEN UND GÄNSEHAUT
Mit seinem neuen Album ‚Was berührt, das bleibt‘ rettet Enno Bunger die Seele des Indie-Pop. Und vermutlich sich selbst dazu.

Es passiert nicht oft, dass ich ein Album höre und nach spätestens drei Stücken ausmachen muss – nicht, weil es so furchtbar wäre, sondern weil ich die Dichte und Intensität nicht ertrage. Bei ‚Du kannst mich an der Ecke rauslassen‘ von Niels Frevert war es so, bei ‚0‘ von Damien Rice. ‚Boxer‘ von The National. Musik, die man in Zeit auflösen muss, damit man sie verdauen kann. Und jetzt also Enno Bunger. ‚Was berührt, das bleibt‘ heißt seine neue Platte, und ganz offensichtlich ist dieses Gesetz keine Einbahnstraße – das, was da geblieben ist, geschnitten in orangenes Vinyl, 44 Minuten in 11 Songs, berührt nicht nur, es trifft einen als Hörer bis ins Mark. Selten, sehr selten, bereitet mir Musik Herzrasen. Diese hier tut es.

Dabei fängt alles so harmlos an. ‚Kalifornien‘, der Opener des Albums, kommt als fröhlicher, unschuldiger Aussteiger-Song daher. Doch bereits hier, in den ersten Zeilen, zeigt sich, woraus die Texte geschnitzt sind – aus einfachen Bildern, die gekonnt zu eindringlichen Geschichten geflochten werden. Enno Bunger schafft es, Allgemeinplätze so übereinander zu legen, dass sie aussehen wie exotische Orte. Das Ergebnis erscheint dabei manchmal so naheliegend, dass man sich fragt, wieso niemand vorher darauf gekommen ist. ‚Zeit ist Geld, wir werden so reich geboren‘ wäre so ein Satz. ‚Du wünschst dir für die Zukunft die Vergangenheit zurück‘ ein anderer. ‚Mit dir in meinen Armen hab‘ ich mein Leben im Griff.‘ noch einer. Ich könnte zwei Seiten mit Zitaten aus den Songs vollschreiben, und jedes Einzelne wäre es wert, doch all das erklärt nicht die Magie des Albums. Andere Künstler, deren Namen hier gnädig hinter dem Vorhang gehalten werden sollen, schaffen ebenfalls schöne Bilder mit teils witzigen Wortspielen und eingängigen Melodien. Und trotzdem gähnen diese Songs vor Leere und Belanglosigkeit, während sich bei Enno Bunger, der Teile des Albums in Zusammenarbeit mit seiner Freundin und Musikerin Sarah Muldoon geschrieben hat, ein Garten voller Gefühle öffnet. Spätestens bei ‚Konfetti‘, einem Lied über die verstorbene Freundin seines Schlagzeugers und besten Freundes Nils Dietrich (dem mit ‚Ponyhof‘ ein eigenes Denkmal gesetzt wurde), offenbart sich ein offenes Geheimnis aufs Neue: Schöne Sätze reichen nicht. Nur wer wirklich etwas zu sagen hat, und dann noch die richtigen Worte findet, kann etwas schreiben, was die Seele berührt. Und berühren tut es. Wem nach ‚Konfetti‘ keine Tränen in den Augen oder auf den Wangen glitzern, hat keine Ohren oder kein Herz. Vergleiche verbieten sich in der Musik, aber im Olymp der Totenklagen sitzt ‚Konfetti‘ direkt neben ‚Seltsames Licht‘ von Gisbert zu Knyphausen und ‚Der Weg‘ von Herbert Grönemeyer.

‚Glaube an die Welt‘ (das ironischerweise an den letztgenannten Song erinnert) trägt die Fackel weiter in ein leeres Zimmer voller Fragen an den Sinn und Unsinn dieser Welt. ‚Wolken aus Beton‘ wiederum reißt das Fenster zur Zukunft auf. So wie das ganze Album schwankt das Lied wie ein kleines Boot zwischen Wut, Trotz und Zuversicht auf einem tosenden Meer aus Traurigkeit. Ab und zu bricht die Sonne durch die Wolken, der Wind flaut ab, und für einen kurzen Moment herrscht Frieden. Doch schon gleich darauf erlischt das Licht, und die nächste, haushohe Welle stürzt hinab und zerreißt das Segel. Man ahnt, man schmeckt wie Salzwasser, wie die letzten Jahre für Enno Bunger und die, die er liebt, gewesen sein müssen. Es spricht eine Dringlichkeit, eine Präsenz und eine Klarheit aus den Liedern, die nur jemand haben kann, der weiß, was es bedeutet, jemanden für immer zu verlieren. Und daher auch weiß, worum es am Ende des Tages wirklich geht.
Jedes Lied auf diesem Album hat eine Botschaft, eine Geschichte, einen festen Platz, ein Geburtsrecht auf Zuhörerschaft. Selbst ‚Niemand wird dich retten‘, das jedes Klischee von Superhelden-Geschichten zitiert und Computerspiel-Bilder bemüht, und es zudem noch wagt, nach Ingo Pohlmann ein Yoda-Zitat in einem Song zu verwenden, erzeugt Gänsehaut, weil man spürt, dass hier jemand jedes Wort genauso meint, wie er es sagt, und die Bedeutung des Satzes ‚Niemand hier kann dich retten, niemand außer dir selbst‘ wirklich begriffen hat.

Musikalisch wandert Enno Bunger zwischen Balladen und Indie-Pop – und darüber hinaus: ‚One-Life-Stand‘ könnte auch ein Casper-Song sein, Kalifornien treibt einen Tomte-artigen Beat vor sich her, bei ‚Stark sein‘ zwitschert beim Hören des Refrains ‚Angel‘ von Robbie Williams dazwischen, die Farbe der Stimme erinnert bisweilen an Gisbert zu Knyphausen, aber all das tut der Originalität keinen Abbruch. Auch hier schafft es Enno, aus Bekanntem etwas Neues, Eigenes und Kraftvolles zu formen, so, wie das Kunst in seiner besten Form tut.

Während viele bekanntere Indie-Musiker sich mit immer seichteren und gefälligeren Songs langsam aber sicher dem Indie-Schlager nähern, um ein Stück vom Kuchen des Mainstream-Musikmarktes zu ergattern, hat Enno Bunger den Mut gefunden, ein zutiefst persönliches und authentisches Album zu schreiben, ein wahrhaftiges Stück Musik zu erschaffen, und darin nach eigenen Angaben fast seine gesamten Ersparnisse zu versenken. In Zeiten, in denen man mit physischen Tonträgern kaum noch Geld verdienen kann, und auf große Klickzahlen bei Spotify und Co angewiesen ist, um zu überleben, ein großes Risiko. Dass die Lieder trotz der Ernsthaftigkeit fast allesamt Ohrwürmer sind, macht da viel Hoffnung und tut ihrer Tiefe keinen Abbruch, im Gegenteil. ‚Was berührt, das bleibt‘ gehört dem Streaming zum Trotz fraglos in jede Vinyl- oder CD-Sammlung. Damit das, was berührt, auch dann noch bleibt, wenn es längst keine Playlisten mehr gibt. Mit diesem Album hat Enno Bunger die Seele des Indie-Pop gerettet, und vermutlich sich selbst dazu. Dafür kann man sich nur verneigen, Konfetti werfen und Applaus klatschen. Hiermit geschehen.“

(Wolfgang Müller)

 

Hier kann man sich den Kurzfilm aus allen fünf Musikvideos zu „Was berührt, das bleibt.“ in der von Enno Bunger bestimmten Reihenfolge zu Gemüte führen:

 

Rock and Roll.

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