Freunde in Amerika? Die wünschen sich wohl nicht wenige Menschen, vor allem in ärmeren Regionen dieses Planeten. Dementsprechend findet man auf dem Facebook-Account von Friends In America die ein oder andere SPAM’eske Anfrage mit einem Verweis aufs WhatsApp-Profil zur fixen Kontaktaufnahme. Jedoch hätten sich die Kontaktwilligen zunächst einmal besser informieren sollen, denn hinter Friends In America stecken keine gut betuchten US-Amerikaner, sondern Matthew Rawlings und Hamish Black, zwei Lads aus dem schottischen Glasgow. Und das Duo wird wohl weder mit großzügigen Spenden noch mit irgendwelchen Greencards dienen können…
Dafür haben Friends In America zwischen 2013 und 2016 einige EPs und Singles veröffentlicht, die allen, die ihre Öhrchen sonst mit Songs von Frightened Rabbit, The Twilight Sad, We Were Promised Jetpacks oder There Will Be Fireworks (deren Frontmann Nicholas McManus singt auch bei einem Stück mit) umspülen lassen, bestens gefallen dürften – breitester Glaswegian Akzent sowie in paar Anklänge an die Talking Heads sowie frühe R.E.M. inklusive. Ob von dem Zweiergespann in Zukunft eventuell gar ein vollwertiges Album zu erwarten ist? Das dürfte trotz der letzten Wortmeldung „Not Dead. Just Asleep.“ fraglich sein, immerhin datiert selbige vom August 2018. Trotzdem ist die Band und ihr bestens zu herbst- bis winterlichen Sonntagen passender tiefstmelancholischer Indie Rock einfach zu gut, um sie nicht gehört zu haben.
Weil Traditionen etwas Schönes sind – und freilich auch irgendwann, irgendwie verpflichten -, verschenkt das britische Indie-Label Big Scary Monsters auch in diesem Jahr – wie bereits 2021 und in den Jahren zuvor (bis auf 2020, wo man wohl eine Pause eingelegt hat) – (s)einen satte 20 Auszüge aus dem diesjährigen Veröffentlichungskatalog starken Label-Sampler mit einer bunten Auswahl querbeet durch sein aktuelles Künstlerangebot und Release-Oeuvre irgendwo zwischen Indie- und Punkrock, Emo, Post-Hardcore oder Mathrock.
Mit dabei sind 2022 Bands und Künstler*innen wie We Were Promised Jetpacks, Proper., Laura Jane Grace, Pedro The Lion, NOBRO, American Football, The Gloria Record oder Jamie Lenman (also auch der ein oder andere Name, von dem in diesem Jahr auf ANEWFRIEND zu lesen war). Wohl bekomm’s!
„Finally, as we start finishing for the year, it’s a great opportunity to say THANK YOU to each and every one of you for supporting the label this year, especially during these tough economic times. We appreciate you all so much, whether it’s reading these e-mails, interacting on socials, spreading your love of the bands, going to shows or buying records/merch – you are all truly amazing. Have a lovely holiday and see you in the new year for loads more of the same awesome music!“
Oh, sweet bird of youth… Wie toll muss es sein, alles zum ersten Mal zu machen – eine Band gründen zum Beispiel. Honeyglaze aus London fanden zusammen, weil Songwriterin, Sängerin und Gitarristin Anouska Sokolow nicht das einsame Mädchen mit Gitarre geben, aber schon unbedingt auf die Bühne wollte. Also holte sie sich mit Bassist Tim Curtis und Schlagzeuger Yuri Shibuichi zwei Freunde dazu – Honeyglaze waren geboren.
Und während sich manche Band über Monate, gar Jahre verdammt erfolglos die Allerwertesten abspielt, musste das Londoner Trio gar nicht allzu lange auf seine „Entdeckung“ warten – kurz vor dem Lockdown wurde Produzent Dan Carey auf sie aufmerksam und nahm sie für seine Talentschmiede unter Vertrag. Auf Careys Liste wiederum stehen einige der wichtigsten britischen Acts der letzten Jahre: Kae Tempest, Squid, Fontaines D.C., Goat Girl, jüngst die selbst von Dave Grohl über den grünsten Hype-Klee gelobten Wet Leg. Doch lässt sich aus diesen Kolleg*innen auch der Sound der Newcomer ableiten? Ja und nein: Post-Punk-Sympathien haben die drei ebenso wie Texte, die Themen wie Erwachsenwerden und Beziehungsunfähigkeit mit britischem Understatement und trockenem Humor überziehen.
Dennoch lassen sich Honeyglaze auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum schwerlich auf einen Sound festzunageln. In Songs wie „Burglar“, dem Instrumental „Half Past“ und dem sphärisch-noisigen Opener „Start“ entwickelt das Trio eine post-grungige Kraft, die von Produzent Dan Carey schön roh belassen und gleichzeitig in poppige Gefilde geleitet wird. Im Popsong britischer Tradition liegt nämlich die eigentliche Stärke von Honeyglaze: „Shadows“ vereint eine jangly Gitarrenmelodie mit Teenage-Angst-Lyrics („Sentimental words / They always lose their meanings / If they’re never seen or heard / Only when I’m dreaming“) und kommt Post-Punk-Helden wie Orange Juice sehr nahe.
„Creative Jealousy“ und „I Am Not Your Cushion“ tönen mithilfe eingängiger Hooks gleichsam süß wie kratzbürstig, während sich „Childish Things“ als passionierter Rocker erweist und „Souvenir“ in zart melancholischer Indie-Pop-Grundstimmung auspendelt. Stark auch das nostalgisch angehauchte „Female Lead“, einerseits eine mit dezentem Augenzwinkern erzählte Geschichte aus der Kindheit von Frontfrau Anouska Sokolow, während es andererseits sowohl rassistische als auch antifeministische Klischees aufgreift. Honeyglaze probieren als Debütanten-Band ohne Live-Erfahrung stilistisch vieles aus, ihr Debüt soll das „Gegenteil eines Konzeptalbums“ (Zitat) sein. Fair enough. Selbiges – ein Konzeptalbum – können sie irgendwann immer noch machen. Der süße Vogel Jugend, er ist noch jung…
Am Anfang ist da ein Chor, der nach Kosakenfolklore und Schwarzmeermatrosen klingt. Kurze Irritation. 16 Sekunden später merkt man allerdings, wer hier eigentlich spielt. Die ersten Schlagzeugschläge, swingend und pointiert, dabei mit leicht existenzialistischer Rückhand ausgeführt, dann die von der Seite schwer ins Bild rollende Orgel. Alles: musikhistorische Wasserzeichen. Wer „Hey Hey Rise Up“ hört, den Song, der vor einigen Tagen auf den Streaming- und Download-Plattformen auftauchte, dessen Single-Artwork eine Art „Sonnenblume mit Auge“ zeigt, während der Schriftzug der Band ist in den ukrainischen Landesfarben Blau und Gelb getaucht ist, dürfte also auch ohne gesonderten Hinweis merken, um was es sich hier handelt: um ein neues Stück von Pink Floyd, einer der größten, wegweisendsten, vor vielen Jahren stillgelegten Rockbands der Geschichte – auch wenn das noch nicht die ganze Wahrheit ist.
Denn der Sänger, dessen bebender Tenor „Hey Hey Rise Up“ hier durch seine dreieinhalb Minuten trägt, heißt Andriy Khlyvnyuk. Er stammt aus Tscherkassy, das mitten in der Ukraine am Fluss Dnepr liegt, und ist seit 2004 das Gesicht der Band BoomBox, die in ihrer Heimat durchaus als „Superstars“ bezeichnen könnte. Als die russische Armee im Februar die Invasion begann, verschob die Gruppe ihre für März und April geplanten Amerika- und Europakonzerte und rückte – wie viele andere heimische Künstler – geschlossen zur Landesverteidigung ein. Am vierten Kriegstag postete Khlyvnyuk, gewissermaßen als Gruß von der Front, auf seinem Instagram-Account ein kurzes Smartphone-Video, das ihn vor der Sophienkathedrale in Kiew zeigt. Das spontan gesungene „Oi u luzi chervona kalyna“ („Der rote Schneeball auf der Wiese“), ein ukrainisches Kampflied aus dem Ersten Weltkrieg, verbreitete sich schnell und weit im weltweiten Netz. Verschiedene Musiker spielten Musik dazu, fertigten Mash-up-Fassungen an – im Grunde der übliche zu erwartende Schneeballeffekt bei derart bewegenden Beiträgen, welche noch dazu gesellschaftspolitische Tragweite besitzen.
Pink Floyds „Hey Hey Rise Up“ betitelte Variante ist nun einerseits eine weitere Version, in der eine Band die Gesangsspur aus Andriy Khlyvnyuks Clip neu vertont und interpretiert. Zudem hat Gitarrist und Initiator David Gilmour sie als aufsehenerregendes popkulturelles Ereignis konzipiert. Pink Floyd, die großen britischen Epiker und Progressive-Rock-Experimentalisten, veröffentlichten zuletzt 1994 wirklich neue Musik (wenngleich 2014 mit „The Endless River“ noch einmal dröge Resteverwertung aus den „Division Bell“-Sessions betrieben wurde), traten 2005 ein letztes Mal in klassischer Besetzung auf. Der Tod des Keyboarders Rick Wright 2008 – zwei Jahre, nachdem das bereits 1968 ausgestiegene Gründungsmitglied Syd Barrett verstarb – sowie die andauernden Unverträglichkeiten zwischen Gilmour und dem ursprünglich zweiten Bandkopf Roger Waters, den der Rest der Gruppe anno 1985 im Streit schasste, beschlossen jedoch effektiv die Geschichte. „Es ist vorbei, die Band ist am Ende. Es wäre Betrug, noch irgendwie weiterzumachen“, sagte Gilmour 2015 in einem Interview mit dem „Guardian“.
Es ist jetzt also tatsächlich eher die legendäre Marke, die charakteristische Pink-Floyd-Idee, als die eigentliche Band, die der 76-jährige Gilmour anlässlich des Ukraine-Krieges zeichenhaft wiederbelebt hat. Als einziges weiteres (Ex-)Bandmitglied ist auf „Hey Hey Rise Up“ Schlagzeuger Nick Mason, auch bereits stolze 78 Lenze alt, vertreten. Die Freunde und langjährigen Kollaborateure Guy Pratt und Nitin Sawhney spielen die restlichen Instrumente. Dennoch haben die Musiker es geschafft, dem für sie gänzlich untypischen Stück osteuropäischer Quasi-Folklore etwas von der ebenso warmen wie unheilvoll dräuenden Atmosphäre der großen Floyd-Werke zu verleihen. Inklusive eines ausgiebigen Gitarrensolos, das Gilmour in einem aktuellen Interview (ebenfalls mit dem „Guardian“) als seinen „Rockgott-Moment“ bezeichnet – mit genug expliziter Selbstironie, um das Wahrheitskorn darin funkeln zu lassen. Als Klassiker im Pink-Floyd-Kanon wird das Stück sicherlich niemals gelten, umso mehr Reichweite erzeugt es jedoch für die Geschichte, die hinter ihm steht.
Gilmour lernte die BoomBox-Musiker vor Jahren bei einem Konzert in London kennen, hat außerdem selbst eine ukrainische Schwiegertochter. Der Brite sagte, er habe mit Andriy Khlyvnyuk, der sich in einem Krankenhaus von einer Granatsplitterverletzung erholte, gesprochen, als er den Song geschrieben habe: „Ich habe ihm am Telefon ein wenig von dem Song vorgespielt, und er gab mir seinen Segen.“ Zudem hoffen beide, in Zukunft auch persönlich zusammenarbeiten zu können. „Hey Hey Rise Up“ will Gilmour als demonstratives Statement gegen die russische Aggression verstanden sehen, alle Einnahmen aus dem Song lobt er als Spenden an die humanitäre Hilfe im kriegsgeschundenen Land aus – und erzeugt dennoch keine Sekunde lang den Eindruck, die Solidaritätsaktion könne ein dauerhafter Neustart für Pink Floyd sein.
„Wir wollen unsere Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck bringen und auf diese Weise zeigen, dass der Großteil der Welt es für völlig falsch hält, dass eine Supermacht in das unabhängige demokratische Land einmarschiert, das die Ukraine geworden ist.“ (David Gilmour)
Und Roger Waters? Auch der alte Grantler, das Mastermind hinter Pink Floyd’schen Werken wie „The Wall“ hat sich seinerseits mit einem Ukraine-Video zu Wort gemeldet, schon Anfang März. Darin antwortete er in einer längeren Abhandlung auf den Hilferuf eines 19-jährigen ukrainischen Fans. Er, der sich seit Jahr und Tag ohnehin gegen jegliche kriegerische Konflikte stark macht, verurteilte zwar den russischen Angriff, betonte aber auch, dass Israel in Palästina vergleichbare Verbrechen verübe und es in der Ukraine ja durchaus eine Menge neofaschistischer Kräfte gebe – womit der 78-Jährige wohlmöglich recht haben mag, jedoch auch mächtig Whataboutism betreibt. Im Grunde das exakte, nüchtern-kalte Gegenstück zu dem, was seine früheren Bandkollegen mit „Hey Hey Rise Up“ in die Welt gestellt haben. Ebenso nüchtern lässt sich daher mutmaßen, dass Gilmour, Mason und Waters in diesem Leben sicher nicht mehr zusammenkommen werden.
Weil Traditionen etwas Schönes sind – und freilich auch irgendwann, irgendwie verpflichten -, verschenkt das britische Indie-Label Big Scary Monsters auch in diesem Jahr – wie bereits 2019 und in den Jahren zuvor (2020 wurde wohl eine Pause eingelegt) – (s)einen satte 22 Auszüge aus dem diesjährigen Veröffentlichungskatalog starken Label-Sampler mit einer bunten Auswahl querbeet durch sein aktuelles Künstlerangebot und Release-Oeuvre irgendwo zwischen Indie- und Punkrock, Emo, Post-Hardcore oder Mathrock.
Mit dabei sind 2021 Bands und Künstler wie We Were Promised Jetpacks, Orchards, American Football, Proper., Church Girls, Weakened Friends, Laura Jane Grace oder Lakes (also auch der ein oder andere Name, von dem in diesem Jahr auf ANEWFRIEND zu lesen war). Wohl bekomm’s!
„Firstly we just want to say THANK YOU to you all for being truly awesome in 2021, whether you’ve bought records or merch, listened to new bands or just kept opening our e-mails! We really appreciate you. As a token of our thanks, we’ve put together a label sampler with a track from every single artist we’ve worked with this year that you can now download/stream for free! Discover something you may have missed or simply sit back and enjoy this round-up of truly brilliant tunes!“