Ambivalente neue Zeiten. Dank TikTok und Social-Media-ADHS schleppt sich kaum ein popkultureller Charterfolg noch über die magische Drei-Minuten-Marke. Ein Album ist – leider leider – oft nur noch das zusammengeschusterte Wegwerfprodukt nach einer Riege von Singles, bestenfalls ein Werkzeug zum Vermarkten der nächsten Tournee. Doch in all dieser Unruhe, in all diesem steten Wandel sind The National, gewissermaßen eine Antithese zu dieser Entwicklung, plötzlich größer denn je – und das im immerhin 24. Jahr ihrer Bandhistorie. Was also ist seit ihrer tollen, 2019 in die Regale gestellten Konzeptkunst-Neuerfindung „I Am Easy To Find“ passiert? Nun, Gitarrist Aaron Dessner hat mal eben zwei Alben namens „Folklore“ und „Evermore“ für eine gewisse Taylor Swift mitgeschrieben und -produziert und ist seitdem, ob nun als Produzent oder Co-Songwriter, an allen möglichen Ecken des Pop-Kosmos ebenso gefragt wie präsent. Auch Sänger Matt Berninger war seit dem bislang letzten The National-Langspieler keineswegs untätig, veröffentlichte etwa 2020 sein Solo-Debüt „Serpentine Prison„, hatte danach jedoch mit Depressionen und Schreibblockaden zu kämpfen – so sehr, dass die Zukunft seiner Haupt- und Herzensband zeitweise ernsthaft in Frage stand. Und doch liegt nun – glücklicherweise – „First Two Pages Of Frankenstein“ auf dem Tisch, das nunmehr neunte The National-Album.
Kurzer Realitätscheck: Keiner der Songs geht unter drei Minuten ins Ziel, keines der Stücke fällt direkt und holterdipolter mit dem Refrain ins Haus. Einzig die Single-Veröffentlichungspolitik hat sich dem allgemeinen Trend weiter angeglichen, diesmal sind vier der elf Songs als Preview vorausgeschickt worden. Sonderlich zweckdienlich ist das der Sache nicht: Auf sich allein gestellt wirkten die Vorab-Stücke oft zahm, wie auf verlässlichem Trademark-Autopilot. Im Albumkontext fragt man sich nun, was eigentlich genau das Problem war. Wo ist denn „Eucalyptus“ bitte nicht die Hymne zwischen Melancholie und Kammer-Indie-Rock-Euphorie, in der Berninger sich vokaltechnisch verausgabt? „You should take it ‚cause I’m not gonna take it“, bringt er angestrengt heraus, während die Blasinstrumente um ihn herum jubilieren. Das Stück dividiert im ersten Anschein auf materieller Ebene eine lange Beziehung auseinander, bevor sich die darin versteckten Bedeutungen offenbaren, in den Gegenständen, die das Paar im Song untereinander aufteilt – ein Geniestreich. Und was ist nicht grandios am gleichzeitig nervösen und völlig in sich ruhend eine offenbar vergangene Zwischenmenschlichkeit bilanzierenden „New Order T-Shirt“ oder am super-melodischen und hypnotischen „Tropic Morning News“, dem ersten für dieses Album geschriebenen Song, an dem außerdem Berningers Frau Carin Besser mitbeteiligt war? Ein geradliniger, tanzbarer Beat treibt das Stück voran, für ein kurzes Gitarrensolo reißen die bedrückenden Textwolken auf, und auch Matt Berninger selbst klingt weniger bekümmert, wenn er davon singt, wie sehr ihn der morgendliche Nachrichtensturm abgelenkt und gelähmt hat und dabei die Vergangenheitsform nutzt.
„Oh, what happened to the wavelength we were on?“ Danke der Nachfrage, Mr. Berninger – es ist noch alles da, fast alles an seinem vertrauten Platz. „First Two Pages Of Frankenstein“ mag sicher keine Revolution im Bandkosmos sein, schließlich gab es die über die Jahre mit „Alligator“ und „Boxer„, mit „High Violet“ und „Trouble Will Find Me„, mit „Sleep Well Beast“ und „I Am Easy To Find“ – im Großen wie im Kleinen – bereits zuhauf. Nein, Langspieler Nummer neun tritt eher ein, zwei Schritte zurück – weniger ausufernd, auf die Kernstärken des von Bryce Dessner sowie Bryan und Scott Devendorf komplettierten US-Quintetts konzentriert. Gleich der Opener „Once Upon A Poolside“, bei dem Sufjan Stevens stimmliche Unterstützung liefert, verheiratet das herrliche Klavierspiel mit einer zurückhaltenden Meditation samt ewig fragendem Blick auf eine Beziehung: „What was the worried thing you said to me? / I thought we could make it through anything.“ Wohin mit dem Schamgefühl, sich den im Vergleich nichtigen privaten Problemen zu widmen, während die Welt brennt und sich die Katastrophenmeldungen stapeln? Überhaupt ist vor allem die erste Albumhälfte voll solcher Perlen. „You find beauty in anything“, singt Berninger im gewohnt samtigen Bariton in „This Isn’t Helping“, während diesmal die nicht nur hier gastierende Phoebe Bridgers aus dem Hintergrund Unterstützung leistet.
Überhaupt: die Gastbeiträge. Dass die Tracklist dieses Mal Features explizit ausweist, entbehrt keineswegs einer gewissen Ironie. Bis auf das hübsche Duett „The Alcott“ mit Pop-Starlett Taylor Swift, ihrerseits ein bekennender The National-Fan, halten sich die Gäste viel mehr im Hintergrund als auf dem 2019er Vorgänger. Und dass die prominenten Gastsänger*innen hier nicht breitbeinig durchpreschen, tut dem Album unglaublich gut. So beschränkt sich auch Bridgers‘ zweiter Auftritt im eindringlichen „Your Mind Is Not Your Friend“ auf den Hintergrundgesang, der Star ist der zweifellos Song selbst. Etwas „Exile Vilify„, ein wenig „Light Years“ und jede Menge Mitgefühl. „Don’t you understand? / Your mind is not your friend again / It takes you by the hand / And leads you nowhere.“ Klar, dass Berninger das durchlaufene graue Tal, von welchem er auch in der pointierten Innenansicht „Ice Machines“ singt, noch tief in den 52-jährigen Knochen steckt. Und doch ist er es, der zum Abschluss in „Send For Me“ die helfende Hand ausstreckt. „If you’re ever sitting at the airport / And you don’t want to leave / If you don’t even know what you’re here for / Send for me.“ Mehr als etwas spartanische Begleitung braucht diese Band in ihren besten Momenten nicht, um ins Mark zu treffen. „Luxusmelancholie„? Von The National: immer gern genommen, jederzeit.
Natürlich haben Berninger sowie die Dessner- und Devendorf-Brüder auch diesmal keinen laut drauflos polternden Rocksong wie zu seligen Anfangszeiten, kein zweites „About Today“ geschrieben. Mit „Eucalyptus“ zusammen ist „Grease In Your Hair“ der energischste und insgesamt auch der flotteste Track. Er erinnert etwas an „Graceless“ von „Trouble Will Find Me“, nimmt jedoch eine andere, positiver gestimmte Abfahrt. „Don’t splash apart / Everything changes.“ Nope, Mr. Berninger – alles verändert sich bestimmt nicht. Wer The National schon immer langweilig oder zu pathetisch und lethargisch fand, wer bei Matt Berningers Gesang und Texten schon immer den von einer Midlife Crisis geplagten, jungen Studentinnen und verpassten Gelegenheiten hinterträumenden Universitätsprofessor vorm inneren Auge hatte, wird von „First Two Pages Of Frankenstein“ sicher nicht umgestimmt. Wer die bedrückt-melancholische Stimmung und die filigranen Kniffe im Songwriting auf der Habenseite sieht, kann sich dagegen erneut glücklich schätzen – wenngleich man Aaron Dessner ehrlicherweise durchaus vorwerfen kann, die warme Atmosphäre früherer Alben für (s)eine glatte, klinische Soundästhetik zu opfern. Damit die Band wieder funktionierte, brauchte es vielleicht kein mutiges oder auf Teufel komm raus an allen Ecken und Enden neuartiges, sondern einfach nur das nächste verdammt tolle Album. Stillstand auf höchstmöglichem Niveau.
Was für Musik braucht man in einem so eigenartigen Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf diese ganze verdammt verrückte und aus den Angeln geratene Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie das Schlechte – für Momente vergessen lässt. Eine Zuflucht. Eine Ton und Wort gewordene zweite Heimat. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2020 einmal mehr recht wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!
Im ersten Moment doch sehr, bei genauerer Betrachtung jedoch etwas weniger überraschend: Für ein Jahr, das die meiste Zeit am Rande des totalen gesellschaftlichen wie ökonomischen und kulturellen Stillstands wankte, gab es 2020 eine ganze Menge (sehr) guter neuer Musik zu hören. Fiona Apple etwa brachte mit „Fetch The Bolt Cutters“ zum ersten Mal seit acht Jahren ein neues, von Fans wie Kritikern vielbeachtetes Album heraus. Bob Dylan zeigte, dass er im Alter von 79 Lenzen immer noch eine Menge zu sagen hat. Und Taylor Swift bewies, dass sie nicht nur eine der erfolgreichsten und versiertesten Songwriterinnen der Pop-Gegenwart ist, sondern auch eine der produktivsten: gemeinsam mit Teilen des The National-Lagers und Gästen wie dem unter Indie-Folk-Freunden höchst geschätzten Justin „Bon Iver“ Vernon veröffentlichte „TayTay“ im Juli und Dezember ohne größeres Werbe-Tamtam mehr als dreißig Songs, die sie seit Beginn der Pandemie geschrieben und aufgenommen hatte.
All diese und viele andere Veröffentlichungen sind es freilich wert, gehört und nachhaltig beachtet zu werden. Aber ein Album steht – und das zeigt auch diese Auswertung der Jahresbestenlisten – über ihnen allen: Phoebe Bridgers‚ „Punisher“. Zu großen Teilen aufgenommen während der letzten zwei Jahre, kann das Werk zwar nicht von sich behaupten, eine Echtzeit-Reflexion der Stimmung während der Pandemie zu sein, wie im Fall von Taylor Swifts „folklore“ und „evermore„. Dennoch passt Bridgers‘ musikalische und lyrische Sensibilität besser als alles andere, was in diesem Jahr veröffentlicht wurde, zum unverwechselbarem Geist des gefühlten „Rien ne va plus“-Scheintods der vergangenen Monate. Das Album ist ein zerbrochener, trüber Spiegel, der unseren von Melancholie, Isolation und immerneuen Hiobsbotschaften geschundenen Körpern und Seelen vorgehalten wird.
Nicht, dass „Punisher“ eine Art einmalige Novalität wäre. Weit gefehlt. Schon Bridgers‘ kaum weniger gelungenes Debüt von 2017, „Stranger In The Alps„, sowie die gemeinsame letztjährige Platte mit Conor Oberst als Better Oblivion Community Center etablierten die 26-jährige Singer/Songwriterin als versierte Emo-Folk-Musikerin im Stile des früh verstorbenen großen Elliott Smith. Wie Smith ist Bridgers, die selbigen nicht eben zufällig verehrt, eine Künstlerin mit einem ausgeprägten Sinn für feine Mark-und-Bein-Melodien und der Gabe, Texte zu verfassen, die persönliche Traumata und alltägliche Kämpfe in kunstvoll einnehmende Porträts menschlicher Zerbrechlichkeit und der Sehnsucht nach inniglicher Verbundenheit verwandeln.
Die sehnend fatalistischen Songs auf „Punisher“ entwickelt diese Themen weiter und führen sie in expansive neue Richtungen, während Bridgers‘ teilweise skurrile Beobachtungen und emotionale Einsichten in eine irrgärtene, zumeist stille Klanglandschaft eingebettet werden, die sowohl intensiv schön als auch auf vereinnahmende Weise klaustrophobisch ist – wie ein Spaziergang auf dem Grund des Ozeans oder der Oberfläche eines anderen Planeten (oder eben durchs nächtliche Pandemie-L.A.). Das konnte selbst die US-Musikindustrie nicht überhören und würdigte die musikalische Kraft des Albums, indem sie Bridgers und ihre Platte jüngst für ganze vier Grammys nominierte, darunter als „beste neue Künstlerin“ und als „bestes alternatives Musikalbum“.
Bridgers und ihre Mitstreiter – die Co-Produzenten Tony Berg und Ethan Gruska, die Songwriting-Partner Christian Lee Hutson, Conor Oberst und Marshall Vore, ihre boygenius-Girl-Buddies Julien Baker und Lucy Dacus sowie etliche andere Musiker aus der heimischen Indie-Szene von L.A. – haben ein Album geschaffen, das all die Hilfsmittel in Los Angeles‘ legendärem Aufnahmestudio Sound City – all die Fader, Sampler, Autotune-Gadgets und andere Vocal-Effektgeräte – mit einer breiten Palette von akustischen Instrumenten kombiniert, um eine über alle Maßen intensive Erfahrung zu schaffen, die auf die beste Art und Weise verwirrend ist – wie ein seltsamer, beunruhigender Traum, der es schafft, etwas Schmerzhaftes, Wahres und irgendwie Notwendiges zu vermitteln, während man am nächsten Morgen nicht einmal mehr Worte für das nokturn Geträumte findet.
Der gequälte Existenzialismus des Albums wird vielleicht am stärksten in „Chinese Satellite“ vermittelt, einem herzzerreißenden Song über Bridgers‘ Tendenz, „in Kreisen umher zu laufen und vorzugeben, dass ich ich selbst sei“. Er gipfelt in einem Refrain, der mit einem herzzerreißend schönen, gen Firmament hauchenden Streicher-Arrangement unterlegt ist und als eine Art Gebet um Erlösung von Einsamkeit und Zweifeln fungiert:
„I want to believe Instead I look at the sky and I feel nothing You know I hate to be alone I want to be wrong“
Eine alltägliche Klage – „I hate to be alone“ – in einen Ausdruck metaphysischer Sehnsucht zu verwandeln, der sowohl düster-komisch als auch tieftraurig ist, ist das, was Bridgers wie kaum eine andere aktuell beherrscht – und sie tut genau das auf „Punisher“ immer wieder.
Die Songs des Albums sind voll von lebendigen, einprägsamen – und oft nur im ersten Licht trivialen – Beschreibungen des alltäglichen Lebens, die beim Lauschen zwischen den Zeilen mit einer größeren Bedeutung einhergehen: Sie ändert ihren Plan, einen Garten anzulegen, als Reaktion auf die Aktivitäten eines Skinheads in der Nachbarschaft („Garden Song“). Sie „wollte die Welt sehen“, bis sie nach Übersee flog und daraufhin ihre Meinung änderte („Kyoto“). Sie macht einen morbiden Witz über den fortwährenden Klang von Sirenen aus Richtung des Krankenhauses in der Nähe ihres Hauses (interessanterweise nur eine von vielen unheimlichen lyrischen Vorahnungen der Pandemie, die über das ganze Album verstreut sind – Entstehungszeitraum hin oder her). Sie und ein Freund verbringen einen Abend damit, den „Rest unseres Serotonins“ zu verbrauchen, während sie auf dem Boden sitzen und eine Packung Cracker futtern („Graceland Too“). Sie gesteht ihrem verheirateten Ex-Liebhaber, dass er sie „wie Wasser in deinen Händen“ hält („Moon Song“). etc. pp.
Solche Momente flüchtiger Schönheit häufen sich, türmen sich auf, ziehen manches Mal auch wieder vorbei, während sich das Album auf (s)einen unheilvollen Schluss zubewegt: „I Know The End“, in dem Bilder vom Ende einer Beziehung zu Visionen der Apokalypse verschwimmen, während sich die hübsche Folk-Melodie langsam in eine Kakophonie aus klirrenden Akkorden, wirbelndem Lärm und menschlichen Schreien verwandelt. Es ist ein überraschendes, beängstigendes und doch irgendwie perfekt passendes Ende für eine Platte, die so todgeweiht ist wie das Leben am Ende selbst. Das mag sich zwar schwer oder deprimierend lesen, ist es jedoch ganz und gar nicht. „Punisher“ ist ehrlich, heftig, extrem melodiös – und der perfekte Soundtrack für dieses oder jedes andere Jahr. Kurzum: ein verdammtes Meisterwerk.
Liebe? Doof. Job? Doof. Finanzielle Lage? Doof. Soziale Kontakte? Doof. Und sonst so? Alles recht beschissen, danke der Nachfrage… Man wünscht Dylan Slocum – wie ja eigentlich jedem anderen Menschen – wirklich, dass er irgendwann seine mentale Gesundheit erlangt, auch wenn das wohl bedeuten würde, dass der Spanish Love Songs-Frontmann dann nicht mehr diese verdammt intensiven, dem eigenen Schicksal trotzenden Loserhymnen zur Selbsttherapie schreibt. Bis dahin macht die fünfköpfige Band aus Los Angeles auf „Brave Faces Everyone“ jedoch exakt dort weiter, wo „Schmaltz“ vor zwei Jahren endete: Sie vertonen seelische Abgründe und verpacken diese in maximal mitreißendem Punkrock, mit dessen gefühlter Intensität sie aktuell allein auf weiter Flur stehen. Zehn Fäuste für ein herzhaftes „Fick dich!“.
So wirklich still war es um Conor Oberst nicht in den letzten Jahren – siehe die tolle Platte mit Phoebe Bridgers als Better Oblivion Community Center, siehe das Comeback-Album mit den Radaubrüdern der Desaparecidos, siehe die jüngsten Alt.Country-meets-Indiefolk-Solo-Alben „Ruminations“ und „Salutations“ (ersteres war anno 2016 gar ANEWFRIENDs „Album des Jahres“). Trotzdem durfte man bei all der Umtriebigkeit seine Haupt- und Herzensband Bright Eyes schon ein kleinwenig vermissen… Nun, nach neun langen Jahren, hat sich Oberst endlich wieder mit Mike Mogis und Nate Walcott zusammengetan, und in der Trio-Formation strahlen seine Songs noch heller durch all die Dunkelheit hindurch, die sich seit jeher im Großteil seiner Texte offenbart. Dabei zieht das Dreiergespann alle zur Verfügung stehenden Register, dies ist längst mehr als folkender Indie Rock, es besitzt und besetzt (s)eine eigene Kategorie: Conor-Oberst-Songs eben. Also faszinierende Textkaskaden, betörende Melodien und spirituelle Suche in einem. Dance on through and sing!
„Baby, I’m scorched earth / You’re hearts and minds / Fuck everybody! / Woo!“ – ein Album, das mit solchen Worten endet, kann wahrlich kein schlechtes sein… Der dazugehörige Song fasst in gut sechs Minuten zusammen, warum Biffy Clyro seit eh und je eine der spannendsten Rock-Bands sind, die das an spannenden Bands wirklich nicht arme Schottland hervorgebracht hat. All ihre Klangelemente – von hektischen, an frühe Großtaten gemahnenden Rhythmen über mit sanften Strichen gemalte balladeske Klangbilder bis hin zu allumfassendem Pathos – finden sich aber nicht nur in besagtem Rausschmeißer „Cop Syrup“ wieder, sondern clever ausgespielt auf dem gesamten achten Album des Trios um Frontmann Simon Neil verteilt. Präsentiert sich „North Of No South“ zu Beginn als prototypischer Biffy-Clyro-Knüller, hadert „The Champ“ funky und elegant mit der Gegenwart: „A virtual dream and a virtual life / Well, I’m in love with the older kind / A Biblical truth and a cynical lie“. Derlei Beobachtungen ziehen sich zwar durch „A Celebration Of Endings“ und das Album wird außerdem vor dem Hintergrund des Brexit veröffentlicht, explizit politisch ist es jedoch nicht. Dafür aber sehr, sehr gut. Und das nicht nur, weil es wesentlich besser als sein mauer Vorgänger ist, dessen Pop-Exzesse hier lediglich dosiert stattfinden (etwa beim erstaunlich gelungenen Kitsch-Balladen-Ohrwurm „Space“). Mon the Biff!
Alben wie “Northern Blues”, „Loupita“ oder “So Much For Staying Alive” sind tatsächlich schon über eineinhalb Dekaden alt. Doch Singer/Songwriter Kristofer Åström lässt den Sound von damals mit seinem neuen Werk “Hard Times” wieder aufleben, als wären zwischen all diesen Langspielern gerade einmal wenige Wochen vergangen, denn in der Tat wären die acht neuen Songs auch damals schon gut auf diesen ausnahmslos tollen Kleinoden voll skandinavischer Herzschmerz-Melancholie aufgehoben gewesen. 2020 entfalten sie aber noch mal ihre ganz eigene Schönheit, auch wenn der Schwede betont, dass der fürs aktuelle Jahr überaus passende Albumname bereits vor der Corona-Pandemie feststand. Schon im Opener “Inbetweener” leidet der 46-jährige „Scandinavian Cowboy“ hörbar wie eh und je. “In The Daylight” erzählt eine lange vergangene, aber bis heute traumatische Liebesgeschichte. Und auch “Another Love”, das er gemeinsam mit Britta Persson in ein wunderschönes Duett packt, ist berührend und voller Liebeskummer: “The sun don’t shine on me and the night won’t leave me be”. Es sind einmal mehr die kleinen, jedoch schmerzenden Sätze, die so viel ausdrücken: “She kissed me and then she moved on” aus “Then She Moved On” ist nur ein weiteres Beispiel. “Nowhere In Sight” hat ebenfalls diese allumfassende Traurigkeit, mit der sich Åström vor inzwischen sehr vielen Jahren in der Singer/Songwriter-Szene etabliert hat. Glaubt mir: Wer’s liebt, der liebt’s auf Lebenszeit.
Jetzt ohne Band. Um sich endlich selbst zu verwirklichen? Eher nicht. Denn auch The National sind ganz Matt Berninger. Und hier wie dort leidet der heute 49-Jährige melodischer und melancholischer als jeder andere. Gewiss ist aber: „Serpentine Prison“, das späte Solodebüt nach acht Alben mit seiner Hauptband, ist viel mehr eine Songwriter-Platte als die letzten National-Alben. Uptempo-Indie-Rock, elektrische Gitarren, elektronisches Klackern, vertrackte Beats: nichts davon findet sich hier wieder. Und dass Berninger sein Mikro aus der Hand gibt, wie zuletzt reihenweise auf „I Am Easy To Find“ etwa an Mina Tindle und Sharon Van Etten, kommt auch nur einmal vor, wenn Gail Ann Dorsey (aus Bowies Band) im Song „Silver Springs“ eine Strophe singt. Stattdessen hört sich „Serpentine Prison“ fast schon überraschend traditionell und, ja, auch klassisch amerikanisch an. Akustische Gitarre, Bläser, irgendwo zwischen Americana und Indie Folk. Feine Klaviermelodien und Streicher bringen Kammerpop mit hinein. Und die bluesig-groovende Orgel im Song „Loved So Little“ geht ganz klar auf das Konto von US-Legende Booker T. Jones, der hier produziert und mitgespielt hat, und so hörbar seinen Sinn für erdig-ehrlichen Soul-Rock und einen klugen räumlichen Blick auf die eher spärlichen Arrangements einbringen kann. „I don’t see no brightness and I’m kind of startin’ to like this“, singt Berninger, ganz Schmerzensmann, in „Oh Dearie“. Das ist nah an der Selbstparodie, und wie er es sich so bequem macht in seinen kontemplativen, traurig-schönen Stücken, glaubt man’s ihm fast. Nach dem verloren flehenden „Take Me Out Of Town“ nicht mehr so. „Where are you, you said you’d be here by now“, fragt jemand. Und garantiert nicht im Titelsong. Leben inmitten von Frustration, Nationalismus, Zynismus – wie geht das? „Serpentine Prison“ schließt – ziemlich großartig – individuelle und kollektive Angst kurz, erzählt von Depression und einer Welt am Rand der Zerstörung. Resignation, Fatalismus? Hilft alles nicht: „I walk into walls and I lay awake / I don‘t want to give it to my daughter“. Dazu spielen Trompete und Mundharmonika. Und spätestens wenn man so samtig-schlichte Songs wie „One More Second“ hört ist klar, warum Berninger ein Soloalbum gemacht hat. Feinster Herbstblues mit Sonnenstrahlen.
Überlastete Live-Streams, volle Hallen, ratzfatz ausverkaufte Tourneen (selbstredend in der Vor-Corona-Zeit): Ist Gerard Crosbie, der hinter dem Künstlernamen Gerry Cinnamon steckt, der größte Star, den – hierzulande – (fast) niemand kennt? So ähnlich zumindest wird der Singer/Songwriter gern schonmal vorgestellt. Oder besser der „Sangster-Sangwriter“, wie man es in seiner schottischen Heimat zu sagen pflegt. Cinnamon nämlich singt, wie viele seiner Landsleute auch, keineswegs in feinstem Oxford-Englisch, sondern auf „Glaswegian“, einem Dialekt, der nach der größten Stadt des Landes benannt ist: „Glesga“ (Glasgow). Es ist denn auch dieser Dialekt in Verbindung mit seiner prägnanten Stimme, die den Charme seiner Songs und von „The Bonny“, seinem zweiten Album, ausmachen. Mit rauchigem Gesangsorgan, das mutmaßlich schon in einigen Pubs und vernebelten Clubs erklang, singt der 36-Jährige seine persönlichen Geschichten über Liebe, Hoffnung und Erinnerungen. „Sun Queen“ etwa kommt als lockere Pop-Leichtigkeit daher, die einer verflossenen Liebe gedenkt, deren Namen er, bildlich, in einen Regenbogen schnitzte. „Dark Days“ erzählt vom Entkommen aus dunklen Zeiten. Wenn das Leben ein Spiel und das Glück für Verlierer ist, „dann gewinne ich wieder“ ist da zu hören. Musikalisch ist Cinnamon vornehmlich ganz der spartanischen Instrumentierung verpflichtet: seine Akustikgitarre, Mundharmonika und Stimme bilden den Rahmen der zwölf Songs. Schlagzeug und Bass zimmern ein rhythmisches, teils höchst eingängiges Gerüst für die Songs. „Where We‘re Going“ etwa klingt wie das Beste aus der munteren Pop-Phase von The Cure, „Mayhem“ wie ein sehr starker Non-Album-Song von Travis und das Titelstück nach einer feucht-fröhlichen Nacht an einem schottischen Highland-Lagerfeuer. Trotz aller hörbaren Einflüsse und Querverweise behält der hagere Schotte mit der Oasis-Britpop-Gedächtnis-Topfschnitt-Frisur seine Eigenständigkeit und liefert ein unterhaltsames Album ab, bei dem sich selbst Liam Gallagher zu einem seiner zugegebenermaßen recht seltenen, da diss-freien Komplimente hinreißen lässt: „Ein Top-Mann macht völlig natürliche Sachen.“ Will was heißen, heißt auch was.
2020 hätte ein weiteres großes Konzertjahr für die Grunge-Rock-Band aus Seattle werden können, ja: sollen. Dieses neue Album (das erste seit immerhin sieben Jahren), das der Tour den Rahmen und den Anlass gegeben hätte, ist keineswegs unwichtig, aber auch nicht der zentrale Kern der Unternehmung – Pearl Jam würden auch ohne eine neue Veröffentlichung im Rücken die Stadien und die Gelände rund um den Globus füllen. Nun jedoch gab es keine Konzerte, was zur Folge hat, dass „Gigaton“ unerwartet und ungewohnt erhöht auf einem Podest im Raum steht, als exklusiver Beitrag von Eddie Vedder und Co. in diesem (Musik)Jahr. Es ist daher davon auszugehen, dass so manch treuer Fan diese Platte häufiger gehört haben als die soliden Vorgänger. Und die meisten der Hörer werden beglückt festgestellt haben, dass das Gros der zwölf neuen Stücke diesem Anspruch genügt. Die Band erzählt auf „Gigaton“ – vom unerhört funky Vorboten „Dance Of The Clairvoyants“ einmal abgesehen – freilich wenig Neues, aber das ist nun wirklich keine allzu große Überraschung. Was Pearl Jam leisten, ist eine absolut solide Ausdifferenzierung ihrer hinlänglich bewiesenen Könnerschaft. Ein Song wie „Who Ever Said“ zum Beispiel läuft mehr als fünf Minuten lang und verbindet in dieser Zeit Virtuosität und Kraftmeierei, Melancholie und Melodien, Achtsamkeit und Sehnsucht. Viel mehr kann man von massentauglicher, aber nicht stromlinienförmiger Rockmusik nicht erwarten, weder im Jahr 2020 noch vor genau drei Jahrzehnten, als sich die Band gründete. Die „elder statesmen des Grunge“ liefern.
Es ist das dritte Soloalbum von Brian Fallon, und mit jedem scheinen The Gaslight Anthem weiter weg. Wenn man sich seine heutigen Sachen und diese lediglich acht um Akustik-Klampfe, Klavier, Bass und Schlagzeug gezimmerten Stücke anhört, kann man sich auch nicht so recht vorstellen, was er bei seiner alten Band noch finden sollte. Die großen Kämpfe der Jugend, der Punk Rock, das unbedingte Drama scheinen vorbei zu sein. „Ich bin 40, habe zwei Mädchen, eine Frau, ein Haus – das ist, was ich heute bin“, sagt er selbst. Die federnde Folkrock-Ballade „When You’re Ready“ hat Fallon denn auch für seine Töchter geschrieben. „In this life there will be trouble, but you shall overcome“, singt er da. Das modern-radiopoppig produzierte „21 Days“ überblendet Sucht- und Beziehungsende, in „I Don’t Mind If I’m With You“ blitzen die alten Dämonen, die gefochtenen Kämpfe noch einmal für Momente auf, im Angesicht der Liebe aber werden sie klein und kleiner. „Horses“ erzählt ebenso von Vergänglichkeit wie von Erlösung ohne Theatralik: „In this life change comes slowly, but there is time to be redeemed“. „Hard Feelings“ ist einer jener Songs, die Fallon noch immer wie kaum ein Zweiter aus dem Ärmel schüttelt: eine Mischung aus hemdsärmeliger Americana und von Nostalgie durchwehter New-Jersey-Romantik, in der immer ein „slow song“ aus einem „baby blue Mercedes“ spielt. Und „You Have Stolen My Heart“ könnte am Ende schon fast wieder eine der Balladen auf „American Slang“ sein. „Local Honey“, das sind Songs über die Zeit, wenn die Jugend vorbei ist und das Alter noch weit weg scheint. Es gehe zu „einhundert Prozent ums Alltagsleben“, so Fallon, „und wenn das mein Leben ist, dann ist es wahrscheinlich auch das vieler anderer Leute.“ Wirklich spektakulär ist hier nichts, langweilig jedoch auch nicht. Ergo: kein „Nebraska“, aber definitiv auch kein Reinfall.
Jay McAllister aus Braintree ist ohne Zweifel einer der sympathischsten Klampfenbediener der britischen Inseln. Und einer der talentiertesten. Und einer der umtriebigsten. Seit zig Jahren haut der 40-jährige englische Indie-Musiker pünktlichst zu seinem Geburtstag im Dezember ein neues Album unters Hörervolk, auf dem er jeweils aus seinen zurückliegenden Monaten erzählt und in den Songs vom trubeligen Leben um ihn herum berichtet. In selbigen kommt seit einiger Zeit nicht nur seine kleine Tochter vor, sondern auch der wachsende Unmut über soziale Ungerechtigkeiten oder den Brexit. Umso tiefer sollte man seine Kopfkappe ziehen, dass Mr. Beans On Toast all das nicht mit kaltschnäuziger Pumpe tut, sondern mit jeder Menge Witz, Hirn und Herz. Und dass bei einem Teil der doppelten Veröffentlichung dieses Jahres (denn immerhin feierte der Mann ein rundes Wiegenfest) ein gewisser Buddy namens Frank Turner unter die Indie-Arme gegriffen hat, macht das Ganze nun auch nicht weniger sympathisch… Spitzentyp, der Beans!
Seien wir ehrlich, so traurig es auch sein mag: Durch die neuerlichen Corona-Lockdown-Anordnungen (nicht nur hierzulande) sieht’s wohl nach wie vor – und auf unabsehbare Zeit – recht schlecht aus mit Live-Konzerten. Bei akuten Entzugserscheinungen hilft da manchmal nur YouTube…
The National haben da schon vor einigen Monaten mit- und an ihre Fans gedacht und eine Vielzahl von Konzertmitschnitten ins weltweite Bild-und-Ton-Netz geladen. Etwa auch jene Show, die die Band um Frontmann Matt Berninger im Juni 2018 beim Best Kept Secret Festival im niederländischen Beekse Bergen, Hilvarenbeek spielte – satte anderthalb Stunden lang und an Highlights wie etwa den Fan-Favoriten „Bloodbuzz Ohio“, „Slow Show“, „Fake Empire“, „About Today“ (welches ja mein Hörerherz jedes Mal wild pochen lässt) oder – passend zum heutigen Novemberbeginn – „Mr. November“ alles andere als arm. Die fünf US-Indierocker, deren siebentes Album „Sleep Well Beast“ damals gerade knapp ein Jahr jung war, sind bestens ausgelegt wie eingespielt und liefern potentiell eine ihrer wohl besten Shows ab… Lohnt sich also!
Übrigens sollen Matt Berninger, Aaron und Bryce Dessner sowie Scott und Bryan Devendorf – so Corona es denn zulassen wird – im kommenden Jahr erneut beim Best Kept Secret zu Gast sein. Ob die Show stattfinden wird? Warten wir’s ab.
„Our crew are the lifeblood of our touring operation and have become family through the many years we’ve worked together. As uncertainty looms over the state of the live concert industry, we will direct all profits from merch sales through our webstore, new Cherry Tree enrollments, and sales from the Cherry Tree members-only store to support our crew members throughout this crisis to the best of our ability.“
Bereits mit den ersten Tönen von „Some Kind Of Family“ wird klar: Diese Band ist verdammt cool. Oder, genauer: war – leider. Galten Les Jupes anno 2015, zu Zeiten der Veröffentlichung ihres zweiten Albums, noch als „Canada’s next great band“, war das Quartett auch schon wieder Geschichte. Das mag ihrem Schwanengesang freilich auch fünf Jahre danach noch einen etwas bittersüßen Beigeschmack verleihen, dennoch hat die Band aus dem kanadischen Winnipeg, Manitoba (woher freilich auch eine andere große kanadische Band stammt) mit „Some Kind Of Family“ ein kleines, wenig beachtetes atmosphärisches Indierock-Meisterwerk geschaffen, das die Qualität besitzt, einen zu packen und auf längere Zeit nicht wieder loszulassen…
Und tatsächlich blitzt im ein oder anderen Moment des Nachfolgers zum 2011 erschienenen „Modern Myths„, das eine ebenso breit aufgebaute Genre-Spannweite zwischen Wave und Pop, Indie Rock, Folk sowie Americana aufwies, etwas Magisches hervor. Außerdem: viel Grüblerisches, Dunkles und dennoch irgendwie Optimistisches. Trotzdem kann man sich, sobald Frontmann Michael Petkau Falk seine tieffrequente Stimme erhebt, kaum dagegen wehren, Vergleiche anzustrengen. An Nick Cave etwa. An Tom Waits vielleicht. An Madrugada-Tieftöner Sivert Høyem sicherlich. Und natürlich, unweigerlich an Matt Berninger. Da ist’s auch kaum verwunderlich, dass Marcus Paquin, der wenig zuvor „Trouble Will Find Me“, das sechste Studiowerk von The National, produziert hat (zu einer Zeit also, in der die Dessner-Zwillinge noch nicht alles selbst übernahmen), hinter den Reglern saß. Daher kann man schon mal behaupten: Wer die indierockige, dezent schwelgerische Seite von The National liebt (man denke etwa an frühere Großtaten von „Alligator“ über „Boxer“ bis hin zu „High Violet“), der wird auch an den Songs von Les Jupes Gefallen finden. Versprochen.
Und die vierköpfige Band um Michael Petkau Falk legt schon zu Beginn von „Some Kind Of Family“ die Messlatte recht hoch: „When They Dig Us Up“ überzeugt mit satten Gitarren-Licks, während Schlagzeuger Jordon Ottenson schon zur Eröffnung daran zu arbeiten scheint, sein Instrumentarium während des flotten Refrains des Songs, der dem Ganzen etwas Punkrock-Feeling verleiht, zu erlegen. Runter schalten? Fehlanzeige. „Everything Will Change“ legt ein ebenso zügiges Tempo vor, wobei sich Ottenson diesmal für schlurfende Beats entscheidet und Falk einen klagenden Refrain abliefert, der verletzlich und roh genug erscheint, um seinen Stimmbänder ordentlich zuzusetzen. In „The Brothers“ lässt Falk seinen Gesang in weitaus melodiösere Gefilde wandern und fügt sich so organisch in die minimalistische Instrumentierung ein, die langsam und bis zum letzten Moment Spannung aufbaut, während Adam Fuhrs Keyboard stromlinienförmig den Takt vorgibt. Selbiges – das Keyboard – ist auch der heimliche Star von „Bro.Sis“, das mit umwerfend poppigen, geradezu Killers’esken Synthie-Lines beginnt, die perfekt zu Falks hallendem Gesang und den undurchsichtigen, verträumten Texten über das Halten „der Zügel von 100 Pferden“ passt. Natürlich mögen Les Jupes in diesen Songs weder außerordentlich originell noch originär tönen, dennoch hält die Band zu jeder Minute den Spannungsbogen aufrecht – und zollt ein klein wenig ihren Einflüssen Tribut. So wäre „On Miracles“ mit seinen melancholischen Klavierpassagen auch auf The National-Alben wie „Boxer“ oder „High Violet“ nicht fehl am Platz gewesen, und das zitternde Synthesizer-Riff in der Songmitte hätte wohl einer B-Seite der Antlers ebenso gut zu Gesicht gestanden, während Michael Petkau Falk einmal mehr gesanglich brillieren darf. Noch theatralischer gerät da eigentlich nur „One Is Enough“, wo er mit seiner dröhnenden Stimme gar ganz nah an den großen Nick Cave heran reicht.
Wer also zwischen die Zeilen von „Some Kind Of Family“ lauscht, der wird die herzzerreißenden Zwischentöne hören, wird hören, dass dieses Album das schweißnasse Ergebnis vieler Meinungsverschiedenheiten sowie Aufs und Abs ist. Und irgendwie verleiht dem Werk die Tatsache, dass Les Jupes es aufgenommen haben und dann aufgehört haben, als Band zu existieren, ein wenig mehr Legendenstatus. So ist es ein kleines, gut 45-minütiges Artefakt aus der Vergangenheit. Diese Platte war bereits in der Sekunde, in der sie fertiggestellt wurde, ein Stück Indierock-Geschichte, und sie wird für immer ein Versprechen von vier durchaus talentierten Musikern sein, die einmal als „Canada’s next great band“ angepriesen wurden, nur um dann ohne viel Getöse zu implodieren.
Und uns? Uns bleiben die Songs von „Some Kind Of Family“ (welches es übrigens hier als Free Download gibt). Und das Kopfkino unter den Kopfhörern, welches wie gemacht scheint für Spaziergänge durch das wuselige Großstadttreiben. Für Roadtrips. Fürs Sinnieren und alles und nichts und jeden. Fürs Innehalten auf Parkbänken, während man dem Leben um einen herum zusieht. Mit diesem Album auf Repeat. Einem mal zupackenden, mal melancholischen Indierock-Kleinod, einem wenig beachteten Versprechen aus dem kanadischen Winnipeg.
„Hey friends
I’m very sad to announce that LesJupes are done.
We’ve been a pretty dysfunctional band. We’ve been 3 completely different lineups in 4 years. We’ve battled entitlement, laziness, egos, self-righteousness and willful ignorance. There are some stories that would make you just shake your head, others that would break your heart. We would get 4 people onto the same page for a couple of months before someone else would leave and the whole thing would have to be re-jigged again. It became exhausting. Even ridiculous. A parody of what this was supposed to become. And definitely a pretty impossible way to build momentum or capitalize on what few opportunities we did have come our way.
Many friends and industry people have told me I should just hire a backing band and tour the songs. But it just doesn’t feel right. That’s not what this was ever supposed to be about, and I’m not interested in touring a show that doesn’t feel interesting. This was supposed to be four people on a mission, doing something special together. And after too many failed attempts at that, perhaps its just time to lay it to bed.
A whole lot of care and thought and passion and time and money went into this record. It was supposed to be the album that got us through the glass ceiling we kept hitting. But it unfortunately turned out to be the record that sadly fulfilled its own name.
Not sure we were ever a great band, but I think we had gotten pretty good – to a place where I felt confident we finally had the balance of skills and tools to make a go of it and maybe even become great. I think the best compliment we ever got was: „Wow, you guys are like a real band.“ I never wanted to be the coolest band. Never wanted to be a part of a fad. I just want to make art that connects with something inside those making it and anyone who might listen to it. To write songs that might have an outside shot at still meaning something to someone a few years down the line.
I’m not sure what I’m going to do next. I’ve been mulling on all kinds of things – some of which are radical life changes, some of which are gentle left turns. Some days I want nothing to do with music, others I can’t imagine myself without it. It’s hard not to be terribly angry at a couple people. My increasing self-isolation and introversion combined with exhaustion from the past few years makes this a difficult process. I’ve never grieved a dream before. So I’m gonna just take the time I need to figure it out. In the meantime, I’ve got my studio and will continue writing songs and working with other artists.
I’d like to thank three people who have gone above and beyond to support this band. Frank Ehrmann has championed us in Germany and deserves so much more from this record that he was so excited about. Darcy Penner came in swinging as the most trustworthy, hard-working bandmate I ever had. And my wife, Robin. Even though I often put the band before her, she has been so unbelievably supportive. She put up with a lot of late night fretting sessions, even incurred debt on behalf the band, and is a treasure of a human being.
I really hope you enjoy this album. I was so hopeful for these songs.
Much love,
Michael Petkau Falk“
Mittlerweile hat Ex-Les Jupes-Frontmann Michael Petkau Falk, der in diesem „Vice“-Artikel und -Interview den Bandsplit noch einmal erläutert, mit Touching übrigens ein neues Studio-Projekt am Start, dessen Debütalbum „Isolation Blues“ (gibt’s hier wahlweise als Free Download) unlängst das Licht der Musikwelt erblicken durfte, jedoch wesentlich synthie-lastiger und introspektiver klingt als die Songs seiner ehemaligen Band.
Der Titel des kommenden Albums von Bluegrass-Musikerin Molly Tuttle, „…But I’d Rather Be With You„, könnte passender kaum gewählt sein, schließlich sehnen sich – nach Monaten ohne Live-Shows – sowohl Interpreten als auch das Publikum sehnlichst danach, endlich wieder für Live-Musik zusammenkommen zu können, zu dürfen. Aber da wir alle – Ausnahmen unter Auflagen und im kleineren Rahmen mal ausgenommen – jedoch leider noch eine ganze Weile auf Festivals und größere Live-Shows verzichten müssen, schien Molly Tuttle ein neues Album in der Zwischenzeit als recht guter Kompromiss…
So versammelt „…But I’d Rather Be With You“ zehn eklektische Coverversionen aus verschiedensten Genres, die während der Quarantäne in Nashville aufgenommen wurden – allen voran eine feine Version von The Nationals „Fake Empire“, aber auch „She’s A Rainbow“ von den Rolling Stones, „Mirrored Heart“ von FKA Twigs, „Olympia, WA“ von Rancid, „Standing On The Moon“ von The Grateful Dead (welches dem Album auch seinen Titel gab), „Sunflower, Vol. 6“ von Harry Styles, „Zero“ von den Yeah Yeah Yeahs oder „How Can I Tell You“ von Cat Stevens.
Ihren Teil der Aufnahmen stellte Tuttle mithilfe von Pro Tools in Quarantäne-Arbeit zuhause in Nashville fertig, schickte diese dann nach Los Angeles zu Produzent Tony Berg, der bereits mit Künstlern wie Phoebe Bridgers oder Andrew Bird zusammenarbeitete. Dieser organisierte darauf einige Session-Musiker, um die den Rest der Instrumentierung in den eigenen vier Wänden aufzunehmen, darunter etwa Sängerin Taylor Goldsmith von den Dawes.
Dass Molly Tuttle ausgerechnet ihre Variante des The National-Evergreens „Fake Empire“ als Lead-Single des Albums wählte, dürfte kein Zufall sein, schließlich passt das Stück, welches 2007 auf dem vierten The National-Studiowerk „Boxer“ erschien, wie kaum ein anderes in diese doch so eigenartige Zeit.
„Ich bin ein großer Fan von The National“, so die versierte Bluegrass-Gitarristin. „‚Boxer‘ ist wahrscheinlich mein Lieblingsalbum von ihnen. Und ‚Fake Empire‘ hat einen durchgehend supercoolen Vier-über-Drei-Polyrhythmus. Der Klavierpart macht auf der Gitarre super viel Spaß, wenn man den Daumen für das Spiel auf der Drei sowie Zeige- und Mittelfinger für das Spiel auf der Vier trainieren kann.“
Tuttle gestaltete auch das dazugehörige Musikvideo, welches sich auf das Konzept von Aktivismus und Gleichgültigkeit in der modernen Gesellschaft konzentriert. „Das ‚Fake Empire‘-Video entstand, indem wir historisches Filmmaterial über Aktivismus im Amerika zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf mich projizierten, während ich den Song spielte“, erzählt Tuttle. „Wir stellten dieses Material Waldbränden, Sternen und traumhaften Bildern gegenüber. Wir wollten die Bedeutung des Videos etwas der Interpretation überlassen, genau wie den Text des Liedes.“
Dennoch mag sie die Botschaft des Stückes nicht komplett im Vagen lassen: „Matt Berninger meinte einmal, dass es in dem Song darum gehe, dass man nicht mit der Realität dessen, was wirklich vor sich geht, umgehen könne, und sich daher in eine Fantasiewelt davon träume. Im Moment wachen jedoch viele Menschen in unserem Land auf und sehen die Realität voller Polizeibrutalität, Rassismus und Bigotterie um uns alle herum. Ich hoffe, dass Menschen wie ich, die wie ich das Privileg haben, vor diesen Ungerechtigkeiten die Augen zu verschließen, dieses Bewusstsein und dieses Handeln aufrechterhalten können, um eine bessere Gesellschaft zu schaffen.“
„Stay out super late tonight Picking apples, making pies Put a little something in our lemonade And take it with us
We’re half awake in a fake empire…
Tiptoe through our shiny city With our diamond slippers on Do our gay ballet on ice Bluebirds on our shoulders
We’re half awake in a fake empire…
Turn the light out, say goodnight No thinking for a little while Let’s not try to figure out everything at once It’s hard to keep track of you falling through the sky
Bereits Anfang dieses Jahres machte der Indie-Musiker Bartees Strange aus Washington, D.C. von sich reden (und beförderte sich auch „Auf den Radar“ von ANEWFRIEND), als er auf seiner Debüt-EP „Say Goodbye To Pretty Boy“ eine Reihe von Coverversionen von Songs aus der Feder von The National veröffentlichte – und die Stücke nicht mal eben nur schnöde nachspielte, sondern jedem einzelnen ein kleines Stück seiner eigenen Seele, seiner eigenen Identität hinzufügte.
Doch auf diesem Achtungsausrufezeichen will es Bartees Leon Cox, Jr. – zum Glück – nicht beruhen lassen – und kündigt nun an, dass noch im aktuellen Jahr sein erstes Album erscheinen wird, welches – und das wohl kaum nur des Zeitgeistes wegen – auch Themen wie Identität, Akzeptanz oder Rassismus behandeln werde, während stilistisch so ziemlich alle Viertel von Indie Rock über Jazz und HipHop bis hin zum Soul angefahren werden sollen. Besser noch: Mit „Mustang“ veröffentlicht der im englischen Ipswich geborene Rapper, Sänger und Multiinstrumentalist auch schon eine erste Single aus selbigem. Der Song ist eine Reflexion über das Aufwachsen in einer der wenigen schwarzen Familien in einer überwältigend weißen, konservativen Stadt. „Ich habe mich versteckt. Ich habe mich abgeduckt, damit sich die Leute um mich herum wohler fühlten“, so Strange.
Musikalisch kommt „Mustang“ als Mischung aus verträumtem Pop, fiebrig pulsierenden Indierock-Gitarren und jenseitig schimmernden Synthesizern, die allesamt von Stranges ausdrucksstarker Stimme zusammengehalten werden, daher. Benannt (auch) nach der Stadt in Oklahoma, in der Bartees Strange aufwuchs, bewegt sich das Stück von sanft gesungenen Lines zu aggressiven, feurigen Shouts. In einer Zeile erklärt er sich selbst zu einem „beast from the southern coast“, gibt dann aber zu „I lie for a living“ und „I just wait for my horses now“. Im weiteren Verlauf des Songs wird sein Gesang immer verzweifelter und rauer – und scheint beinahe einem Aufruf an ebenjene „Mustangs“ zu sein, ihn von diesem Ort wegzubringen…
„A man bled out this morning, I’m the antecedent This was not the first time I fell in my arms The pain of being pure again, walking home at 4am – hours to go before it ends It’s hella dark, and I can’t avoid the heat 2 train’s hella long, too high to sleep, my crooked bones You’re screaming and cursing, I’m smiling, you’re killing me
Is anybody really up for this one If I don’t hold nothing back Is anybody up for this one I know that, you never ask A beast from the southern coast, a beast from the southern
Last night I looked at you I knew I didn’t really fear that much I lie for a living now, that’s why I really can’t tell you stuff The way that we all know how it’s all gonna end I hate America I just wait for my horses now…
To have a life you love but know you’re undeserving Last night I got so fucked up near lost my job It’s nice to think that folks are near, waking up was hard this year But if I didn’t move the way I did then tell me how else could be
Could I be? Could I be?
I came with a mouth full of blood Im hurt cuz no one can see me Don’t ask, why dont I Want to give you solace