Schlagwort-Archive: Frank Turner

Der Jahresrückblick – Teil 1


„High Fidelity“ lässt lieb grüßen, denn der Pop ist bekanntlich seit jeher besessen von Listen. Ob Verkaufscharts, Streamingzahlen oder höchst subjektive Kritiker*innen-Rankings – ständig weder Plattenregale uns -sammlungen, wird die Veröffentlichungsflut in Listenform gebracht, wird Altes in Listenform neu gewichtet. Zum Jahresende ist es besonders heftig, denn natürlich dürfen, sollen, müssen überall die besten Alben und Songs der vergangenen zwölf Monate gekürt werden. 

Vor dem Blick auf die Deutschen Charts scheue (nicht nur) ich auch sonst schon zurück, da sich dieses Land seit jeher durch (s)einen notorisch schlechten Geschmack auszeichnet und Fremdscham-Alarm jedes Mal aufs Neue garantiert ist. Und leider bilden die erfolgreichsten Titel des Jahres 2022 da – Bestätigung, hier kommt sie – keine Ausnahme: Das nervtötend ohrwurmige Vollpfosten-Lied „Layla“ von DJ Robin & Schürze belegt den ersten Platz der Single-Charts – neun Wochen hielt sich der dumpftumbe Ballermann-Hit, der ein Skandälchen auslöste, jedoch besser keinerlei Erwähnung verdient gehabt hätte, an der Chartspitze, mehr als 143 Millionen Mal wurde er gestreamt. Bei den Alben dann ebenfalls keine Überraschung: Mit „Zeit“ führen die Teutonen-Böller-und-Ballermänner von Rammstein erwartungsgemäß die Liste an – und zwar mit deutlichem Abstand. 340.000 Mal hat sich das elfte Nummer-Eins-Album der Berliner Band um das personifizierte rrrrrrrrollende „R“, Till Lindemann, insgesamt verkauft. Wie erwartbar, wie öde. Und irgendwie ja auch ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft…

———————————

Christian Lee Hutson – Quitters

In den zurückliegenden Monaten durfte man ein ums andere Mal kopfschüttelnd seinen Glauben an die Menschheit verlieren: Kriege, Krisen, Klimawandel und damit einhergehende Umweltkatastrophen, Inflation, dazu die – hoffentlich – letzten Ausläufer einer weltweiten Pandemie, gesellschaftliche Spaltungen, politischer Stillstand (oder gar der ein oder andere Rechtsruck) wohin man schaute. Gesellschaftliche Unruhen im Iran, weil irgendwelche gottverdammten Männer unter religiösen Deckmänteln an ihrem formvollendet sinnfreien Regelwerk der Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden festhalten wollen? Eine aus so vielen, so falschen Gründen aus dem heißen Wüstenboden hochgezogene und mit unvorstellbar viel Blutgeld durchgeführte Winter-Fußball-WM in Katar? Ja, auch 2022 fanden Tagesschau und Co. meist statt, wenn der Sprecher (oder die Sprecherin) einem einen „Guten Abend“ wünschte und darauf mit vielerlei Schlagzeilen bewies, dass es eben kein guter war. Dass die Musikwelt in diesem Jahr Größen wie Mark Lanegan, Taylor Hawkins (Foo Fighters), Meat Loaf, Jerry Lee Lewis, Andy Fletcher (Depesche Mode), Christine McVie (Fleetwood Mac), Loretta Lynn, Betty Davis oder Mimi Parker (Low) verlor, macht das Ganze keineswegs besser. Dass 2022 Konzerte und Festivals endlich wieder in halbwegs „normalem“ Rahmen stattfinden konnten, jedoch schon – wenngleich es der Live-Branche jedoch alles andere als gut geht und vor allem kleinere, unbekanntere Künstler*innen und Bands sich in der Post-Corona-Zeit mit immer neuen Schwierigkeiten konfrontiert sehen (wen es interessiert, dem sei ein recht ausführlicher Artikel mit dem Titel „Kuh auf dem Eis“ hierüber in der aktuellen Ausgabe der „VISIONS“ – Nummer 358 von 01/2023 – ans Herz gelegt). Ja, das noch aktuelle Jahr war rückblickend sowohl gesellschaftlich als auch fürs menschliche wie planetare Zeugnis kein tolles – musikalisch darf zum Glück das komplette Gegenteil behauptet werden.

Wie also sieht und wertet die schreiberische Zunft als Albumjahr 2022? Nun, beim deutschen „Rolling Stone“ landen Tom Liwas „Eine andere Zeit“, „And In The Darkness, Hearts Aglow“ von Weyes Blood sowie „Ytilaer“ von Bill Callahan auf dem Treppchen, beim erfahrungsgemäß hype- und pop-affinen „Musikexpress“ sieht man Kendrick Lamars „Mr. Morale & The Big Steppers“, „DIE NERVEN“ von Die Nerven und „Motomami“ von Rosalía vorn, bei der „VISIONS“ wiederum „DIE NERVEN“ von Die Nerven, „Eyes Of Oblivion“ von den Hellacopters sowie „Wet Leg“ von Wet Leg. International führt „Renaissance“, das siebente Studioalbum von Beyoncé, das Kritiker-Ranking an. Und bei ANEWFRIEND? Ich greife mal vorweg und verrate, dass es zwar ein kleinwenig Konsens, jedoch recht wenig Überschneidungen mit alledem bei mir gibt und meine persönliche Bestenliste der Qualität wegen auf eine amtliche Top 25 erweitert wurde…

Foto: Promo / Michael Delaney

Dass die vergangenen Monate die notwendige Untermalung fanden, lag auch an „Quitters„, dem vierten Langspieler von Christian Lee Hutson. Was mich rückblickend etwas erstaunt, ist, dass der im April erschienene Nachfolger zum 2020er „Beginners“ zwar seinerzeit von den einschlägigen kritischen Stimmen wohlwollend goutiert, in den jeweiligen Jahresendabrechnungen jedoch kaum berücksichtigt wurde. An den durch und durch großartigen 13 Songs des Albums kann’s kaum gelegen haben, denn näher an das Schaffen eines Elliott Smith ist lange, lange Zeit niemand herangekommen – und das ist vor allem aus meiner digitalen Feder als recht großes Kompliment zu verstehen. Zudem mischen einmal mehr keine Geringeren als Phoebe Bridgers und Conor Oberst mit. Heraus kommt eine Dreiviertelstunde musikalischer Zerstreuung und Realitätsflucht, die auch bei der Vielzahl an Konkurrenz im Jahr 2022 völlig zurecht auf meiner Eins landet. A singular ode to melancholy.

mehr…

2.  Nullmillimeter – Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd

Nullmillimeter sind eine von so einigen tollen musikalischen Neuentdeckungen des zurückliegenden Musikjahres. Und knallen dem geneigten Hörer (oder eben der geneigten Hörerin) mit „Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd“ mal eben ein derart faszinierendes Debüt vor die Lauscher, dass man sich im Wirbel kaum entscheiden mag, was hier toller ist. Das großartige Coverartwork mit dem auf einem Poller festgerittenen Pony? Der Albumtitel, in welchem wortwörtlich ebensoviel Wahrheit steckt wie in all den klugen Textzeilen? Die Stimme von Sängerin Naëma Faika, die der bundesdeutschen Musiklandschaft – tatsächlich, tatsächlich – gerade noch gefehlt hat? Die bockstarke Band hinter ihr, die manch eine(r) in der Vergangenheit bereits als Teile der Begleitbands von Kid Kopphausen, Staring Girl, Jochen Distelmeyer, Tom Liwa, Olli Schulz oder Gisbert zu Knyphausen zu hören bekam? Dass letztgenannter hier bei einer Coverversion eines Songs aus dem Solo-Schaffen von Pearl Jam-Frontstimme Eddie Vedder mitmischt? Dass sich diese Nummer dann noch ganz organisch in den Albumfluss einfügt und man sich immer wieder kopfüber in die Platte schmeißen möchte, die so voller Schmerz, so voll herrlicher Melancholie, aber vor allem so voller Leben steckt? Ach, herrje – man weiß es nicht. Man will’s auch gar nicht wissen, denn im Zweifel aller Zweifel ist’s all das. Doppelt. Dreifach. Gleichzeitig. Und es ist einfach so toll, dass man lediglich kritisieren mag, dass dem Album kein Booklet beiliegt.

mehr…

3.  Pianos Become The Teeth – Drift

Es gibt Bands, Alben und Songs, die einen vom ersten Moment an mit ihrer Atmosphäre und ihrer wunderbaren Unmittelbarkeit einfangen und so schnell auch nicht mehr loslassen. Pianos Become The Teeth wurden für mich anno 2014 mit ihrem dritten Langspieler „Keep You“ zu einer solchen Band (und schafften es damals auch völlig zurecht aufs Treppchen der „Alben des Jahres„). Ihr vorheriges Post-Hardcore-Brülloutfit war (und ist) mir im Gros herzlich schnuppe, aber mit ihrem einschneidenden Wechsel hin zu melancholischem Emo-Indie und mit den ersten Tönen des „Keep You“-Openers „Ripple Water Shine“ war ich unwillkürlich schockverliebt. Nach dem auf hohem Niveau stagnierenden 2018er Album „Wait For Love“ besitzt „Drift“ nun wieder diesen „Ripple Water Shine“-Effekt, denn das Album ist schlichtweg schonungslos emotional – in Ton und Wort. Dicht gewebte, hallende Rhythmen, melancholische Melodien und wenige, gut dosierte laute Momente. Dazu singt Kyle Durfey seine persönlichen Texte, die vom Leben und oft von dessen Schwere handeln. In „Pair“ etwa davon, wie Durfeys Frau Lou (die in vier Stücken namentlich genannt wird) und er lange auf ihren Nachwuchs warten mussten. Wie es sich für richtig gute Alben gehört, wechselt die Lieblingssongs von Zeit zu Zeit, neben der Übernummer „Genevieve“ sticht etwa das repetitive, an Radiohead erinnerte „Easy“ hervor. So oder so liefert die Band aus Baltimore, Maryland einmal mehr zehn wundervolle Tearjerker, zu denen es sich vortrefflich die Fäuste gen Firmament ballen lässt.

mehr…

4.  Frank Turner – FTHC

Apropos „liefern“, apropos „Fäuste gen Firmament“: Beides trifft natürlich auch auf Frank Turner zu, denn der britische Punkrock-Barde scheint Schlaf so nötig zu haben wie ein Uhu eine Badekappe. Nicht nur hat der 41-jährige Musiker bereits über 2.700 Shows unter eigenem Namen gespielt (etwa 140 allein in diesem Jahr, zudem fand mit den „Lost Evenings“ gar ein eigenes Festival in Berlin statt), er trägt das Herz auch am richtigen Fleck und liefert im Zwei- bis Drei-Jahres-Turnus auch verlässlich Alben ab, zu deren Songs man nur allzu gern die geballte Patschehand gen Himmel strecken und ein bierseliges „Aye, mate!“ ausstoßen möchte. Daran ändern die 14 Nummern (beziehungsweise 20 in der Deluxe Edition) von „FTHC„, seinem nunmehr neunten Studioalbum, mal so rein gar nix. Und so vielseitig, so frisch klang der nimmermüde Turner schon lange nicht mehr. Frank und frei – Sie wissen schon… Und wem bei „A Wave Across A Bay“, seinem Tribute an den zu früh verstorbenen Frightened Rabbit-Buddy Scott Hutchison, nicht das Herz holterdipolter gen Schlüppi rutscht, der hat statt pochendem Muskel nur einen ollen Betonklotz in der Brust sitzen…

mehr…

5.  Dreamtigers – Ellapsis

Nerds wissen es freilich längst: Die meisten Fachsimpeleien über Musik stützen sich manches Mal schon sehr auf eine Art von Genre-Taxonomie, bei welcher sowohl Kritiker als auch Fans Songs und Alben in verschiedene Bestandteile zerlegen und die Anatomie der verwendeten Formen in erkennbare Strukturen unterteilen. Doch was für die einen nützlich erscheinen mag, um dem lesenden Gegenüber Empfehlungen zu geben, dürfte all jene, die sich eben nicht knietief im musikalen Nerdtum bewegen, schnell abschrecken. Ein recht gutes Beispiel, dass man bei Empfehlungen lange wie kurze Wege gehen kann, ist „Ellapsis“, das zweite Album von Dreamtigers, einem Bandprojekt, das sich aus Mitgliedern der Melodic-Hardcore-Helden Defeater und den Post-Rock-Größen Caspian zusammensetzt. Denn auf dem Langspieler, dessen Titel ein erfundener Begriff für eine Krankheit, die durch den Lauf der Zeit hervorgerufen wird, ist, passiert eine ganze Menge, und vieles davon scheint unvereinbar zu sein. Das erste, das Unmittelbarste, was man wahrnimmt, ist die beständig zwischen fragilem und mächtigem Momentum pendelnde Instrumentierung. Die Gitarren werden durch eine ganze Reihe von Effektpedalen gejagt, dazu kommen ein unscharf ins Rund tönender Bass und souveräne Drums. Einen Moment lang könnte man meinen, es handele sich um ein eher konventionelles Post-Rock-Album – bis der Jake Woodruffs Gesang einsetzt, der auch in einer Alt-Country-Band nicht fehl am Platz wäre. Überhaupt lassen sich die Stücke stilistisch nur schwerlich festlegen, denn während des gesamten Albums schimmern verschiedene Nuancen durch, die wie Lichtstrahlen durch einen Kristall fallen: Folk-Songs brechen in Post-Rock-Höhepunkte aus, Indie-Rock-Hooks huschen durch Shoegaze-Atmosphären, wobei Gesang und Songwriting stets unbehelligt von dem akustischen Wirbelsturm aus Effektpedalen und treibenden Schlagzeugmustern um sie herum bleiben. Fast könnte man meinen, dass die Songs so sehr auf akustische Soloauftritte zugeschnitten zu sein scheinen, dass die üppigen, hymnisch empor steigenden Arrangements, welche mit ihrer Dringlichkeit und latent aggressiven Energie ein ums andere Mal an Defekter erinnern, fast trotzig klingen. Dennoch kommt man der Sogwirkung dieses Albums als Ganzes (ganz ähnlich wie bereits beim kaum weniger tollen 2014er Vorgänger „Wishing Well„) nicht wirklich nahe. Denn wie auch immer man das Zusammenspiel zwischen Instrumentalem und Gesang beschreiben mag, was bei dieser Platte wirklich heraussticht, sind all die Meditationen über das Verfliegen der Zeit und wie die Band aus Massachusetts hier selbst die flüchtigsten Momente ewig erscheinen lässt. Selbst die längeren Songs von „Ellapsis“ fühlen so kurz an wie die kürzeren, während die kurzen den längsten ebenbürtig erscheinen, und das Album als Ganzes hallt weit über seine lediglich dreißig Minuten Laufzeit hinaus. Angefangen beim Opener „Six Rivers“ umspülen einen die Stücke wie ans Ufer schlagende Wellen, die mit den Gezeiten verebben und fließen. Wenn der Albumabschluss „Stolen Moments“ schließlich sein Ende findet, fühlt es sich beinahe so an, als ob der Schlusschor schon ewig hinter dem Universum her gesummt wäre.

mehr…

6.  Pale – The Night, The Dawn And What Remains

Pale melden sich ein allerletztes Mal zurück – einerseits ja wunderbar, wären die Gründe für das unerwartete Comeback keine so traurigen. Umso schöner, dass die Aachener Indie-Rock-Band mit „The Night, The Dawn And What Remains“ umso trotziger sowohl ihre Freundschaft und den gemeinsamen Weg als auch das Leben feiert. Macht’s gut, Jungs – und danke für diese wundervolle Ehrenrunde! #träneimknopfloch

mehr…

7.  Muff Potter – Bei aller Liebe

Und wo wir gerade bei Comebacks wären, sind Muff Potter in diesem Jahr freilich nicht allzu weit, denn: Alle kommen sie wieder, irgendwann und irgendwie. Das traf 2022 selbst auf ABBA zu, die 2021 mit „Voyage“ zunächst die ersten neuen Songs seit fast vierzig Jahren präsentierten, um im Jahr darauf ausverkaufte Hologramm-Konzerte in London zu „spielen“- getreu dem schwedischen Erfolgsmotto „Entdecke die Möglichkeiten“. Und auch in der Rockmusik konnte man zuletzt vermehrt das Gefühl bekommen, selbige bestehe nur noch aus Reunions einst erfolgreicher Bands, die in Ermangelung neuer Ideen versuchen, mit den alten noch einmal abzukassieren. Dann wiederum gibt es Truppen wie eben Muff Potter, denen es mit ihrem Albumcomeback nach schlappen 13 Jahren Pause gelingt, selbst eingefleischte Per-se-Skeptiker umzudrehen, weil man „Bei aller Liebe“ bei allem frischen Ideenreichtum die Zeit anhört, die seit dem Abschied mit „Gute Aussicht“ vergangen ist. Die Platte zeugt davon, dass das Leben eben auch ohne gemeinsame Band weitergeht, und es töricht wäre, all die Erfahrungen beiseite zu lassen, die man in der Zwischenzeit zwangsläufig macht. Und deshalb steht hier Blumfeld-artiges wie „Ein gestohlener Tag“ neben Instant-Hits wie „Flitter & Tand“ oder einem 72 Sekunden kurzen Punkausbruch wie „Privat“. Verschränken sich in Thorsten „Nagel“ Nagelschmidts Texten seine schriftstellerische Arbeit (sic!) mit dem Punk-Fan, den es auch mal einfach braucht. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man Muff Potter – bei aller Liebe – keineswegs zugetraut hätte, noch einmal so viel zu sagen zu haben und sich musikalisch so offen zu zeigen – mit Kurzweil wie mit Tiefgang. Andererseits ist’s natürlich umso schöner, wenn die eigenen Erwartungen übertroffen werden und man eine lange Zeit auf kreativem Eis liegende Herzensband neu für sich entdeckt.

mehr…

8.  Cat Power – Covers

Dass Chan „Cat Power“ Marshall für ihre Coverversionen bekannt ist, dürfte sich mittlerweile auch bis zu den allerletzten Hütern des guten Musikgeschmacks herumgesprochen haben, immerhin hat die 50-jährige US-Musikerin im Laufe ihrer annähernd dreißigjährigen Kariere bislang zwei verdammt formidable Coversong-Alben veröffentlicht, auf denen sie von unbekannteren Bob Dylan-Nummern über Blues’n’Soul-Stücken bis hin zu abgeschmackten Evergreens wie „(I Can’t Getroffen No) Satisfaction“ jedem Song derart ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stempel aufdrücken konnte, dass es eine wahre Schau war. Nach „The Covers Record“ (2000) und „Jukebox“ (2008) macht Cat Power nun mit „Covers“ das Trio voll und liefert erneut formvollendet-exquisites Coverhandwerk – ganz egal, ob die Originale von von Nick Cave and the Bad Seeds („I Had A Dream, Joe“), Lana Del Rey („White Mustang“), den Replacements („Here Comes A Regular“) oder Billie Holiday („I’ll Be Seeing You“) stammen. Ja, die Frau kann mit ihrer so wunderbar rauen, so unendlich tiefen Stimme kaum etwas falsch und sich so ziemlich jede Fremdkomposition zueigen machen.

mehr…

9.  Tristan Brusch – Am Rest

Wie bereits in der dazugehörigen Rezension erwähnt, bin ich bei Tristan Bruschs dritten Album „Am Rest“ etwas late to the party, immerhin erschien die Platte bereits im Oktober 2021. Dennoch verpassen alle jene, die diese Musik gewordene Trübsalsfeierlichkeit ganz außen vor lassen, so einiges bei diesen Oden an das Ende der Dinge und an die Akzeptanz des Verlusts. Ja, im Grunde könnte es kaum bessere Stücke geben, um jenen so intensiv graumeliert schimmernden Tagen einen passenden Soundtrack zu liefern. Sucht wer die passenden Gegenstücke zu Max Raabes „Wer hat hier schlechte Laune“ (welches, wenn ihr mich fragt, übrigens als weltbeste Warteschleifenmusik für alle Kundendiesnthotlines taugen würde)? Nun, hier habt ihr sie – dargeboten von einem begnadeten Liedermacher, der alle nach billigem Tetrapack-Weißwein und zu vielen Marlboro-Kippen müffelnden, mieslaunigen Chansoniers ins piefige Bundesdeutsche überträgt.

mehr…

10. Betterov – Olympia

Freilich war die Vielzahl an Erwartungen, die an den Debüt-Langspieler von Manuel „Betterov“ Bittorf geknüpft waren, ebenso groß wie die Vorfreude auf neue Songs des gebürtigen Thüringers und Wahl-Berliners. Umso schöner, dass „Olympia“ diese Hürde beinahe mühelos nimmt und elf Songs präsentiert, denen man den Produzenten ebenso anhört wie die Platten, die beim Schreiben wohlmöglich im Hintergrund liefen. So mausert sich Betterov vom Newcomer-Geheimtipp zum amtlichen Senkrechtstarter, der völlig zurecht einen Platz in meinen persönlichen-Jahres-Top-Ten einfährt. Olympia-Norm? Vollends erfüllt.

mehr…

…auf den weiteren Plätzen:

Husten – Aus allen Nähten mehr…

Casper – Alles war schön und nichts tat weh

Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows mehr…

William Fitzsimmons – Covers, Vol. 1

Caracara – New Preoccupations mehr…

Eddie Vedder – Earthling mehr…

Black Country, New Road – Ants From Up There

Gang Of Youths – Angel In Realtime.

Spanish Love Songs – Brave Faces Etc. mehr…

Faber – Orpheum (Live)

Die Nerven – DIE NERVEN

Ghost – Impera

Proper. – The Great American Novel mehr…

Rocky Votolato – Wild Roots mehr…

The Afghan Whigs – How Do You Burn?

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Das Album der Woche


Frank Turner – FTHC (2022)

-erschienen bei Polydor/Universal-

War es eine Prophezeiung? „Hey-ho, hey-ho, hey-ho / We’re heading out for the punk rock show!“ rief Frank Turner einem vor knapp zehn Jahren freudig auf „Four Simple Words“ entgegen, auf der bis dahin potentiell schnellsten und lautstärksten Nummer in seinem bisherigen Solo-Katalog. Und höre da – nach Jahren der Verdichtung der Formel des akustischen Folk-Punks – mal lauter, mal introvertierter – nimmt er einen auf Album Nummer neun nun tatsächlich zur waschechten Punk-Rock-Show mit…

Eines wird beim Hören von „FTHC„, welches als Akronym für „Frank Turner Hardcore“ bereits die ein oder andere musikalische Assoziationskette auslöst, schnell klar: Die Spielfreude des 40-jährigen britischen Musikers bricht nach der langen, Lockdown-bedingten Tourpause aus nahezu allen Albumecken hervor. Denn gerade einer wie Turner lebte – über 2.500 Shows in weniger als zwei Jahrzehnten sprechen da eine deutliche Sprache – bis zur jähen Corona-Zäsur bekanntlich vor allem on the road, wohl auch daher musste er die zuhause aufgestaute Energie also im Studio kanalisieren – und das bis zum Schluss, denn „FTHC“ vermeidet weise den damals nicht durchweg überzeugenden „Be More Kind„-Weg, im letzten Drittel nur mehr Balladen zu offerieren. Wer also hier den schmachtenden Lagerfeuer-Punk ähm… -Frank sucht, ist falsch abgebogen, denn der neue Langspieler hält – zumindest in der Standard-Version – kaum Balladeskes parat. Natürlich darf die Akustikgitarre auch 2022 recht wenig Staub ansetzen und mal hier, mal da aus dem Koffer kommen, ansonsten dominieren hier jedoch ordentlich hochgedrehte Regler und Stromgitarren-Musik, in einer für 14 Songs (in der Deluxe-Variante sind’s sogar noch sechs Stücke mehr) überraschend gelungenen Abwechslung aus krediblem Punk, herzerfrischendem Hardcore und – ja klar – eingängigem, schwitzigem Alternative Rock. Und wie sollte es anders sein, wird diese Melange natürlich stets angetrieben von Turners typisch authentisch-bodenständiger, Pub-folk’esker Erzählweise.

Schon der riskante Brüll-Opener „Non Serviam“ zeigt als schöne Finte und mit ordentlich Gift und Galle an Bord innerhalb von knapp zwei Minuten, dass Turners Hardcore-Affinität keineswegs Schnee von gestern ist (und wer’s nicht glaubt, der darf gern mal bei seinem Hardcore-Punk-Nebenprojekt Möngöl Hörde ein Ohr riskieren). Dabei dient die Nummer wohlmöglich auch als Gradmesser: Wer nach dem Song noch da ist, wird an und mit „FTHC“ einen Riesenspaß haben. Aller Lautstärke zum Trotz – und auch, wenn ole Frank hier vernichtend jegliche Autorität ablehnen mag – kann er jedoch selbst hier seinem Good Guy-Image nicht gänzlich entkommen: „Help the ones in need / Do your best to leave the others be“ skandiert er im Refrain, der genauso schnell vorbei ist, wie er mit wenig Anlauf die Tür eintrat.

Danach wird’s etwas gewohnter, denn die bereits im Mai 2021 veröffentlichte Single „The Gathering“ ist der klassische, sehnsüchtige Nach-dem-Lockdown-wird-es-irgendwann-wieder-Konzerte-geben-Song, welcher mit fettem Queen-Chor die lang ersehnte Wiedervereinigung in verschwitzten Circle Pits bildlich in Szene setzt (und ganz nebenbei mit namenhafter musikalischer Unterstützung von Muse-Schlagzeuger Dominic Howard oder US-Southern-Rocker Jason Isbell, der hier ein Solo beisteuert, aufwartet). Bevor der Konzertbetrieb nun – hoffentlich – endlich, endlich wieder etwas an Fahrt aufnehmen kann, nutzte Turner die vergangenen zwei Jahre nicht nur für (s)einen Umzug von trubeligen London nach Mersea Island, Essex, an die deutlich ruhigere englische Küste, sondern auch dafür, die lyrische Lupe etwas mehr auf sich selbst zu richten. Nach „No Man’s Land„, dem 2019 veröffentlichten Vorgänger, welcher ausschließlich Songs über beeindruckende Frauen und deren Geschichte enthielt, betreibt er auf „FTHC“ dabei mentale Nabelschau erster Güte. Offen wie eh und je verpackt Turner Themen wie mentale Gesundheit („Haven’t Been Doing So Well“, „A Wave Across The Bay“), Substanzmissbrauch („Untainted Love“ mit der durchaus therapeutischen Zeile „I sure do miss cocaine„) und das Aufbegehren gegen gesellschaftliche Stereotypen („Perfect Score“) in seine Lieder.

Besonders persönlich wird es im Dreiergespann aus „Fatherless“, „My Bad“ und „Miranda“, welches sich als Mini-Rockoper rund um dasselbe Thema dreht: Turners komplizierte Beziehung zu seinem Vater. Von den schwierigen Jahren seiner Kindheit und der Abschiebung ins verhasste Internat erzählt er im hookigen Uptempo-Rocker „Fatherless“ und sehnt sich nach einem „caregiver who had care to give„. Die zügellose Hardcore-Attacke „My Bad“ beschäftigt sich mit den Erwartungen, die an jemanden aus seiner gesellschaftlichen Klasse gestellt werden, und wie sein recht konträrer Rock’n’Roll-Circus-Lebenslauf dazu (eben nicht) passt. Ein quietschendes Gitarren-Lick läutet dann den bislang größten Plot-Twist mit „Miranda“ ein: „My father is called Miranda these days / She’s a proud transgender woman / And my resentment has started to fade„. Tatsächlich wartet die Nummer mit so etwas wie einem späten Happy End in groovendem Midtempo auf: Die Versöhnung des Sohnes mit seinem Vater, der seit Jahren als Frau lebt, und wie beide seither wieder eine gemeinsame, durchaus freundschaftliche Gesprächsbasis gefunden haben – „Miranda, it’s lovely to meet you„.

Und obwohl es Turners Songs in der Vergangenheit nie an hartem, von Herzen kommendem und zu selbigem gehenden Tobak mangelte, hält das neue Werk doch ein besonderes Beispiel parat: „A Wave Across The Bay“, welches sich mit dem Freitod seines guten Freundes und Frightened Rabbit-Sängers Scott Hutchinson im Jahr 2018 beschäftigt. Ähnlich wie bei „Song For Josh“ (vom 2015er Album „Positive Songs For Negative People„) bedauert er, die Zeichen nicht erkannt zu haben, die auf den seelischen Zustand seines Freundes hindeuteten – und setzt dem zu früh verstorbenen Wegbegleiter nun ein gleichsam emotionales wie hymnisches Denkmal, das Frightened Rabbit’esk gemächlich beginnt, um dann wie eine erlösende Welle über einen hereinzubrechen: „Like a wave across a bay, never breaking / Ever falling, never landing / Rolling slowly out to sea and always smiling…“ Uff. Klare Sache: Nach all diesen emotional umklammernden Songs muss man erst einmal durchatmen…

Zum Glück erinnert einen der Punk-Rock-Barde in dem etwas luftigeren und tanzbaren „The Resurrectionists“ auch daran, dass nicht alles im Leben immer einen tieferen Sinn ergeben muss: „We’re all just kids someone let loose into the world / Waiting for someone to explain the rules / And that’s all„. Doch Halt! Wer schreit denn da über den Chorus? Tatsache, Biffy Clyro-Frontmann Simon Neil leiht dem Songfinale seine nahezu unverkennbaren Screams. Und auch eine weiteres Easter Egg für Langzeitfans hält die Nummer bereit, denn Frank Turner liefert hier nämlich in der zweiten Strophe ein Update, wo die ganzen Charaktere aus „I Know Prufrock Before He Was Famous“ vom 2009er Langspieler „Love Ire & Song“ geblieben sind.

Einmal in Fahrt gekommen, liefert der britische Musiker, der bei diesem Album am Schlagzeug Übersee-Unterstützung von Ilan Rubin (Nine Inch Nails, Angels & Aiwaves) erhielt, weiter ab, segelt in vollem Uptempo in ein live wohl äußerst unterhaltsames, zackiges „Punches“, inklusive heftigem Kopfnicker-Riff im Refrain. „Perfect Score“ wäre auf früheren Alben akustisch und etwas entspannter instrumentiert ein schöner, luftiger Folk-Song geworden. Hier schrammelt alles, was sechs Saiten hat, zu einer feinen, zweieinhalb Minuten langen Blaupause für einen 1A-Rocksong. Ähnlich verhält es sich mit „The Work“, einer herzerwärmenden, in Alltagstrott getauchten Liebeserklärung an seine Frau: „Because we’ve both been doing our best / Skirting round the edges of perfect / Darling I know this / It’s the work that makes it worth it“.

Etwas ruhiger gibt sich Turner eigentlich nur auf der ersten Hälfte von „Little Life“ – und auch diesem spendiert er schließlich ein fast schon epochales Finish. Nach seinem Wegzug aus der alten Londoner Heimat blickt er sowohl in diesem Song als auch im abschließenden „Farewell To My City“ noch einmal wehmütig und nicht ohne Reue zurück, unternimmt sprechsingend einen letzten Spaziergang vorbei an all den von Erinnerungen gesäumten Pubs und Clubs, die ihn – nebst seinem durchaus ungesunden Lebensstil früherer Tage – in „Untainted Love“ mit etwas weniger Fortüne fast umgebracht hätten, bevor er schließlich in den Umzugswagen steigt – ein würdiger, einmal mehr lautstarker Abschluss einer Platte, die sich somit auch wie der Abschluss einer Ära anfühlt. Alles in allem ist „FTHC“ – mit welchem dem Musiker nun auch seine erste Nummer-eins-Platte in der englischen Heimat gelang – musikalisch mit Abstand Frank Turners härtestes und kompromisslosestes Solowerk, lyrisch eine Therapiestunde, melodisch ein ordentliches Fass voller Ohrwürmer. Ein herzerwärmender Genuss und eine gelungene, zu gleichen Teilen hungrige wie smarte, angriffslustige und selbstreflexiv innehaltende Werkschau dessen, wofür der Vorzeige-Folkpunk inzwischen steht.

Hier gibt’s alle Song im Stream:

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Song des Tages: Frank Turner – „Miranda“


Nachdem Frank Turner bereits die Singles „The Gathering„, „Haven’t Been Doing So Well“ und „Non Serviam“ veröffentlicht hat, folgt nun mit „Miranda“ der wohl persönlichste Song seines kommenden Albums, schließlich besingt der britische Musiker in dem Stück die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Nach jahrzehntelanger Funkstille zwischen den beiden berichtet er davon, dass sie nun wieder miteinander sprechen – was auch daran liegt, dass sein Vater nun als Frau lebt.

Das zerrüttete Verhältnis liegt bereits in Turners Kindheit begründet. Der ehemalige Million Dead-Frontmann und punkrockende Singer/Songwriter wurde mit acht Jahren auf ein Internat geschickt, wo er sich „jede Nacht in den Schlaf weinte“, bis er sich „innerlich tot“ fühlte. Erst durch eine kürzlich durchgeführte Therapie wurde ihm klar, wie „wirklich beschissen“ diese Zeit für ihn war. In einem Interview mit dem „Guardian“ erläutert er: „So wurde mein Vater erzogen, und von mir wurde irgendwie erwartet, dass ich denselben Weg gehen würde. Aber ich fand es extrem traumatisch.“ Turner führt aus: „Ich hatte als Kind eine lange Vorgeschichte mit Selbstverletzungen und psychischen Problemen, die vollständig darauf [auf jene Zeit] zurückzuführen waren, und ich habe noch immer Narben, die das beweisen.“ 

Wohl auch deshalb verließ Turner früh sein Elternhaus, sein Vater, ein ehemaliger Banker und Buchhändler, wandte sich fast vollständig von seinem Lebensstil in der Londoner Punk-Szene ab und kam auch etwa „nie zu Konzerten“. Zudem gab Turner ihm die Schuld am Scheitern der Ehe seiner Eltern, sein Vater schien bereits zu Lebzeiten für ihn gestorben. Als er seine jetzige Ehefrau kennenlernte, sagte er zu ihr, dass er „nicht zu seiner Beerdigung gehen würde“. Im Jahr 2015 trafen die beiden bei einer Beerdigung kurz aufeinander, wo sein Vater ihm offenbarte, dass er darüber nachdenke, den Prozess des Transitioning zu beginnen. Turner war zwar erstaunt, tat aber ansonsten kaum dergleichen: „Ich dachte nur: ‚Okay, cool, whatever‘ – und ging weiter.“ Auch zu dieser Zeit sprachen die beiden nicht miteinander – ein Fakt, an dem er sich im Rückblick zumindest eine Teilschuld gibt, denn „ich war nicht gut drauf“. Aber als grundsätzlich integrativer Mensch – Turner arbeitet unter anderem mit der US-amerikanischen LGBTQ+-Wohltätigkeitsorganisation The Ally Coalition zusammen und sammelt bei seinen Auftritten häufig Geld für sie – wich seine Hitzköpfigkeit bald dem Verständnis: „Offensichtlich war es von Anfang an so: ‚Wenn das ernst gemeint ist, dann werde ich es unterstützen'“. Dennoch trafen sich die beiden erst 2018 auf Wunsch seines todkranken Onkels wieder. Sein Vater trat da bereits als Miranda in der Öffentlichkeit auf.

Für Frank Turner war dabei sofort klar, dass er nun einer anderen Person gegenübersteht: „Sie war sich der Menschen um sie herum und ihrer Wirkung auf andere Menschen bewusster. Weniger langweilig männlich und deutlich offener. Miranda ist ein wirklich netter Mensch und mein Vater war ein Arschloch.“ Seitdem hat sich das Verhältnis der beiden merklich verbessert, auch wenn eine große Aussprache noch aussteht. Miranda interessiert sich für die Arbeit ihres Sohnes, geht nun zu dessen Konzerten und sogar DJ-Gigs, um neben dem Pult zu tanzen. „Sie interessiert sich dafür, wer ich bin und was ich mache, was mein Vater nie getan hat. Wir werden immer an unserem Verhältnis arbeiten müssen, aber wir kommen ganz gut zurecht“, freut sich Turner heute. „Es hat sich von der Aussage, dass ich nicht zur Beerdigung von jemandem gehen würde, dahin entwickelt, dass wir uns zu Weihnachten sehen werden. Und darüber freue ich mich sehr.“ 

Wenig verwunderlich, dass diese zu Herzen gehende Geschichte auch Auswirkungen auf die dazugehörige Musik hat. In seinem neuen Song singt Turner „Miranda, it’s lovely to meet you“ und „My father is called Miranda these days / She’s a proud transgender woman and my resentment has started to fade“. Dabei kehrt er im Gegensatz zu den punkrockig krachenden Singleauskopplungen zuvor wieder zu seinem ruhigerem Singer/Songwriter-Sound zurück.

Das kommende Album „FTHC„, welches auf den 2019 erschienenen achten Langspieler „No Man’s Land“ folgt, ist für den 11. Februar 2022 angekündigt und kann bereits in diversen Versionen und Bundles vorbestellt werden. Zudem spielt Frank Turner im kommenden September sein eigenes Festival „Lost Evenings“ in Berlin und unterstützt die Donots bei ihren Konzerten in der Halle Münsterland – so diese Shows denn stattfinden können.

„My father’s called Miranda these days
She’s a proud transgender woman
And my resentment has started to fade
‚Cause it was never about who she was
Just the way that he behaved
Now my father is Miranda, we’re ok

All the years we were estranged
I was always hoping you would find a way to change
And after everything that we’ve been through
Miranda, it’s lovely to meet you

When I was young, he always seemed so filled with rage
Hе was angry at my clothes, my hair, my music, my teen age
But one sunny aftеrnoon she was dancing next to me on stage
I felt my anger drain away from inside my ribcage

And all the years we were estranged
I was always hoping you would find a way to change
And after everything that we’ve been through
Miranda, it’s lovely to meet you

The problem with carrying hate
For someone who doesn’t know
‚Cause you’re the only one carrying the weight
Better just let it go and get to know you for who you are
Who you really are
Who you really are
And who you’ve always been
Who you’ve always been

And all the years that we have left
Let’s be our best selves and let’s be friends
I’ll be me, promise me, you’ll be you
Oh, Miranda, it’s lovely to meet you
Oh, Miranda, it’s lovely to meet you
It’s lovely to meet you“

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Song des Tages: Frank Turner – „The Gathering“


„The first time that the beat drops in the bar, it’s going to be biblical!“ – Schon ab der ersten Zeile formuliert Frank Turner in „The Gathering“ jene Gedanken, die sich viele Konzertgänger*innen wohl auch schon mal gemacht haben dürften, die seit über einem Jahr jenen Moment herbeisehnen, wenn sie endlich wieder mit ihrer Clique zusammen in Bar, Club oder Arena zu Livemusik feiern können. Diesem Gefühl leiht Turner auch im Verlauf des Songs immer weiter das Wort, „I’ve been missing the feeling when we close the gaps between us“, singt er im Refrain über die Intimität, die zwischen Musiker*innen und Publikum entstehen kann. Später ruft er noch einmal das Gefühl von Isolation und Pflichterfüllung der vergangenen zwölf Monate wach, um dann nur umso stärker zu betonen, wie wundervoll dieser Moment werde, wenn alle wieder zusammenkommen – und lässt den Song in einer dramatischen Beschwörung des Szenegefühls von Fans und und Musiker*innen mit Groupshouts gipfeln.

Die Botschaft des von Rich Costey produzierten neuen Songs unterstreichen im Lyric-Video nicht nur schwitzige Live-Szenen aus Turners Archiv, sondern auch knackiger, treibender Singer/Songwriter-Punk, in den Turner mit seinem aufgekratzten Gesang einmal mehr jede Menge Herzblut legt. Sein Kollege Jason Isbell verleiht dem ganzen gegen Ende dann noch etwas Extra-Punch mit einem hochoktanigen Gitarrensolo, während Muse-Schlagzeuger Dominic Howard an seiner musikalischen Wirkungsstätte ordentlich reinhaut.

„Es geht um den Moment, wenn du in einem Raum mit lauter Menschen zusammenkommst, dich an jemand Fremdes anlehnst, laut den Refrain mitsingst und den Text durcheinanderbringst“, so Turner über den neuen Song, der für ihn auch einen sehr persönlichen Bezug hat: „Das größte Ding an dieser Lockdown-Erfahrung war für mich die Identitätsfrage. Ich der Typ, der auf Tour geht, der war ich, seit ich 16 Jahre alt war. Ich habe nicht mehr so oft Nacht für Nacht im selben Bett geschlafen, seit ich sieben war.“

Das vergangene Pandemie-Jahr hatte sich der britische Musiker mit zwei Split-Releases vertrieben: „West Coast Vs. Wessex“ mit NOFX und kürzlich „Buddies II: Still Buddies“ mit Jon Snodgrass. Außerdem spielte er zu seinem Geburtstag im Dezember ein Livestream-Konzert. Nun wird es wohl im Laufe diesen Jahres ein neues Album (sein neuntes) geben, wie Frank Turner vor ein paar Tagen in einem kurzen Live-Stream-Video wissen ließ. Besser noch: auf dem Nachfolger zum im Spätsommer 2019 erschienenen „No Man’s Land„, auf dem er fast ausschließlich Songs über bedeutende Frauen der Weltgeschichte gesungen hatte, werden wohl noch weitere hochkarätige Gäste am Start sein, wie zum Beispiel Nine Inch Nails-Drummer Ilan Rubin. Bis dahin lässt „The Gathering“ als punkige Hymne alle von jenem hoffentlich bald bevorstehenden Moment träumen, an dem endlich wieder Menschenmengen auf Konzerten dicht an dicht miteinander feiern und schwitzen (dürfen)… 

„The first time that the beat drops in the bar, it’s gonna be biblical
The second that the sing-along starts, it’ll be sensational
So sound the alarms and the sirens, the bells in the churches
Bring your parents and your kids into the street, throw open the hatches

I’ve been missing the feeling when we close up the gaps between us
It’s better than the best, benediction, more bracing than blood-lust
‚Cause we’ve been waiting and wandering, practicing and praying
Saving and slavering, gathering ourselves for the gathering

We’ve been huddled in our houses for however many days like survivors
And we’ve been dutifully paying our dues and paying heed to our advisors
Yeah, but we’re pent-up and we’re pissed off and we’re perilously close to the precipice
We’re butterflies in ballet shoes and Brothel Creepers coming out of our chrysalis
It comes down to this:

I’m missing the feeling when we close up the gaps between us
It’s better than the best, benediction, more bracing than blood-lust
‚Cause we’ve been waiting and wandering, practicing and praying
Saving and slavering, gathering ourselves for the gathering

All together now

This is our mantra: we gather together
We look out for each other, because we’ve got strength in our numbers
This is our mantra: we gather together
We look out for each other, ‚cause we’ve got strength in our numbers
And I’ll be the preacher and this is the scripture:
Once more with feeling, this is a gathering

This is a gathering
Gather together
Gather together
Gather together
This is a gathering
Gather together
Gather together
Gather together
This is a gathering“

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Moment! Aufnahme.


Quelle: Facebook

Großartiger Typ, der Turner-Frank. Setzt seinem Troubadour-Buddy Will Varley mit einem eigenen Eintrag im Urban Dictionary mal so mir nichts, dir nichts bereits zu vergleichsweise jungen Lebzeiten ein augenzwinkerndes kleines Flügelwort-Denkmal – und schlüpft anschließend mit ein wenig Stolz im Gesicht seinen Morgenkaffee aus dem Merch-Ergebnis. Wer solche Freunde hat…

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , ,

Der Jahresrückblick – Teil 1


(Illustration: Rae Pozdro)

Was für Musik braucht man in einem so eigenartigen Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf diese ganze verdammt verrückte und aus den Angeln geratene Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie das Schlechte – für Momente vergessen lässt. Eine Zuflucht. Eine Ton und Wort gewordene zweite Heimat. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2020 einmal mehr recht wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!

Phoebe Bridrs – PunisherPhoebe Bridgers – Punisher

Phoebe Bridgers – Punisher

Im ersten Moment doch sehr, bei genauerer Betrachtung jedoch etwas weniger überraschend: Für ein Jahr, das die meiste Zeit am Rande des totalen gesellschaftlichen wie ökonomischen und kulturellen Stillstands wankte, gab es 2020 eine ganze Menge (sehr) guter neuer Musik zu hören. Fiona Apple etwa brachte mit „Fetch The Bolt Cutters“ zum ersten Mal seit acht Jahren ein neues, von Fans wie Kritikern vielbeachtetes Album heraus. Bob Dylan zeigte, dass er im Alter von 79 Lenzen immer noch eine Menge zu sagen hat. Und Taylor Swift bewies, dass sie nicht nur eine der erfolgreichsten und versiertesten Songwriterinnen der Pop-Gegenwart ist, sondern auch eine der produktivsten: gemeinsam mit Teilen des The National-Lagers und Gästen wie dem unter Indie-Folk-Freunden höchst geschätzten Justin „Bon Iver“ Vernon veröffentlichte „TayTay“ im Juli und Dezember ohne größeres Werbe-Tamtam mehr als dreißig Songs, die sie seit Beginn der Pandemie geschrieben und aufgenommen hatte.

All diese und viele andere Veröffentlichungen sind es freilich wert, gehört und nachhaltig beachtet zu werden. Aber ein Album steht – und das zeigt auch diese Auswertung der Jahresbestenlisten – über ihnen allen: Phoebe Bridgers‚ „Punisher“. Zu großen Teilen aufgenommen während der letzten zwei Jahre, kann das Werk zwar nicht von sich behaupten, eine Echtzeit-Reflexion der Stimmung während der Pandemie zu sein, wie im Fall von Taylor Swifts „folklore“ und „evermore„. Dennoch passt Bridgers‘ musikalische und lyrische Sensibilität besser als alles andere, was in diesem Jahr veröffentlicht wurde, zum unverwechselbarem Geist des gefühlten „Rien ne va plus“-Scheintods der vergangenen Monate. Das Album ist ein zerbrochener, trüber Spiegel, der unseren von Melancholie, Isolation und immerneuen Hiobsbotschaften geschundenen Körpern und Seelen vorgehalten wird.

Nicht, dass „Punisher“ eine Art einmalige Novalität wäre. Weit gefehlt. Schon Bridgers‘ kaum weniger gelungenes Debüt von 2017, „Stranger In The Alps„, sowie die gemeinsame letztjährige Platte mit Conor Oberst als Better Oblivion Community Center etablierten die 26-jährige Singer/Songwriterin als versierte Emo-Folk-Musikerin im Stile des früh verstorbenen großen Elliott Smith. Wie Smith ist Bridgers, die selbigen nicht eben zufällig verehrt, eine Künstlerin mit einem ausgeprägten Sinn für feine Mark-und-Bein-Melodien und der Gabe, Texte zu verfassen, die persönliche Traumata und alltägliche Kämpfe in kunstvoll einnehmende Porträts menschlicher Zerbrechlichkeit und der Sehnsucht nach inniglicher Verbundenheit verwandeln.

Die sehnend fatalistischen Songs auf „Punisher“ entwickelt diese Themen weiter und führen sie in expansive neue Richtungen, während Bridgers‘ teilweise skurrile Beobachtungen und emotionale Einsichten in eine irrgärtene, zumeist stille Klanglandschaft eingebettet werden, die sowohl intensiv schön als auch auf vereinnahmende Weise klaustrophobisch ist – wie ein Spaziergang auf dem Grund des Ozeans oder der Oberfläche eines anderen Planeten (oder eben durchs nächtliche Pandemie-L.A.). Das konnte selbst die US-Musikindustrie nicht überhören und würdigte die musikalische Kraft des Albums, indem sie Bridgers und ihre Platte jüngst für ganze vier Grammys nominierte, darunter als „beste neue Künstlerin“ und als „bestes alternatives Musikalbum“.

Bridgers und ihre Mitstreiter – die Co-Produzenten Tony Berg und Ethan Gruska, die Songwriting-Partner Christian Lee Hutson, Conor Oberst und Marshall Vore, ihre boygenius-Girl-Buddies Julien Baker und Lucy Dacus sowie etliche andere Musiker aus der heimischen Indie-Szene von L.A. – haben ein Album geschaffen, das all die Hilfsmittel in Los Angeles‘ legendärem Aufnahmestudio Sound City – all die Fader, Sampler, Autotune-Gadgets und andere Vocal-Effektgeräte – mit einer breiten Palette von akustischen Instrumenten kombiniert, um eine über alle Maßen intensive Erfahrung zu schaffen, die auf die beste Art und Weise verwirrend ist – wie ein seltsamer, beunruhigender Traum, der es schafft, etwas Schmerzhaftes, Wahres und irgendwie Notwendiges zu vermitteln, während man am nächsten Morgen nicht einmal mehr Worte für das nokturn Geträumte findet.

Der gequälte Existenzialismus des Albums wird vielleicht am stärksten in „Chinese Satellite“ vermittelt, einem herzzerreißenden Song über Bridgers‘ Tendenz, „in Kreisen umher zu laufen und vorzugeben, dass ich ich selbst sei“. Er gipfelt in einem Refrain, der mit einem herzzerreißend schönen, gen Firmament hauchenden Streicher-Arrangement unterlegt ist und als eine Art Gebet um Erlösung von Einsamkeit und Zweifeln fungiert:

„I want to believe
Instead I look at the sky and I feel nothing
You know I hate to be alone
I want to be wrong“

Eine alltägliche Klage – „I hate to be alone“ – in einen Ausdruck metaphysischer Sehnsucht zu verwandeln, der sowohl düster-komisch als auch tieftraurig ist, ist das, was Bridgers wie kaum eine andere aktuell beherrscht – und sie tut genau das auf „Punisher“ immer wieder.

Die Songs des Albums sind voll von lebendigen, einprägsamen – und oft nur im ersten Licht trivialen – Beschreibungen des alltäglichen Lebens, die beim Lauschen zwischen den Zeilen mit einer größeren Bedeutung einhergehen: Sie ändert ihren Plan, einen Garten anzulegen, als Reaktion auf die Aktivitäten eines Skinheads in der Nachbarschaft („Garden Song“). Sie „wollte die Welt sehen“, bis sie nach Übersee flog und daraufhin ihre Meinung änderte („Kyoto“). Sie macht einen morbiden Witz über den fortwährenden Klang von Sirenen aus Richtung des Krankenhauses in der Nähe ihres Hauses (interessanterweise nur eine von vielen unheimlichen lyrischen Vorahnungen der Pandemie, die über das ganze Album verstreut sind – Entstehungszeitraum hin oder her). Sie und ein Freund verbringen einen Abend damit, den „Rest unseres Serotonins“ zu verbrauchen, während sie auf dem Boden sitzen und eine Packung Cracker futtern („Graceland Too“). Sie gesteht ihrem verheirateten Ex-Liebhaber, dass er sie „wie Wasser in deinen Händen“ hält („Moon Song“). etc. pp.

Solche Momente flüchtiger Schönheit häufen sich, türmen sich auf, ziehen manches Mal auch wieder vorbei, während sich das Album auf (s)einen unheilvollen Schluss zubewegt: „I Know The End“, in dem Bilder vom Ende einer Beziehung zu Visionen der Apokalypse verschwimmen, während sich die hübsche Folk-Melodie langsam in eine Kakophonie aus klirrenden Akkorden, wirbelndem Lärm und menschlichen Schreien verwandelt. Es ist ein überraschendes, beängstigendes und doch irgendwie perfekt passendes Ende für eine Platte, die so todgeweiht ist wie das Leben am Ende selbst. Das mag sich zwar schwer oder deprimierend lesen, ist es jedoch ganz und gar nicht. „Punisher“ ist ehrlich, heftig, extrem melodiös – und der perfekte Soundtrack für dieses oder jedes andere Jahr. Kurzum: ein verdammtes Meisterwerk.

mehr…

2. Spanish Love Songs – Brave Faces Everyone

Liebe? Doof. Job? Doof. Finanzielle Lage? Doof. Soziale Kontakte? Doof. Und sonst so? Alles recht beschissen, danke der Nachfrage… Man wünscht Dylan Slocum – wie ja eigentlich jedem anderen Menschen – wirklich, dass er irgendwann seine mentale Gesundheit erlangt, auch wenn das wohl bedeuten würde, dass der Spanish Love Songs-Frontmann dann nicht mehr diese verdammt intensiven, dem eigenen Schicksal trotzenden Loserhymnen zur Selbsttherapie schreibt. Bis dahin macht die fünfköpfige Band aus Los Angeles auf „Brave Faces Everyone“ jedoch exakt dort weiter, wo „Schmaltz“ vor zwei Jahren endete: Sie vertonen seelische Abgründe und verpacken diese in maximal mitreißendem Punkrock, mit dessen gefühlter Intensität sie aktuell allein auf weiter Flur stehen. Zehn Fäuste für ein herzhaftes „Fick dich!“.

mehr…

3. Bright Eyes – Down in the Weeds, Where the World Once Was

So wirklich still war es um Conor Oberst nicht in den letzten Jahren – siehe die tolle Platte mit Phoebe Bridgers als Better Oblivion Community Center, siehe das Comeback-Album mit den Radaubrüdern der Desaparecidos, siehe die jüngsten Alt.Country-meets-Indiefolk-Solo-Alben „Ruminations“ und „Salutations“ (ersteres war anno 2016 gar ANEWFRIENDs „Album des Jahres“). Trotzdem durfte man bei all der Umtriebigkeit seine Haupt- und Herzensband Bright Eyes schon ein kleinwenig vermissen… Nun, nach neun langen Jahren, hat sich Oberst endlich wieder mit Mike Mogis und Nate Walcott zusammengetan, und in der Trio-Formation strahlen seine Songs noch heller durch all die Dunkelheit hindurch, die sich seit jeher im Großteil seiner Texte offenbart. Dabei zieht das Dreiergespann alle zur Verfügung stehenden Register, dies ist längst mehr als folkender Indie Rock, es besitzt und besetzt (s)eine eigene Kategorie: Conor-Oberst-Songs eben. Also faszinierende Textkaskaden, betörende Melodien und spirituelle Suche in einem. Dance on through and sing!

mehr…

4. Biffy Clyro – A Celebration Of Endings

„Baby, I’m scorched earth / You’re hearts and minds / Fuck everybody! / Woo!“ – ein Album, das mit solchen Worten endet, kann wahrlich kein schlechtes sein… Der dazugehörige Song fasst in gut sechs Minuten zusammen, warum Biffy Clyro seit eh und je eine der spannendsten Rock-Bands sind, die das an spannenden Bands wirklich nicht arme Schottland hervorgebracht hat. All ihre Klangelemente – von hektischen, an frühe Großtaten gemahnenden Rhythmen über mit sanften Strichen gemalte balladeske Klangbilder bis hin zu allumfassendem Pathos – finden sich aber nicht nur in besagtem Rausschmeißer „Cop Syrup“ wieder, sondern clever ausgespielt auf dem gesamten achten Album des Trios um Frontmann Simon Neil verteilt. Präsentiert sich „North Of No South“ zu Beginn als prototypischer Biffy-Clyro-Knüller, hadert „The Champ“ funky und elegant mit der Gegenwart: „A virtual dream and a virtual life / Well, I’m in love with the older kind / A Biblical truth and a cynical lie“. Derlei Beobachtungen ziehen sich zwar durch „A Celebration Of Endings“ und das Album wird außerdem vor dem Hintergrund des Brexit veröffentlicht, explizit politisch ist es jedoch nicht. Dafür aber sehr, sehr gut. Und das nicht nur, weil es wesentlich besser als sein mauer Vorgänger ist, dessen Pop-Exzesse hier lediglich dosiert stattfinden (etwa beim erstaunlich gelungenen Kitsch-Balladen-Ohrwurm „Space“). Mon the Biff!

mehr…

5. Kristofer Åström – Hard Times

Alben wie “Northern Blues”, „Loupita“ oder “So Much For Staying Alive” sind tatsächlich schon über eineinhalb Dekaden alt. Doch Singer/Songwriter Kristofer Åström lässt den Sound von damals mit seinem neuen Werk “Hard Times” wieder aufleben, als wären zwischen all diesen Langspielern gerade einmal wenige Wochen vergangen, denn in der Tat wären die acht neuen Songs auch damals schon gut auf diesen ausnahmslos tollen Kleinoden voll skandinavischer Herzschmerz-Melancholie aufgehoben gewesen. 2020 entfalten sie aber noch mal ihre ganz eigene Schönheit, auch wenn der Schwede betont, dass der fürs aktuelle Jahr überaus passende Albumname bereits vor der Corona-Pandemie feststand. Schon im Opener “Inbetweener” leidet der 46-jährige „Scandinavian Cowboy“ hörbar wie eh und je. “In The Daylight” erzählt eine lange vergangene, aber bis heute traumatische Liebesgeschichte. Und auch “Another Love”, das er gemeinsam mit Britta Persson in ein wunderschönes Duett packt, ist berührend und voller Liebeskummer: “The sun don’t shine on me and the night won’t leave me be”. Es sind einmal mehr die kleinen, jedoch schmerzenden Sätze, die so viel ausdrücken: “She kissed me and then she moved on” aus “Then She Moved On” ist nur ein weiteres Beispiel. “Nowhere In Sight” hat ebenfalls diese allumfassende Traurigkeit, mit der sich Åström vor inzwischen sehr vielen Jahren in der Singer/Songwriter-Szene etabliert hat. Glaubt mir: Wer’s liebt, der liebt’s auf Lebenszeit.

mehr…

6. Matt Berninger – Serpentine Prison

Jetzt ohne Band. Um sich endlich selbst zu verwirklichen? Eher nicht. Denn auch The National sind ganz Matt Berninger. Und hier wie dort leidet der heute 49-Jährige melodischer und melancholischer als jeder andere. Gewiss ist aber: „Serpentine Prison“, das späte Solodebüt nach acht Alben mit seiner Hauptband, ist viel mehr eine Songwriter-Platte als die letzten National-Alben. Uptempo-Indie-Rock, elektrische Gitarren, elektronisches Klackern, vertrackte Beats: nichts davon findet sich hier wieder. Und dass Berninger sein Mikro aus der Hand gibt, wie zuletzt reihenweise auf „I Am Easy To Find“ etwa an Mina Tindle und Sharon Van Etten, kommt auch nur einmal vor, wenn Gail Ann Dorsey (aus Bowies Band) im Song „Silver Springs“ eine Strophe singt. Stattdessen hört sich „Serpentine Prison“ fast schon überraschend traditionell und, ja, auch klassisch amerikanisch an. Akustische Gitarre, Bläser, irgendwo zwischen Americana und Indie Folk. Feine Klaviermelodien und Streicher bringen Kammerpop mit hinein. Und die bluesig-groovende Orgel im Song „Loved So Little“ geht ganz klar auf das Konto von US-Legende Booker T. Jones, der hier produziert und mitgespielt hat, und so hörbar seinen Sinn für erdig-ehrlichen Soul-Rock und einen klugen räumlichen Blick auf die eher spärlichen Arrangements einbringen kann. „I don’t see no brightness and I’m kind of startin’ to like this“, singt Berninger, ganz Schmerzensmann, in „Oh Dearie“. Das ist nah an der Selbstparodie, und wie er es sich so bequem macht in seinen kontemplativen, traurig-schönen Stücken, glaubt man’s ihm fast. Nach dem verloren flehenden „Take Me Out Of Town“ nicht mehr so. „Where are you, you said you’d be here by now“, fragt jemand. Und garantiert nicht im Titelsong. Leben inmitten von Frustration, Nationalismus, Zynismus – wie geht das? „Serpentine Prison“ schließt – ziemlich großartig – individuelle und kollektive Angst kurz, erzählt von Depression und einer Welt am Rand der Zerstörung. Resignation, Fatalismus? Hilft alles nicht: „I walk into walls and I lay awake / I don‘t want to give it to my daughter“. Dazu spielen Trompete und Mundharmonika. Und spätestens wenn man so samtig-schlichte Songs wie „One More Second“ hört ist klar, warum Berninger ein Soloalbum gemacht hat. Feinster Herbstblues mit Sonnenstrahlen.

mehr…

7. Gerry Cinnamon – The Bonny

Überlastete Live-Streams, volle Hallen, ratzfatz ausverkaufte Tourneen (selbstredend in der Vor-Corona-Zeit): Ist Gerard Crosbie, der hinter dem Künstlernamen Gerry Cinnamon steckt, der größte Star, den – hierzulande – (fast) niemand kennt? So ähnlich zumindest wird der Singer/Songwriter gern schonmal vorgestellt. Oder besser der „Sangster-Sangwriter“, wie man es in seiner schottischen Heimat zu sagen pflegt. Cinnamon nämlich singt, wie viele seiner Landsleute auch, keineswegs in feinstem Oxford-Englisch, sondern auf „Glaswegian“, einem Dialekt, der nach der größten Stadt des Landes benannt ist: „Glesga“ (Glasgow). Es ist denn auch dieser Dialekt in Verbindung mit seiner prägnanten Stimme, die den Charme seiner Songs und von „The Bonny“, seinem zweiten Album, ausmachen. Mit rauchigem Gesangsorgan, das mutmaßlich schon in einigen Pubs und vernebelten Clubs erklang, singt der 36-Jährige seine persönlichen Geschichten über Liebe, Hoffnung und Erinnerungen. „Sun Queen“ etwa kommt als lockere Pop-Leichtigkeit daher, die einer verflossenen Liebe gedenkt, deren Namen er, bildlich, in einen Regenbogen schnitzte. „Dark Days“ erzählt vom Entkommen aus dunklen Zeiten. Wenn das Leben ein Spiel und das Glück für Verlierer ist, „dann gewinne ich wieder“ ist da zu hören. Musikalisch ist Cinnamon vornehmlich ganz der spartanischen Instrumentierung verpflichtet: seine Akustikgitarre, Mundharmonika und Stimme bilden den Rahmen der zwölf Songs. Schlagzeug und Bass zimmern ein rhythmisches, teils höchst eingängiges Gerüst für die Songs. „Where We‘re Going“ etwa klingt wie das Beste aus der munteren Pop-Phase von The Cure, „Mayhem“ wie ein sehr starker Non-Album-Song von Travis und das Titelstück nach einer feucht-fröhlichen Nacht an einem schottischen Highland-Lagerfeuer. Trotz aller hörbaren Einflüsse und Querverweise behält der hagere Schotte mit der Oasis-Britpop-Gedächtnis-Topfschnitt-Frisur seine Eigenständigkeit und liefert ein unterhaltsames Album ab, bei dem sich selbst Liam Gallagher zu einem seiner zugegebenermaßen recht seltenen, da diss-freien Komplimente hinreißen lässt: „Ein Top-Mann macht völlig natürliche Sachen.“ Will was heißen, heißt auch was.

mehr…

8. Pearl Jam – Gigaton

2020 hätte ein weiteres großes Konzertjahr für die Grunge-Rock-Band aus Seattle werden können, ja: sollen. Dieses neue Album (das erste seit immerhin sieben Jahren), das der Tour den Rahmen und den Anlass gegeben hätte, ist keineswegs unwichtig, aber auch nicht der zentrale Kern der Unternehmung – Pearl Jam würden auch ohne eine neue Veröffentlichung im Rücken die Stadien und die Gelände rund um den Globus füllen. Nun jedoch gab es keine Konzerte, was zur Folge hat, dass „Gigaton“ unerwartet und ungewohnt erhöht auf einem Podest im Raum steht, als exklusiver Beitrag von Eddie Vedder und Co. in diesem (Musik)Jahr. Es ist daher davon auszugehen, dass so manch treuer Fan diese Platte häufiger gehört haben als die soliden Vorgänger. Und die meisten der Hörer werden beglückt festgestellt haben, dass das Gros der zwölf neuen Stücke diesem Anspruch genügt. Die Band erzählt auf „Gigaton“ – vom unerhört funky Vorboten „Dance Of The Clairvoyants“ einmal abgesehen – freilich wenig Neues, aber das ist nun wirklich keine allzu große Überraschung. Was Pearl Jam leisten, ist eine absolut solide Ausdifferenzierung ihrer hinlänglich bewiesenen Könnerschaft. Ein Song wie „Who Ever Said“ zum Beispiel läuft mehr als fünf Minuten lang und verbindet in dieser Zeit Virtuosität und Kraftmeierei, Melancholie und Melodien, Achtsamkeit und Sehnsucht. Viel mehr kann man von massentauglicher, aber nicht stromlinienförmiger Rockmusik nicht erwarten, weder im Jahr 2020 noch vor genau drei Jahrzehnten, als sich die Band gründete. Die „elder statesmen des Grunge“ liefern. 

9. Brian Fallon – Local Honey

Es ist das dritte Soloalbum von Brian Fallon, und mit jedem scheinen The Gaslight Anthem weiter weg. Wenn man sich seine heutigen Sachen und diese lediglich acht um Akustik-Klampfe, Klavier, Bass und Schlagzeug gezimmerten Stücke anhört, kann man sich auch nicht so recht vorstellen, was er bei seiner alten Band noch finden sollte. Die großen Kämpfe der Jugend, der Punk Rock, das unbedingte Drama scheinen vorbei zu sein. „Ich bin 40, habe zwei Mädchen, eine Frau, ein Haus – das ist, was ich heute bin“, sagt er selbst. Die federnde Folkrock-Ballade „When You’re Ready“ hat Fallon denn auch für seine Töchter geschrieben. „In this life there will be trouble, but you shall overcome“, singt er da. Das modern-radiopoppig produzierte „21 Days“ überblendet Sucht- und Beziehungsende, in „I Don’t Mind If I’m With You“ blitzen die alten Dämonen, die gefochtenen Kämpfe noch einmal für Momente auf, im Angesicht der Liebe aber werden sie klein und kleiner. „Horses“ erzählt ebenso von Vergänglichkeit wie von Erlösung ohne Theatralik: „In this life change comes slowly, but there is time to be redeemed“. „Hard Feelings“ ist einer jener Songs, die Fallon noch immer wie kaum ein Zweiter aus dem Ärmel schüttelt: eine Mischung aus hemdsärmeliger Americana und von Nostalgie durchwehter New-Jersey-Romantik, in der immer ein „slow song“ aus einem „baby blue Mercedes“ spielt. Und „You Have Stolen My Heart“ könnte am Ende schon fast wieder eine der Balladen auf „American Slang“ sein. „Local Honey“, das sind Songs über die Zeit, wenn die Jugend vorbei ist und das Alter noch weit weg scheint. Es gehe zu „einhundert Prozent ums Alltagsleben“, so Fallon, „und wenn das mein Leben ist, dann ist es wahrscheinlich auch das vieler anderer Leute.“ Wirklich spektakulär ist hier nichts, langweilig jedoch auch nicht. Ergo: kein „Nebraska“, aber definitiv auch kein Reinfall. 

mehr…

10. Beans On Toast – Knee Deep In Nostalgia / The Unforeseeable Future

Jay McAllister aus Braintree ist ohne Zweifel einer der sympathischsten Klampfenbediener der britischen Inseln. Und einer der talentiertesten. Und einer der umtriebigsten. Seit zig Jahren haut der 40-jährige englische Indie-Musiker pünktlichst zu seinem Geburtstag im Dezember ein neues Album unters Hörervolk, auf dem er jeweils aus seinen zurückliegenden Monaten erzählt und in den Songs vom trubeligen Leben um ihn herum berichtet. In selbigen kommt seit einiger Zeit nicht nur seine kleine Tochter vor, sondern auch der wachsende Unmut über soziale Ungerechtigkeiten oder den Brexit. Umso tiefer sollte man seine Kopfkappe ziehen, dass Mr. Beans On Toast all das nicht mit kaltschnäuziger Pumpe tut, sondern mit jeder Menge Witz, Hirn und Herz. Und dass bei einem Teil der doppelten Veröffentlichung dieses Jahres (denn immerhin feierte der Mann ein rundes Wiegenfest) ein gewisser Buddy namens Frank Turner unter die Indie-Arme gegriffen hat, macht das Ganze nun auch nicht weniger sympathisch… Spitzentyp, der Beans!

mehr…

…auf den weiteren Plätzen:

BRUTUS – Live in Ghent mehr…

A Burial At Sea – A Burial At Sea mehr…

Deep Sea Diver – Impossible Weight mehr…

Bruce Springsteen – Letter To You

Dogleg – Melee mehr…

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
%d Bloggern gefällt das: