Song des Tages: Noir Désir / Sophie Hunger – „Le vent nous portera“


Sophie Hunger- Le vent nous portera

Noir Désir dunkles Verlangen. Wäre das nicht ein wenig over the top pathetisch, könnte man meinen, der Name seiner Gruppe wäre für den französischen Sänger Bertrand Cantat zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden…

Wobei: geworden? Schon immer umwehte die in den frühen Achtziger Jahren in Bordeuax gegründete Band ein melancholisch-düsterer Nebel – auf den Anfangsalben, welche Punkrock mit französischem Einschlag boten, ebenso, wie während ihrer Bühnenauftritte. Doch erst mit dem 2001 erschienen Album „Des Visages Des Figures“ verdichteten Noir Désir ihren Bandsound zu einem dunkel schimmernden Amalgam, welches Einflüsse aus Alternative Rock, Jazz, Folk und Weltmusik einbezog und  für einen musikalischen Wimpernschlag von 68 Minuten Frankreich zur gefühlten heimlichen Weltmusikhauptstadt machte. Und zu kaum einer Band passen wohl folgende unheimliche Fakten besser als zu Noir DésirDes Visages Des Figures (Cover)

Fakt eins: Ausgerechnet jenes Album, das mit inwendigen Angsthymnen wie „L’Appartement“ oder „L’Europe“ nicht eben Zuversicht auf die Zukunft bereitete, erschien am 11. September 2001 (!) – und mögen auch vermeintlich findige Fernsehjournalisten Enya als Tröster-Heulboje für passabel gehalten haben, DAS HIER, „Des Visages Des Figures„, ist der wahre Soundtrack zu einem der memorabelsten Tage der jüngeren Menschheitsgeschichte! Neben Radioheads „Kid A“ und „Amnesiac“. So man so etwas denn braucht. Zumindest für mich.

Fakt zwei: Im Juli 2003 verprügelte Bertrand Cantat seine damalige Freundin, die aufstrebende französische Schauspielerin Marie Trintignant, nach einem Streit in einem Hotel in der litauischen Hauptstadt Vilnius so stark, dass diese ins Koma fiel und nicht mehr daraus erwachte. 2004 wurde er zu acht Jahren wegen Totschlags verurteilt, kam jedoch nach dreieinhalb Jahren wegen guter Führung wieder frei. Und doch kam Cantat, der bisher als schüchtern und zurückhaltend gegolten hatte, nach all dem nie wieder auf die Beine. Ebenso wie Noir Désir, die mit dem Nummer-Eins-Album „Des Visages Des Figures“ (in Frankreich und Belgien) den Durchbruch geschafft zu haben schienen. Nach einem versuchten Neustart verließ Gitarrist und Gründungsmitglied Serge Teyssot-Gay „wegen persönlicher und musikalischer Differenzen mit Bertrand Cantat“ die Band, die verbliebenen drei Mitglieder gaben wenig später die Auflösung von Noir Désir bekannt.

Noir Désir - Le vent nous portera

Was bleibt, ist dieses Album: „Des Visages Des Figures“, das auch nach über zehn Jahren zu gleichen Teilen – und beinahe in beängstigendem Maße – so abstoßend wie anziehend wirkt. So, als hätten die zwölf Stücke schon in der Zeit ihrer Entstehung all die dunklen Schatten der Zukunft in sich getragen. Und auch nach all den Jahren, die mich das wohl beste Stück des Albums, „Le vent nous portera“, nun schon begleitet, geht mir der Song, bei welchem übrigens ein gewisser Manu Chao an der Gitarre zu hören ist, noch immer zu Herzen. Wegen dem Text (eine deutsche Übersetzung findet ihr nachstehend). Wegen der Musik. Wegen der Band. Wegen all der Dinge und Geschichten, die sich um die Noten und Zeilen und die Zeit ranken…

Nur zu gut, dass die von mir höchst geschätzte schweizer Musikern Sophie Hunger 2010 beschloss, das Stück für ihr Album „1983“ zu covern. Ihre Interpretation steht dem Original dabei in nichts nach, fügt der Noir Désir-Version mit melancholisch-ruhigen, angejazzten Grundtönen und einer einsam und groß aufspielenden Trompete sogar noch neue Aspekte hinzu. Tolle Frau. Tolles Lied. Ewig großes Lieblingsstück.

 

Weil der Wind uns tragen wird

Ich hab‘ keine Angst vor dem Weg,
Weil ich ihn sehen will, ihn auskosten will,
Jede Biegung, jede Windung, bis es gut ist,
Weil der Wind uns tragen wird

So wie all‘ das, was du den Sternen sagen würdest, 
Wie der Lauf der Dinge, 
Wie die Zärtlichkeit und der Schlag, 
Wie anderer Tage Paläste, von gestern, von morgen

Ein flüchtiger Eindruck wie aus Samt,
Und dann kommt der Wind und trägt alles davon

Unser Erbgut, unsere Gene nimmt er,
Trägt sie in die Luft, in die Atmosphäre,
In die Galaxie, wie ein fliegender Teppich,
Der Duft der Jahre davor und all‘ das, was Einlass verlangt an deiner Tür,
Diese Unendlichkeit von Schicksalen, wovon man eines lebt,
Und was bleibt von all‘ dem zurück?

Eine Flut, die beständig steigt,
Eine Erinnerung, die jeder ab und zu hat, im Herzen des Schattens,
Der vor mir bleibt, 
Nehme ich mit mir die Spur, die von dir bleibt

Bis der Wind alles davonträgt

 

Hier Sophie Hungers Version in einem Livemitschnitt…

 

…und hier zum Vergleich das Original von Noir Désir:

 

Natürlich sind neben dem monumental-abgründigen Noir Désir-Werk „Des Visages Des Figures“ und dem bereits erwähnten Sophie Hunger-Album „1983“ (auf welchem die Coverversion zu finden ist) auch die letzten Alben der begabten Schweizerin, „Monday’s Ghost“ von 2008 und das im letzten Jahr erschienene „The Danger Of Light„, auf welchem unter anderem der derzeitige Red Hot Chili Peppers-Gitarrist und Josh Frusciante-Schüler Josh Klinghoffer zu hören ist, sehr und uneingeschränkt zu empfehlen.

Hier drei weitere Stücke von Sophie Hunger, welche, wie „Le vent nous portera“ auch, während der „1983 – Now…live“-Session aufgenommen wurden:

 

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

3 Gedanken zu „Song des Tages: Noir Désir / Sophie Hunger – „Le vent nous portera“

  1. […] oder dem grandiosen Noir Désir-Cover “Le vent nous potera” (ANEWFRIEND schrieb hier bereits darüber) eines Besseren belehrt werden. Die Qualität blieb denn auch im Ausland nicht […]

  2. Birgit Ahlmann sagt:

    Ja, ich stimme dem Beitrag über Noir Désir natürlich zu und mag außerdem das musikalische Original von Le vent nous
    portera sehr – aber die deutsche Übersetzung/Version von Felix Meyer DER WIND TRÄGT UNS DAVON steht all dem in nichts nach: sie ist sehr gut gelungen!

    • Hallo Birgit. Danke für deinen Kommentar! Und du hast natürlich recht – mit seiner deutschen Übertragung ist Felix Meyer in der Tat eine feine Version gelungen, die das leicht melancholische Gefühl, welches Bertrand Cantat und Co. im Sinn hatten, prima ins „harte“ Deutsche überträgt. Sollte man gehört haben, wenn einem das Original liegt… Rock and Roll.

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