Schlagwort-Archive: 11. September 2001

Bleierne Akkorde, unterlegt mit Geschichte – „September 11, 2001“, der bislang unveröffentlichte Jam von Jason Molina, Will Oldham und Alasdair Roberts


molina

Über dreizehn Jahre nach 9/11 veröffentlicht das US-Indie-Label Secretly Canadian einen ganz besonderen Schatz: den Song „September 11, 2001“, den der inzwischen verstorbene Jason Molina gemeinsam mit seinen Songwriter-Kollegen Will Oldham und Alasdair Roberts am Tag der Anschläge geschrieben und aufgenommen hat…

Bisher war weder die Existenz des Songs bekannt noch die Umstände, unter denen die Folk-Ballade seinerzeit entstanden ist. Wie der schottische Songwriter Alasdair Roberts in einem sehr persönlichen Statement auf der Seite von Secretly Canadian (in Gänze weiter unten zu finden) erklärt, habe er sich damals mit seinen US-Kollegen Will Oldham (alias Bonnie „Prince“ Billy) und Jason Molina – vor allem bekannt durch seine Bandprojekte Songs: Ohia und Magnolia Electric Co. – auf Tour angefreundet.

Die drei „Ikonen“ der damaligen Alt.Country- und Neofolk-Bewegung fanden sich daraufhin im September 2001 zum gemeinsamen Schreiben und Aufnehmen auf dem Hof von Molinas Bruder Paul, der sich auch den Sessions anschloss, in Kentucky ein.

Wie es der tragische Zufall wollte, fielen die Terroranschläge von 9/11 genau auf diesen Zeitraum – und bremsten die Musiker in ihrem Elan aus: Den Tag der Anschläge, so erinnert sich Roberts, hätten sie zunächst schockiert vor dem Fernseher verbracht; erst gegen Abend sammelten sie sich und nahmen die Sessions wieder auf – um als Reaktion auf die verstörenden Bilder „einfach so normal wie möglich weiterzumachen“.

In dieser Nacht also entstand „September 11, 2001“, ein stiller, elfminütiger Folksong mit sich schleichend steigernder Dramaturgie. Vielleicht wurde der Zeitpunkt der „Herausgabe“ des Stücks gar nicht mal so zufällig gewählt, immerhin ist die Welt kaum eine bessere als 2001. Und der Song selbst, der sich so bleiern traurig voran schleppt, fesselt auch mit über dreizehn Jahren Abstand noch, macht gar betroffen – irgendwie… Traurig ist ebenso, dass Jason Molina selbst die Veröffentlichung nicht mehr erlebt: Er starb 2013 infolge seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit.

 

 

„The late Jason Molina and I had met a few times in England (when Jason was studying for a period in London) and in Scotland (Glasgow, where I lived then as now), after being introduced to one another by Will Oldham in late 1995. The recording session by Jason, Will, Will’s brother Paul and me was Jason’s idea originally. The prospect of working together with these musicians whose work I admired, and who were also cool people, was very exciting; so that’s how I found myself in Paul’s Kentucky farmhouse that historic weekend in 2001.

Of course, what made that weekend historic was certainly not this humble meeting of musical minds; rather, it was the fact that it coincided with the unanticipated and awful events of the September 11th 2001 terrorist attacks and the collapse of the World Trade Center. I am convinced that my memory of that period has been heightened by this coincidence; I have a strong recollection of Jason, Will, Paul and me recording on the evening of 10th September. I remember the warm southern evening sunshine (a particular delight for one accustomed to Scottish autumn weather), streaming through the window and infusing everything in the room with a kind of preternatural glow, as we recorded a version of Owen Hand’s wonderful song ‘My Donal.’ Will was playing a Nord synth and singing, Paul was on drums, Jason played bass guitar and I was playing Paul’s bright blue Telecaster. I remember walking by the barns that evening and seeing row upon row of tobacco drying, shining golden and lovely in the twilight. But none of us was to know that that would be, in some sense, the last twilight of an old world.

Jason woke me at about 10am the following morning with the words: ‘Ali, you should come downstairs. Something really bad is happening.’ My initial thought was that perhaps someone in the household had been injured or had fallen seriously ill. And so I went downstairs to confront the new global reality. Most of the rest of the day was spent watching the television news in numbed disbelief; in the evening we dined and talked together with some other members of the Oldham family. And then it seemed that the only thing to do was to carry on as normal – to pour ourselves a large Highland Park each and to make rock and roll, like we were born to do. So that’s how this piece of music came about – it was a spontaneous response from Jason’s soul to the unimaginably terrible events of that day, and it was one in which he invited Will (on piano), Paul (on Nord synth), me (on bowed mountain dulcimer) and every listener to cast their own offering.“

(Alasdair Roberts, via Secretly Canadian)

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Noir Désir / Sophie Hunger – „Le vent nous portera“


Sophie Hunger- Le vent nous portera

Noir Désir dunkles Verlangen. Wäre das nicht ein wenig over the top pathetisch, könnte man meinen, der Name seiner Gruppe wäre für den französischen Sänger Bertrand Cantat zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden…

Wobei: geworden? Schon immer umwehte die in den frühen Achtziger Jahren in Bordeuax gegründete Band ein melancholisch-düsterer Nebel – auf den Anfangsalben, welche Punkrock mit französischem Einschlag boten, ebenso, wie während ihrer Bühnenauftritte. Doch erst mit dem 2001 erschienen Album „Des Visages Des Figures“ verdichteten Noir Désir ihren Bandsound zu einem dunkel schimmernden Amalgam, welches Einflüsse aus Alternative Rock, Jazz, Folk und Weltmusik einbezog und  für einen musikalischen Wimpernschlag von 68 Minuten Frankreich zur gefühlten heimlichen Weltmusikhauptstadt machte. Und zu kaum einer Band passen wohl folgende unheimliche Fakten besser als zu Noir DésirDes Visages Des Figures (Cover)

Fakt eins: Ausgerechnet jenes Album, das mit inwendigen Angsthymnen wie „L’Appartement“ oder „L’Europe“ nicht eben Zuversicht auf die Zukunft bereitete, erschien am 11. September 2001 (!) – und mögen auch vermeintlich findige Fernsehjournalisten Enya als Tröster-Heulboje für passabel gehalten haben, DAS HIER, „Des Visages Des Figures„, ist der wahre Soundtrack zu einem der memorabelsten Tage der jüngeren Menschheitsgeschichte! Neben Radioheads „Kid A“ und „Amnesiac“. So man so etwas denn braucht. Zumindest für mich.

Fakt zwei: Im Juli 2003 verprügelte Bertrand Cantat seine damalige Freundin, die aufstrebende französische Schauspielerin Marie Trintignant, nach einem Streit in einem Hotel in der litauischen Hauptstadt Vilnius so stark, dass diese ins Koma fiel und nicht mehr daraus erwachte. 2004 wurde er zu acht Jahren wegen Totschlags verurteilt, kam jedoch nach dreieinhalb Jahren wegen guter Führung wieder frei. Und doch kam Cantat, der bisher als schüchtern und zurückhaltend gegolten hatte, nach all dem nie wieder auf die Beine. Ebenso wie Noir Désir, die mit dem Nummer-Eins-Album „Des Visages Des Figures“ (in Frankreich und Belgien) den Durchbruch geschafft zu haben schienen. Nach einem versuchten Neustart verließ Gitarrist und Gründungsmitglied Serge Teyssot-Gay „wegen persönlicher und musikalischer Differenzen mit Bertrand Cantat“ die Band, die verbliebenen drei Mitglieder gaben wenig später die Auflösung von Noir Désir bekannt.

Noir Désir - Le vent nous portera

Was bleibt, ist dieses Album: „Des Visages Des Figures“, das auch nach über zehn Jahren zu gleichen Teilen – und beinahe in beängstigendem Maße – so abstoßend wie anziehend wirkt. So, als hätten die zwölf Stücke schon in der Zeit ihrer Entstehung all die dunklen Schatten der Zukunft in sich getragen. Und auch nach all den Jahren, die mich das wohl beste Stück des Albums, „Le vent nous portera“, nun schon begleitet, geht mir der Song, bei welchem übrigens ein gewisser Manu Chao an der Gitarre zu hören ist, noch immer zu Herzen. Wegen dem Text (eine deutsche Übersetzung findet ihr nachstehend). Wegen der Musik. Wegen der Band. Wegen all der Dinge und Geschichten, die sich um die Noten und Zeilen und die Zeit ranken…

Nur zu gut, dass die von mir höchst geschätzte schweizer Musikern Sophie Hunger 2010 beschloss, das Stück für ihr Album „1983“ zu covern. Ihre Interpretation steht dem Original dabei in nichts nach, fügt der Noir Désir-Version mit melancholisch-ruhigen, angejazzten Grundtönen und einer einsam und groß aufspielenden Trompete sogar noch neue Aspekte hinzu. Tolle Frau. Tolles Lied. Ewig großes Lieblingsstück.

 

Weil der Wind uns tragen wird

Ich hab‘ keine Angst vor dem Weg,
Weil ich ihn sehen will, ihn auskosten will,
Jede Biegung, jede Windung, bis es gut ist,
Weil der Wind uns tragen wird

So wie all‘ das, was du den Sternen sagen würdest, 
Wie der Lauf der Dinge, 
Wie die Zärtlichkeit und der Schlag, 
Wie anderer Tage Paläste, von gestern, von morgen

Ein flüchtiger Eindruck wie aus Samt,
Und dann kommt der Wind und trägt alles davon

Unser Erbgut, unsere Gene nimmt er,
Trägt sie in die Luft, in die Atmosphäre,
In die Galaxie, wie ein fliegender Teppich,
Der Duft der Jahre davor und all‘ das, was Einlass verlangt an deiner Tür,
Diese Unendlichkeit von Schicksalen, wovon man eines lebt,
Und was bleibt von all‘ dem zurück?

Eine Flut, die beständig steigt,
Eine Erinnerung, die jeder ab und zu hat, im Herzen des Schattens,
Der vor mir bleibt, 
Nehme ich mit mir die Spur, die von dir bleibt

Bis der Wind alles davonträgt

 

Hier Sophie Hungers Version in einem Livemitschnitt…

 

…und hier zum Vergleich das Original von Noir Désir:

 

Natürlich sind neben dem monumental-abgründigen Noir Désir-Werk „Des Visages Des Figures“ und dem bereits erwähnten Sophie Hunger-Album „1983“ (auf welchem die Coverversion zu finden ist) auch die letzten Alben der begabten Schweizerin, „Monday’s Ghost“ von 2008 und das im letzten Jahr erschienene „The Danger Of Light„, auf welchem unter anderem der derzeitige Red Hot Chili Peppers-Gitarrist und Josh Frusciante-Schüler Josh Klinghoffer zu hören ist, sehr und uneingeschränkt zu empfehlen.

Hier drei weitere Stücke von Sophie Hunger, welche, wie „Le vent nous portera“ auch, während der „1983 – Now…live“-Session aufgenommen wurden:

 

 

Rock and Roll.

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