Mit den bisherigen Alben der Band zum neuen „Album der Woche“ konnte ich – und das gebe ich ehrlich und frei zu – bisher rein gar nichts anfangen. Umso größer war meine Überraschung, dass mich dieses Quartett aus dem Big Apple – und sei es auch nur für eine knappe dreiviertel Stunde – doch noch von und für sich überzeugen kann…
Vampire Weekend – Modern Vampires Of The City (2013)
-erschienen bei XL/Beggars/Indigo-
Der brennende Saab im Musikvideo zu „Diane Young“, das prominente virale Marketing durch – wieso zur Hölle eigentlich? – Charakterschauspieler Steve Buscemi, die beständig angestiegene Vorfreude aufs neue Album, die sich durch beinahe alle Musikseiten des weltweiten Netzes zog. Eines darf als gesichert gelten: Vampire Weekend, jenes aus Ezra Koenig (Gesang, Gitarre), Rostam Batmanglij (Keyboard, Gitarre, Gesang), Chris Baio (Bass) und Chris Tomson (Schlagzeug) bestehende Quartett aus dem Big Apple, ist schon längst nicht mehr die kleine Hausnummer, die sie noch vor dem Erscheinen ihres selbstbetitelten Debütalbums im Jahr 2008 waren. Denn dafür war der 2010er Nachfolger „Contra
“ zu erfolgreich (No. 1 in den US-Charts, No. 3 im UK), dafür wurden ihre Singles, die frech Indierock mit großen Anteilen aus Afrobeat, New Wave, Punk oder Reggae vermengten, zu oft in College Radios gespielt, dafür beschallten Stücke wie „Cape Cod Kwassa Kwassa“, „Oxford Comma“, „A-Punk“ oder „Cousins“ zu oft die Tanzflächen trendtauglicher Indiediskos. Die Band der vier Endzwanziger mag in den letzten Jahren wohl eine der Gruppen gewesen sein, auf die sich wohl (beinahe!) alle ach so hippen Musikdegustinatos einigen konnte. Aber auch jene, die – und da mag weder die Herkunft aus New Yorks Middle und Upper Class noch der Freundeskreis, dem unter anderem übrigens auch „Girls“-Star Lena Dunham angehört, wohl nicht gnaz unschuldig sein – unter den größten Hipster-Vorwürfen zu leiden hatte. Weiße, reiche It-Boys, die sich zwischen drei Starbucks-Besuchen, vier Instagram-Fotos und drei Mal Mails checken rotzfrech im Kulturgut der dritten Welt vergreifen? Alles klar…
Doch dass Vorschusslorbeeren und Schubladendenken nicht vor dezenten Schreibblockaden zu schützen vermögen, zeigte sich Koenig und Batmanglij, den beiden Hauptsongwritern der Band, als sie versuchten, Inspirationen für einen Nachfolger zu „Contra“ zusammenzutragen: es wollte und wollte einfach nicht so geölt laufen wie in den Jahren zuvor! Dabei hätte gerade Koenig etlichen privaten Stoff zum kreativen Schreibprozess beitragen können, war er doch noch vor der Tour zum zweiten Album von seiner damaligen Freundin verlassen worden und aus der gemeinsamen Wohnung geflogen, nach Beendigung der Tournee in die Sonne Kaliforniens entflohen – und am Ende doch wieder in die behagliche Zerstreuung des heimatlichen New York zurückgekehrt. Um dem kreativen Fluss nachzuhelfen, verzog man sich also mit Produzent Ariel Rechtshaid (Usher, Charli XCX) auf die Insel Martha’s Vineyard, jenes poshe wie geschichtsträchtige Reichendomizil an der Ostküste der USA, welches bereits dem Kennedy-Clan als Zufluchtsort diente. Und, siehe da: irgendwann platzte der Knoten! Herausgekommen ist nun „Modern Vampires Of The City„. Und es stellt so viele Dinge dar. Nur eben nicht das Album, das man von Vampire Weekend erwartet hätte…
Zu einem mechanischen, verschleppten Beat, Bassbegleitung und verhaltenen Pianoanschlägen stolpert Ezra Koenig in „Obvious Bicycle“ nach einer langen Nacht auf die Straße und mitten hinein in die 43-minütige Szenerie: „Morning’s come, you watch the red sun rise / The LED still flickers in your eyes / So listen, oh / Don’t wait“. „Unbelievers“ sorgt danach mit Orgel, galoppierendem Schlagzeug, sachten Gitarren und klimperndem Piano für ein erstes Ausrufezeichen: „We know the fire awaits unbelievers / All of the sinners the same / Girl, you and I will die unbelievers / Bound to the tracks of the train“ – Religiöse Dogmen treffen auf juvenile Ausreißerromantik. Gen Ende meint man gar ein wenig irische Folklore vernehmen zu können. Schnell ist klar: das Quartett bäckt zwar lautstärketechnisch auf ihrem dritten Machwerk kleinere Brötchen als noch vor drei Jahren, doch Koenig und Co. fordern den Hörer diesmal geradezu auf, genauer hinzuhören! „Step“ ist dann einer dieser eigensinnigen Popsongs, in die man sich einfach ohne Umschweife verlieben muss. „Every time I see you in the world / You always step to my girl“ – Koenig wandelt trunken vor Verliebtheit neben der Angebeteten her, erzählt von Ost- wie Westküstenschauplätzen, von Banketten und der Gosse. Und doch hat er nur Augen für sein Mädchen, und man selbst unverhofft einen leichtfüßigen Ohrwurm mehr, den man in den nächsten Tagen gar nicht mehr hergeben mag. A propos Ohrwurm: die gibt es auf „Modern Vampires…“ natürlich auch, wie etwa den Instant-Tanzflächenfüller „Diane Young“, in dem die Band der Inhaberin des ersten Schönheitssalons in Manhattan huldigt. Gleichzeitig verstecken die Schlauberger auch hier wieder etliche Querverweise und Referenzen: Sind Zeilen wie „Irish and proud, baby, naturally / But you got the luck of a Kennedy“ als Anspielung auf die Janusköpfigkeit des American way of life gemünzt? Und ist der Gleichklang des Titels zu „dying young“ gar mehr als ein simpler phonetischer Spaß? Mit Sicherheit! Ein weiteres Beispiel für den Rückblick der Band zu den ersten beiden Alben bietet dann nur noch „Finger Back“, das in hektischer Verliebtheit in Richtung von Stücken wie „A-Punk“ (vom Debüt) schielt: „Everybody wants you but baby you are mine“. Ansonsten sucht man die bisherigen Trademarks von Vampire Weekend – diese hibbelige Indierockspielart, die sich ohne Rücksicht auf Ideenklauvorwürfe um afrikanisch geprägten Ethnopop schlang, wie man sie in der Vergangenheit etwa von Paul Simons „Graceland“ oder Peter Gabriels „Real World“-Label kannte – auf „Modern Vampires…“ vergebens. Dafür findet der Hörer jede Menge Tiefe, jede Menge Liebe zum Detail, jede Menge Storytelling. Denn Koenig und Co. haben als New Yorker durchaus einiges zu erzählen! Wenn es etwa in „Finger Back“ heißt „See you next year in Jerusalem“, so ist keinesfalls die Metropole der drei Weltreligionen gemeint, sondern der Falafel-Laden gleichen Namens am Broadway zwischen 103rd und 104th Street, welchen Koenig während seiner Studienzeit an der Columbia University oft besuchte, und in dem er einst beobachten konnte, wie sich ein jüdisch-orthodoxes Mädchen in einen der – mutmaßlich muslimischen – Jungs hinterm Tresen verliebte – „Romeo und Julia“ nach Art des Melting Pots, quasi. Der Choral „Hudson“ erinnert an Henry Hudson, den Entdecker des Hudson Rivers, „Hannah Hunt“ ist eine berührende, bittersüße moderne Renegaten-Ballade. Und an allen lyrischen Ecken und Enden quellen religiöse Verweise hervor, trifft der Okzident auf den Orient – und die Jugend, hin und her gerissen zwischen alten Traditionen und den neuen, schnelllebigen Zeiten, steckt mittendrin, und will doch dabei einfach nur eines: das Heute genießen, leben – und nicht an morgen denken müssen. „Wisdom’s a gift but you’d trade it for youth“ wie es etwa altklug in „Step“ heißt, oder „Nobody knows what the future holds / Said it’s bad enough just getting old / Live my life, they say it’s too fast / You know I love the past, ‚cause I hate suspense“ in „Diane Young“ – süße Versprechen von Tagträumen in Ewigkeit, so kitschig wie schön. Vampire Weekend, die sich bisher scherzhaft als das „Upper West Side Soweto“ bezeichneten, plündern diesmal munter die popkulturelle Schatztruhe der USA und Großbritanniens, entleihen ebenso bei Buddy Holly, Elvis Costello („Finger Back“) oder U2 (Wer bitte muss beim Schlagzeug-Intro nicht an „Sunday Bloody Sunday“ denken?) wie beim Westküsten-HipHop („Step“ – selbstverständlich nach milchgesichtig weißer Machart!), bei R’n’B („Everlasting Arms“) wie beim Gospel („Worship You“). Alles müdet in der lieblichen Coda „Young Lion“: „You take your time, young lion“ – ein Verweilen im Moment lohnt sich. Ein Innehalten in dieser Stadt, dessen Pulsschlag Geschichte schreibt, Geschichte lebt und Geschichte ist.
„Modern Vampires Of The City“ bildet am Ende eine nahezu perfekte Symbiose mit dem Vintage-Coverfoto des „New York Times“-Fotografen Neal Boenzi, denn auch die zwölf aktuellen Songs von Vampire Weekend wirken wie in einen mystischen Klangteppich aus Smog und tausend Referenzen gewebt. Dazu sieht man vor dem geistigen Auge tausende Menschen in ihrer alltäglichen Gleichsamkeit vorbei huschen, sich streiten, sich lieben, gemeinsam schweigen und leben – eben wie in einem ganz in Schwarz-weiß gehaltenem Film des wohl größten Zelluloid-New Yorkers: Woody Allen. Die Band nutzt dabei ihre wohl größten biografischen Faustpfand gewinnbringend: ihre eigene Melting Pot-Herkunft, denn Koenig ist jüdischer Herkunft, Batmanglij Iraner, Baio hat irisch-italienische Wurzeln und Tomson ukrainische. Daraus schaffen sie auf dem selbstbeschriebenen Abschluss ihrer „New Yorker Album-Trilogie“ eine Mischung, die zwar im ersten Moment deutlich reduzierter als noch die Vorgänger daher kommt, am Ende jedoch zum ersten Mal das Versprechen auf mehr Nachhaltigkeit einlöst. Auf „Modern Vampires Of The City“ zapfen Vampire Weekend die geschichtsträchtigen Lebensadern ihrer Heimatstadt an. Und liefern eines der wohl besten, schönsten und vielschichtigsten All-New York-Alben dieses Jahres ab.
Hier gibt’s die Videos zu „Diane Young“…
…“Ya Hey“ (nein, keine Angst, hier läuft kein Outkast-Song rückwärts!)…
…und „Step“ (meinem persönlichen Album-Highlight!), welche den Stücken eine gewinnbringende optische Komponente hinzufügen:
Rock and Roll.
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