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Mein Senf: Auf sechs Beinen zur WM…


Foto: NDR / Extra 3

Foto: NDR / Extra 3

Zugegeben: Ein wenig profan wirkt es eingangs schon, wenn das NDR-Satiremagazin „Extra 3“ ausgerechnet den Fussball, zumindest Samstags und alle zwei Jahre für einen Monat im Jahr die schönste Nebensache in der Alltagswelt des „kleinen Mannes“, als Belegbeispiel für die möglichen Folgen des schweizerischen Vetos gegen die befürchtete Massenzuwanderung ins Feld führt. „Hätten die Schweizer schon früher gegen Masseneinwanderung entschieden, müssten sie zu dritt zur WM“, dazu ein Mannschaftsbild der eidgenössischen „Nati“, bei welcher nach Abzug aller Nationalspieler mit Migrationshintergrund laut „Extra 3“ – eben! – nur noch drei Startelfspieler übrig bleiben. Freilich mag das ein wenig überspitzt daher kommen (was ja an sich auch dem Sinn einer Satire entgegen kommt), bleiben doch bekannte schweizer Nationalspieler wie Yann Sommer oder Marco Streller für diesen Moment außen vor. Es wären aber – und auch das macht „Extra 3“ mal eben durch eine Aufzählung deutlich – bei einer historischen Vorverlegung des kürzlich denkbar knapp ausgefallenen Bevölkerungsvotums (ganze 50,3 Prozent stimmten am Ende für die Abschottungsinitiative der national-konservativen SVP) folgende Spieler-Eckpfeiler der erfolgreichen zehnten WM-Qualifikation „nicht mehr im Kader: Gökhan Inler (Eltern aus Türkei eingewandert), Blerim Dzemaili (geboren in Mazedonien), Tranquillo Barnetta (Eltern aus Italien eingewandert), Granit Xhaka (Eltern aus Kosovo eingewandert), Xherdan Shaqiri (geboren in Jugoslawien), Diego Benaglio (Eltern aus Italien eingewandert), Haris Seferovic (Eltern aus Bosnien eingewandert), Pajtim Kasami (geboren in Mazedonien)“. Und der „Nati“-Trainer, Ottmar Hitzfeld? Klar, ihn kennt man hierzulande als denjenigen, der sowohl Borussia Dortmund als auch die Münchner Bayern zu Meisterschafts- und Champions League-Titeln führte, denn der 65-Jährige ist gebürtiger Baden-Württemberger (und wäre somit ebenfalls aus dem schweizer Spiel). Und obwohl es in der Tat jederzeit wichtigere, dringendere Probleme gäbe als die die Massen elektrisierende Jagd nach dem runden Leder, so wird die – noch einmal: bewusst satirisch überspitzt dargestellte! – Botschaft dennoch deutlich: Die Schweiz ist nicht irgendein Land. Natürlich könnte man nun wieder im Urschleim rühren, könnte hinlänglich bekannte Kamellen von Uhrwerken, Käsefondue und „Schoggi“, von Bergpostkartenpanoramaketten und vom Bankgeheimnis, von sauberen Straßen, scheinbar sonderbaren Mundarten und gemächlichen Arbeitsprozessen ins Feld führen – nicht nur jüngste prominente Beispiele wie Uli Hoeness oder Alice Schwarzer brachten ihre Schwarzgeldkröten keinesfalls zufällig im (scheinbar) verschwiegensten Land der Welt unter, und auch Namen wie René „DJ Bobo“ Baumann, Josef Ackermann oder Jörg Kachelmann „verdanken“ wir den Eidgenossen. Nein, hier sind einmal ganz andere Eckdaten wichtig…

Zuerst einmal liegt der Verdacht nahe, dass unsere eidgenössischen Nachbarn Angst vor Überfremdung, vor einem schwelenden Identitätsverlust und vor dem sprichwörtlichen „Fall vom hohen Ross“ haben. Sicher, das alles liest sich wohlmöglich im ersten Moment hart. Man darf jedoch keinesfalls außer Acht lassen, dass der Ausländeranteil (dabei stellen wir Deutsche hier die größte „Minderheit“) fast dreimal so hoch ist wie der der Bundesrepublik, während nach sich in der weltweiten Auflistung der BIP-Länder – und das ist für ein so kleines Land mit gerade einmal acht Millionen Einwohnern schon recht respektabel – knapp in den Top 20 plazieren konnte. Wer nun das Ergebnis dieser Bevölkerungsabstimmung verteufelt, der Schweiz Blauäugigkeit, Fremdenhass, Einzelgängertum oder Undankbarkeit unterstellen mag, der sollte ebenso bedenken, dass er damit gleichsam eben jenen Ruf nach direkter Demokratie, nach direkter Einflussnahme der Bevölkerung ins nationale wie internationale Geschehen infrage stellt, nachdem er wohl kürzlich erst wieder laustark gerufen hatte, immerhin spiegelt dieser Beinahe-Fifty/Fifty-Patt nicht die über den Kopf hinweg getroffene Entscheidung irgendwelcher delegierten Politiker wider, sondern zumindest ebenjener Eidgenossen, die sich zum Zwecke der Entscheidung zur Urne begeben hatten (außerdem darf das Gedankenspiel erlaubt sein, wie denn die deutsche Bevölkerung in dieser Frage für sich entschieden hätte). Plus: In Deutschland gibt es seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts längst ähnliche Richtlinien zur Einwanderungsbeschränkung (damals musste man eine gewisse Reißleine ziehen, um den anhaltenden Gastarbeiterströmen der Sechziger entgegenzuwirken). Nur wird hier eben wieder einmal die eh bereits historisch herausgebildete Sonderrolle der sich beständig außen vor haltenden Schweiz deutlich, bei der die Grenzbäume – als Nicht-EU-Land – seit jeher ein wenig schlossener und tiefer hingen als in deren Nachbarstaaten. Und: Wer könnte – unter sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, Ethik und Moral finden bitteschön im Privaten statt! – einem Land verdenken, dass es bei jenen, die dauerhaft in dessen Inneren leben und arbeiten wollen, gern zweimal hinschaut (ehrlich zugegeben ist man selbst ja kaum anders). Denn es ist keineswegs so, dass nun Hals über Kopf alle nicht auf schweizer Norm geeichten Nicht-Eidgenossen des Landes verwiesen werden, braune Stürme übers weiße Kreuz auf rotem Grund hereinbrechen und Heerschaaren nun mit Mistgabeln und Fonduefackeln auf Ausländerhatz gehen. Nein, lediglich 50,3 Prozent der abstimmungswilligen Bürger votierten dafür, zukünftig gern genauer bei der Zuwanderung hinschauen zu wollen. Die Essenz liegt wohl irgendwo in der Mitte der beiden gleichsam platten wie trefflichen Parolen „Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt“ und „Man mag ja Fremde, solange sie Fremde bleiben“ (jeder darf selbst entscheiden, welcher Losung er näher steht). Auch darf man schon ein klein wenig den Kopf schütteln über „diese Schweizer“ (beziehungsweise theoretische 50,3 Prozent von ihnen), die in Zeiten der Globalisierung tatsächlich den Versuch des (gefühlt) abgeschotteten Alleingangs wagen wollen. Ob diese Entscheidung nun – im großen Rahmen – falsch oder richtig war – das werden Zukunft und Zahlen unter Beweis zu stellen wissen. Wohlmöglich geben hier für den Moment  die immergleichen paar (Doppel)Moralapostel die Feierabendhobbyköche und bringen Suppe mit Geschmäckle auf den Tisch, die am Ende längst nicht so heiß gegessen wird. Und schlimmstenfalls fliegt die „Nati“ im Juni eben auf sechs Beinen zur Fussballweltmeisterschaft nach Brasilien…

 

Wer mehr Informationen zum schweizer Votum, die Hintergründe und dessen möglichen Folgen benötigt, der findet all das – und genau im richtigen Maße komplex aufgereitet, wie ich finde – in diesem Spiegel-Artikel sowie diesem Kommentar (ebenfalls vom Spiegel) zum Thema.

 

 

Rock and Roll.

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