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Song des Tages: EAST – „Through The Smoke“


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Leser dieses Blogs, die über ein gutes Langzeitgedächtnis verfügen (oder mal eben die Suchfunktion weiter unten nutzen), wissen es wohl längst: Mit der zu Teilen aus Trier und Berlin stammenden Band East hat der Projektleiter von Tigeryouth, Tilman Benning, so ganz nebenbei noch eine waschecht-lupenreine Emo-Truppe am Start. Nach ein paar Jährchen des mal mehr, mal weniger häufigen Probens und Tüftelns hat das Quintett im Januar endlich ihr Debüt-Album „In An Instant“ auf die wartende Hörerschaft losgelassen. Kaum verwunderlich, dass die zehn Songs, welche sich stilistisch nah an den 2017 veröffentlichten „Bendorf-Live-Sessions“ orientieren, fast durchgehend live eingespielt wurden und – nebst den Fäusten – auch den DIY-Gedanken hoch oben halten…

4059251388074Klar, „Emo“ ist seit den Anfangstagen Mitte der Achtziger, als sich der Musikstil aus der sogenannten Washington D.C.-Hardcore-Punk-„Schule“ mit so wichtigen Wegbereiter-Bands wie Rites Of Spring oder Fugazi herausbildete, im Laufe der Jahre durch so einige an der Oberfläche kratzende Klischees wie Seitenscheitel, übermäßigen Kajalstift-Gebrauch oder weinerliche Selbstkasteiung zu einem grotesken modischen Witz fernab seiner Ursprünge verkommen. Dass es Ende der Neunziger sowie Anfang der Nullerjahre aber eine großartige Emo-Szene gab, die vor allem mit aus den US of A kommenden Bands wie The Get Up Kids, Texas Is The Reason, The Promise Ring, Sunny Day Real Estate oder Thursday für Aufsehen sorgte, gerät dabei schnell in Vergessenheit.

East schaffen nun, zwei Jahrzehnte später, das Kunststück, Songs zu schreiben, die an ebenjene Glanzzeit erinnern und trotz ihrem klar der Nostalgie verpflichteten Soundgewand genug Eigenständigkeit transportieren, um nicht als aus der Zeit gefallene Tribut-Band wahrgenommen zu werden. Die zehn Songs wollen entdeckt werden, wollen sich im Gemüt breit machen und Gefühle provozieren. Melancholie und Nachdenklichkeit, aber auch Euphorie und Hoffnung schwingen dabei in den Kompositionen mit. Das Ganze wird von Tilman und Co. mit warm flirrende Gitarren und einer ehrlich empfundenen Zerbrechlichkeit vorgetragen, die freilich ab und an an Bands wie The Get Up Kids, American Football oder Hot Water Music (oder meinetwegen auch an deutsche Vertreter wie Pale und Sometree) erinnern mag, in jedem Fall jedoch literweise Herzblut in sich trägt. Und trotzdem werden teils wuchtige Instrumental-Augenblicke erschaffen, die wohl so ziemlich jeden, der einen Meilenstein wie „False Cathedrals“ von Elliott im Plattenregal stehen hat oder auch wegbereitende Trauerkloß-Alben von Mineral und Chamberlain oder den Labelkatalog von Deep Elm Records bestens kennt, mit ein paar seligen Tränchen im Augenwinkel zurücklassen. Man fühlt sich an die Wand gedrückt, wird aber durch die akzentuierten Melodien befreit. Kein Zweifel: Da musiziert eine Band, die merklich Bock auf einige Momente des Jugend-Revivals hat. Die  nicht vergessen hat, dass dynamisches Songwriting das A und O für eine – bei aller gewürzten Kürze – unterhaltsame Platte ist. Die ruhige Parts sparsam dosiert, damit sich all die dezent post-rockigen Ausbrüche, all die rauen, dissonanten Momente in Schönheit entfalten können. Natürlich mag „In An Instant“ mit all seinen Trademarks kein Album für jedermann sein, jedoch haben East ein Respekt zollendes Werk geschrieben, welches dennoch ganz im Hier und Jetzt zuhause ist und sich referenziell sowie in tiefer Verbeugung an einem recht klischeefreien Emo-Sound bedient, der damals so viele Menschen inspiriert hat. So gesehen (und für mich): Eine spannende Reise in die eigene musikalische Vergangenheit… *hach*

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Zum dieser Tage veröffentlichten Musikvideo zum Song „Through The Smoke“ meinen East: „Eine kleine Erinnerung an eine Zeit, wo wir noch zu 11 im Kreis stehen konnten, wo die Clubs noch offen waren, wo wir noch zusammen Musik machen durften. Crazy!“

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Jawknee Music – „California’s Call“


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In den musikalischen Gefilden der Singer/Songwriter wiegt das Herz bekanntlich beinahe schon naturgemäß schwer. Die Themen, die in den Tönen der persönlichen Entfaltung transportiert werden, beleuchten in der Hauptsache die melancholischen Seiten des Seins. Dazu passt das klassische Konstrukt des Musikers (oder eben der Musikerin) mit Akustikgitarre. Dass Johannes Steffen alias Jawknee Music auf seinem dritten, programmatisch „Heavy Heart“ betiteltem Album von dieser Maßgabe abweicht, mag zunächst überraschen. Doch der Trierer, der auch bei A Hurricane’s Revenge am Mikro steht und bei Matches am Schlagzeug Platz nimmt, zelebriert auf dem Nachfolger zum 2015er Werk „Backgrounds“ den formalen Ausbruch nicht als grundlegenden Stilwandel, sondern nutzt die Erweiterung zum Bandkonstrukt zur homogenen Anreicherung seines Karohemd-Oeuvres.

4251443500787Das verbundene Plus an Volumen unterstreicht bereits die kritisch gegen die Scheinwelt der Influencer in den sozialen WiWaWorldWideWeb-Netzwerken austeilende Vorab-Single „California’s Call“, zugleich der Opener der Platte. Melodisch luftig, mit zart poppigen Tendenzen und doch angenehm auf das Wesentliche reduziert, gibt der Startschuss die Richtung für die folgenden neun Stücke vor. Die geben sich mal dynamischer und mal rockiger („Sorrows“, „Down The Drain“), halten daneben aber in vornehmlich zurückhaltender Manier immer wieder inne (die feine, warmherzige Folk-Ballade „Through The Eyes Of A Child“, „Don’t Give Up On Us“). Beim Refrain von „Kings For A Day“ kommen überdies alternativ-rockige Elemente zum Tragen. Dabei beschreitet „Heavy Heart“ zwischen Indie-PopRock und Americana-Anklängen, für die gut und gern Bands wie The Hold Steady, der Solokram von The Gaslight Anthem-Fronter Brian Fallon oder die selbstschreibende Einzigartigkeit vom „Boss“ Bruce Springsteen als Inspirationen herhalten dürfen, Wege, die gern mit mehr Ecken und Kanten serviert werden dürften. Spektakulär ist das Album damit keineswegs. Aber das musikalisch raubardige Heartland-Herz wiegt in Summe auch diesmal auf dieser Musik gewordenen Halbstunden-Roadtrip-Reise mit vielen Tagträumen und Sehnsuchtsorten hörenswert schwer…

 

Folgendes mag einem bei „California’s Call“ und seinem Musikvideo durch die Synapsen schießen: Der laute, schrille Ruf aus der schönen (Schein)Welt der Beauty-Queens und Influencer, der sich tief ins Mark der Teenies bohrt, der Perfektion vorgaukelt, wo Selbstzweifel herrschen – und bei den Heranwachsenden Gräben der Unsicherheit so tief wie das Death Valley hinterlässt. Es ist schwer, man selbst zu sein und zu verstehen was wirklich zählt, wenn Selbst-Optimierung und die ständige Suche nach der vermeintlich besten Version seines Selbst alles sind, was zu zählen scheint… „Go with the flow, don’t stay behind!” – Höchste Zeit, dem Fake den Mittefinger zu zeigen und seinen eigenen Weg zu gehen! Amen.

 

–Jawknee Music live auf Tour–

19.02. Zürich – Hafenkneipe
20.02. Stuttgart – Juha West
21.02. Trier – Mergener
22.02. Bochum – Trompete
23.02. Hamburg – Astra Stube Musikkultur e.V.
26.02. Frankfurt – Nachtleben
27.02. Hannover – LUX
28.02. Berlin – Cassiopeia
29.02. Mönchengladbach – Astoria

 

Rock and Roll.

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Sunday Listen: East


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Was macht eigentlich der Tigeryouth-Tilman, wenn er gerade mal nicht kreuz und quer durch die Bundesrepublik düst, um hier einen Indieclub, da ein AJZ mit akustischem Singer/Songwriter-Punkrock zu bespielen und das anwesende Publikum mit seiner Reibeisen-Stimme in seinen Bann zu ziehen?

Wahrscheinlich die Stimmbänder ölen. Und sich mit ein paar Kumpels zu einer gemeinsamen Band zusammenzutun, denn auf Dauer wird es selbst auf der kleinsten AJZ-Bühne der Nation irgendwann langweilig…

Wohl aus diesem Grund sind irgendwann in den letzten Jahren East entstanden. Vielmehr jedoch als die Vorliebe für winzige Indieclub-Bühnen eint Tilman Benning und seine Mitstreiter Mertes, Pauly, Wondra und Kansy die gemeinsame Liebe zum guten alten Neunziger-Emo-Rock. Nee, nicht zu dem, was sich aus dem Genre über die Jahre, -und durch Comic-Abziehbildchen á la My Chemical Romance, Fall Out Boy, Panic! At The Disco und Co. – daraus entwickelt hat. Man denke eher an Bands wie Sunny Day Real Estate, Jawbreaker, The Promise Ring, Texas Is The Reason, The Get Up Kids oder Mineral. An teilweise schroff und indie und mit wenig Mastering aufgenommene Alben, die juvenilen Weltschmerz zu lauten Schrammelgitarren, rumpeligem Schlagzeug und tief tönendem Bass direkt in die eigene Kopfhörerwelt transportieren. An Gefühl statt Kajal und Attitüde. Nostalgie? Sicher, jedoch auf die gute Art und Weise. Oder wie es East – leicht pathetisch, dezent überhöht – selbst ausdrücken:

„East kommen aus Trier und Berlin und machen Emo. Und zwar die Sorte, die Anfang der Nullerjahre dem Punk entwuchs und Befindlichkeiten zum Gegenstand ungeschliffener Rocksongs machte. Bevor der Begriff zwischen scheiteltragenden Modepuppen und testosterongeschwängertem Griffbrettgewichse zur Realsatire mutierte. Man fühlt sich beim Hören dann auch nicht zufällig an die Helden jener Tage erinnert. Da trifft die Wucht von Hot Water Music auf die Sprödigkeit der Get Up Kids, während die durch unzählige Touren seines Soloprojekts Tigeryouth geschulte und gewetzte Stimme von Sänger Tilman gekonnt zwischen der Eindringlichkeit eines Brian Fallon von The Gaslight Anthem und der Zerbrechlichkeit Taking Back Sundays zu oszillieren scheint. Dabei sind East weit davon entfernt in der Nostalgie vergangener Tage zu verharren. Stattdessen machen sie klar, dass das letzte Jahrzehnt Gitarrenmusik nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen ist. Ausgefuchstes Songwriting, verflochtene Gitarrenriffs und treibender Rhythmus atmen Progressive Rock genauso wie Indie. Damit zeigen East, dass Emo auch im Jahre 2016 weit davon entfernt ist, tot zu sein.“

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Die ersten drei Songs der im Januar veröffentlichten Demo-Aufnahmen kann man bereits via Bandcamp hören. Ein Schelm, der dem Tigeryouth-Tilman sein mit breitem deutschen Akzent durch die Kehle gepresstes Englisch zur Last legen würde…

Edith: Leider hat die Band ebenjene Demo-Songs mittlerweile wieder offline genommen. Schade? Jupp. Aber auch kein Problem, denn Tilman und Co. haben stattdessen via Bandcamp die ganze fünf Stücke starken „Bendorf Live Sessions“, welche im November 2017 im Soundrange Tonstudio Bendorf aufgenommen wurden, zum Stream und Oldschool- (Compact Disc) und Newschool-Kauf (Download) online gestellt:

 

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Love A – „Nichts ist leicht“


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Fotos: Andreas Hornoff Fotografie / Promo

„Zu poppig für die Punker, zu punkig für die Indiedisko, aber trotzdem ganz gut“ – so beschrieb Bassist Dominik Mercier einst den Sound der Band, die sich 2010 als Love Academy gründete. Der Bandname wurde jedoch wegen „markenrechtlicher Bedenken“ noch vor Veröffentlichung des ersten Albums „Eigentlich“ (2011) in Love A abgekürzt. Seit ihrem Erstling ist der Trierer Vierer beim Hamburger Indie-Label Rookie Records unter Vertrag, das unter anderem auch Bands wie Pascow, Keele, Koeter, Die Aeronauten oder Schreng Schreng & La La, seines Zeichens das zwar musikalisch ruhigere (da vornehmlich auf Akustikgitarre schrammelnd), jedoch kaum angepisstere Nebenprojekt von Love-A-Frontmann Jörkk Mechenbier, eine Veröffentlichungsheimat bietet.

In der Folgezeit produzierten Jörkk Mechenbier (Gesang), Stefan Weyer (Gitarre), Dominik Mercier (Bass) und Karl Brausch (Schlagzeug) mit „Irgendwie“ (2013) und „Jagd und Hund„, welches sich völlig zu recht in ANEWFRIENDs 2015er Jahres-Bestenliste wiederfand, zwei weitere Alben und waren auch für Kollaborationen mit befreundeten Bands immer wieder gern zu haben. So entstanden etwa zwei Split-Singles mit Frau Potz und Koeter sowie ein Song mit den Flensburger Grummel-Punkern von Turbostaat. Und; Ja, gerade letztere Band kann getrost man als Love As grimmige „Brüder im Geiste“ bezeichnen und wird gerne als Vergleich herangezogen, wenn es um den mal zackigen, mal schroff-stürmischen, aber immer angepisst und aus Gründen unzufriedenen Sound von Love A geht. Die Texte wiederum stammen seit Jahr und Tag aus der Feder von Sänger Jörkk Mechenbier, geraten nicht selten wütend bis zynisch und legen gefühlt gleich mehrere salzgetränkte Finger in so ziemlich alle Wunden der Gesellschaft. Und für all jene, die nicht fühlen können, bleibt das Hören, denn Mechenbiers unverkennbare und fordernde Sprechsing-Stimme unterstreicht das noch zusätzlich.

love-a-nichts-ist-neuMit Sachen wie Altersmilde oder Gesetztheit mag es zwar herzlich wenig zu tun haben (so etwas wird bei den vier (Exil-)Trierern wohl nie einsetzen), jedoch springen die zwölf Stücke des im Mai erschienenen neuen, vierten Love-A-Albums „Nichts ist neu(sic!) dem Hörer zwar noch immer lauthals geifernd um die Ohren, haben einen guten Teil des bewussten Ätzens, welches anno 2011 auf dem Debüt noch Gang und Gebe war, eingebüsst. Schlimm? Nope. Stattdessen poltern diesmal Anklänge an Postpunk und New Wave durch die Songs, auf deren noch immer düstere Grundstimmung selbst Ian Curtis oder Peter Hook mit von Stolz geschwellter Brust und von Seelenpein gebücktem Rücken durchs englische Manchester-Grau-Grau getrottet wären. Und der Pop wird von Love A auf „Nichts ist neu“ freilich noch immer fies polternd auf linke Punkerherz gezogen. Tristesse royale – auch 2017 stellen sich Jörkk Mechenbier und Co. als persönlich-musikalische Antithese zum „Wir schaffen das!“-Palaver von Mutti Merkel oder der selbstgerechten Wutbürgerei von Petry, Gauland, von Storch, Höcke und Konsorten auf die Indieclubbühnen der Bundesrepublik. Gesellschaftliche Veränderung? Schön wär’s…

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Die erste, bereits im Februar erschienene Single „Nichts ist leicht“ kam dann jedoch mit einem Musikvideo daher, dass den Zuschauer/Zuhörer an einen Ort mitnimmt, welcher kaum ferner von all dem gesellschaftlichen Irrsinn, der in so ziemlich jedem Love-A-Song das Topos bildet, entfernt sein könnte: in die schwedische Finmark, also mitten in die Natur.

Es erzählt die Geschichte eines jungen Husky-Trainers. Sein Name ist Espen Falter, er ist dreizehn Jahre alt und er hat das Training von seinem Vater Stefan übernommen, der schwer verletzt wurde, als das Haus seiner Familie in Brand geriet. Stefan musste in ein künstliches Koma versetzt werden. Love A dazu: „In der Zwischenzeit organisierten seine Lebensgefährtin Helena und Espen Freunde, die sich um die Hunde kümmerten. Während sich Stefan langsam ins Leben zurück kämpfte, übernahm Espen das Training der Huskys. Mittlerweile leben sie in einem neuen Haus, mitten in der Natur, mit neun ausgewachsenen Schlittenhunden und über einem Dutzend Welpen. Sie trainieren die Tiere jetzt gemeinsam.“ Falls ihr mehr über die Protagonisten des Videos wissen wollt: Hier entlang, bitte.

 

 

„Ich hab’s versucht
Ja, beinahe jeden Tag
Aber es will mir nicht gelingen
Ich kann nicht sein wer ich bin
Weil ich weiß was ich weiß
Und ich weiß, das muss seltsam klingen

Aber es ändert sich so gar nichts
Und es macht alles keinen Sinn
Und ich änder‘ mich so gar nicht
Weil das überhaupt nichts bringt

Wär so gerne wie die Anderen
Die, die scheinbar funktionieren
Aber anstatt die Nerven zu behalten
Bin ich kurz vorm Explodieren

Nichts ist leicht
Nein, das hab‘ ich nie gesagt
Aber es häufen sich die Dinge, die mich komplett zerstören
Weil ich bin wer ich bin
Und ich weiß das muss abartig klingen

Aber es ändert sich so gar nichts
Und es macht alles keinen Sinn
Und ich änder‘ mich so gar nicht
Weil das überhaupt nichts bringt

Überhaupt nichts bringt…“

 

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Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Love A – Jagd und Hund (2015)

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Ja, wer wird denn gleich patzig werden? Eines steht fest: Frontmann Jörkk Mechenbier und seine drei Bandkumpane von Love A sind angepisst. Aus Gründen.

Dabei war der Trierer Post-Punk-Vierer ja noch nie für sonderlich charmante Stimmungsmelodien bekannt. Schon die ersten beiden Platten der Band, „Eigentlich“ und „Irgendwie“ (2011 beziehungsweise 2013 erschienen), waren bellender Punk, dezent unterproduziert und konzipiert fürs Rangeln bei Dosenbier und miesepetriger Laune. Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch: Turbostaat, …But Alive, Pascow, Feine Sahne Fischfilet, Muff Potter. Und doch ist das dritte Album „Jagd und Hund“ anders. Nicht, weil Love A zum ersten Mal bei der Titelwahl fremd gehen (sonst hätte das Werk wohl „Wahrscheinlich“ oder „Irgendwo“ geheißen), sondern weil sie 2015 konkreter, pointierter, versierter zu Werke gehen als noch 2013. Und sogar: poppiger. Ist das eigentlich noch Punk?

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Davon wird die Band selbst wohl am wenigsten wissen wollen. Schon im ersten Stück „Lose Your Illusion“ (Mechenbier singsprecht auf deutsch, nicht vom tollen Titel täuschen lassen!) wird ein leichter musikalischer Richtungswechsel im Vergleich zu den vergangenen zwei Alben deutlich. Anno 2015 verlegen sich Love A vom rumpeligen DIY-Punk auf kühle Post-Punk-Gitarren, welche manchmal konzentriert am Achtziger-New-Wave kratzen. Viel mehr beeindrucken jedoch die Texte: „Die Bekannte eines Bruders legte Tabletten auf den Tisch / Doch die halfen nicht an jedem Tag / Erst blieben Fragen, dann blieb nichts / Ich hab, wenn’s hart auf hart kam, auch mal was genommen / Hart kam auf hart / Und die Tabletten wurde rar“ – starker Tobak schon nach wenigen Minuten. Sogar noch schärfer geht es in „Trümmer“ weiter. Zu zackigen Gitarren zerschlägt Mechenbier die heil(ig)e Neue Digitalwelt: „Einsen und Nullen können machen, dass dein Leben schlechter oder besser wird / Wir können einsteigen / Wir können es auch lassen / Hauptsache alle schreien ‚Ja!‘ und sind verwirrt / Hauptsache alle schreien ‚Nein!‘ und sind verwirrt / Hauptsache alle schreien / Alles wurde schneller, und alles wurde mehr, und am neunten Tag erschlug Steve Jobs die Liebe“ – wahre Worte treffen in Sekundenbruchteilen auf gepflegten Pessimismus und kalte Konsumkritik. So setzt es sich fort, ob in „Toter Winkel“ mit seiner Gentrifizirungsantipathie, „Stagnation“ mit seinem erhobenen Stinkefinger hin zum saubermann’schen Herrn Otto Normal, „Augenringe“ mit seinem Arschtritt für alle Ja-Sager, „Modem“ mit seinem Abgesang an die falschen Versprechungen des weltweiten Netzes, oder der hysterischen Hipster-Ohrfeige „Der beste Club der Welt“ („Weil dein Verstand komplett im Arsch ist / Glaubst du an Gott und wahrscheinlich sogar an das System / Weil dein Verstand komplett im Arsch ist / Kaufst du Neues, Altes… Scheiß /…/ Auf meiner Jutetasche steht: ‚Verpiss dich, Adolf!‘ / Und auf deiner? ‚Hey ho, let’s go!'“). Dabei erinnern Love A nicht selten an die oben genannten Bands, führen bestenfalls sogar die Tradition der seligen …But Alive fort, die sich in den Neunzigern wie wohl kaum eine andere Punk(rock)band darauf verstanden, Haltung, Musik und Text beeindruckend zu bündeln (bevor Frontmann Marcus Wiebusch mit seiner „neuen“ Band Kettcar ein gutes Stückweit Richtung Indierock und Pop rückte). Und, klar: freilich ist bei Mechenbiers Singsprechbellen auch Turbostaat-Fronter Jan Windmeier nicht fern. Neu ist, dass Love A ihre kritischen Botschaften mit mehr Verstand, mit mehr Struktur, mit mehr – aufgepasst, böses Wort! – Pop an den potentiellen Hörer bringen. So klingen Stücke wie die tolle Single „100.000 Stühle leer“ („Wenn man sie kennt, kann man getrost die Regeln brechen / Weil die meisten doof sind, fällt’s uns gar nicht schwer / Nur wer mal aufgestanden ist, der darf sich setzen / Und darum bleiben hier so viele Stühle leer“) oder „Regen auf Rügen“ eher nach Jupiter Jones (in den seligen Anfangstagen) oder Herrenmagazin. Und: neben dem Bonnie&Clyde-Verschnitt „Kein Stück“ haben Love A mit „Ein Gebet“ sogar eine Art Liebeslied mit aufs Album gepackt. Dass dieses in Zeiten, wo jeder Zweite österreichische Bands wie Wanda oder Bilderbuch grenzdebil abfeiert, ausgerechnet dem schönen Wien gewidmet ist, hat dabei Ironie intus, als einem lieb sein kann. Ebenso wie das Finale in „Brennt alles nieder“, als die Band ganz brav im Chor fordert: „Brennt alles nieder / Fickt das System!“. Man mag der Aufforderung beinahe Folge leisten…

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Klar: keine der knapp 40 Minuten von „Jagd und Hund“ ist wahnsinnig innovativ, im rein musikalischen Sinne. Dafür bündeln Love A ihre Kräfte in Zeiten, in denen sich artverwandte Bands wie Feine Sahne Fischfilet offen mit dem deutschen Verfassungsschutz anlegen, während anderswo Millionen zu Schlagermelodien schunkeln. Und wieder anderswo ganze Gesellschaftssysteme Stück für Stück auseinander bröckeln, währenddessen Menschen im Mittelmeer ertrinken, die falsche Träume von einem besseren, gerechteren Leben nicht losgelassen haben. Gerade deshalb kann es kein besseres Hier und Jetzt für „Jagd und Hund“, welches bereits im März erschien, geben. Auch und gerade in einem Jahr, zu dessen Anfang bereits Adam Angst hervorragend bewiesen haben, wie zeitgeistige Gesellschaftsschelte im besten Sinne funktionieren kann. Denn wer angepisst ist, der sollte auch etwas zu sagen haben. Und das ist bei Love A definitiv der Fall. Ist das noch Punk? Who cares… So vieles läuft gewaltig falsch in diesem Land, ja: in dieser Welt. Love A geben einen Scheiß auf die Antworten, servieren uns dafür eine Menge Fragen und Denkanstöße. Die verdienten Schläge in die Magengrube gibt’s miesepetrig obendrauf.

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Hier kann man sich das Musikvideo zur Single „100.000 Stühle leer“ zu Gemüte führen…

 

Rock and Roll.

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