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Das Album der Woche


 Foals – Holy Fire (2013)

Foals - Holy Fire (Cover)-erschienen bei Warner Music-

Man stelle sich bitte einmal folgende Szene vor dem geistigen Auge vor: da steht der Wahl-Engländer Herbert Grönemeyer als Gastdozent vor den studentischen Reihen der Oxford University, Kurs „Musiktheorie“, und gibt seine Losung in feinstem Ruhrpott-Schnodderdeutsch zum Besten: „Stillstand ist der Tod / Geh‘ voran, bleibt alles anders“. Das in Oxford heimische Foals-Quintett aus Yannis Philippakis (Gesang, Gitarre), Jimmy Smith (Gitarre, Keyboard), Walter Gervers (Bass), Jack Bevan (Schlagzeug) und Edwin Congreave (Keyboard) sitzt begehrlich lauschend in der ersten Reihe, notiert Zeile um Zeile mit Graphitgriffel auf ihre Collegeblöcke und setzt die Losung alsbald in die Tat um. Denn tatsächlich lässt sich seit ihrem 2008 erschienenen Debüt „Antidotes“ kaum eine Wiederholung feststellen. Waren es anfangs noch die tendenziell hypernervösen NuRave-PostPunk-AftroBeat-Knaller wie „Mathletics“ oder „Hummer“, die Kritiker schier ausflippen ließen und nicht wenige mehr oder minder intellektuelle Indieanistas auf die Tanzflächen unterhalb der speckig-abgeranzten Diskokugeln zogen, erhoben die Foals bereits mit dem zwei Jahre darauf veröffentlichten Nachfolger „Total Life Forever“ süffisant einen Mittelfinger an die Erwartungshaltung und stellten ein Album in die Plattenläden, das keineswegs „nur“ mehr von diesen Rock tragenden Funk-Biestern lieferte, sondern weiter ausholte und reifere Tiefen ebenso zuließ wie clever austarierte Höhen, und mit dem Sieben-Minuten-Miniepos „Spanish Sahara“ mindestens einen dieser Songs, deren man wohl nie überdrüssig wird, in Petto hatte. Das Tolle: trotz aller Neuerungen, trotz allem Wachstum, trotz aller Steigerung behielten die Foals ein paar ihrer Trademarks bei… Nun, gerade genug, damit alle, die dem Vorgänger etwas abgewinnen konnten, sich in den neuen Songs ebenso wiederfanden. Zwei Top-Ten-Alben und einer Nominierung für den ehrwürdigen „Mercury Prize“ (für „Total Life Forever“) waren die Belohnung. Dass „Holy Fire„, das dritte Album der britischen Kritikerlieblinge, mit Vorschusslorbeeren bedacht werden würde, war abzusehen. Dass es diesen auch gerecht werden würde, stellte jedoch keine Selbstverständlichkeit dar…

Foals #1

Und doch muss man zugeben: Foals haben es wieder einmal geschafft. Ihre Trademarks – die leicht nervösen Rhythmen, die Frickelgitarren, Philippakis‘ hoher Gesang – wurden auch aufs neue Werk „gerettet“, ansonsten macht sich so einiges an bandeigener Innovation in den elf neuen Songs breit. Und als „Großes und Ganzes“ machen die auch noch Sinn! Es fängt bereits beim Opener „Prelude“ an, bei dem mit Knistern, Knacken und einem entfernten Dröhnen Frickelgitarre, Percussion, Keyboard und Schlagzeug ins Studio marschieren und sich die Band mit einem kleinen Jam warm spielt, und setzt sich mit dem ersten vorab veröffentlichten Song „Inhaler“ fort, der wie eine Walze aus Rockinstrumentarium plus Keyboard alle Kritik nach mehr Eingängigkeit gen Tanzschuppenboden drückt. „Sticks and stones don’t break my bones“, stellt Philippakis klar, und warnt vor: „I can’t get enough space“. Da will’s einer wissen! „You don’t have my number / We don’t need each other now / We don’t need the city / The creed or the culture now / ‚Cause I feel / I feel alive / I feel, I feel alive / I feel that the streets are all pulling me down“ – „My Number“ ist gleich darauf der eventuell poppigste, (im gängigen Sinne) tanzbarste Moment der Platte, und erinnert nicht nur einmal mit „Uh-hu“-Chören ohne fremde Scham an The Cures „The Lovecats„. Überhaupt: The Cure! Das Vermächtnis der großartigen Dunkel-Waver um Frontmann Robert Smith lässt sich auch auf „Holy Fire“ wieder aus jeder Ritze der Studiowände kratzen, denn nicht nur ein Mal lassen Melodiegespür sowie Keyboard- und Gitarrenlinien hier die klaren Vorbilder erkennen – was ja an sich nichts Schlechtes heißen mag… „Bad Habit“ besticht mit metallischer Percussion als ein sich im Refrain öffnender Song, ab dessen Mittelteil hymnische Gitarren die Führung übernehmen und Philippakis sich zur eignen Verletzlichkeit, aber auch innerer Stärke, bekennt: „I’ve made my mistakes / And I feel something’s changed / And I know what’s at stake / Wash the stains away /…/ And I feel quite okay“. In „Everytime“ fügen sich elektronische Elemente gekonnt in den Gesamtsound ein, während der Text einen zarten Anflug von emotionalem Eskapismus probt („Every time I see you I wanna sail away“). Das klare Herzstück auf „Holy Fire“ ist, ähnlich wie 2010 „Spanish Sahara“ auf dem Vorgänger „Total Life Forever“, zweifellos „Late Night“: „Oh, I hoped that you were somebody / Someone I could count / To pull me to my feet again / When I was in doubt / Oh now mama, do you hear me / Calling out your name? / Now I’m the last cowboy in this town / Empty veins and my plastic, broken crown“. Philippakis gibt den fragilen Bluesboy, während die Gitarre sich deep und soulful eingroovt, um dann mit der gesamten grandios aufspielenden Band und einer Horde an (Konserven?)Streichern zu Philippakis‘ Worten „Stay with me!“ den emotionalen Klimaxgipfel zu stürmen, dort weiter zu grooven und langsam – und noch immer höchst soulful – in einem Pianoakkord zu verklingen. „Out Of The Woods“, die wohl deutlichste 2013er Foals-Referenz an die Achtziger (The Cure!), ist eine luftige Eskapismushymne von Wäldern, Freunden, Wolken und Weltverzicht, „Milk & Black Spiders“ bietet Konservenstreicher, die am Ende ihre Wand hochfahren, Frickelgitarren und einen eng geschnürten Rhythmus, und scheint textlich das Ziel des Sehnens gefunden zu haben („I’ve been around two times and found that you’re the only thing I need“). Wer auf der im letzten Jahr erschienen Bloc Party-Platte „Four“ vor allem die „härteren“ Gangarten am ansprechensten fand, der wird auch auf „Holy Fire“ einen neuen Liebling finden, denn „Providence“ entpuppt sich ohne Umscheife als tighter, aggressiver New Wave-Tanzflächenfüller, an dessen Ende sich die Band in einem wahren kleinen kakophonischen Inferno austoben darf, und in dem sich Philippakis zu den eigenen animalischen Wesenzügen bekennt („I know I cannot be true / I’m an animal just like you“). Dass manch einer nach solch‘ einem Dezibelbrecher erst einmal Ruhe braucht, ist nur all zu verständlich. Und die gönnt die Band dem Hörer in „Stepson“, einer schwebenden, dezent elektronischen Ballade, bei welcher – in trügerischer Manier – alles im Reinen zu sein scheint. Das abschließende „Moon“ wartet mit meditativer Atmosphäre auf, die zu einem immer bedrohlicher werden Dröhnen anwächst, um am Ende zu verglühen: „The world is quiet / There is nothing left unsaid / A million image, million capture, million dead / And all the birds fall out of the sky in two by two’s / And my teeth fall out my head into the snow / I am you now / And you are me instead / Then I see there is blood on your wedding dress / And all of the old walk down and I’m feeling unsure / When I’m sleeping in my own place / I’m not home /…/ It is coming now, my friend / And it’s the end…“. Die Foals proben zum Abschied von „Holy Fire“ noch einmal die Apokalypse. Und wenn diese wirklich so schön dröhnt, so ist die Frage, ob man gern dabei wäre, eventuell einen zweiten Gedanken wert – insofern man denn eine „Repeat“-Taste in die Hand bekommt…

Foals #2

Mission accomplished. Auch mit „Holy Fire“ schaffen Foals den Spagat zwischen Altbewährtem und – für sie – gänzlich Neuem. Mehr noch: unter der Ägide der beiden Erfolgsproduzenten Alan Moulder und Flood (u.a. U2, Depeche Mode, Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails) erfahren die neuen Songs – im Vergleich zum Albumvorgänger – noch einmal eine Straffung und angenehme Komprimierung. Auf den neuen knapp 50 Minuten steht nun keine Songidee mehr über, werden alle losen Ende bündig groovend verknüpft. Und doch haben die elf Songs noch massig Raum zum Atmen, stellen dem verspielten Indierock-Gerüst des Fünfers kleine Elemente aus Funk, Dance, New Wave oder Post Punk zur Seite, zeigen die Band mit noch mehr gesundem Selbstbewusstsein als noch drei Jahre zuvor, und bieten Philippakis eine Basis für endlich weniger kryptische Texte, die sich auf „Holy Fire“ mit Grundthematiken wie Schuld, Sühne, Vergangenheitsbewältigung, Eskapismus und Heimatfindung beschäftigen und ein ums andere Mal fein prickelnde Gänsehautmomente hervorrufen.

Dass die Foals mit „Holy Fire“ als Jahrgangsbeste in Richtung Semsterferien und Konzertbühnen abschließen, ist noch nicht in die Indierock-Steine gemeißelt. Den Abschluss des „Musiktheorie“-Kurses haben die fünf Klangtüfler-Strebern aus Oxford aber definitiv in der Tasche.

(Chapeau übrigens zum tollen Albumcover, wie ich finde…)

Foals (name)

 

Hier die sehenswerten Videos der ersten beiden aktuellen Albumauskopplungen „Inhaler“…

 

…und „My Number“…

 

…einer Live Session-Version des Albumhighlights „Late Night“…

 

…sowie zu „Spanish Sahara“, welches 2010 bei mir auf Heavy Rotation lief…

 

…und zu „Blue Blood“ (wie „Spanish Sahara“ auf „Total Life Forever“ zu finden):

 

Rock and Roll.

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