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Die „Bibliothek von Alexandria für Musik“ – Zum Aus von What.CD


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Zugegeben: In Zeiten von Spotify und Co. sind Torrent-Seiten etwas in Vergessenheit geraten. Dass es sie noch gibt, fällt den Meisten erst dann auf, wenn sie geschlossen werden. So auch im Falle von What.CD, einer der größten und verschworensten Communitys für audiophile Nerds. Vor wenigen Tagen haben die unbekannten Macher der Torrentseite – plötzlich, unerwartet – das Aus auf Twitter verkündet. Berichten zufolge sind französische Ermittler den Hintermännern der Seite auf die Schliche gekommen und haben zwölf Server sichergestellt. Die Homepage von What.CD ist noch erreichbar, zeigt allerdings nur die oben zu sehende Meldung über die jüngsten Ereignisse an. Die zahlreichen Torrents sind, ebenso wie sämtliche Informationen über Benutzer-Accounts, nicht mehr verfügbar.

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Doch was war What.CD eigentlich? Die „Invite-only“-Seite wurde 2007, unmittelbar nach dem Ende von Oink (oder eben „Oink’s Pink Palace“), einer anderen bekannten Torrentseite, ins digitale Leben gerufen. What.CD war jedoch nicht nur wegen der guten Audioqualität der angebotenen Musik beliebt (und schon gar nicht explizit wegen Vorab-Leaks neuer Veröffentlichungen), sondern wurde auch und speziell für ihre Raritäten geschätzt. Ein Reddit-User beschreibt die Torrentplattform so: „What.CD war die ‚Bibliothek von Alexandria‘ für Musik. Über 3 Millionen Torrents und 800.000+ perfekte lossless releases. Seltenes Zeug fand man nur dort wie z. B. ein 75[-teiliges] Vinyl Set von 1979 aus Brasilien, dass erst vor knapp einen Monat erstmalig dort veröffentlicht wurde.“ Obskurer chinesischer Indierock? Nigerianischer HipHop? Thailändischer Psych-Funk aus den Siebzigern? Beinahe egal, nach was man suchte – auf What.CD wurde man im Zweifel fast immer fündig.

Wie groß das Archiv im Vergleich zu dem von Spotify mit seinen über 30 Millionen Songs war, lässt sich schwer sagen. What.CD selbst gab im Februar auf Twitter an, die Marke von einer Millionen Veröffentlichungen erreicht zu haben. Wie viele Songs diese selbst beinhaltet haben, wurde allerdings nicht erwähnt. Es ist jedoch anzunehmen, dass es weniger als die 30 Millionen von Spotify waren.

Größe hin oder her, sicher scheint, dass das Archiv wertvoll war. Die User (ich selbst war zugegebenermaßen allerdings nie Teil davon) schätzten an What.CD, dass sie dort Alben finden konnten, die nirgendwo anders zu bekommen waren. Selbst DJs wie Avalon Emerson haben ihre Wertschätzung für das Torrent-Archiv geäußert und betont, wie liebevoll die digitale Musikbibliothek betrieben wurde. Ein anderer in der digitalen Indie-Elektromix-Szene bekannter DJ, Mojib, etwa veröffentlichte 2007 auf What.CD einen inoffiziellen Remix des Radiohead-Songs „Videotape“, welcher in Windeseile zum vitalen Hit wurde und ihm selbst irgendwann einen Plattenvertrag einbrachte. Und: Auf Twitter gibt es bereits einen Account mit dem Namen „rip what.cd“.

Dass What.CD so sehr geschätzt wurde und wird, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit auch an der Nerdigkeit der Community selbst. Nicht jeder durfte mitmachen, nur durch Einladung eines anderen Mitgliedes wurdest du selbst Teil der eingeschworenen Nerd-Party und konntest deine digitalen Schätze im „Peer-to-Peer“-Verfahren mit anderen teilen.

Doch selbst wenn du es irgendwann in die exklusive, sagenumwobene Community geschafft hattest, war dein Verbleib nicht lebenslänglich garantiert. Schon kleine Fehler wurden drastisch geahndet. Auf Twitter schreibt eine ehemalige Userin, dass ihr Account gelöscht wurde, weil sie den Namen von Jamie Cullum in den id3-tags falsch geschrieben hatte. What.CD musst du dir also offenbar wie eine Uni-Bibiliothek vorstellen, in der pedantische Bibliotheksmitarbeiter permanent darauf achteten, dass du ja nicht verbotenerweise mit einem Bleistift in die Bücher kritzelst – nerd as nerd can be.

Die größte Sorge aller Anhänger der Community ist nun, nach dem plötzlichen Ende von What.CD, natürlich, dass das gesamte Musikarchiv weg ist, das mit vielen digitalen Krakenarmen über fast zehn Jahre in mühsamer Kleinarbeit aufgebaut wurde. Die Macher von What.CD geben auf Twitter – zumindest in diesem Punkt – allerdings Entwarnung.

Irgendwo da draußen, auf Millionen von Rechnern und Servern rund um die Welt, müssen nun also Unmengen von rarer Musik rumfliegen. Mögen sie für die Zukunft erhalten bleiben. Oder, wie es ein anderer ehemaliger What.CD-Nutzer in seinem liebevollen Nachruf ausdrückt: „The treasure is still out there—we have merely lost the map.“ Und am Ende wird es so laufen wie bei all den mehr oder weniger populären Vorgängern von Napster bis hin zu Piratebay: Ist der eine digitale Kopf der Hydra erst einmal durch die „böse Industrie“ und die „fiesen Gesetzeshüter“ abgeschlagen und die vermeintlichen „Cyberkriminellen“ zur Verantwortung gezogen wurden, so wachsen im weltweiten Netz schon zehn andere Köpfe nach. Schade um What.CD als Platz für Raritätenjäger und Audio-Nerds ist es allemal, doch das Leben geht weiter – im Netz und auch anderswo. Und ich alter Sack für meinen Teil habe meine auch nicht gerade kleine Plattensammlung seit jeher auch offline verfügbar – zum Glück.

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Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Ásgeir


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Keine Frage: Das Leben scheint es derzeit gut zu meinen mit Ásgeir Trausti Einarsson. Und man kann sich wohl nur im Entferntesten vorstellen, wie es ist, als mit 21 Jahren noch recht junger Mann jedoch Morgen seinen Kaffee in der Gewissheit zu schlürfen, dass sage und schreibe zehn Prozent der eigenen Landsleute eine – selbstredend bezahlte – Ausgabe des eigenen Debütalbums im heimischen Plattenregal stehen haben…

Da sind die Wichtigtuer, die kleinkarierten Nörgler freilich nicht weit, um diesen Zahlen sogleich die relative Richtigkeit zu verleihen. Denn – manch eine(r) ahnte es wohl bereits – Ásgeir ist Isländer und, runter gebrochen auf die nicht eben zahlreiche Einwohnerzahl der Vulkaninsel knapp südlich des nördlichen Polarkreises, würden diese zehn Prozent des im September 2012 erschienenen Debüts „Dýrð í dauðaþögn“ (was auf gut Deutsch soviel wie „Die Herrlichkeit der Totenstille“ bedeutet) „lediglich“ 320.000 verkauften Einheiten entsprechen. Trotzdem: Bestverkauftes Debütalbum in der isländischen Musikgeschichte, neun Wochen an der Spitze der Single-Charts, 2012 dazu ganze vier Auszeichnungen bei den „Icelandic Music Awards“ – das muss dem Newcomer, welchen man mit seinen Tätowierungen spontan wohl eher in der hardcore-lastigen Musikalienschiene verorten würde, erst einmal jemand nachmachen. Jedoch sind einem Künstler, allen Lorbeeren zum Trotz, auch heutzutage – und ganze 15 Jahre nach dem großen Sigur Rós-Werk „Ágætis byrjun“ – mit ausschließlich isländischem Text- und Liedgut (wenn man Sigur Rós‘ ans Isländische angelehnte „Hopelandic“-Fantasiesprache mal dazu zählt) vor dem internationalen Durchbruch gewisse Grenzen gesteckt…

Doch Gevatter Schicksal ließ auch hier Milde mit Ásgeir Trausti walten. So spielte der Isländer im vergangenen Jahr – neben Shows bei Sónar Festival in Barcelona oder beim deutschen Indie-Kuschelfestival Haltern Pop – beim prestigeträchtigen SXSW in Austin, Texas. Im Publikum befand sich bei diesem Stelldichein von Künstlern, Musikjournalisten und Musiklabels auch ein gewisser John Grant. Und da dem weltgewandten ehemaligen Czars-Frontmann mit den ebenso berührenden wie traurigen  Stimmbändern Ásgeirs Musik besonders gut gefiel, nahm er ihn als Support zuerst mit auf seine nächste Solo-Tournee, um ihm daraufhin vorzuschlagen, alle Texte, welche ursprünglich zum Großteil vom 72-jährigen Vater des Isländers, dem Dichters Einar Georg Einarsson, verfasst wurden, ins Englische zu übersetzen (welch‘ Fügung: Grant, der alte Polyglott, spricht – nebst Englisch, Russisch, Deutsch, Spanisch und Französisch – auch Isländisch!). So setzten sich Grant und Ásgeir erneut vor die Studiotür, bevor der 21-Jährige einmal mehr im Inneren verschwinden konnte, um alle Songs des Debüt auf Englisch aufzunehmen.

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Das auf den feinen Titel „In The Silence“ hörende Ergebnis erfuhr nun vor wenigen Tagen, Ende Januar, seine internationale Veröffentlichung. Und trotz der Tatsache, dass der Isländer seine Songs nun auf Englisch vorträgt, meint man, dass man all die isländischen Klischees noch immer aus den zehn Stücken heraushören kann: die Einsamkeit inmitten der Naturgewalten, die Weite rund um das 40-Seelen-Kaff Laugarbakki, in welchem der Musiker aufwuchs, die schroffen Klippen, die Geysire und Nebelfelder. Andererseits: Wieso sollte sich Ásgeir auch verbiegen (lassen), gar: seine Herkunft verleugnen? Hört man jedoch auf „In The Silence“ genauer hin, so könnte man fast meinen, dass das Balsam-Falsett nicht ihm, sondern Justin „Bon Iver“ Vernon gehöre. Und auch musikalisch ist das Ganze zu großen Teilen gar nicht mal so weit von Werken wie „For Emma, Forever Ago“ der US-Indiefolk-Band aus Wisconsin – also: Bon Iver (obwohl Vernons Zweitband Volcano Chor auch schon ums Eck lugt) – entfernt: melancholische Akustikgitarrenballaden, deren Weg mal von rhythmischer Schlagzeugbegleitung, mal von einem sacht aufspielenden Piano gekreuzt wird. Damit all das nicht zu beschaulich gerät, erlauben sich Ásgeir und seine Mitmusiker freilich auch kleine Experimente, lassen elektronische Dub- oder Minimal Beat-Verweise oder 8-Bit-Rhythmik einfließen (man höre den Beinahe-Dance-Track „King And Cross“), während andere Nummern durch ihr marschierendes Schlagzeugspiel (die Single „Torrent“) oder ihre jubilierenden Fanfaren („In Harmony“) so beileibe auch von den Landsmännern von Sigur Rós stammen könnten. Kings Of Convenience meets Bon Iver meets James Blake meets Nick Drake meets Sigur Rós meets Simon & Garfunkel meets Patrick Wolf. Dass Ásgeir all diese Vergleiche und Querverweise, die sich während der 40 Minuten des Debütalbums wohl unweigerlich auftun, im Grunde kaum nötig hat, spricht wohl nur für das Naturell des Isländers, der – hallo x-te Klischeefalle! – zu allem Überfluss auch noch auf dem Label One Little Indian – und damit auf dem gleichen Plattenlabel wie Vorzeige-Island-Sirene Björk – veröffentlicht. Nö, der Newcomer reist nun freilich lieber um die Welt und singt seine ebenso spartanisch ausgeleuchteten wie edel verzierten Lieder über die Liebe, das Leben, die Harmonie, über die Natur und die Heimat: „I lift my mind to the sky / And I let it take flight / The wind carries to my ears / Precious songs of life“. Und wenn man ganz genau hinschaut, dann wird man durch die Nebelschwaden vielleicht die Sonnenstrahlen aus seinem Allerwertesten wahrnehmen. Keine Frage: Das Leben scheint es derzeit gut zu meinen mit Ásgeir Trausti Einarsson…

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Da Isländer bekanntlich weder Schotten noch Schwaben sind, kann man sich hier Ásgeirs 2013 in den Londoner Tos Rag Studios aufgenommene Drei-Song-Akustik Session gleichen Namens anhören und kostenlos aufs heimische Abspielgerät herunterladen…

 

…sich hier die Musikvideos der Singles „King And Cross“ sowie „Torrent“, welche frecherweise eben nicht für ihre acht Albumkumpane von „In The Silence“ Pate stehen können, ansehen…

 

…und die Songs des Isländers in mal mehr, mal weniger reduzierten Sessions-Varianten begutachten:

 

Rock and Roll.

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