Zuvor hießen sie Moscow Apartment – so steht es auch noch auf ihrer Facebook-Seite -, aber aus guten, triftigen Gründen haben die Newcomer sich mittlerweile umbenannt. Jetzt nennen sie sich zwar Housewife, dahinter stecken jedoch immer noch Brighid Fry und Pascale Padilla, zwei queere, bereits mit etlichen kanadischen Musikpreisen ausgezeichnete Songwriter*innen aus Toronto, die gerade einmal 19 und 20 Jahre jung sind.
Im Juli 2020 erschien ihre Debüt-EP mit sechs Folk-informierten Indie Rock-Songs. Mit „Patrick Bateman“ gibt es jetzt ein neues Stück, an dem Hank Compton und Savannah Conley mitgeschrieben haben – und das nicht im heimischen Maple-Leaf-Staat, sondern im US-amerikanischen Nashville, Tennessee (welches, nebst Los Angeles, längst als „the place to be“ für aufstrebende Musiker*innen gilt). Der Song widmet sich dem Umstand, dass wir dazu neigen, das Böse zu romantisieren – daher auch der namentliche Bezug auf Patrick Bateman, die Hauptfigur aus Bret Easton Ellis‘ 1991 erschienenem Kultroman „American Psycho„, welcher durch seine derb schwarzhumorige 2000er Verfilmung mit Christian Bale in der Hauptrolle zusätzliche Bekanntheit erlangte. Doch, anders als dort, muss hier niemand in stylisch-kaltem Hochglanzambiente zu den Klängen von Phil Collins sein Leben lassen – Freunde von Snail Mail, Beabadoobee oder Soccer Mommy dürfen also gern ein Ohr riskieren…
Na da hör her – July Talk melden sich lautstark zurück!
Obwohl die fünfköpfige Band um das sowieso und überhaupt wunderbar ungleiche Gesangsduo Peter Dreimanis und Leah Fey auch in den letzten Monaten nicht einsah, Rost anzusetzen, und viel lieber emsig tourte, ließen erste neue Töne seit dem zweiten, 2016 erschienenen Album „Touch“ doch auf sich warten…
Umso schöner, dass der Fünfer aus dem kanadischen Toronto, Ontario, von dem vor etwa zwei Jahren auf ANEWFRIEND bereits die Schreibe war, in der Zwischenzeit kein bisschen leise geworden ist (was ja angesichts einer launigen Piano-Coverversion des FKA TWIGS-Songs „Mirrored Heart“ vom vergangenen Dezember bereits „befürchtet“ werden durfte), denn die Variante von „To Hell With Good Intentions“ (im Original von den anno 2005 auf Eis gelegten walisischen Raudaubrüdern von Mclusky beziehungsweise deren 2002er Album „Mclusky Do Dallas„), die Dreimanis, Fey und Co. da mal eben aus dem Lärm-Ärmel schütteln, tönt wie die Musik gewordene Übersetzung von „Die Schöne und das Biest“ – in lederkuttenem Punk! Da würde wohl selbst der altehrwürdige Iggy Pop zum übermütigen Stagedive ansetzen… Und nun alle: „My love is bigger than your love! Sing it!“
Johnny Cash und June Carter Cash, Serge Gainsbourg und Jane Birkin, Sonny Bono und Cher, Nick Cave und Kylie Minogue, Mark Lanegan und Isobel Campbell – tolle, auf den ersten Blick recht ungleiche, sich schlußendlich jedoch perfekt ergänzende Duettpaare gibt es in der Musikgeschichte wohl zuhauf. Die Ergebnisse mögen zwar stark variieren und von einer Liebe bis in den Tod (der „Man In Black“ und seine June) über eine kurze, jedoch heftige Affäre (Serge et Jane… französische Hippies… „Je t’aime… moi non plus„), mehrere tolle Alt.Country-Alben (der ewig große Grunge-Grantler Lanegan und die sinnliche schottische Ex-Belle & Sebastian-Sirene Campbell) bis hin zu einem einzigen großen Moritat-Evergreen (Cave und Minogue… „Where The Wild Roses Grow„) reichen. Allen gemein ist, dass die zarte Schöne und das harte Biest das Unmögliche ins Mögliche übertragen. Dass es eben darum passt, weil’s zunächst einmal nicht passen mag. Gegensätze? Ziehen sich manchmal eben an…
In diese Riege könnte man gut und gern auch Peter Dreimanis und Leah Fey stellen. Er der räudige Schläger-Poster-Boy, optisch eine Art irrer James-Dean-Verschnitt und gesegnet mit einer sonoren Grabesstimme par excellence, sie das mal zart piepsende, mal sanft hauchende Pendant (welches es sicherlich noch weitaus faustdicker hinter den Ohren haben mag).
Dass beide Kanadier 2012 in Toronto und in der Band July Talk zusammen gefunden haben, darf man gut und gern als Glücksfall bezeichnen, veredeln ihre gegensätzlichen Stimmen wie Charaktere doch die bluesgetränkten Alternative-Rock-Songs, deren Vorbilder ebenso im Heute liegen, jedoch auch zum Rock’n’Roll-Parkett der 60er- und 70er-Jahre zurück reichen, derart kongenial, dass sich nicht selten der imaginäre Filmprojektor anschmeißt: Wir sehen ein junges Paar, dessen gebrochene Herzen gerade erst dazu geführt haben, dass sich beide in einer dunklen Lonely-Hearts-Club-Kaschemme irgendwo im gottverlassenen Nirgendwo kennen lernten. Geprügelt und enttäuscht von den mageren Aussichten des Lebens entschließen sich Hobby-Bonnie und Freizeit-Clyde, bewaffnet mit Colt und Pumpgun den nächstschlechtesten Spirituosenwarenladen zu überfallen. Schnapsidee – wortwörtlich… Gedacht? Getan! Auf ihrem Weg durch die Nacht wird noch ein bemitleidenswertes Dutzend Passanten ins Jenseits befördert, bevor sich das juvenile, vom Teufel höchstselbst zusammen geführte Pärchen in einem verlotterten Motelzimmer verbarrikadiert, um dort das erbeutete Hochprozentige zu leeren, wilden Hass-Sex mit einem dreifachen „Cheerio!“ aufs gloriose Lebensende zu haben und auf die baldigst herbei stürmenden Cops zu warten… Ein Film Noir at its best. Und immer wieder schön, wenn Songs Bilder wie diese herauf beschwören können…
Dass Dreimanis und Fey mit ihren drei July Talk-Lads auf den zwei bisher erschienenen Alben (das selbstbetitelte Debütwerk von 2014, zuletzt „Touch“ von 2016) eine große Rock’n’Roll-Show abziehen, bei der sogar – etwa in Form von „Summer Dress“ – der ein oder andere Überhit abfällt, ist toll anzuhören.
Toll ist auch, dass beide ebenso die ruhigen, intimeren Noten ihr Eigen nennen können, wie das Duett-Fronter-Paar im vergangenen Dezember bei den „Massey Hall Ghost Light Sessions“ bewies, bei denen sie zum einen „Winning“, im Original von einer weiteren großen kanadischen Indie-Stimme (Emily Haines), zum anderen eben erwähntes „Summer Dress“ zum Besten gaben:
Die schönste weibliche Stimme der kanadischen Indierock-Landschaft? Gehört Emily Haines(sorry, Feist!).
Über diese (meine) Meinung lässt sich freilich – wie über alles – trefflich streiten. Schöneres jedoch als das, was die mittlerweile 43-jährige Musikerin seit den späten Neunzigern zuerst solo, später auch beim Kollektiv Broken Social Scene (welche im Juli mit „Hug Of Thunder“ übrigens ihr erstes Album seit sieben Jahren in die örtlichen und digitalen Plattenläden stellen) und ihrer Hauptband Metric oder wiederum solo (Emily Haines & The Soft Skeleton) zustande gebracht hat, darf man lange suchen.
Okay, fair enough: das letzte, 2015 erschienene Metric-Werk „Pagans In Vegas“ war in seiner synthetischen Synthie-Nichtigkeit streckenweise echt übel und rauschte bestenfalls einfach durch die Gehörgänge, ohne dass der ein oder andere Song hängengeblieben wäre.
Jetzt jedoch meldet sich Emily Haines mit ihrer Begleitband The Soft Skeleton auf Solopfaden zurück und hat für den 15. September das neue Album „Choir Of The Mind“ (das erste seit „Knives Don’t Have Your Back“ von 2006) angekündigt. Besser noch: mit „Fatal Gift“ lässt die umtriebige, im indischen Neu-Dehli (!) geborene und im kanadischen Ontario aufgewachsene Musikerin, die wie der Großteil ihrer musikalischen Kolchose mittlerweile in Toronto beheimatet ist, bereits einen ersten Song hören.
Nun werden Metric-Fascinados bestimmt aufhorchen: Moment, „Fatal Gift“… „The Fatal Gift“… da war doch was? Richtig, der Song war 2014 ursprünglich als B-Seite von Haines‘ Stammband erschienen, wurde nun jedoch neu arrangiert. Alles beginnt mit dezenter Klavierbegleitung und steigert sich mit Loops, Drum-Patterns und treibenden Gitarren innerhalb von knapp fünf Minuten unaufhörlich. Im Text stellt Haines währenddessen existenzielle Fragen um Besitz: „How much do I own you?“ – kennt man bereits von „Knives Don’t Have Your Back“, welches ebenfalls voller Melancholie und nicht gerade fröhlich daher torkelte. Das dazugehörige, von Justin Broadbent inszenierte Musikvideo zeigt die Sängerin nachts auf dem Weg durch eine Stadt ein mysteriöses Ziel verfolgen – ein kleines Highlight für sich, das sich durch seine fragmentierte, non-lineare Erzählweise in mehreren Kapiteln auszeichnet.
Wenn kleinere bis mittelgroße Bands auf Tour gehen, sind oft stundenlange ermüdende Fahrten in Bullis und Vans und die immer gleiche Abfolge kleiner Clubs und Shows an der Tagesordnung. Manche Musiker fressen ihren Frust darüber in sich hinein (oder wenden sich anderen mehr oder minder legalen Hobbys zu), PUP leben ihre Gewaltfantasien innerhalb des Bandgefüges lieber in einem expliziten Musikvideo zum Opener ihrer neuen, am 27. Mai bei SideOneDummy erscheinenden Platte „The Dream Is Over“ aus.
Dabei ist schon der Titel des Songs ein vielsagender: „If This Tour Doesn’t Kill You, I Will“ behandelt textlich den Moment, wenn man sich gegenseitig einfach nur noch auf die Nerven geht, und der Clip bietet die optische Entsprechung dazu. Darin malträtieren sich die vier Mitglieder der aus dem kanadischen Toronto stammenden Band zu rumpeligen Garagen-Pop-Punk, welchen man musikalisch etwa bei den frühen Brand New verorten kann, mit abgebrochenen Bierflaschen, zünden sich gegenseitig an oder überfahren sich, und landen am Ende im gleichen Krankenhaus. Dort erinnern Röntgenaufnahmen des Quartetts und dazugehörige Einspieler an das ähnlich blutige Musikvideo zu „Reservoir“ vom selbstbetitelten, vor zwei Jahren veröffentlichten Debüt – und die Band daran, dass das Gefühl, Shows zu spielen und seine Energie so zu kanalisieren, die schlimmen Seiten des Tourens bei weitem überstrahlt…
„If this tour doesn’t kill you then I will I hate your guts and it makes me ill Seeing your face every morning One more month and twenty-two days If this tour doesn’t kill you, I may Counting down the miles ‚til we leave the state I’m counting down the minutes ‚til I can’t erase Every memory of you
For a second, let’s be honest Nothing will clean your filthy conscience Everything you do makes me wanna vomit And if this tour doesn’t kill you, buddy, I’m on it
Why can’t we just get along? Why can’t we just get along? Why can’t we just get along? Why can’t we just get along? You think you’re so original Why can’t we just get along? I can’t wait for your funeral Why can’t we just get along? Don’t wish you were dead, I wish you’d never been born at all Why can’t everybody just chill? I’m trying not to let you get in my head but every line and every goddamn syllable that you say makes me wanna gouge out my eyes with a power drill If this tour doesn’t kill you If this tour doesn’t kill you If this tour doesn’t kill you then I will“
Es gibt sie ja da draußen – sowohl in digitaler wie analoger Form – zuhauf, diese Nachtmusik… Musik, die man sich tagsüber – bei Licht, Gewusel, Sonne, Wind, Wetter und Trubel – nie und nimmer durch die Gehörgänge spülen lassen würde. The xx fallen manch einem da sicher spontan ein, oder der von Angelo Badalamenti komponierte Soundtrack der ewig großen David-Lynch-Kultserie „Twin Peaks“.
Nur zu passend, dass „Shame“, die neuste akustische Kostprobe des kanadischen Im-Grunde-Ein-Mann-Projekts Foxes In Fiction, da wie eine Mischung aus beidem daher schleicht. Und: ja, das Schleichen liegt freilich schon allein deshalb nahe, weil es sich bei dem Stück um eine Coverversion handelt – das Original stammt von den US-amerikanischen Slowcore-Heroen Low und erschien bereits 1995 auf deren zweitem Album „Long Division„. Und wieso sollte man ein eh schon feines Stück verändern? Diese Frage dürfte sich auch Foxes-In-Fiction-Kopf Warren Hildebrand gestellt haben, übernahm Lows hallende, raumfüllende, spärliche Gitarrenklänge, fügte diesen noch ein paar wenige Synthie-Bassnoten hinzu – et vollà, fertig war die Reinterpretation! Der Gesang stammt übrigens von Emily Reo, die Hildebrand, wie übrigens auch ein gewisser Owen Pallett, der schon mit so ziemlich allen kanadischen Indie-Künstlern von Arcade Fire über Fucked Up bis hin Stars gemeinsame Sache gemacht hat, des Öfteren live unterstützt.
Wer mehr von Foxes In Fictions nachtgefärbtem Ambient-Pop hören mag, dem sei an dieser Stelle das gar nicht mal so üble, im vergangenen Jahr erschienene letzte Album „Ontario Gothic“ ans Herz gelegt, welches man sich – wie die bisherigen Veröffentlichungen auch – auf der Bandcamp-Seite des Projektes nach dem „Pay what you want“-Prinzip aufs heimische Abspielgerät laden kann. An anderer Stelle (bei den Kollegen von „Noisey – music by Vice„) kann man sich bei Interesse auch noch ein Interview mit FIF-Mastermind Warren Hildebrand zu Gemüte führen…