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Zu kurz gekommen – Teil 15


„Die Ramones gehören zu den wichtigsten Bands aller Zeiten. Für einige sind sie sogar die Schöpfer dessen, was man bald nach ihrer Gründung ‚Punk‘ nannte“, wie der „Rolling Stone“ schreibt. Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass es im Laufe der Zeit so einige Tributes an die großen Ramones gab. Etwa jene, die am 11. Februar 2003 erschien – und mit einem außergewöhnlichen Staraufgebot überraschte. Zudem gehört die Cover-Compilation „We’re A Happy Family: A Tribute to Ramones“ zu den letzten Amtshandlungen von Gitarrist und Bandkopf Johnny Ramone.

Die Ramones sind bereits Geschichte, als die Idee eines Tribute-Albums an Johnny Ramone herangetragen wird. Im August 1996 hatte sich die 1974 in New York City gegründete Band mit einer Show in Hollywood aufgelöst, am 15. April 2001 war Sänger Joey Ramone verstorben. Johnny sagte seine Beteiligung an der Compilation unter einer Bedingung zu: Er wollte volle Kontrolle und das letzte Wort. Das sollte sich auszahlen, denn als Punk-Rock-Ikone hat man schließlich so ziemlich alle wichtigen Telefonnummern: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich Eddie Vedder kriegen kann“, erklärt der Gitarrist später. „Und dass ich Rob Zombie bekommen kann, die Chili Peppers, Marilyn Manson und Metallica.“ Und so kommt es auch: Im Februar 2003 erscheint „We’re A Happy Family: A Tribute to Ramones“ mit prominenter Besetzung. Mit dabei sind neben den Genannten U2, Green Day, Garbage, The Offspring, Tom Waits, The Pretenders, Rancid, Pete Yorn und sogar Kiss.

Vorher hatte Johnny allen Bands nahegelegt, die Songs so anzugehen, als hätten sie sie selber geschrieben. Das funktioniert unterschiedlich gut: Rob Zombies Variante von „Blitzkrieg Bop“ und Marilyn Mansons „The KKK Took My Baby Away“ bekommen einen bizarren Industrial-Anstrich, „Do You Remember Rock’n’Roll Radio?“ klingt dank Kiss plötzlich nach großer Stadionshow. Green Day hingegen hauen „Outsider“ so raus, wie man es von ihnen gewohnt ist. Die Peppers-Version von „Havana Affair“ soll Johnny Ramone so gut gefallen haben, dass er sie deshalb an den Anfang der Platte setzte, während er „Something To Believe In“ nach eigenen Aussagen erst in der luftigen Aufnahme der Pretenders so richtig möchte. Auf einigen Editionen der Platte gibt es sogar einen versteckten Track: „Today Your Love, Tomorrow The World“ von Ex-und-jetzt-wieder-Chili-Peppers-Gitarrist John Frusciante.

Doch nicht alle Ideen und losen Pläne gehen auf: Für den Song „Here Today, Gone Tomorrow“ etwa hatte der Ramones-Chef ursprünglich Elvis‘ unlängst verstorbene Tochter Lisa Marie Presley eingeplant, auf der Platte landet jedoch eine Version von Rooney. (Frau Presley nimmt das Stück später für ihr eigenes Album „Now What“ auf.) Sogar den „Boss“ höchstselbst wollte Johnny für das Projekt gewinnen, doch leider fällt diese Anfrage ins Wasser, ohne dass er einen Grund dafür erfährt. „Wenn man versucht, an jemanden über sein Management ranzukommen, dann hört man nie genau, was los ist“, kommentiert der Ur-Ramone in einem Interview auf der Band-Homepage. „Später trifft man den Künstler dann, und der hat nie etwas von der Sache mitbekommen.“

Die Ramones live in Toronto, 1976 (Foto: Plismo)

Als Co-Produzent agiert Rob Zombie, er zeichnet auch das fein anzusehende Cover. Der Mann – immerhin selbst Musiker, Regisseur und Kreativling in Personalunion – ist, wie alle, die ihre Beiträge beisteuern, freilich erklärter Fan: „Die Ramones sind die beste amerikanische Band. Was sie gemacht haben, ist so simpel, so reduziert und so auf den Punkt, dass man damit nichts falsch machen kann.“ Die Liner Notes schreibt ebenfalls ein berühmter Fan: Horrorikone Stephen King.

Leider sollte dieses durch und durch gelungene Tribute eine der letzten „Amtshandlungen“ von Johnny Ramone sein: Anderthalb Jahre später verstirbt der stilprägende Gitarrist mit nur 55 Jahren an Prostatakrebs. Der Einfluss seiner Band auf Rock und Punk, wie wir sie kennen, bleibt jedoch unvergessen. Das zeigt sich auch darin, dass die beteiligten Bands und Künstler*innen die Ramones-Songs bis heute immer wieder gern live spielen.

Rock and Roll.

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Willkommen in 2022 – und alles Gute zum Zehnten, ANEWFRIEND!


Zunächst einmal: Herzlich willkommen in 2022! Wollen wir trotzdem einen letzten kurzen Blick zurück werfen? Denn obwohl die vergangenen zwölf Monate – gefühlt, gefühlt – recht schnell an einem vorbei gezogen waren, war doch einiges los: Das zweite Jahr einer weltweiten Pandemie, während derer die meisten von uns sich längst ans Maskentragen, Abstandhalten, an Nachrichtenberichterstattungen über Inzidenzwerte und Neuinfektionen, an Beschränkungen bei vermeintlichen Alltäglichkeiten wie dem Einkaufen, bei Restaurant-, Fitnesscenter oder Kinobesuchen, an immer neue Virusmutationen und Corona-Wellen gewöhnt haben. Noch immer sterben Menschen in gewaltsamen Konflikten, im Mittelmeer oder an Landesgrenzen – oder werden schlichtweg – und von einem Tag auf den nächsten – in Ländern wie dem Irak im Stich gelassen und ihrem Schicksal überlassen. Fast scheint es, als würden „wir“ privilegierten Erdbewohner wohl nie gänzlich begreifen, dass kein Mensch nirgendwo je illegal sein darf und jeder, der anderen ohne Feindschaft und Argwohn entgegen tritt, auch ein Recht auf ein Leben in Freiheit und Würde verdient hat… Noch immer brennen anderswo – und mal mehr, mal weniger weit weg in Australien, den US of A, Südamerika oder Griechenland – ganze Landstriche, wüten Naturkatastrophen – und werden plötzlich auch für „uns“ im oft so beschaulichen Deutschland spürbarer, wenn sich im Ahrtal (welches sich gar nicht mal so weit weg von mir befindet) über Nacht sonst so kleine Flüsschen zu reißenden Strömen entwickeln und ganze Dörfer wegspülen. Kontraste zwischen Arm und Reich, zwischen den privilegierten Industrienationen und der Dritten Welt, werden immer krasser, Scheren gehen immer weiter auseinander – während sich gleichzeitig eine Handvoll Milliardäre darum streiten, wer den Wettlauf um den ersten stinkreichen Arsch im Weltall gewinnt. Ja, Positivem musste man auch in 2021 oft mit der Lupe nachspüren, und Nachrichten waren auch in den letzten zwölf Monaten vor allem dann, wenn der Sprecher oder die Sprecherin einem einen „Guten Abend“ wünschte und im Anschluss sein (oder ihr) Bestes tat um zu beweisen, dass vor der eigenen Haustür gar nicht mal so viel „gut“ war… „Die Welt ist grässlich und wunderschön„, wie der große Gisbert zu Knyphausen einst sang. Diese treffliche Einschätzung kann man auch für 2021 unterschreiben – und sich trotzdem bemühen, den Kopf stets oben zu behalten und trotz alledem die Hoffnung nie so ganz an den Nagel des Zynismus zu hängen.

Was’n los, ANEWFRIEND – liegt da etwa Melancholie zwischen den Zeilen? Ja, könnte durchaus sein, und auch aus berechtigtem Grund, schließlich feiert dieser mein bescheidener Blog just heute seinen 10. Geburtstag. ZEHN Jahre. Da mache ich doch – bei aller Bescheidenheit – glatt einen anerkennenden Knicks vor mir selbst, anerkennend, dass ich’s tatsächlich eine komplette Dekade geschafft habe, am digitalen, schreibenden Ball zu bleiben – was nicht immer ganz einfach war und auch den ein oder anderen aufraffenden Arschtritt meinerseits erforderte. Zudem blicke ich beinahe zwangsläufig zurück auf das, was abseits aller „Songs des Tages“, aller „Alben der Woche“, aller „Moment! Aufnahmen.“ auch bei mir so passiert ist: fünf Umzüge und ebensoviele Jobwechsel, ich habe ein Haus gekauft und wieder verkauft, durfte mich einige Zeit als „Ziehvater“ eines kleinen Mädchens „ausprobieren“, habe mich ver-, wieder entliebt und neu verliebt, neue Sprachen gelernt, im Ausland gelebt, mich oft genug trotzig dem alten Arschloch namens „Depression“ gestellt, meine Plattensammlung zig Male in massig Kisten verpackt und wieder ausgepackt… Ja, Scheiße noch eins – war einiges los in den letzten zehn Jahren.

Was uns wieder zurück zum 1. Januar 2022 bringt. Natürlich hätte dem voraussehbaren Anlass auch Gisbert zu Knyphausens „Neues Jahr“ ausgezeichnet zu Gesicht gestanden. Oder Death Cab For Cuties ewiggrüner Jahresanfangseinläutungssong „The New Year„, welcher hier schon des öfteren die folgenden zwölf Monate einläuten durfte. Oder Dylans „Forever Young“, welches vor zwei Jahren 2020 einläuten durfte – freilich nichtsahnend, was da noch kommen würde…

Mit all der rückblickenden Melancholie im Knopfloch habe ich mich jedoch für einen ganz anderen Song entschieden: „New Year’s Eve“ vom großen, ewig tollen Grantler Tom Waits. In dem Stück vom 2011 erschienenen Album „Bad As Me“ inszenieren Waits und seine Frau und Songwriting-Partnerin Kathleen Brennan in medias res die zwar recht lakonische, aber dennoch ebenso vielfältige Szenerie einer Familienfeier, die längst aus dem Ruder gelaufen ist.

„Jeder von uns war doch schon einmal bei einem dieser Treffen, bei dem alles schief gelaufen ist, bei dem wir alle singen, obwohl das Feuerwerk den Hund erschreckt hat und er seit zwei Stunden verschwunden ist, jemand das Sofa angezündet hat, Marge eine Lebensmittelvergiftung bekam und Bill O’Neal die Polizei rief“, beschrieb der US-Musiker den Song damals typisch augenzwinkernd in einem Interview.

Der Refrain des Stückes baut zudem einen Song im Song auf, wenn die Charaktere inmitten des Trubels und Durcheinanders beginnen, alte Traditionen zu wahren und „Auld Lang Syne“ zu singen. „Der Song brauchte einen Refrain und hatte noch keinen. Also sagten Kathleen und ich uns: ‚Komm‘ schon, wir reden über Silvester, lass‘ es uns einfach machen!“, so Waits. Während der knapp fünf Minuten passiert gleichzeitig so viel und doch irgendwie auch gar nichts, alles scheint still zu stehen, während die Welt doch immer schneller rast – das passt durchaus zu einem Jahr wie 2021.

In diesem Sinne: Einen ganz uneitlen Toast auf ANEWFRIENDs 10. digitales Wiegenfest! Und auf uns. Und, natürlich: auf euch. Passt auf euch auf, bleibt gesund sowie ganz ihr selbst – und schaut ab und an mal hier vorbei… Merci vielmals.

„The door was open, I was seething
Your mother burst in, it was freezing
She said it looks like it’s trying to rain
I was lost, I felt sea sick
You convinced me that he’d left
You said ‚Keep talking but don’t use any names‘
I scolded your driver and your brother
We are old enough to know how long you’ve been hooked
And we’ve all been through the war
And each time you score
Someone gets hauled and handcuffed and booked

It felt like four in the morning
What sounded like fire works
Turned out to be just what it was
The stars looked like diamonds
Then came the sirens
And everyone started to cuss

All the noise was disturbing
And I couldn’t find Irving
It was like two stations on at the same time
And then I hid your car keys
And I made black coffee
And I dumped out the rest of the rum

Nick and Socorro broke up
And Candice wouldn’t shut up
Fin, he recorded the whole thing
Ray, he said ‚Damn you‘
And someone broke my camera
And it was New Years
And we all started to sing

Should auld acquaintance be forgot and never brought to mind
Should auld acquaintance be forgot for the sake of auld lang syne

I was leaving in the morning with Charles for Las Vegas
And I didn’t have a plan to come back
I had only a few things
Two hundred dollars
And my records in a brown paper sack

I ran out on Sheila
Everything’s in storage
Calvin’s right, I should go back to driving truck

Should auld acquaintance be forgot and never brought to mind
Should auld acquaintance be forgot for the sake of auld lang syne“

Rock and Roll.

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Flimmerstunde – Teil 35


The Dead Don’t Die“ (2019)

1219346.jpg-r_1280_720-f_jpg-q_x-xxyxxPolkappen werden gefrackt und so die Untoten aufgeweckt: In Jim Jarmuschs neustem Film „The Dead Don’t Die“ macht Punkrock-Godfather Iggy Pop als Zombie Jagd auf Fleisch und Filterkaffee. Die Horrorparodie ist stellenweise so überdreht, dass sie glatt wie eine Satire auf die Klimadebatte wirkt…

Dass die beiden Dinerdamen zu den ersten Opfern gehören werden, ist gleich zu ahnen. Spätestens als die eine nicht weiß, wer Zelda Fitzgerald war, und die andere ihr empört erklärt: na, das sei doch die Frau vom Großen Gatsby! Und wer das nun wieder sein solle? So viel Unwissenheit muss wohl betraft werden… Zudem wird ihnen zum Verhängnis, dass die lokale Zombie-Variante des (fiktiven) Provinz-Städtchens Centerville scheinbar nicht nur auf frisches Blut, sondern auch auf abgestandenen Filterkaffee steht.

Bildung schützt jedoch kaum weniger vor dem Untergang, selbst filmisch-literarische nicht. Der schüchterne Horror-Nerd und Kioskbetreiber Bobby (Caleb Landry Jones) weiß sofort, mit welcher Sorte von Gegnern man es in der endzeitlichen Schlacht zu tun hat und wie man sie besiegt, doch das aus Genreklassikern bezogene Wissen um die sofortige Enthauptung der Untoten nützt ihm nicht allzu viel, als er sich mit Sägen, Messern und Heckenscheren im Baumarkt verbarrikadiert – Zombies finden schließlich immer ein Hintertürchen…

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Jim Jarmuschs neuer Streifen „The Dead Don’t Die“ ist eine Zombiefilmparodie voller kleiner Hintertüren, doppelter Böden und augenzwinkernder Metaebenen. Das fängt schon bei der prallen Starbesetzung an, für die Independent-Kult-Regisseur Jarmusch („Night On Earth“, „Coffee And Cigarettes“, „Dead Man“, „Ghost Dog“) wohl nur kurz seine Kontaktliste bemühen musste: bereits erwähnter Iggy Pop als kaffeesüchtiger Untoter, Tilda Swinton als japanophil-schottische, elfengleiche Bestattungsunternehmerin, Tom Waits als Wald-und-Wiesen-Hobo, Bill Murray, Adam Driver und Chloë Sevigny als lakonisches Polizisten-Trio, Steve Buscemi als Trump-konformer rassistischer Farmer, Wu-Tang-Clan-Rapper RZA als „WU-PS“(sic!)-Paketbote… Ebenjener Cast sorgt für jede Menge selbstironischer Witze, und hört bei den Dialogen nicht auf, denen man anmerkt, dass Jarmusch einst in einer streberhaften Epoche namens Postmoderne sozialisiert wurde.

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„Woher kenne ich diesen Song?“, fragt der superbräsige Polizeichef Cliff (Bill Murray) seinen Radio hörenden Kollegen Ronnie (Adam Driver) im Streifenwagen. Darauf der: „Na, das ist der Titelsong!“ (übrigens nur eine von etlichen Film-im-Film-Anspielungen zwischen den beiden).  „The Dead Don’t Die“, ein Song von Country-Sänger Sturgill Simpson, welchen dieser eigens für den Film aufnahm, wird so oft gespielt und sogar als CD-Cover platziert, dass der Film ebenso gut als ein überlanger Promotion-Clip durchgehen würde. Auffälliges Product Placement und Namedropping wird auch sonst eifrig betrieben, etwa für einschlägige Werke der Filmgeschichte von „Nosferatu“ über die „Nacht der lebenden Toten“ bis zu „Star Wars“, oder für Automarken. Kleiner Tipp für Neukäufer: Ein Smart eignet sich – im Fall der Fälle – prima zur Zombiejagd.

Jarmusch hat in „The Dead Don’t Die“, der in diesem Jahr die Filmfestspiele in Cannes eröffnete, einen derart hohes Melange-Level an Scherz, Satire und Ironie erreicht, dass nicht mehr unterschieden werden kann, wo tiefere Bedeutung, womöglich ernsthafte Gesellschaftskritik an Trumps US-Amerika vorliegt, und wo schlicht pure, nerdige Albernheit. Da reicht glatt die knappe Nachrichtenmeldung, dass die Ursache für die weltweite Zombie-Apokalypse in der durch rücksichtsloses Polkappenfracking ausgelösten Verschiebung des irdischen Magnetfeldes zu finden ist, schließlich ist sich der halbe Cast bereits sicher, dass man es hier nun mit untoten Wiedergängern zu tun habe.

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Macht sich Jarmusch also über die Endzeitszenarien der Klimaschützer lustig? Oder etwa über den von Serien wie „The Walking Dead“ ausgelösten Zombie-Hype? Da würde man dem Film wohl zu viel Tiefe beimessen. Der Running Gag von Officer Ronnie lautet, dass alles böse enden wird. Als der Chief ihn kurz vor dem Showdown fragt, woher er das denn gewusst habe, ist die Antwort, er habe halt vorher das Drehbuch gelesen. Albern? Wohl eher. Weiter gedacht? Ach was!

Zwar unterhaltsam, jedoch andererseits auch wenig originell ist Jarmuschs an Allzeit-Klassiker wie George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ oder Peter Jacksons Splatter’n’Gore-Festival „Braindead“ angelehnte Interpretation des Zombie-Motivs, das uns alle zu untoten Sklaven unsere Süchte und Begierden macht. Der Kampfruf lautet „Chardonnay!“, den Weinfreunden und Kaffeejunkies folgen noch die Drogen-, Süßstoff- und Handysüchtigen (und den Begriff „Smombie“ gab’s schließlich bereits vor Jarmusch Film). Die implementierte Kulturkritik wirkt schlichtweg zu überzogen, als dass sie ernst gemeint sein könnte.

Gleiches gilt für den hier verfilmten Hass auf Hipster: Drei durchreisende Großstädter (einen davon mimt Pop-Sternchen Selena Gomez, ein anderer sieht glatt ihrem Ex Justin Bieber ähnlich) werden erst von den Zombies blutig vernascht, bevor Ronnie mit der Machete noch einmal auf Nummer sicher geht. Spätestens wenn er triumphierend den Kopf von Träller-Star Gomez schwenkt, ahnt man, dass hier die misanthropen (und misogynen) Gäule mit Jarmusch durchgegangen sind.

Schlussendlich „The Dead Don’t Die“ ist ein zwar unterhaltsames, jedoch mäßig lustiges, mittelprächtiges Alterswerk (zumindest, wenn man es mit dem Rest der Jarmusch’schen Filmografie in Vergleich bringt), dem man den Ehrgeiz, alsbald Kultfilm zu werden, leider in fast jeder Einstellung anmerkt (während der 66-jährige US-Regisseur dafür Handlung und Drehbuch leider etwas außer Acht ließ) – da war etwa die derb gewitzte Komödie „Zombieland„, in der – nebst Woody Harrelson, Jesse Eisenberg, Emma Stone und Abigail Breslin – Bill Murray ebenfalls eine (kleinere) Rolle innehatte, doch etwas gelungener. Die galgenhumorige Botschaft des Films fasst Waldschrat Tom Waits am Schluss so zusammen: „Die Welt ist gefickt“. Wenn für die Menschheit wirklich alles längst zu spät ist, dann sollte uns doch wenigstens die Zelluloid-Kunst überdauern können…

 

 

Rock and Roll.

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Süße Verpackung, ernsthafter Inhalt…


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(gefunden bei Facebook)

 

Süße Verpackung, ernsthafter Inhalt: dieser „Peanuts„-Ausschnitt könnte gut und gern als Umschreibung meines Musikgeschmacks herhalten – auch wenn das Zitat ursprünglich nicht von Charlie Brown (oder eben „Peanuts“-Schöpfer Charles M. Schulz) stammt, sondern von Vorzeige-Grantler Tom Waits

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Kante – In der Zuckerfabrik: Theatermusik (2015)

in der zuckerfabrik-erschienen bei Hook/Indigo-

„Wir sehen die Welt mit anderen Augen / Seitdem wir draußen sind  / Sehen wir Dinge ohne Namen / Mit schleierhaftem Sinn / Wir sind Leute in den Straßen / Wir sehen unmöglich aus / Unsere Art sich zu bewegen / Gleicht einem Fallen oder Schweben / So als wäre uns der Boden / Unter den Füßen weggezogen / Wir laufen durch die Strassen / Und wir sind überall / In den Grau- und Zwischenzonen / Wo die Umrisse verschwimmen / Wir sind schillernde Gestalten / Die die Lichter reflektieren / Unsere Augen sind verborgen / Hinter dunklen Sonnenbrillen / Wir sind von vornherein verdächtig / Nicht ganz bei Trost zu sein / Es ist als trügen wir ein Licht in uns / Das einer anderen Welt entsprungen ist…“

Man muss nicht erst aus „Zombi„, vor knapp elf Jahren wohl so etwas wie der größte „Hit“ der aus Hamburg stammenden Band Kante aus deren Album gleichen Namens, zitieren, um sicher zu gehen, dass das Fünfergespann stets etwas anders war als deren Kollegen der „Hamburger Schule„, jener Musikrichtung, die Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger von der Hansestadt aus mit Bands wie Tocotronic, Blumfeld, Die Sterne, Tom Liwas Flowerpornoes, später auch Kettcar oder Tomte, zu grungigen Schrammelgitarren eine neue, frische Art von vor allem textlich verankerter Dialektik in den Popdiskurs einbrachte, ohne die einer ganzen Stange von Bands, angefangen von Wir sind Helden über Fotos bis hin zu Kraftklub, der Erfolg bringende Nährboden gefehlt hätte. Da war allein schon die Art, mit welcher die Band stets hinter ihre Songs trat, um das Liedgut ganz und sonders für sich selbst sprechen zu lassen, während dazu eine Gruppe musizierte, die – damals – wie ein Haufen sympathischer-ernsthafter Lehramtsstudenten bei ihrer schönsten Freizeitbeschäftigung erschien: uneitel, selbstversunken und wahnsinnig fokussiert aufs große Ganze. Grenzen haben das Kollektiv um Sänger Peter Thiessen, der sich zwischen 1996 und 2002 ausgerechnet bei Blumfeld, den anderen wichtig-großen Lyrikern der „Hamburger Schule“, am Bass verdingte, eh nie gestört. So dominierten auf dem 1997 erschienen Debüt „Zwischen den Orten“ noch instrumental angejazzte, dezent elektronische Stücke, während man vier Jahre später auf dem Zweitwerk „Zweilicht“ und fantastischen Stücken wie dem sanften „Im ersten Licht“ oder dem markant-eingänigen „Die Summe der einzelnen Teile“, das damals, zu seligen Viva2-Zeiten, massig Musikvideo-Airplay erhielt, geradezu aufhorchen musste: „Wir leben von einem Glauben / Der unserer Gegenwart vorauseilt“. Und wo andere Kollegen mit weitaus zählbarer Substanz schnell wieder in ihrer kleinen Indie-Nische verschwanden, legten Kante mit dem bereits erwähnten „Zombi“ (2004) und „Die Tiere sind unruhig“ (2006) zwei Alben nach, die auch heute noch wie wahnhaft-hitzige Fieberträume aus Nächten voller knirschender Gitarrenriffs, gespenstischer Pianoläufe, sanft brodelnder Free Jazz-Anleihen und geradezu lieblichen Melodien klingen, welche von Thiessens süffisant gesellschaftskritischen Texten flankiert wurden – in dieser Champions League deutschsprachiger Rockmusik konnten bis heute lediglich die nahestehenden Kollegen von Sport, bei denen Kantes Gitarrist Felix Müller den singenden Vorsteher gibt, ansatzweise mithalten. Die gesamte journalistische Fachwelt überschlug sich geradezu mit Lobeshymnen (so ernannte etwa der Musikexpress „Die Tiere sind unruhig“ 2006 zu seinem „Album des Jahres“) – und was machten Kante? Nur ein Jahr nach ihrer bislang rockigsten Platte schob das Quintett die verschrobene Theaterrevue „…Plays Rhythmus Berlin„, geschrieben für eine Revue am Berliner Friedrichstadtpalast, nach, welche die Band erneut in einem ganz neuen Gewand präsentierte, jedoch so gar nicht an seine Vorgänger anknüpfen wollte. Es schien fast so, als wollten sich Peter Thiessen und Co. ganz bewusst gegen den Fahrtwind stellen und den Erfolg wieder einmal ganz bewusst anders handhaben als das Kollegium…

kante 2015

Fotos: Promo / Viviane Wild

Dass ganze acht Jahre bis zum nun erschienenen sechsten Studioalbum „In der Zuckerfabrik“ vergehen sollten, hatten wohl auch Kante so nicht gedacht, wohl weißlich jedoch eingeplant. So ist im Booklet zu lesen: „2007 trat die Regisseurin Friederike Heller an uns heran, ob wir Lust hätten, die Musik für ihre Inszenierung von Peter Handkes ‚Spuren der Verirrten‘ am Burgtheater Wien zu schreiben und für die Vorstellungen auf der Bühne zu performen. Hatten wir. Weil wir sofort das Gefühl hatten, dass das passen könnte und wir zu Friedrike einen Draht haben würden. Und so war es, wir wurden nicht nur Fans von Friedrikes post-dramatischer, epischer, nach-brechtscher Bühnensprache, nach und nach stellte sie sich auch noch als einer der wunderbarsten Menschen überhaupt heraus. Der unglaubliche Handke-Text, die irre Burgtheaterwelt, die Wiener Küche und die wundervollen Schauspieler taten ein Übriges: Wir hatten Theaterluft geschnuppert und Blut geleckt. Und so ging es dann von Bühne zu Bühne, Stück zu Stück, Stadt zu Stadt und Text zu Text.“ Über Jahre fügten sich Kante als reine Bühnenband in Stücke am Wiener Burgtheater, Dresdner Staatsschauspiel, an der Berliner Schaubühne und am Münchner Residenztheater ein, vertonten Texte, Gedichte und Partituren zu Inszenierungen nach Sophokles, Goethe, Voltaire, Dostojewski und Bertolt Brecht. Nun mag der kundige Hörer der vor genau zwanzig Jahren formierten Hamburger Gruppe meinen, dass dies eine Vergeudung sei, zählte doch vor allem Peter Thiessens Lyrik zum sowohl Verschrobensten als auch Schönsten, was es in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen popmusikalischen Kontext zu hören gab. Nun… nicht ganz.

Fotos: Promo / Viviane Wild

Denn, wie man nun anhand der 15 Stücke starken Songauswahl aus der Theaterzeit Kantes hören kann, konnten sich Thiessen und Band durchaus zu großen Teilen selbst in die Inszenierungen einbringen. So ist bereits das „Lied von der Zuckerfabrik“ ganz und gar Kante. Thiessen schlüpft darin in die Rolle eines entflohenen Sklaven, während die Band Voltaires schlappe 256 Jahre junge Romanparodie „Candide oder der Optimismus“ mit dem typisch wuchtigen Drive, Bottleneck-Gitarrensounds und erhabenen Bläserarrangements zu einem Stück macht, wie es zeitgeistiger kaum sein könnte: „Das ist der Preis, das ist der Preis / Das ist das Blut, das bei uns fließt / Das ist der Preis, das ist der Preis / Um den ihr drüben in Europa euren Zucker genießt“. Die bittere Klage eines Sklaven, der den Zusammenhang zwischen brutaler Unterdrückung in seiner Welt und dem Wohlstand in Europa herstellt, ist harter, politisch hochaktueller Stoff für eine Gesellschaft, die sich seit dem 18. Jahrhundert kaum zum Besseren verändert haben mag, gerade deshalb jedoch so großartig und wichtig ist. Ähnlich verhält es sich auch mit „Das Erdbeben von Lissabon“, in welchem Kante ein Langgedicht Voltaires über das – jawohl – Erdbeben von Lissabon im Jahr 1775 mit lässigen Mali-Grooves vertonen und so einer bitter-sarkastischen Abrechnung mit grundpositiver Philosophie und Theologie Musik verleihen. Anderswo findet der Freund der Band ebenso in die Fussspuren früherer Großtaten zurück, etwa im lieblichen „Wenn ich dich begehre gegen jede Vernunft“, ein Gedicht von Thomas Brasch, das die Band im Rahmen der Dostojewski-Inszenierung „Dämonen“ zum Besten gab und bereits jetzt zu den schönsten Liebesballaden des noch jungen Jahres gezählt werden darf, dem stürmischen Desertrocker „Morgensonne“, welches Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ innerhalb von vier Minuten mit dem Geist der Queens Of The Stone Age vereint, oder „Donaudelta“, einem Handke-Stück aus „Spuren der Verirrten“, bei dem die großen Flussdeltas dieser Welt zu einer Musik besungen werden, während einen die Musik auf sanften Harmoniegesangswellen davonträgt. Freilich ist nicht jedes der 15 Stücke „ganz und gar Kante“ – vor allem in der Albummitte von „In der Zuckerfabrik“ klingt viel Theatralik (im Wortsinne) an, sodass man sich „Keine Wegspur, nichts zu sehen“, „Arioso der Shen Te“, „Glückselige jener Zeit (Zweites Standlied)“ (aus Sophokles‘ „Antigone“) oder „Das Lied vom Sankt Nimmerleinstag“ nur schwerlich in der Setlist einer „normalen“ Kante-Liveshow vorstellen kann. Dort würde jedoch andererseits ein Song wie „Geist der Liebe (Drittes Standlied)“ (ebenfalls aus „Antigone“, das bereits mehr oder minder 2500 Jahre auf dem tragischen Buckel hat) mit seinen Gitarrenschleifen zu Thiessens markantem Gesang nicht groß auffallen, während sich der Sänger anderswo, in „The Black Rider“, einer Tom Waits-Komposition aus dem legendären William Burroughs-Stück gleichen Namens, an englischsprachigem Liedgut versucht (und mit dezent deutschem Akzent sympathisch scheitert) und „Walzer“, erneut aus Handkes „Spuren der Verirrten“, bei dessen Theaterinszenierung, laut der Band, zwei knapp achtzigjährige Schauspieler zum Instrumentalstück über die Bühnenbretter tanzten, den Theaterreigen zum Abschluss bringt.

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Natürlich kann man bei „In der Zuckerfabrik – Theatermusik“ nicht von einem „Kante-Album“ im direkten Sinne sprechen (slash: schreiben). Allerdings bringen die 15 Stücke so einige Insignien mit, die auch die Vorgänger so toll und reichhaltig gemacht haben: den überbordenden Mut zur Neuerung und zum Experiment, den Gitarrenrock, die Liebe zum Detail, die leicht absurd-irre Stimmung, die natürliche Erhabenheit, mit der Kante gleichzeitig über ihren Songs zu schweben scheinen und diese aufs Innigste umarmen. Vielmehr ist das Album ein Querschnitt der Bandaktivitäten der letzten Jahre, jenseits des Popkontextes –  Dass dieser „Theater! Theater“-Anspruch mit all seinen Gefühlsschwankungen – mal todtraurig-betrübt, mal sehnsuchtsvoll verliebt, manchmal wütend, manchmal gut gelaunt wie ein kleines Kind – nicht fürs breite Publikum gedacht ist, spricht für sich. Trotzdem ist es erstaunlich, wie heterogen die Band den Bogen von Sophokles über Goethe bis hin zu Peter Handke spinnt, ohne dabei je die gewisse Prise Zeitgeist und Gesellschaftskritik aus den Augen zu verlieren. Übrigens dürfen sich Freunde der älteren Kante-Alben durchaus berechtigte Hoffnungen auf die erste „echte“ Platte der Hamburger seit 2006 machen, wie Frontmann Peter Thiessen kürzlich verriet: „Im Frühjahr mache ich mit (Schlagzeuger) Sebastian Vogel noch ‚Dantons Tod‘ in Dresden. Den Rest des Jahres haben wir uns freigehalten, um wieder an einer Platte zu arbeiten. Mal sehen, wie schnell wir voran kommen, ob wir dieses Jahr noch ins Studio gehen.“. Für den Moment tröstet einen „In der Zuckerfabrik“ ganz gut über die erneute Wartezeit hinweg. Denn man weiß ja: Kante waren schon immer ein wenig anders als der Rest…

 

Hier gibt es mit dem „Lied aus der Zuckerfabrik“…

 

…und „Das Erdbeben von Lissabon“ zwei der wohl besten Songs von „In der Zuckerfabrik“ zu hören:

 

Rock and Roll.

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