Schlagwort-Archive: Tim Kasher

Das Album der Woche


Tim Kasher – Middling Age (2022)

-erschienen bei 15 Passenger/Thirty Something Records-

„Don’t wanna live in the now / Don’t wanna know what I know.“ So hieß es, des Hier und Jetzt ziemlich überdrüssig, anno 2008 auf Cursives „Mama, I’m Swollen“ – Tim Kasher halt, der alte Berufsskeptiker. Ein sorgsam erarbeiteter Status, der auch aus seinen Soloplatten „The Game Of Monogamy“ (2010), „Adult Film“ (2013) oder zuletzt „No Resolution“ (2017) sprach: Liebe, Treue, das potenziell prekäre Künstlerdasein und die Vielzahl von Albträumen, die einem der Alltag nach dem Aufwachen bereitet – es bleibt schwierig. Auch auf Kashers viertem Album „Middling Age„, einer durchaus existenzialistischen Abhandlung über beinharte Themen wie Sterblichkeit und Verlust, die ungewollt in einer Zeit erscheint, in der die Welt mit ganz ähnlichen Problemen kämpft. Wobei dem inzwischen 47-jährigen Musiker aus Omaha, Nebraska, der sonst Bands wie den bereits genannten Cursive oder The Good Life vorsteht, die Erkenntnis dämmert: Heute ist zwar irgendwie doof, aber früher war auch scheiße. Midlife Crisis deluxe quasi, wie es der Titel bereits andeutet, aber immerhin stellt das Cover ein geruhsames Lebensabendidyll unter südlicher Sonne in Aussicht. Oder doch eher in der „Klinik unter Palmen„? Möglich, aber auch egal – erstmal müssen wir uns ja mit der lästigen Realität herumschlagen…

Und die sieht 2022 nicht viel rosiger aus als zu Zeiten von „The Game Of Monogamy“, wenn Kasher in „I Don’t Think About You“ zu reduzierten Klängen mit folkiger Note und Zweitstimme von Cursive-Kollegin Megan Siebe die Mängelliste jahrelangen Zusammenlebens überschlägt: ungelenke Zweisamkeit im Bad, während sie unter der Dusche steht und er auf dem Klodeckel sitzt, lächerlich großes Doppelbett auf Wunsch einer einzelnen Dame, im Streit zerdepperte Hochzeitsgeschenke als brüchiges Unterpfand einer allmählich Risse zeigenden Ehe. Es ist dem Mann mit kredibler „Saddle Creek„-Vergangenheit hoch anzurechnen, dass er – ganz ähnlich wie anno 2004 auf dem großartigen The Good Life-Meisterwerk „Album Of The Year“ – eine so trübe Bestandsaufnahme in ein flockig-trostreiches Stück Americana-Folk einwickelt und mit dem deprimierenden Lebenslauf aus „You Don’t Gotta Beat Yourself Up About It“ genauso verfährt: „We complete education / Then snag a vocation / And then maybe a retirement party / Life’s work and then you die.“ Arbeit tadelt, Songs wie diese keineswegs.

Dennoch: Hätte Kasher das ursprünglich geplante Akustik-Album konsequent in die Tat umgesetzt, wäre aus „Middling Age“ auf Dauer wohlmöglich eine arg spröde, vielleicht sogar fade 40-Minuten-Angelegenheit geworden – und den Dämonen von Kindheit und Jugend, die er hier zuweilen exorziert, nicht gerade angemessen. Wir erinnern uns: Früher war auch scheiße. Zum Beispiel wegen des Serienmörders John Joubert, der in den Achtzigern drei Zeitungsjungen umbrachte und dem damals infantilen Tim solche Angst einjagte, dass er im Traum eine nach dem Killer benannte Band gründete. Entsprechend erinnert „The John Jouberts“ an dessen Opfer und knatscht und rumort ansatzweise im Stil psychotischer Meisterwerke wie Cursives „The Ugly Organ“ oder The Paper Chases „Now You Are One Of Us“ – freilich, ohne vollends deren jeweilige Klasse zu erreichen. Einige tolle Momente hat Kasher, der in diesem Interview mi „SPIN“ mehr zu „Middling Age“ und auf seine bisherige Indie-Karriere zurückblickt, bei seinem neusten Alleingang natürlich trotzdem noch auf der Pfanne.

Etwa das von einem Cello, mystischer Atmosphäre und beklemmenden Singer/Songwriter-Soundscapes ausgestattete „Whisper Your Death Wish“, eine herrlich bedrückende, im Abgang sogar jazzige Episode, das vorwitzige, pointierte „100 Ways To Paint A Bowl Of Limes“ oder den nervösen, an Bläser-Plärren und sägendem Cello geschärften Uptempo-Shuffle „On My Knees“, welcher dem Begriff Gottesfurcht ganz neue Seiten abringt: „Not scared of hell / Went to Catholic school / I found Jesus / To be a terrifying presence in my life.“ Und wenn Kasher, der auf „Middling Age“ einmal mehr seine Fähigkeit, komplexe Themen mit Einfühlungsvermögen, Menschlichkeit sowie Witz zu erforschen (und sich dabei nie übermäßig bierernst nimmt), unter Beweis stellt, schon zu Lebzeiten so lichterloh brennt wie hier oder in der hektischen Selbstoptimierungsparodie „Life Coach“, scheint er nur allzu gut gerüstet für die Kehrwoche im Fegefeuer. Oder eben für die Zukunft als liebenswerter Zombie im wunderbar ausladenden Abschluss „Forever Of The Living Dead“. Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace leidet als zweite Stimme mit, Jeff Rosenstock pflastert den Weg zur Hölle mit einem schmierigen Saxofonen, im Intro und Outro des Albums bringt sich Tim Kashers neunjährige Nichte Natalie Tetro schon mal als Songwriterin der nächsten Generation in Stellung. Für uns mittelalte Säcke bleibt nur der Nachtfrost auf dem Friedhof. Rosige Aussichten, oder? Na denn: ein Prosit auf alles Endzeitliche!

Rock and Roll.

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Song des Tages: Cursive – „Black Hole Town“


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Tim Kasher und seine Derzeit-Hauptband Cursive scheinen gerade einen Lauf in die (qualitativ) richtige Richtung zu haben: Nachdem erst im vergangenen Oktober Album Nummer acht, „Vitriola“, erschien (welches in der 2018er Endabrechnung nicht ohne Grund ANEWFRIENDs „Album des Jahres“ wurde), darf man guten Gewissens den Eindruck bekommen, dass die fünf US-Post-Hardcore-Indierocker noch die ein oder andere wütende Idee mehr im Rock-Köcher haben, schließlich legten Cursive erst vor wenigen Tagen mit dem neuen Song „Barricades“ nach, in welchem sich Frontmann Tim Kasher einmal mehr ebenso gesellschaftskritisch wie politisch gibt: Zum aufreibenden Sound seiner Band singt er aus der Perspektive verschiedener Figuren, die jeweils deutlich machen, wie sich Menschen heutzutage mehr und mehr voneinander abgrenzen.

Und nun? Gibt’s mit „Black Hole Town“ gleich noch ein ähnlich feines neues Stück, in dem Kasher vom mausgrauen Rattenrad Alltag berichtet. Dass sich beide Songs auch auf „Vitriola“ gut gemacht hätten? Spricht für den Cursive’schen Lauf. Ob bald schon ein neues Album ansteht? Bleibt zu wünschen, bleibt abzuwarten…

 

 

Edith: Und kaum schreibe ich obige Zeilen, haben Cursive mit „Marigolds“ schon wieder einen Song aus dem rege genutzten Aufnahmestudio entlassen… Fleißig, fleißig dieser Tage, Tim Kasher und seine Jungs…

 

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick – Teil 1


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Was für Musik braucht man in einem Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf die Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie Schlechte – für Momente vergessen lässt. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2018 einmal mehr wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!

 

 

cursive_virtiola.jpg1.  Cursive – Vitriola

So sehr ich Tim Kasher für nicht wenige Diskografie-Glanzlichter (angefangen bei Cursive bis hin zur Zweitband The Good Life und den Solo-Werken) schätze, aber: Wirkliche Erwartungen – im Positiven – hatte ich zuletzt kaum noch. Dafür war vor allem das letzte, 2015 erschiene The-Good-Life-Album „Everybody’s Coming Down“ einfach zu mies, und auch die 2013 beziehungsweise 2017 veröffentlichten letzten Alleingänge „Adult Film“ und „No Resolution“ waren zwar mit einigen Ausnahmesongs gesegnet, verschwanden allerdings schnell wieder in den hinteren Ecken des (digitalen) Plattenregals.

Dass es also Cursive, Tim Kashers bereits seit den Neunzigern bestehende Alle-Jubeljahre-wieder-Stammformation, heraus reißen würde, darauf durfte man auch kaum vertrauen, schließlich konnten dort weder „Mama, I’m Swollen“ (2009) noch das im großen Stil gescheiterte „I Am Gemini“ (2012)  mit der Intensität von „The Ugly Organ“ oder dem kalkulierten Wahnwitz von „Happy Hollow“ mithalten. Warum also sollte ausgerechnet „Vitriola“, Cursives erstes wirkliches Lebenszeichen seit geschlagenen sechs Jahren, da auf überzeugenderen Schienen unterwegs sein?

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Nun, zunächst einmal, weil mit Tim Kasher, Matt Maginn, Ted Stevens, Clint Schnase sowie Co-Produzent Mike Mogis – erstmals seit „Happy Hollow“ und zwölf Jahren –  Cursives bewährte Stammformation wieder an Bord ist. Und auch, und das wiederum erstmalig seit „The Ugly Organ“ und immerhin 15 Lenzen: das Cello ist zurück! Und ebenjenes füllt gleich einmal jede Ecke und Kante der zehn Albumstücke aus. Und wie! Bei aller Ruppigkeit gelingt es Kasher und Co. derart fulminant, ihr einmal mehr einem Cursive-Album zugrunde liegendes hochtrabendes Konzept (diesmal arbeitet sie sich am Existenzialismus ab, der in Richtung Nihilismus, mal hin zu dystopischer Verzweiflung abwandert und von der Art und Weise erzählt, wie die Gesellschaft, ähnlich wie ein Schriftsteller, einerseits im Eifer erschafft, andererseits jedoch auch – sich selbst – zerstört) an die Hörerschaft zu bringen, dass man kaum mehr indierockende Zeitgeist-Kritik von irgendeiner anderen Band erwarten kann. Diese Songs sind pissed, sind angewidert, sind unzufrieden. Ganz gleich, ob, wie in „Under The Rainbow“ Unruhe in Wut überschwappt, die die Selbstzufriedenheit der privilegierten Klassen anklagt, sich im großartigen „It’s Gonna Hurt“, das Klimax über Klimax über Klimax schraubt, Trauer Bahnen bricht, in „Life Savings“ Geldgier und Konsumhörigkeit vor die Flinte laufen, oder, wie etwa im Abschluss „Noble Soldier / Dystopian Lament“, ein eindringlicher Blick auf einen möglichen gesellschaftlichen Kollaps geworfen wird, der wenig Hoffnung bietet, aber versucht Schönheit und Schrecken auf dem Kopf einer Nadel auszubalancieren. Und so wunderbar kaputte Schrammelorgien wie etwa „Ghost Writer“ können ohnehin nicht viele verfassen…

Natürlich darf man auch 2018 keinen zugänglichen Radiopop von Cursive erwarten – warum auch? Die Welt ist keine gute, der Mensch darin im Zweifel dem anderen gegenüber kaum selten feindsinnig gestimmt, und oft genug nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Tim Kasher spricht all das in so einigen feinsinnig-bissigen Alltagsbeobachtungen offen genug an. Und das tönt auch wegen Megan Siebes fast omnipräsentem Cello so kraftvoll wie gefühlt noch nie im Cursive’schen Klangkosmos… So famos wie kaum etwas anderes 2018, und deshalb meine liebste Platte!

 

 

mastersystem_dancemusic2.  Mastersystem – Dance Music

Dass „Dance Music“ Scott Hutchisons Abschiedsgeschenk an die stetig wachsende Hörerschar des umtriebigen Frightened-Rabbit-Frontmanns werden würde, konnte – wenn überhaupt, denn all das gehört freilich ins Reich der Spekulationen – wohl nur er selbst ahnen. Trotzdem bleibt es dabei: Scott Hutchison ist tot. For fuck’s sake, damnit! Und dieses gemeinsam mit befreundeten Musikern aus Kapellen wie den Editors oder Minor Victories aufgenommene Album einhält daher die wohl sinnlosesten Abschiedszeilen des Musikjahres. Sind sie großartig, diese Songs? Zur Hölle, ja! Würde ich sie eintauschen für ein paar von Scott verfasste Worte, in denen er – gesund, lebend und bester Dinge – von den Aufnahmen eines Nachfolgers zum nun auch finalen 2016er Frightened-Rabbit-Album „Painting Of A Panic Attack“ schreibt? Zu gern, zu gern…

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restorations_lp5000.jpg3.  Restorations – LP5000

Ganz ehrlich: Plattencover des Jahres, mit Abstand. Dass auch die – leider: nur – sieben Songs von „LP5000“ zu überzeugen wissen, spricht für die stetige Entwicklung von Restorations. Dass die fünfköpfige Indierock-Band aus dem US-amerikanischen Philadelphia, Pennsylvania auch mit Album Nummer vier nicht unter „Geheimtipp“ für Freunde von Referenzbands wie The Gaslight Anthem, The Hold Steady, Hot Water Music, Jimmy Eat World oder den Get Up Kids verbucht werden darf, ist da eigentlich eine Schande, denn toll ist auch 2018 jede neue Albumnote. 

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yellowknife_retain4.  Yellowknife – Retain

„Grundsympathischer Indierock wie um die Jahrtausendwende herum – schroff, direkt und unaufdringlich. Kribbelt. Rockt. Macht Laune. Umarmt.“ Besser als diese zehn Songs aus der Feder von Tobias „Tobi“ Mösch und seinem Band gewordenen Wohnzimmer-Projekt Yellowknife ist dies 2018 in Indienrock-Deutschland keiner anderen Band geglückt. Macht zuckerfrei süchtig. Da kannste eigentlich nur kritisieren, dass bereits nach 35 Minuten der Finger einmal mehr auf die Repeat-Taste wandern muss…

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william_fitzsimmons_missionbell5.  William Fitzsimmons – Mission Bell

Würde man versuchen, die Biografie von William Fitzsimmons zu verfilmen, das Ergebnis würde wohl fast schon zwangsläufig zu einem kitschigen Zelluloid-Melodram verkommen (oder wahlweise zu einer vor Pathos triefenden Prime-Time-Telenovela). Und auch, wenn man sich bei einem Urteil wie diesem ein klein wenig wie ein schlechter Mensch fühlt, aber: Der 40-jährige grundsympathisch-herzliche US-Singer/Songwriter ist immer dann besonders gut, wenn es um das Vertonen seiner eigenen Schicksalsschläge geht. Und davon hat Studiowerk Nummer sieben, „Mission Bell“ so Einige zu bieten. Manchmal mag’s so sehr zu Herzen gehen, dass sich Kuschelplümo und Kakao fast von selbst erwärmen. Ach, William… ♡

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exre_exre.jpg6.  Ex:Re – Ex:Re

„“Ex:Re“ ist ein Trennungsalbum, wie es auch schon die Daughter-Vorgänger waren, eine Sammlung an Tipps zum Verkraften und Überleben, eine Anleitung zum Alleinsein. Eine Art Tagebuch, in das man nur nachts schreibt, wenn der Kummer einem den Schlaf raubt.“ wie Jennifer Deiner in ihrer plattentests.de-Rezension zum Solo-Debüt von Daughter-Frontfrau Elena Tonra schreibt. Klar sind die zehn darauf dem Herzschmerz abgerungenen Stücke durch und durch traurig, schonungslos offen und unheimlich direkt – allerdings auch weit weg davon, wirklich trostlos zu sein. „When you sheltered yourself and / Cut off the phone / Well, I knew then / You weren’t hurt / You’de forgotten / How to love“ heißt es zwar im abschließenden, bitteren „My Heart“. Trotzdem legen sich die meisten Songs wie eine düster glimmende nächtliche Decke um den Hörer, und lassen ihn wissen: Du bist nicht allein.

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pianosbecometheteeth_waitforlove.jpg7.  Pianos Become The Teeth – Wait For Love

Der Album-Vorgänger „Keep You“ war 2014 noch auf dem Treppchen zu ANEWFRIENDs „Platten des Jahres“, „Wait For Love“ schafft es 2018 zumindest in die Top Ten. Und das auch völlig zu recht für Pianos Become The Teeth. Denn obwohl das Quintett aus dem US-amerikanischen Baltimore, Maryland Note für Note immer weiter das Post-Hardcore-Gewand der wütenden ersten beiden Werke „Old Pride“ und „The Lack Long After“ abstreift, um seine Songs hin zum mittlerweile sehr melodisch-melancholischen Indierock zu öffnen, tut dies der Spannung keinen Abbruch. Denn vor allem die Stimme von Kyle Durfey ist viel zu großartig, um als Schreihals im nächsten juvenilen Moshpit zu verenden. Und wie hieß es doch im 2013 erschienenen Song „Hiding“ (welcher an sich bereits die formvollendete Richtungskorrektur vorweg nahm): „You can’t stay angry forever, or so I’m told…“

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Quiet-Slang-Everything-Matters-But-No-One-Is-Listening-700x700.jpg8.  Quiet Slang – Everything Matters But No One Is Listening

Beach-Slang-Frontmann James Alex nimmt sich den ein oder anderen Song seiner Stammband noch einmal vor – und stimmt diese dann eine ganze Ecke leiser an. Passenderweise als Quiet Slang. „Insgesamt scheint die Idee von Beach Slang-Frontmann James Alex, als Quiet Slang mit einer intim(er)en Variante seiner Hauptband an den Start zu gehen, eine durchaus brillante zu sein, schließlich kommt sein herrlich ungeschliffen-raues Organ zu Piano, Akustischer und Streichern nun voller zur Geltung.“ Absolut. Und alle, die befürchten, dass Beach Slang nun deshalb in der Versenkung verschwinden würden, seien beruhigt: Diese Album gewordene Verschnaufpause scheint James Alex genügt zu haben, denn bald schon soll es wieder neue Beach-Slang-Songs zu hören geben…

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slothrust_thepact9.  Slothrust – The Pact

Gäbe es einen J-Mascis-Gedächtnis-Award für den bloßen Versuch, ein feinsäuberlich durchgegniedeltes Gitarrensolo in möglichst JEDEM Indierock-Song unter zu bringen, so wären Slothrust hierfür die wohl sichersten Anwärter des Musikjahres 2018. Denn für das Trio aus Boston, Massachusetts scheint es ein Leichtes zu sein, ein Solo in eben nahezu jedem der zwölf Stücke von Album Nummer vier, „The Pact“, zu platzieren. Kann nerven? Kann aber auch recht geil sein. Dafür sorgt auch die stilistische Melange, durch welche sich Leah Wellbaum, Kyle Bann und Will Gorin mittlerweile recht leichtfüßig bewegen. War „Everyone Else“, der 2016 erschienene Albumvorgänger, noch ein einziger tiefer Flanellhemd-Knicks vor der Grunge-Ära, so tauchen die Songs des Dreiergespanns mittlerweile ohne jegliche Berührungsängste auch in Indiepop- oder Alt.Country-Gefilde ab und schrecken auch vor subtilen Synthie-Streichern oder einem Jazz-Saxophon-Solo (!) nicht zurück. Macht mächtig Laune, das Ganze! And this year’s J-Mascis-Gedächtnis-Award goes to…

 

 

clueso_handgepäck.jpg10.  Clueso – Handgepäck I

Wie meinte ich noch im August: „Ist halt ein Guter, der Cluesen.“ Das hat sich freilich auf im Verlauf der letzten Monate kaum geändert. Und allen, für die der Pop auf den letzten Nummer-Eins-Alben des gebürtigen Erfurters Überhand nahm, bietet Clueso auf „Handgepäck I“ eine – Outtakes hin, Album-Überbleibsel her – in sich stimmige Sammlung meist akustisch-reduzierter Songs an, über denen – zumindest, wenn’s nach mir geht – seine Neuinterpretation des Puhdys-Klassikers „Wenn ein Mensch lebt“ thront…

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…und auf den weiteren Plätzen:

Boygenius – Boygenius EP mehr…

Hannes Wittmer – Das große Spektakel mehr…

Spanish Love Songs – Schmaltz

Foxing – Nearer My God

We Were Promised Jetpacks – The More I Sleep The Less I Dream mehr…

 

 

Persönliche Enttäuschungen 2017:

adam-angst-neintology.jpgAdam Angst – Neintology

Das selbstbetitelte Debüt war 2015 noch ANEWFRIENDs „Album des Jahres“, der „Neintology“ genannte (und aufgrund des auch heute noch famosen Vorgängers konsequenterweise selig erwartete) Nachfolger jedoch lief bei mir seit Veröffentlichung im September geschätzte zwei, drei Mal. Was also ist passiert? Adam, du machst mir Angst! Adam, wir haben wohl Redebedarf…

Eine der großen Stärken des Debütalbums war noch, dass Frontmann Felix Schönfuss und seine Band Dinge klar – und meist darbst angepisst – beim Namen nannten, Problemkarten offen auf den Tresen der Indierock-Spelunke legten – und daraus ordentliche Punkrock-Songs mit eingebauter Repeat-Taste klöppelten. Drei Jahre später sind die Zeiten, und freilich auch die Gesellschaft um die Band herum, kaum besser, trotzdem gelingt es Schönfuss und seinen Mit-Adam-Ängsten nur recht selten, den Funken (erneut) überspringen zu lassen. Der vermeintliche Technologie-Horror von „Alexa“ mag zwar im ersten Moment witzig erscheinen, ist jedoch arg überformuliert. Der Protektionismus-Abgesang „Blase aus Beton“ geht in Ordnung, stinkt letztendlich jedoch gegen fast jedes Stück des Vorgängers mächtig ab. „Kriegsgebiet“ arbeitet sich zu tobenden Riffs und drückenden Drums an allerlei Erste-Welt-Problemen ab (das wusste die Band 2015 mit „Splitter von Granaten“ noch weitaus besser hinzubekommen). Beinahe der einzige Lichtblick: „Alphatier“. Dieser beschäftigt sich in der Ich-Perspektive mit dem Coming Of Age einer Transperson und ermuntert diese schlussendlich zum Coming Out. Offenbar hat sich das Quinitett die Kritik, die es in „Punk“ ironisch vorweg formuliert, am Ende tatsächlich zu Herzen genommen: Zu smart, musikalisch zu unkomplex. Weiterskippen statt auf Repeat zu hämmern. 2018 wandeln Adam Angst bestenfalls auf etwas blassem Ärzte- und/oder Farin-Urlaub-Niveau (ohne es despektierlich zu meinen, aber auch Champions und Europa League sind ja zwei verschiedene Ligen). Das Debüt spuckt noch heute Gift und Galle, das hier tut leider niemandem mehr weh. Böse Zungen würden nun darauf verweisen, dass Frontmann Felix Schönfuss in diesem Fall zum ersten Mal ein zweites Album mit einer seiner Bands (in der Vergangenheit etwa Escapado oder Frau Potz) abgeliefert hat, und dieses ja in der Vergangenheit „aus Gründen“ vermied. Nach einem Meilenstein-Schuss ist wohl stets Schluss? Ich erbitte Besserung!

 

 

aperfectcircle_eattheelephantA Perfect Circle – Eat The Elephant

Zunächst einmal ist es toll, dass sich Maynard James Keenan und Kompagnon Billy Howerdel nach schlappen 14 Jahren tatsächlich mit einem neuen A Perfect Circle-Langspieler zurück melden. Klar, gerade Keenan lag in der Zwischenzeit mit seiner Weinbau-Passion, seinem etwas umtriebigeren (und ab und an arg spleenig-ambitionierten) Band-Projekt Puscifer sowie neuerdings wieder Tool (deren Nachfolger zum 2006er Album „10,000 Days“ längst zum weltgrößten musikalischen Treppenwitz taugt) kaum auf der faulen Haut. Und gerade deshalb schien ein Nachfolger zum 2004 veröffentlichten Album „eMOTIVE“ nicht eben wahrscheinlich. Wer’s anders sieht, dem seinen mal eben die damaligen Randbedingungen vor Augen geführt, erschien dieses doch am 1. November, und damit einen Tag vor den damaligen US-Präsidentschaftswahlen, bei denen ein gewisser George W. Bush im Amt bestätigt wurde. Danach folgten zwei Amtszeiten von Barack Obama, dem wiederum ein mit dem Goldlöffel aufgezogener, tumbdreist daher plappernder ehemaligen Reality-TV-Show-Star im vermeintlich höchsten Amt der US of A nachfolgte. Die Welt hat sich also seit dem dritten Langspielwerk kaum zum Besseren gewandelt. Bühne frei für neue Songs von Keenan, Howerdel und Co., die sich auch in der Vergangenheit kaum mit Kritik zurück hielten, also?

Nun so einfach ist’s kaum. Natürlich hat die Band in all den Jahren kaum ihre Trademarks, die einerseits von Maynard James Keenan markanter Stimme, andererseits von Billy Howerdels filigranem Gitarrenspiel, welches in Alternative-Rock-Songs mündet, die wiederum beständig im Spannungsfeld zwischen Melancholie und Eruption hin und her mäandern, über Bord geworfen – man höre nur das großartige „Features“! Natürlich gibt es auch 2018 zeitgeistige Sozialkritik, wie etwa im feinen Holzhämmerchen „Disillusioned“. Das Problem mit der Rückkehr von A Perfect Circle ist vielmehr, dass „Eat The Elephant“ zu viel will (und, wie etwa beim fast schon grotesk poppigen „So Long, And Thanks For All The Fish“, auch wagt), dem – freilich einmal mehr schön konzeptuierten -Ganzen jedoch wenig wirkliche Substanz, arg viel oberflächlichen Inhalt entgegen stellt. So verkommt ein Großteil der Stücke auf „Eat The Elephant“ zu einer Mogelverpackung á la Hollywood, gegen die es gerade noch selbst gewettert hat, und wäre – zusammen gedampft auf eine EP – wohl potentiell größer rausgekommen…

 

 

Die Entdeckung des Musikjahres: 

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Soup

Der Bandname? Der wohl nichtssagendste, fast schon schwachsinnigste seit Langem. Die Band selbst? Ein echter Geheimtipp, bei dem selbst ich mich frage, wieso gerade die so lange an mir vorbei musizieren konnten…

Denn vor allem die letzten beiden Studioalben von Soup – die großartigen „The Beauty Of Our Youth“ (2013) und „Remedies“ (2017) – bieten eine wunderbar zusammen gewürfelte Melange aus so Vielem: Kopfkino-Postrock von Größen wie Godspeed You! Black Emperor, Sigur Rós oder Mogwai, psychedelischer Seventies-Rock der Duftmarke Pink Floyd, an manchen Ecken lugen gar Genesis, Steven Wilson, Opeth oder Motorpsycho hervor. Dass der Fünfer aus dem norwegischen Trondheim aus all diesem potentiellen Referenzen tolle Alben (bei den genannten saß wiederum nicht grundlos Mogwai-Mischer Paul Savage hinter den Studioreglern) zimmert, macht das Endergebnis nur noch umso erstaunlicher, sodass man beinahe gewillt ist, dem Promotext unumwunden zuzustimmen: „‘The Beauty Of Our Youth‘ ist ein Album, das gekonnt die Schönheit der Landschaft widerspiegelt und ein Manifest nordischer Melancholie zu sein scheint, auferstanden aus moosigen Wäldern, durch nebelige Berge streifend, um letztendlich in der rauen See zu versinken. Dynamisch, aufregend und entspannend zugleich.“

Verschroben-verschwurbelte Naturromantik trifft also auf die gaaaaanz große Artrock-Palette? Mag sein, ja. Klingt jedoch großartig genug, um Soup – dämlicher Bandname hin oder her – endlich zu mehr als nur einem Geheimtipp-Status gratulieren zu wollen…

Übrigens: Wer wissen mag, ob Erlend Aastad Viken, Ørjan Langnes, Jan Tore Megård, Pål Ramsøy-Halle und Espen Berge ihre große Studio-Show auch auf die Konzertbühnen transportieren können, dem sei etwa die kürzlich erschienene (und leider nur fünf Songs kurze) Live-Konserve „Live Cuts“ ans Hörerherz gelegt.

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Tim Kasher – „No Secret“


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Tim Kasher? Guter Mann, klar. Und obwohl ich’s wahrscheinlich nicht zum ersten (und garantiert nicht zu letzten) Mal erwähne: irgendwie ist der 42-jährige Hansdampf in allen Indierock- und Singer/Songwriter-Gassen – gerade was das „Saddle Creek“-Umfeld betrifft – ja auch für den Namen dieses bescheidenen Blogs verantwortlich, während ich „Album Of The Year„, das 2004 erschienene dritte Album seiner Band The Good Life, seit Jahr und Tag zu meinem wohl liebsten Album aller Zeiten zähle (insofern sich das denn abschätzen lässt).

Dabei bin ich jedoch weit davon entfernt, zum blauäugigen Fanboy zu mutieren, denn dem regelmäßigen Besucher dieses digitalen Buchstabensalats dürfte wohl kaum entgangen sein, dass ich, wenn’s denn angebracht sein sollte (und das war es beim bisher letzten The-Good-Life-Werk „Everybody’s Coming Down“ – leider), auch nicht mit Kritik am Werk vom Kasher-Tim spare. Denn in den letzten Jahren konnte man in der Tat nicht immer zufrieden mit dem musikalischen Output des indierockenden Zweiflers sein, der zwar beständig neue Album in die Regale stellte, die Schnittmengen seiner Bands – The Good Life, welche 2000 als stilles Singer/Songwriter-Projekt startete, auf der einen Seite, Cursive, die seit 1995 im beständigen On/Off-Modus existieren und seitdem Neunziger-Emo mit Indierock und Post-Hardcore vermengen, auf der anderen – jedoch mehr und mehr verschwimmen ließ. Obendrein klangen dann die zuletzt solo veröffentlichten Alben „The Game of Monogamy“ (2010) und „Adult Film“ (2013) irgendwie nach den Schnittmengen aus allem, und gerade deshalb vor allem nach einem: Tim Kasher. Was wiederum nur eines beweist, nämlich dass der Musiker, den es vor einigen Jahren vom heimatlichen Omaha, Nebraska ins sonnige Kalifornien zog, damit alles, was wohl zukünftig unter den Bannern von The Good Life oder Cursive erscheinen würde, obsolet macht. Denn ganz egal, welche Mitmusiker ihre Noten betragen, am Ende tragen alle Songs – von Cursive über The Good Life oder die Solo-Sachen – vor allem Kashers Stempel und Handschrift.

MI0004184528Das ist auch beim neusten, im März erschienenen Solo-Werk „No Resolution“ kaum anders. Obwohl: etwas Neues gibt’s da schon, denn „No Resolution“ ist quasi der Soundtrack zu Tim Kashers erstem eigenen Film (Drehbuch, Regie – alles er, der Hansdampf). Doch obwohl man das szenische Äquivalent zur Geschichte über ein junges verlobtes Paar, das auf dem Weg zur Hochzeit alles richtig machen will und doch grandios scheitert, noch nicht gesehen hat (und sich der Charakter eines Soundtracks mit immer wieder eingestreuten Instrumentals klar herausstellt), lassen sich die neusten Songs aus dem Hause Kasher gut hören. Besser noch: mit typischen Kasher-Topoi von Herzschmerz und dem Scheitern der Liebe an der ollen Realität sind es seine wohl besten seit Jahren, vielleicht sogar seit „Album Of The Year“, mindestens seit „The Game Of Monogamy“. Dabei hat sich der Mann durchaus Gedanken über eine musikalische Neuausrichtung gemacht, denn auf „No Resolution“ stellt er seinem auf Folk getrimmten grüblerischen Indierock öfter denn je ein kammermusikalisches Streicherquartett zur Seite, während das Schlagzeug meist subtil bleibt.

Dass Tim Kasher im ein oder anderen Moment erneut Bezug auf die Soundgefilde seiner Bands nimmt, beweist etwa „No Secret“, das den Furor von Cursive besitzt, ohne jedoch in deren oftmaliges hektisches Zucken zu verfallen.

Auch 2017 gilt: Wo Tim Kasher draufsteht, ist auch Tim Kasher drin. Zu einhundert Prozent. In Bestform. Wer braucht da noch wirklich Cursive oder The Good Life?

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„The song is essentially two characters: one that is restless in his day to day existence and wants to break out of it and a second character that keeps chiming to explain that – for some –  life is only as difficult as we choose to make it.

The ’secret‘ the character keeps offering, isn’t really much of a secret at all, haha, thus, it’s NO Secret. The song follows a quiet LOUD quiet pattern so I complimented that with constant edits of a backing band appearing and disappearing throughout the video.“

 

 
„I got a fever I can’t shake
I got a sickness I ain’t gonna quit
I’m on a streak that I can’t break
Lighting the wick of each relationship

I got a secret to tell you
It’s never as hard as you’re making it seem
I got a secret to tell you
You are the doomed ‚cause you want to be

I’m as ticked off as a time bomb
All I can seem to blow out is my knee
Half a man does a half ass job
I’d blow my top for some disability

I got a secret to tell you
You won’t be content ‚til you’re six feet under
I got a secret to tell you
This life is yours to plunder

Oh, yeah! It’s simple enough to be happy
But who’s gonna choose to ignore
Such basic truths – not you

I can’t remember my childhood
All I recall is a flickering screen
My life is likely a forgery
Cobbled together by books and TV

I got a secret to tell you
You’re not the proxy you pretend to be
Yeah, I got a secret to tell you
You can play dumb if it suits your needs

I’m bustin‘ out of this coffin
I’m gonna roll my old bones in the dirt
Cuttin‘ a rug with my skeletons

Hastily hidden, they never stay put
Boy, I got a secret to tell you
Nobody’s ransacking your dresser drawers
I got a secret to tell you
You’re not even sure what they’re hiding for

Oh, yeah! Nobody wants to be lonely
But you’re willing to make an exception
Just for you – lonely you“

 

Via Bandcamp gibt’s „No Resolution“ – nebst den anderen Alben – in Gänze im Stream:

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: The Good Life – „Are You Afraid Of Dying?“


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Schon beschissen, wenn eine der Herzensbands endlich, nach acht langen Jahren, wieder ein Album rausbringt und sich dieses dann als regelrechter Rohrkrepierer, bei dem gerade einmal zwei (!) gute Songs ab- beziehungsweise auffallen, herausstellt. So geschehen im vergangenen Jahr bei „Everybody’s Coming Down„, dem fünften Werk von The Good Life.

Dass durchaus mehr drin gewesen wäre, beweisen Tim Kasher und Co. nun mit „Are You Afraid Of Dying?“, einem Outtake aus den „Everybody’s Coming Down“-Sessions, welches die Band nun als ein Jahr später hinterher geschobene Single veröffentlicht. Der Song selbst besitzt dabei alle für The Good Life (allerdings mittlerweile auch für Kashers andere Hauptband, Cursive, sowie Tim Kasher solo) gültigen Trademarks, inklusive verschrobener Melodieseligkeit und einer kleinen Gitarrenorgie ab der Zwei-Minuten-Marke. Good job!

 

 

Rock and Roll.

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Abgehört…


Um eines vorweg zu nehmen: Ich mag es nicht, Verrisse zu schreiben. Zum einen ist unser aller Zeit viel zu kurz für – freilich subjektiv empfunden – schlechte Musik. Zum anderen bin ich mir all der Mühe, die die jeweiligen Künstler in ihre zu Alben kumulierten Stücke haben fließen lassen, all der Zeit beim Schreiben und Proben der Songs, all dem Herzblut, die sie in vielen, vielen Stunden Studioarbeit haben einfließen lassen (ganz zu schweigen von den Kosten), durchaus bewusst. Wenn ein Stück, wenn ein Album irgendwann das Licht der Plattenläden erblickt, dann nur, weil die Künstler ihren Hörern wohl etwas zu sagen, etwas zu geben haben. Und nichts läge mir ferner, als sie, nur weil es eben nicht meine sprichwörtliche cup of tea ist, dafür zu kritisieren. Andererseits bin auch ich nur ein Fan, ein Hörer mit all seinen Erwartungshaltungen. Mag sein, dass man im Alter wählerischer wird und weniger offen für Neues. Mag sein, dass die Hürden beim Hören, beim Gefallen und Nichtgefallen mit der Zeit – auch bei mir – höher angesetzt worden sind. Umso trauriger ist es, wenn einen dann einstige Lieblingskünstler immer wieder aufs Neue herb enttäuschen. Also muss es wohl sein… here we go!

 

 

The Good Life – Everybody’s Coming Down (2015)

GD30OB2-N.cdr-erschienen bei Saddle Creek/Cargo-

Einer dieser Allzeit-Lieblingskünstler war (und ist) Tim Kasher. Nicht nur ist der Ü40er seit den Neunzigern eine der stetigen kreativen Triebfedern des renommierten US-Indie-Labels Saddle Creek, über die Jahre hat der Mann mit dem dritten, 2004 erschienenen Album „Album Of The Year“ seines Zweitprojekts The Good Life ANEWFRIENDs potentielles All-Time-Fav-Werk abgeliefert, ohne das es diesen Blog vielleicht nie gegeben hätte – zumindest würde er nicht diesen Namen tragen (mehr dazu eventuell in Zukunft). Obwohl: Zweitprojekt? Das war ja bei Kasher nie so klar. Mal veröffentlichte der Musiker unter dem Namen Cursive (acht Alben bis dato), mal unter dem The-Good-Life-Deckmantel (fünf Alben), mal wieder solo (zwei Alben) – alles in mehr oder minder kurzen Abständen. Und wo Kasher drauf stand, war freilich am Ende auch sehr viel Kasher drin. Den Herren, Jahrgang 1974 und waschechter Omaha’laner (genauso wie sein Herzenslabel Saddle Creek), erkannte man schon immer an seinem windschiefen *hust* Gesang und den wortgewaltigen Texten. Die wurden denn mal von Ausbrüchen, gepflegten Disharmonien und Post-Hardcore mit Hang zum überkandidelten Konzept umrahmt (Cursive), mal von ruhigen, melancholischen bis depressiv-nachtschwarzen Momenten (The Good Life) oder von einem zwischen den Stühlen changierenden Singer/Songwriter mit Lust auf kleine elektronische Experimente (solo). Über die Jahre sprangen so mindestens eine Handvoll toller Alben heraus (etwa „Black Out“ oder das bereits erwähnte „Album Of The Year“ von The Good Life, „The Ugly Organ“ oder „Happy Hollow“ von Cursive oder Tim Kashers Solo-Einstand vor fünf Jahren, „The Game Of Monogamy“), mit denen Kasher und seine jeweiligen Mitmusiker ihre Nische gefunden hatten, die die Orientierungslosigkeit (vom Endzwanziger bis zum Ü40er) in einer immer verworrener erscheinenden Welt als stetes Sujet hatte – auch etwas, was nicht nur mich durch schwere Tage und Nächte gerettet hat.

Mit dem neusten The Good Life-Werk „Everybody’s Coming Down“ verhält es sich nun anders. Zwar ist Tim Kasher noch immer nicht der himmelhoch jauchzende Rosarotmaler (der er freilich nie war). Zwar dominieren noch immer die Gitarren. Aber The Good Life klingen so gar nicht mehr nach der Band, die da einst, auf dem bereits stattliche acht Jahre zurückliegenden letzten Album „Help Wanted Nights„, musizierte und so wunderbar melancholische Barschemel-Musik zustande brachte. Vielmehr haut Kasher anno 2015 alle Haupt- und Nebenschauplätze seiner Kreativität – Cursive, The Good Life, Soloaktivitäten – gleich in einen Topf. Das wäre natürlich nicht weiter schlimm, denn bei Borussia Dortmund würden sich wohl auch nur die Wenigsten beschweren, wenn ihr Verein plötzlich wie der verhassten Bayern aus München spielen, solange man(n) nur Spiele gewinnt. Das Problem ist nur (um einmal bei dieser Analogie zu bleiben): „Everybody’s Coming Down“ fährt keineswegs den Sieg oder die drei Punkte ein…

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Stattdessen schlagen die zwölf neuen Stücke eine Brücke vom Cursive-Krach zum Solo-Pop – und reißen diese in Sekundenbruchteilen mit exorbitant windschiefen Melodien wieder ein. Manch einer mag bei Stücken wie „Everybody“ an Pavement denken, klar. Und gegen die ein oder andere eingestreute Disharmonie mag auch gar nichts zu sagen sein. Allerdings klingt der Großteil der Stücke auf „Everybody’s Coming Down“ derart schräg nach unfertigen Proberaum-Demos, dass man sich wünscht, dass der ein oder andere Song auf ewig dort geblieben wäre. Elektronische Experimente (das Interlude „Happy Hour“) nerven, von hinten aufgezogene Stücke („Flotsam Locker Into A Groove“) gehen komplett nach hinten los. Ganze zehn Songs als sichere Skip-Kandidaten – einzig das gemächliche „The Troubadour’s Green Room“ und der Abschluss „Midnight Is Upon Us“, in welchem Kasher verpassten Gelegenheiten nachtrauert, erinnern im Ansatz an einstige geliebte Großtaten.

Wieso Tim Kasher „Everybody’s Coming Down“ unter dem Deckmantel von The Good Life veröffentlicht hat (außer der Tatsache, dass Schlagzeuger Roger L. Lewis, Gitarrist Ryan Fox und Bassistin Stefanie Drootin-Senseney daran beteiligt waren), wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben – ebenso wie die Tatsache übrigens, dass diese Stücke überhaupt durch seine Qualitätskontrolle kommen konnten. Wo sind die tollen Melodien, wo die majestätischen Refrains, wo die feinen Books und Wendungen? Nervöse Widerhaken und Stacheldrahtriffs statt bekömmlicher Folk-Atmosphäre. Es scheint fast so, als würde sich beinahe jeder Song des aktuellen The Good Life-Werks der Hörbarkeit verweigern. Und das wäre selbst für die Widerspenstigkeit von Cursive bei Weitem zu wenig. „I’m singing for show and tell / I’m singing for a spot on your record shelf“ – hiermit wohl kaum…

 

 

 

Ben Folds – So There (2015)

bf-sothere-72dpi-erschienen bei New West/Rough Trade-

Ganz ähnlich verhält es sich bei Ben Folds. Wie auch Tim Kasher kann der heute 48-jährige Musiker auf eine lange Diskographie in den verschiedensten Formation und Variationen zurückblicken, welche bis Mitte der Neunziger zurückreicht. Mal spielte er mit seiner Stammband Ben Folds Five, die 2012 – nach schlappen 13 Jahren Veröffentlichungsauszeit – ihr viertes Studioalbum „The Sound Of The Life Of The Mind“ in die Plattenläden stellten, mal – und vor allem – solo (drei Alben, von denen das letzte, „Way To Normal„, 2008 erschien), mal gemeinsam mit Ben Lee und Ben Kweller als „The Bens“. Nebenbei verdingte sich der US-Musiker noch als Produzent (etwa für William „Captain Kirk“ Shatner, Regina Spektor oder Amanda Palmer), vertonte Nick-Hornby-Texte (das 2010 veröffentlichte Album „Lonely Avenue„) oder als passabler Fotograf. Doch wenn man ehrlich war, so liegt das letzte richtig gute Ben-Folds-Werk („Songs For Silverman„) schon ganze zehn Jahre zurück. Ganz zu schweigen vom Ben Folds Five-Meilenstein „Whatever And Ever Amen„, der 1997 erschien…

So gesehen hätte er mit „So There“ einiges gut zu machen. Doch wer Ben Folds kennt und dessen Karriere aufmerksam verfolgt, der weiß, dass der gewitzte Songwriter Billy-Joel’scher Couleur sich einen feuchten Kehricht um derlei Erwartungshaltungen schert. Stattdessen hat Folds sich für sein neustes Album mit dem New Yorker Klassik-Sextett yMusic zusammen getan.

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Klassik? Nun ist auch das nichts Neues in Folds‘ Betätigungsfeld, immerhin hatte der Mann schon seit jeher einen Hang zum Getragenen, Sentimentalen. Und: auch Streicher fanden bereits des Öfteren den Weg in seine Songs – ob nun bei Ben Folds Five, auf Solo-Werken oder auf Tournee (siehe die Live-DVD „Ben Folds and WASO Live in Perth“, die ein gemeinsames Konzert mit dem West Australian Symphony Orchestra dokumentiert). Nun also stellte er sich ein Klassik-Sextett zur Seite, um mit diesem acht neue Songs sowie ein dreiteiliges, zwanzigminütiges „Concerto For Piano And Orchestra“ einzuspielen und nebenbei die ein oder andere seiner oft so tollen, gewitzten, hintergründigen Geschichten zu erzählen. Gelungen ist das leider nur teilweise.

Dabei mangelt es – wie so oft – nicht an den Texten. Ben Folds weiß, wie er den Hörer zu Lachen, zum Weinen bringen kann (siehe das ewig große „Brick“ oder die große Elliott-Smith-Hommage „Late„). Ben Folds weiß, wie er Stücke mit doppelten Böden, zeitgeistigen Hakenschlägen und offen sezierten Gefühlsenden schreibt. Nur hört man all das auf „So There“ leider viel zu selten. Klar, „Capable Of Anything“ mag recht flott einleiten, „Phone In A Pool“ (fast) an den „alten“ Ben Folds erinnern, der Songreigen-Abschluss „I’m Not The Man“ (welches, den Gerüchten nach, tatsächlich für den Soundtrack des Al-Pacino-Films „Danny Collins“ gedacht war, von den Filmmachern jedoch abgelehnt wurde) fein sentimental ausfallen. Sonst bleibt jedoch von „So There“ (der Witz steckt hier bereits im Titel!) kaum etwas hängen – Klassik hin oder her. Festzustellen bleibt auch: Betrachtet man 20 Jahre Ben Folds, so fällt auf, dass er immer dann am besten war, wenn er die Balance zwischen rumpelnder Ätze und väterlicher Milde hielt. Stücke wie „Song For The Dumped“, „Rockin’ The Suburbs“ oder „Landed“ zogen ihre Stärke nicht nur aus der Form, sondern auch aus dem Inhalt. „So There“ bietet viele Fingerübungen, jedoch wenig Konkretes. „I stopped caring what you think about me“ – sieht ganz so aus. Schlagfertig geht definitiv anders. Und Ben Folds ohne Schlusspointe funktioniert einfach nicht.

 

 

Rock and Roll.

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