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Song des Tages: EAST – „Through The Smoke“


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Leser dieses Blogs, die über ein gutes Langzeitgedächtnis verfügen (oder mal eben die Suchfunktion weiter unten nutzen), wissen es wohl längst: Mit der zu Teilen aus Trier und Berlin stammenden Band East hat der Projektleiter von Tigeryouth, Tilman Benning, so ganz nebenbei noch eine waschecht-lupenreine Emo-Truppe am Start. Nach ein paar Jährchen des mal mehr, mal weniger häufigen Probens und Tüftelns hat das Quintett im Januar endlich ihr Debüt-Album „In An Instant“ auf die wartende Hörerschaft losgelassen. Kaum verwunderlich, dass die zehn Songs, welche sich stilistisch nah an den 2017 veröffentlichten „Bendorf-Live-Sessions“ orientieren, fast durchgehend live eingespielt wurden und – nebst den Fäusten – auch den DIY-Gedanken hoch oben halten…

4059251388074Klar, „Emo“ ist seit den Anfangstagen Mitte der Achtziger, als sich der Musikstil aus der sogenannten Washington D.C.-Hardcore-Punk-„Schule“ mit so wichtigen Wegbereiter-Bands wie Rites Of Spring oder Fugazi herausbildete, im Laufe der Jahre durch so einige an der Oberfläche kratzende Klischees wie Seitenscheitel, übermäßigen Kajalstift-Gebrauch oder weinerliche Selbstkasteiung zu einem grotesken modischen Witz fernab seiner Ursprünge verkommen. Dass es Ende der Neunziger sowie Anfang der Nullerjahre aber eine großartige Emo-Szene gab, die vor allem mit aus den US of A kommenden Bands wie The Get Up Kids, Texas Is The Reason, The Promise Ring, Sunny Day Real Estate oder Thursday für Aufsehen sorgte, gerät dabei schnell in Vergessenheit.

East schaffen nun, zwei Jahrzehnte später, das Kunststück, Songs zu schreiben, die an ebenjene Glanzzeit erinnern und trotz ihrem klar der Nostalgie verpflichteten Soundgewand genug Eigenständigkeit transportieren, um nicht als aus der Zeit gefallene Tribut-Band wahrgenommen zu werden. Die zehn Songs wollen entdeckt werden, wollen sich im Gemüt breit machen und Gefühle provozieren. Melancholie und Nachdenklichkeit, aber auch Euphorie und Hoffnung schwingen dabei in den Kompositionen mit. Das Ganze wird von Tilman und Co. mit warm flirrende Gitarren und einer ehrlich empfundenen Zerbrechlichkeit vorgetragen, die freilich ab und an an Bands wie The Get Up Kids, American Football oder Hot Water Music (oder meinetwegen auch an deutsche Vertreter wie Pale und Sometree) erinnern mag, in jedem Fall jedoch literweise Herzblut in sich trägt. Und trotzdem werden teils wuchtige Instrumental-Augenblicke erschaffen, die wohl so ziemlich jeden, der einen Meilenstein wie „False Cathedrals“ von Elliott im Plattenregal stehen hat oder auch wegbereitende Trauerkloß-Alben von Mineral und Chamberlain oder den Labelkatalog von Deep Elm Records bestens kennt, mit ein paar seligen Tränchen im Augenwinkel zurücklassen. Man fühlt sich an die Wand gedrückt, wird aber durch die akzentuierten Melodien befreit. Kein Zweifel: Da musiziert eine Band, die merklich Bock auf einige Momente des Jugend-Revivals hat. Die  nicht vergessen hat, dass dynamisches Songwriting das A und O für eine – bei aller gewürzten Kürze – unterhaltsame Platte ist. Die ruhige Parts sparsam dosiert, damit sich all die dezent post-rockigen Ausbrüche, all die rauen, dissonanten Momente in Schönheit entfalten können. Natürlich mag „In An Instant“ mit all seinen Trademarks kein Album für jedermann sein, jedoch haben East ein Respekt zollendes Werk geschrieben, welches dennoch ganz im Hier und Jetzt zuhause ist und sich referenziell sowie in tiefer Verbeugung an einem recht klischeefreien Emo-Sound bedient, der damals so viele Menschen inspiriert hat. So gesehen (und für mich): Eine spannende Reise in die eigene musikalische Vergangenheit… *hach*

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Zum dieser Tage veröffentlichten Musikvideo zum Song „Through The Smoke“ meinen East: „Eine kleine Erinnerung an eine Zeit, wo wir noch zu 11 im Kreis stehen konnten, wo die Clubs noch offen waren, wo wir noch zusammen Musik machen durften. Crazy!“

 

Rock and Roll.

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Sunday Listen: East


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Was macht eigentlich der Tigeryouth-Tilman, wenn er gerade mal nicht kreuz und quer durch die Bundesrepublik düst, um hier einen Indieclub, da ein AJZ mit akustischem Singer/Songwriter-Punkrock zu bespielen und das anwesende Publikum mit seiner Reibeisen-Stimme in seinen Bann zu ziehen?

Wahrscheinlich die Stimmbänder ölen. Und sich mit ein paar Kumpels zu einer gemeinsamen Band zusammenzutun, denn auf Dauer wird es selbst auf der kleinsten AJZ-Bühne der Nation irgendwann langweilig…

Wohl aus diesem Grund sind irgendwann in den letzten Jahren East entstanden. Vielmehr jedoch als die Vorliebe für winzige Indieclub-Bühnen eint Tilman Benning und seine Mitstreiter Mertes, Pauly, Wondra und Kansy die gemeinsame Liebe zum guten alten Neunziger-Emo-Rock. Nee, nicht zu dem, was sich aus dem Genre über die Jahre, -und durch Comic-Abziehbildchen á la My Chemical Romance, Fall Out Boy, Panic! At The Disco und Co. – daraus entwickelt hat. Man denke eher an Bands wie Sunny Day Real Estate, Jawbreaker, The Promise Ring, Texas Is The Reason, The Get Up Kids oder Mineral. An teilweise schroff und indie und mit wenig Mastering aufgenommene Alben, die juvenilen Weltschmerz zu lauten Schrammelgitarren, rumpeligem Schlagzeug und tief tönendem Bass direkt in die eigene Kopfhörerwelt transportieren. An Gefühl statt Kajal und Attitüde. Nostalgie? Sicher, jedoch auf die gute Art und Weise. Oder wie es East – leicht pathetisch, dezent überhöht – selbst ausdrücken:

„East kommen aus Trier und Berlin und machen Emo. Und zwar die Sorte, die Anfang der Nullerjahre dem Punk entwuchs und Befindlichkeiten zum Gegenstand ungeschliffener Rocksongs machte. Bevor der Begriff zwischen scheiteltragenden Modepuppen und testosterongeschwängertem Griffbrettgewichse zur Realsatire mutierte. Man fühlt sich beim Hören dann auch nicht zufällig an die Helden jener Tage erinnert. Da trifft die Wucht von Hot Water Music auf die Sprödigkeit der Get Up Kids, während die durch unzählige Touren seines Soloprojekts Tigeryouth geschulte und gewetzte Stimme von Sänger Tilman gekonnt zwischen der Eindringlichkeit eines Brian Fallon von The Gaslight Anthem und der Zerbrechlichkeit Taking Back Sundays zu oszillieren scheint. Dabei sind East weit davon entfernt in der Nostalgie vergangener Tage zu verharren. Stattdessen machen sie klar, dass das letzte Jahrzehnt Gitarrenmusik nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen ist. Ausgefuchstes Songwriting, verflochtene Gitarrenriffs und treibender Rhythmus atmen Progressive Rock genauso wie Indie. Damit zeigen East, dass Emo auch im Jahre 2016 weit davon entfernt ist, tot zu sein.“

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Die ersten drei Songs der im Januar veröffentlichten Demo-Aufnahmen kann man bereits via Bandcamp hören. Ein Schelm, der dem Tigeryouth-Tilman sein mit breitem deutschen Akzent durch die Kehle gepresstes Englisch zur Last legen würde…

Edith: Leider hat die Band ebenjene Demo-Songs mittlerweile wieder offline genommen. Schade? Jupp. Aber auch kein Problem, denn Tilman und Co. haben stattdessen via Bandcamp die ganze fünf Stücke starken „Bendorf Live Sessions“, welche im November 2017 im Soundrange Tonstudio Bendorf aufgenommen wurden, zum Stream und Oldschool- (Compact Disc) und Newschool-Kauf (Download) online gestellt:

 

 

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick – Teil 1


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Dem regelmäßigen Besucher von ANEWFRIEND mag eventuell nicht entgangen sein, dass es in den letzten zwölf Monaten – gerade im Vergleich zu den Vorjahren – recht wenige „Alben der Woche“ gab. Doch keine Angst, natürlich – und auch das dürfte wohl aufgefallen sein – habe ich nicht plötzlich aufgehört, (neue) Musik wie ein nach Tönen verrückter Schwamm in mich aufzusaugen. Nein, 2016 ließ mir einfach, bei all den Nebenschauplätzen im Privaten und Beruflichen, zu wenig Raum und Energie, um mich hier in längeren Artikeln mit all den tollen, (für mich) neuen Alben und Künstlern zu beschäftigen. Stattdessen wurde so manches Werk – ob nun verdient oder nicht – im Zuge des ein oder anderen „Song des Tages“ *hust* „abgefrühstückt“.

Auch werden im diesjährigen Jahresrückblick Besprechungen zu meinen persönlichen „Filmen des Jahres“ und „Serien des Jahres“ fehlen. Und obwohl ich auch da das ein oder andere in Erinnerung bleibende Beispiel erwähnen könnte (etwa „Money Monster„, „Eye In The Sky„, „The Lobster“ oder „Miss Peregrine’s Home For Peculiar Children“ bei den Filmen sowie die Dauerkandidaten „The Walking Dead“ oder „Shameless“ bei den Serien, da jedoch auch die tolle britische Sci-Fi-Miniserie „Black Mirror„), fehlt mir in diesen letzten Tagen von 2016 einfach die Energie, um hier länger darauf einzugehen… Ich hoffe, ihr versteht das.

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Zeichnung: Oli Hilbring / Facebook

Doch zurück zur Königsdisziplin, den „Alben des Jahres“ von und auf ANEWFRIEND! Oder: zum Musikjahr insgesamt. War grässlich, oder? Klar, auch in den vergangen zwölf Monaten erschienen so einige tolle Alben von neuen wie bewährten Künstlern, aber was hat sich diese kleine Schlampe namens „2016“ für eine Mühe gegeben, nicht wenige unserer Lieblingskünstler nur ja nicht mit ins neue Jahr (aka. 2017) zu lassen? David Bowie, Prince, Leonard Cohen – alle drei Jahrhundertgenies und Musiker von Weltformat, die zwar nicht zu jedem Zeitpunkt ihrer Karriere unfehlbar waren (welcher Künstler ist das schon?), aber irgendwie immer da waren, immer verlässlich Neues und absolut Eigenständiges ablieferten. Außerdem für immer verstummt: Keith Emerson, Greg Lake, Alan Vega, Sharon Jones, Merle Haggard, Glenn Frey, Manfred Krug, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle, Fidel Castro, Bud Spencer, Götz George, Muhammad Ali, Roger Cicero, Peter Lustig, Roger Willemsen, Miriam Pielhau, Achim Mentzel, Alan Rickman, Anton Yelchin, und jetzt auch noch George Michael – um nur einige Wenige zu erwähnen. Ohne sie wird diese Welt keine andere sein („The show must go on“, um es mit Freddie Mercury zu sagen), jedoch eine weitaus weniger bunte. Ein Scheißjahr, was die Verluste für Kultur und Zeitgeschehen betrifft…

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(gefunden bei Facebook)

Hoffen wir also, dass sich 2017 milder zeigt als die vergangenen zwölf Monate. Denn wie unausstehlich wäre eine Welt, in der wir nur zwischen Helene Fischer, Frei.Wild und den sowieso unkaputtbaren Rolling Stones wählen könnten? Eben. Bleibt alles anders…

 

  

conor-oberst-ruminations1.  Conor Oberst – Ruminations

Wie ich bereits vor einigen Wochen schrieb: „‚Ruminations‘ ist ein großes, ernsthaftes Werk, an dem man sich kaum satt hören möchte. […] So gut, so nah, so ergreifend war Conor Oberst schon lange, lange Zeit nicht. Vielleicht sogar: noch nie.“ Dem habe ich auch heute kaum etwas hinzuzufügen, außer der erneuten Bitte, diesem grandiosen Singer/Songwriter-Werk euer Ohr zu leihen. Mit dieser Rückkehr zu alter Größe habe ich bei Conor Oberst – ganz ehrlich zugegeben – nicht gerechnet (jedoch immer gehofft). Umso schöner, dass dieser Mann – immerhin einer meiner Allzeit-Lieblingskünstler – es trotzdem geschafft hat, mich nach Jahren noch einmal komplett aus den musikalischen Socken zu hauen.

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will-varley2.  Will Varley – Postcards From Ursa Minor

Und auch auf dem Silber-Platz hohe Singer/Songwriter-Kunst – nur diesmal nicht aus dem US-amerikanischen Omaha, Nebraska, sondern aus good ol‘ England. Und obwohl „Postcards From Ursa Minor“ bereits im Oktober 2015 erschien, hat mich Will Varleys drittes Album wie kaum ein anderes durchs komplette Jahr 2016 getragen, denn auch zwischen Januar und Dezember brachte kein anderer Akustikgitarrenbarde einen derartigen – geglückten – Spagat zwischen intim angelegter Nachtmelancholie („The Man Who Fell To Earth“) und absolut hintersinniger Witznummer („Talking Cat Blues“) zustande, dessen Spektrum mal eben so ziemlich jedes menschliche Gefühl in Nylonsaiten gießt. Unterhaltsam, großartig, bewegend, lustig, traurig, niederschmetternd, hoffnungsvoll – durch jede Regung wird der Hörer in den 50 Minuten von „Postcards…“ gezogen. Und kaum jemals war all das schöner anzuhören. Da konnte der Nachfolger ja nur gegen anstinken (und tat das auch, wie weiter unten zu lesen ist)…

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julien-baker3.  Julien Baker – Sprained Ankle

Ebenfalls eigentlich im Oktober 2015 erschienen, ist das Debüt der 21-jährigen Musikerin aus Memphis, Tennessee meine persönliche Entdeckung des Jahres, dessen lediglich neun Songs tief ins von Melancholie getränkte Fleisch schneiden. PJ Harvey meets Elliott Smith, gepaart mit jugendlicher Naivität. Bewegend, ehrlich.

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daughter-not-to-disappear4.  Daughter – Not To Disappear

Ach, Elena Tonra muss eigentlich nur die Lippen bewegen, und schon hat sie mich. Dass die zehn neuen Stücke des zweiten Daughter-Albums auch das klangliche Spektrum der dreiköpfigen Band aus London um Songs mit dezent elektronischer Grundlage oder Klangkathedralen von Sigur Rós’scher Größe erweitern, ist dabei natürlich nicht von Nachteil. Aber, hey: Melancholie nimmt eben keine Gefangenen.

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summering5.  Summering – Summering

Dass diese kanadische Band noch immer (scheinbar) keine Sau kennt, ist – gelinde gesagt – eine riesige Sauerei. Ich verspreche: Wer die älteren Alben von Wintersleep mag und mochte, wird auch mit dem selbstbetitelten Debüt von Summering (ebenfalls im Oktober 2015 erschienen, ebenfalls erst 2016 bei mir angekommen) glücklich süchtig. Noch dazu gibt’s das Ganze als „Name your price“ via Bandcamp zum Download. Ausreden gibt’s also keine!

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frightened-rabbit-painting-of-a-panic-attack6.  Frightened Rabbit – Painting Of A Panic Attack

Dass Scott Hutchison und seine Lads von Frightened Rabbit nach drei Jahren ein neues Album veröffentlichen und dieses es dann nicht ANEWFRIENDs Top 3 des Musikjahres schafft (immerhin war der Vorgänger „Pedestrian Verse“ anno 2013 mit Abstand und Ansage mein „Album des Jahres„), dürfte eigentlich schon als Schlappe für die fünf Schotten gelten. Aber keine Angst, trotz der Tatsache, dass sich auf „Painting Of A Panic Attack“ weniger Songs befinden, die das Hörerherz sofort einkassieren und nicht mehr hergeben (oder war’s umgekehrt?), ist auch das mittlerweile fünfte Studioalbum des stets eigenwilligen schottischen Quintetts kein schlechtes.

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the-hotelier7.  The Hotelier – Goodness

Zig Mal gehört, und noch immer kann ich „Goodness“, das dritte Album von The Hotelier nicht so ganz einordnen. Ist das noch Indierock oder schon Naturstudie? Ist das noch Emo oder längst zu erwachsen dafür? Sind das noch eigenständige Songs oder ein 45-minütiges Konzeptalbum? Steht die Band aus dem US-amerikanische Worcester, Massachusetts nun die großen Band New oder doch eher den seligen Sunny Day Real Estate näher? Fragen, Fragen, Fragen – aber sind die spannendsten Alben nicht immer jene, die man eben nicht auf Anhieb versteht? Was „Dealer“ von Foxing im vergangenen Jahr war, ist dieses Album 2016 für mich gewesen: ein faszinierendes Kuriosum mit Repeat-Garantie. Und die acht Naturnudisten vom Cover machen meine Verwirrung nur noch runder…

 

tigeryouth8.  Tigeryouth – Tigeryouth

Tilman Benning ist ein korrekter Typ, der vor allem 2016 mit seiner Akustischen und (s)einer dezent zerschossenen Tom-Waits-Reibeisenstimme im Gepäck kreuz und quer durch die Bundesrepublik (und manchmal sogar darüber hinaus) gereist ist, um den Punks, Pennern und Penunzeneigentümern in all den kleinen Clubs und AJZs die Songs seines neusten, selbstbetitelten Albums näher zu bringen, welche Tigeryouth-Benning als torkelnden Troubadour mit Hang zum Geschehen am Tresen und dem Herzen nah an Leben und Scheitern präsentieren – opulenter manchmal gar, als noch auf dem 2014 erschienenen Debüt „Leere Gläser“.

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tiger-lou9.  Tiger Lou – The Wound Dresser

Tiger Lou sind zurück, acht lange Jahre nach dem letzten Album „A Partial Print“. Und obwohl „The Wound Dresser“ manchmal zu viel von allem will (und freilich auch all die kreative Energie der langen Auszeit kanalisieren muss) und am Ende zu selten wirklich große Songs dabei herausspringen (die vorab veröffentlichten Stücke „Homecoming #2“ und „California Hauling“ einmal ausgenommen), haben Frontmann Rasmus Kellerman und seine nicht mehr ganz so blutjungen Kumpels freilich immer ’nen festen Fleck für sich reserviert, der „The Wound Dresser“ in diesem Jahr eine Ecke in den Jahren-Top-Ten sichert…


 
touche-amore-stage-four10. Touché Amoré – Stage Four

Ein großes, ein lautes, ein wütendes Album ist Jeremy Bolm, seines Zeichens Stimme und somit Frontschreihals von Touché Amoré, da gelungen. Ein musikalischer Abschiedsbrief an seine Ende 2014 an Krebs verstorbene Mutter. Die Band steht damit – sowohl, was das Musikalische als auch, was das Lyrische betrifft – in einer Reihe mit persönlichen Herzwärmern wie La Dispute oder Pianos Become The Teeth, deren letzte Alben in den vergangenen Jahren lauthals in mein Hörerherz gepoltert sind. Und obwohl mir das auf Dauer eine Spur zu – ich geb’s offen zu – heavy ist, hat das im September erschienene vierte Album der Post-Hardcore-Band aus Los Angeles, „Stage Four“, auch mich bewegt und innerlich aufgewühlt. Ja klar, Touché Amoré lassen dem Indierock etwas mehr Raum als noch auf den Vorgängern, richten manch ein Stück geradezu spartanisch ein (was den Texten nur noch mehr Gewicht verleiht), haben mit dem abschließenden „Skyscraper“ gar ein Gänsehaut-Duett mit Julien Baker (ja richtig, der jungen Dame vom Bronzeplatz) an Bord. Vergleiche mit The National verbieten sich trotzdem. Alle in allem: Wer Screamo-Schreihälsen und laut polternden Gitarren nicht komplett abgeneigt ist, den können diese elf Songs gar nicht kalt lassen. Isso.

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…und auf den weiteren Plätzen:

Savages – Adore Life

Kevin Devine – Instigator

Die Höchste Eisenbahn – Wer bringt mich jetzt zu den Anderen

 

  

Geheimtipp 2016:

drawing-circlesDrawing Circles – Sinister Shores

Alternativer, melancholischer Ambient könnte man das Ganze nennen, was das Trio aus Bonn das auf dem Erstling „Sinister Shores“ (deutsch, in etwa: unheilvolle Ufer) da fabriziert. Dabei flüstert und schreit Sänger Vincent, er singt und presst sich seine Gefühle von der leidwunden Seele, mal still und in sich gekehrt, dann wieder mit sich fast überschlagender Stimme und rauchig-laut anklagend. Mit Worten unterlegte Postrock-Schlummermusik aus deutschen Gefilden und auf (fast) internationalem Niveau? Ist genommen.


 
Enttäuschungen 2016:

wintersleep-the-great-detachment-500x500Wintersleep – The Great Detachment

Drei verdammt großartige Alben haben Wintersleep bis zum 2007 erschienenen „Welcome To The Night Sky“ hinbekommen. Mittlerweile jedoch – und auch diese Serie hält nun schon drei Werke an – lassen mich die Alben der Band aus dem kanadischen  Halifax, Nova Scotia von Mal zu Mal mehr kalt. Daran ändert leider auch das neue „The Great Detachment“ nichts. Hoffen wir, dass Paul Murphy und Co. den Hebel irgendwann wieder in die andere Richtung umlegen können…

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wvlplargeWill Varley – Kingsdown Sundown

„These are the most honest songs I’ve ever written and they represent new ground for me creatively. They may not be radio friendly, or even ‚friendly‘ at all, but I’ve been wanting to make a record like this for a long time.“ Stimmt, die elf Stücke von „Kingsdown Sundown“ sind – gerade mit den Vorgängern verglichen – ein recht radikaler Schritt des britischen Singer/Songwriters hin zu mehr Trostlosigkeit und zur düsteren Seite der Melancholie – Radiofreundlichkeit hört sich logischerweise anders an. Radikal nicht der Musik selbst wegen, denn auch die Vorgänger kamen oft als Wanderbarden-Nummern ganz auf der Akustischen aus. Vielmehr sind die Themen, die Varley anstimmt, die einer Zeit, die wenig Licht ins Dunkel lässt. Auf den vorangegangenen Werken – gerade dem großen „Postcards From Ursa Minor“ (siehe Platz 2 ) – wurde den dunklen Thematiken noch zumeist eine Prise Ironie entgegengestellt. Da diese hier fast gänzlich fehlt, legt sich einem „Kingsdown Sundown“ schnell aufs Gemüt. Repeat? Gern, aber wohl dosiert…

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radiohead-coverRadiohead – A Moon Shaped Pool

Die unfehlbaren Radiohead. Die Meister, wenn es darum geht, den dunklen Zeiten von Technologiewahn und Kapitalismus den entsprechenden Soundtrack zu liefern. Klar, ich liebe die Alben von „OK Computer“ über „Kid A“, „Amnesiac“ bis zu „In Rainbows“ aus so vielen Gründen (die wichtigsten, logischerweise: die Songs sind einfach großartig, die Werke wirken als Ganzes intensiv nach). Das größte Plus von Thom Yorke und Co. ist freilich, dass ihrem Konzept noch niemand so ganz auf die Schliche gekommen ist und sie durch so einige kluge Schachzüge der Vergangenheit mittlerweile absolute kreative Narrenfreiheit besitzen – und diese nutzen sie auch auf „A Moon Shaped Pool“, Studioalbum Nummer neun seit 1993, genüsslich aus. Das Ergebnis ist stiller, intimer als noch das vor fünf Jahren erschienene „The King Of Limbs“, das vor technoiden Experimenten ganz wirr war. Die elf zumeist neuen Stücke (einzig das abschließende „True Love Waits“ kennen Fans bereits längst als Live-Version) baden oft knietief in den Orchesterarrangements von Jonny Greenwood, hat doch der sonst als Gitarrist tätige Tausendsassa durch so einige Soundtrack-Arbeiten längst sein Faible für raumfüllende Musik entdeckt. Hinten hinaus hockt natürlich dann Chefgreiner Thom Yorke und verbreitet seine finsteren Gedanken zur Welt als solche und verarbeitet obendrein noch die „total einvernehmliche“ Trennung von Lebenspartnerin Rachel Owen, mit der er 23 Jahre liiert war und zwei gemeinsame Kinder hat (zum verdammten 2016 passt dann wieder, dass Owen vor wenigen Tagen im Alter von 48 Jahren starb). Ist alles nicht wirklich schlecht anzuhören, lässt mich jedoch ebenso kalt wie die Stimmung, welche Radiohead wohl stets im Sinn haben… Schade.

 
Rock and Roll.

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Song des Tages: Tigeryouth – „Mammon“


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Zunächst einmal ist das, was Tilman Benning aka. Tigeryouth zu seinem Stück „Mammon“ zu sagen hat, ebenso auf den Punkt, was das Verhältnis des heutigen Indie-Musikers zum „wahren Leben“ betrifft, wie entwaffnend ehrlich:

„Es ist immer einfach, diesen Punk-Ethos vor sich herzutragen und so zu tun, als wär‘ einem die Kohle scheißegal. Irgendwann musst du sie trotzdem verdienen, die Rechnungen zahlen sich nicht von alleine. Das ist eine Einsicht, für die ich recht lange gebraucht hab‘. Ein dickes Dankeschön an meine Eltern, für die Unterstützung und eine riesige Entschuldigung für all die Sorgen.

Ich sehe nicht ein, etwas anderes zu machen, als Musik. Nicht nach fast 500 Shows in den letzten sechs Jahren, meinem Label Zeitstrafe im Rücken und so vielen weiteren Menschen, die an mich und meine Musik glauben und dabei helfen, dass ich das machen kann, was ich mache. Also schlage ich mich zwischen den Konzerten, Proberäumen und Studios mit Nebenjobs durch, verkaufe hier Eis, bau‘ da ’ne Bühne auf, trete in U-Bahn-Schächten auf und versuche, das Musik-Ding nach meinen eigenen Regeln dahin zu bringen, dass ich irgendwie davon leben kann. Deswegen fahre ich ab dem Release meines neuen Albums für vier Monate auf Tour. Die Rechnung ist ja ganz einfach. DIY-Shows werfen nicht viel Kohle ab und ich hab‘ keinen Bock, den Menschen, die seit sechs Jahren Shows mit mir organisieren, jetzt mit Festgagen und Verträgen zu kommen. Aber wenn ich für vier Monate auf Konzerten Verpflegung & Schlafplätze habe, also so gut wie keine Kosten, summiert sich das, was an Kohle überbleibt. Mal gucken, was nach der Schuldentilgung übrig bleibt. Den nächsten Job für die Zeit nach der Tour hab‘ ich schon. Immer an der Leine!“

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Denn es stimmt ja: Auch als jemand, der gern 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche mit seinem schnöd-schönen Hobby Musikmachen verbringen würde, muss man ja irgendwann essen, leben, Miete und sonstige Rechnungen zahlen. Daher, dafür muss das Geld irgendwie zusammen kommen. Und das wird für all jene, die eben keine Songghostwriter für Plastikprinzessinnen á la Helene Fischer und Konsorten sind, bereits nach kurzer Zeit zu einem echten Problem. Also hilft nur eines: das Hobby doch zum guten Teil Hobby sein lassen, sich mit Broterwerbsjobs durchhangeln, über Wasser bleiben (was sich unromantisch lesen mag, ist auch 2016 die fiese Fratze der Realität). Das kenne ich als alleinunterhaltender Schreiberling dieses bescheidenen Blogs (welcher sich auch bereits in seinem fünften Jahr befindet) ebenso wie Tilman Benning.

Umso schöner ist es, dass es Musiker wie Benning gibt. Denn der gebürtige Ibbenbürener, aus dieser Stadt in Westfalen unweit der holländischen Grenze, die man in musikalischen Gefilden auch als Heimat der Donots kennt, weiß wohl eine ganze Menge übers Durchhalten, über Weitermachen, über das Irgendwie obwohl man sich manchmal schon fragt, warum. Und auch über die Liebe zur Musik.

ddebac54-tigeryouth_cover_2500px_72dpi_rgbWieviele Konzerte Tilman Benning, der sich bereits seit mehr als sechs Jahren als Tigeryouth in kleinen Clubs von Hamburg bis Stuttgart, von Köln bis Dresden den sprichwörtlichen Arsch abspielt, in all der Zeit absolviert hat, wird der Typ, der vor vielen, vielen Jahren „mit Filzmatte auf’m Kopf in der schlechtesten Grunge-Band der Stadt“ als Bassist („Der Bassverstärker war aber auf Konzerten nicht an.“) seine ersten Gehversuche unternahm, um schon bald eigene Stücke auf der Akustischen zu schreiben und sich in Fußgängerzonen zu stellen, wohl selbst kaum mehr wissen. Offensichtlich ist zumindest, dass das Unterwegssein seine Spuren hinterlassen hat, dass sich die Musik von Tigeryouth seit dem 2014 erschienenen Debüt „Leere Gläser“ ein klein wenig aus der stillen Singer/Songwriter-Ecke weg und hinein in den ranzigen Punkschuppen entwickelt hat, denn anders als noch vor zwei Jahren hört man auf dem jüngst erschienenen selbstbetitelten Zweitwerk nun ab und an Schlagzeug oder E-Gitarren im Hintergrund. Unverkennbar ist Bennings raues, stets ein bisschen verkatert daher torkelndes Gesangsorgan ja sowieso, und die Songs ebenso windschief wie ehrlich und kurz gefasst (nur zwei Mal wird auf „Tigeryouth“ die Drei-Minuten-Marke geknackt). Dass – neben seinem Label Zeitstrafe (u.a. auch Captain Planet, Matula, Adolar oder Escapado) – auch einige Leute aus der deutschen Indie-Szene an den Punk-Jungen mit der Gitarre und mehr Haaren um den Mund denn auf den Kopf glauben, zeigt die Gästeliste des neuen Albums, auf der sich unter anderem auch Jörg Mechenbier (Love A) oder Jan Arne von Twistern (Captain Planet) wiederfinden. Und all die Songs über Heim- und Fernweh, über Abende an langen Tresen, über die Wutbürger in Nord, Ost, Süd und West, über die Leere im Portemonnaie und die Angst vorm Morgen, über das Leben im Kleinen und lose Träume im Großen tun einfach gut. Plus: Einem Mann, der Brand News Meisterwerk „The Devil And God Are Rating Inside Me“ an die Spitze seiner Top-5-Platten setzt, würde ich eh alles abkaufen. Umso schöner, wenn es sich um mit einer Extraportion Herzblut und Attitüde vorgetragenen Akustikpunk handelt.

 

 

Wer mehr über Tilman Benning aka. Tigeryouth wissen mag, dem sei diese  Kurzdoku von Mario Borgmeier / POM an Herz gelegt:

 

Auch neu und toll: das Musikvideo zu „Herz schultern“, welches sich ebenfalls auf dem neuen Album befindet:

 

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