Schlagwort-Archive: The Edge

Flimmerstunde – Teil 37


What Drives Us“ (2021)

Das Timing von Foo Fighters-Frontmann Dave Grohl könnte einerseits kaum eigenartiger, andererseits jedoch kaum besser sein. Seine neuste Dokumentation „What Drives Us“ ist eine Liebeserklärung an das Tourleben und dadurch ein Statement für die Livemusik. Denn mal ehrlich: Einen besseren Zeitpunkt als eine weltweite Pandemie, die nahezu jeglichen Vis-à-vis-Konzertbetrieb unterbindet, könnte es für diesen Film nicht geben.

Wie schon bei seinen vorangegangenen Musik-Dokumentationen wie „Sound City“ oder „Sonic Highways“ sind auch hier von der ersten Sekunde an die Liebe und das Herzblut spürbar, welche Grohl für das Thema mitbringt. Auf effektive Weise stellt der kreative Tausendsassa Szenen seiner frühen Band Scream jenem Moment gegenüber, in dem er den ersten Touring-Van der Foo Fighters zurück erhält und sich damit erneut auf eine Reise begibt. Nur dass es bei dieser Reise gerade nicht darum geht, Konzerte zu spielen…

Stattdessen macht er sich damit auf, faszinierende Tour-Stories zu sammeln. Die Liste der Gäste ist mehr als beeindruckend. Beatles-Trommler Ringo Starr, Metallicas Lars Ulrich, Aerosmith-Frontmann Steven Tyler, Slash und Duff McKagan von Guns N‘ Roses, U2-Gitarrist The Edge, AC/DC-Stimme Brian Johnson, Red Hot Chili Peppers-Bassist Flea, Ian Mackaye von Fugazi, Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo oder L7-Bassistin Jennifer Finch sind nur einige der illustren Namen, die diesem Film mit ihren Geschichten zwischen Rock’n’Roll und Punk Rock füllen.

Allesamt erinnern sie sich auf sympathische, oft herzerwärmende Art an ihre musikalischen Anfänge, ihre frühen Einflüsse und natürlich ihre ersten Tourerfahrungen – auch wenn Lars Ulrich scherzt, dass er zum eigentlichen Van-Touring-Thema des Films nicht viel beitragen könne: „I realized, I actually never toured in a van. So… can I go now?“ Grohl verbindet die Interviews mit zahlreichen Archivaufnahmen aus den frühen Tagen von Bands wie den Foo Fighters oder No Doubt, bei welchen man sich oft genug fragt, wo er die wohl aufgetrieben hat. Sehr unterhaltsam gerät zudem die Animation der Hardcore-Legenden von Black Flag und. D.O.A., welche das Van-Touring in den US of A mit einer Menge DIY-Spirit quasi einst aus den Angeln gehoben haben.

Doch Grohl wäre nicht Grohl, wenn er bei all den großen Namen die junge Garde ignorieren würde. In einer kurzen Sequenz erzählt er davon, wie frühe Foo Fighters-Interviews vor allem daraus bestanden, Fragen zur Vergangenheit der Mitglieder zu beantworten (beziehungsweise nach seiner Vergangenheit als Nirvana-Drummer) – und zeigt derweil, wie man’s besser macht. Obwohl das Schwelgen in den eigenen Historien logischerweise einen guten Teil der 90 Minuten einnimmt, gerät „What Drives Us“ nämlich mitnichten zur reinen Nostalgieveranstaltung, die nur dazu dient, von vermeintlich besseren, längst vergangenen Zeiten zu schwärmen.

Mit Radkey holt Grohl – neben Starcrawler, die er in seinem alten Tour-Van durch Los Angeles chauffiert – auch eine vergleichsweise neue, unbekannte Band vor die Kamera, die erst in den 2010ern zusammenfand. Die drei Jungspunde aus St. Joseph, Missouri zeigen, dass sich die Punk-Rock-Geschichte – digitaler Über-Nacht-Ruhm hin oder her – in manchen Fällen glücklicherweise eben doch wiederholt. Während etablierte Namen in der Vergangenheit schwelgen, leben Radkey, die seit Jahren von ihrem Vater/Manager/Mercher durch die Vereinigten Staaten gefahren werden, genau den Van-Lifestyle, der für alte Recken wie AC/DC-Sänger Brian Johnson längst nur noch eine Erinnerung ist. Auffallend ist, dass sich am Grundlegenden kaum etwas geändert hat. So lässt sich die Kunst des Van-Packens der Bad Brains perfekt mit dem heutigen tetris’esken Verstauen von Instrumenten in einem viel zu kleinen Gefährt vergleichen – wenn auch mit etwas mehr technischen Standards.

„Es kommt ein Moment im Leben eines jeden Musikers, in dem sein Engagement auf die Probe gestellt wird. Wenn ihr Wunsch, Musik für andere zu spielen, zu einem fast irrationalen Akt blinden Glaubens wird. Es ist kein Job, es ist eine Berufung. Der erste Schritt, um sich und der Welt zu beweisen, dass man in diesen Club gehört, ist, in den Van zu steigen. Du lädst deine Instrumente, dein Talent und deinen Mut ein, und bringst deine Musik in die Welt. Es spielt keine Rolle, ob du die Beatles oder Billie Eilish bist, oder irgendein bekannter oder unbekannter Künstler dazwischen. Du musst in den Van steigen, um herauszufinden, ob du das Zeug dazu hast. Das ist der Rock ’n‘ Roll-Ritus des Übergangs…“ (Dave Grohl über das Touren und Musikmachen)

Während der Interviews kommt Grohls Stimme immer wieder aus dem Off, um Nachfragen zu stellen. Manchmal schwenkt die Kamera sogar auf sein Gesicht, während der 52-Jährige zwischen dem Drehequipment sitzt. Das mag vielleicht nicht dem güldenen Handbuch für Dokumentationsinszenierung entsprechen, gibt „What Drives Us“ aber genau das nahbare Gefühl von Authentizität und Verbindung, von welchem Grohl und all die anderen Musiker*innen vor der Kamera sprechen. Es gibt keine Trennung zwischen dem Interviewer und den befragten Personen. Grohl ist als Musiker schließlich selbst Teil dessen, von dem er in seinem Film erzählt. Und: Alle Beteiligten sind sich weitestgehend einig, dass die Erfahrung, ständig und rund um die Uhr mit seinen Bandkollegen auf engstem Raum zusammengelebt zu haben, die einzelnen Mitglieder näher zusammengebracht hat. „Es ist nicht glamourös darüber zu reden. Aber es braucht wirklich eine gewisse Unreife und Unschuld, um in einem Van unterwegs zu sein. Aber auch eine gewisse Reife, um vieles tolerieren zu können, das große Ganze zu sehen, Geduld zu haben, seinen Mitmenschen gegenüber freundlich zu sein, die vielleicht Probleme haben“, wie es L7-Bassistin Jennifer Finch ausdrückt.

Damit sich nicht alles lediglich um das selige Schwelgen in den „good old days“ und um den heilen Tourwelt-Protz dreht (etwa dann, wenn No Doubt-Bassist Tony Kanal berichtet, dass sich die Touren von No Doubt von Mal zu Mal vergrößert haben und sich schlußendlich jedes Bandmitglieder seinen eigenen Luxusliner leisten konnte), schlägt Grohl zwischendurch auch den ein oder anderen ernsteren Ton an. So spricht etwa der ehemalige Dead Kennedys-Schlagzeuger D.H. Peligro über den schwelenden Rassismus, welcher ihm als einzigem schwarzem Bandmitglied bei frühen Shows der kalifornischen Punk-Ikonen immer wieder entgegenschlug, oder von seiner Drogenabhängigkeit während seines kurzen Intermezzos bei den Red Hot Chili Peppers.

Mit dieser Sprunghaftigkeit zwischen Leichte und Tiefe erzeugt „What Drives Us“ ganz ähnliche Gefühle wie die besten Konzerte – ganz gleich, ob diese nun im Station oder im kleinen Indie-Club stattfinden. Obwohl das Publikum stets auf gewisse Weise eine andere Position einnimmt als die Bands, die da auf der Bühne stehen, sorgen grandiose, erinnerungswürdige Shows dafür, dass sich eben doch alle im Saal miteinander verbunden fühlen. Selbst wenn der Austragungsort ein Stadion mit 50.000 Zuschauenden ist.

Dieses Stadiongefühl beschwört Grohl (der ja im Laufe seiner Karriere so einige Erfahrungen mit ebenjenen „Stadiongefühlen“ sammeln durfte) ebenfalls in der Eingangssequenz von „What Drives Us“ herauf: einen Zusammenschnitt diverser Tour- und Konzertaufnahmen unterlegt er mit AC/DCs „For Those About To Rock (We Salute You)“. Wer schon einmal selbst die brachialen, ikonischen Kanonenschläge erlebt hat, die den Song in der Live-Situation flankieren, der weiß, warum gerade diese die Konzertfaszination perfekt symbolisieren. Passenderweise beschließt denn der Foto Fighters-Evergreen „Everlong“, welches live ebenso zu fesseln und euphorisieren weiß, die Dokumentation. So saugt einen „What Drives Us“, dieser kleine Liebesbrief an das Leben auf Tour und für die Musik, förmlich ein – und unterhält mit einer Fülle aus Kurzweil, Anekdoten und teilweise recht persönlichen Geschichten aus dem Musiker-Leben bis zum Schluss.

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Song des Tages: Sarah Jarosz – „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“


Die Songs von U2 zeichnen sich, vor allem ab den mittleren Achtzigern, durch ihre Wall of Sound aus, mit ihren unverblümt auf die großen Stadien und Arenen abzielenden, alles und jede(n) umarmenden Melodien und den zahlreichen Gitarrenspuren von The Edge, die dem Ganzen am Ende eine geradezu unverwechselbare Signatur verleihen. Für das 1987 erschienene, verdientermaßen hochgelobte Album „The Joshua Tree“ fügte die irische Rockband dieser Mixtur eine großzügige Kelle voll US-amerikanischer Roots-Musik hinzu. „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ fängt diese Fusion wohl so gut ein wie kein anderer Song, den U2 zu dieser Zeit geschrieben haben – mit The Edges akustischer Visitenkarte, der klingelnden, dengelnden Gitarre, Bonos fast schon pastoralem, vom Gospel inspiriertem Gesang und dem Hintergrundgesang, der passenderweise einen Kirchenchor imitiert. Eine Slide-Gitarre am Ende verleiht dem irischen Vierergespann einen unverkennbar amerikanischen Sound. Larger than life.

Für ihre Variante des Evergreens entschied sich US-Folk-Sängerin Sarah Jarosz dazu, „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ als Folksong zu behandeln. Sicher, auch ihr Gitarrenspiel mag an den primären Rhythmusgitarrenpart von The Edge erinnern – manchmal tönt es gar wie eine Mandoline – aber da enden die Ähnlichkeiten im Arrangement wohl bereits. Es gibt nur Jarosz und ihre Gitarre, sonst nichts. Ihr Gesang ist weniger erhaben, schon gar nicht pastoral, ein bisschen gedämpfter als Bonos Originalvorlage. Es gibt keinen Backing-Chor und keine Overdubs. Jarosz‘ Stimme ist rein und ihr Gitarrenspiel klingt fast knöchern, nackt und – ja – simpel, obwohl es dem von The Edge sehr ähnlich ist.

Das Ergebnis ist ein Song, der sich anfühlt wie ein altes amerikanisches Traditional oder ein Gospelsong ohne Chor. Und da sollte man auch mal eine kleine Lanze für Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr. brechen: Bei allem, was bei ihnen manches Mal leicht gestelzt tönen mag, bei aller plötzlichen Besessenheit von Americana und dem übergroßen US-Sound-Outfit, wendete die Band vorab viel Zeit dafür auf, die Musik zu verstehen, bevor sie sie in ihren eigenen Sound integrierte. Das Solo-Akustik-Cover der dreifachen Grammy-Preisträgerin Jarosz von „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ unterstreicht nun lediglich, wie gut U2 damals, vor über dreißig Jahren, ihre Arbeit tatsächlich gemacht haben. Ohne das ganze Getöse der Originalaufnahme klingt der Song unter den Händen von Sarah Jarosz, als sei er so alt wie die US of A selbst, vielleicht sogar noch älter. Eine schöne, auf geradezu liebevolle Art und Weise großartige Hommage an einen großartigen, immergrünen Song. Simple as life.

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Mein Senf: iBono und der graue Tim Cook – Win-Win in Nacht und Nebel


U2-Frontmann Bono und Steve "Apple" Jobs, 2004 (Foto: AP Photo/Paul Sakuma)

U2-Frontmann Bono und Steve „Apple“ Jobs, 2004 (Foto: AP Photo/Paul Sakuma)

Neues iPhone? Check! Wieder eins? Welches jetzt? Nummer sechs? Okay… skip. Eine Apple Uhr? Gab’s noch nicht? Okay… skip. *gähn*

Eigentlich hätte die – freilich mit „Keynote“ ganz marktspezifisch wichtig betitelte – Apple-Neuerungenpräsentation in der Firmenzentrale im kalifornischen Cupertino am vergangenen Dienstag recht beschaulich verlaufen können. Doch der Elektronikkonzern hat ein – nein: gleich mehrere – handfeste Problemchen. Denn zum einen ist ihnen in all den Jahren seit der Präsentation des ersten iPhones (manch einer mag sich erinnern: es war 2007) die Konkurrenz mächtig auf die Pelle gerückt, hat Apple gar ohne einzuholen überholt (um hier einmal Walther Ulbricht in kapitalistische Gefilde zu führen). Zum anderen ist Firmenchef Tim Cook schlicht und ergreifend nicht Steve Jobs und besitzt weder dessen charismatischen Gestus noch dessen ebenso überzeugend-ruhige Vortragsweise – der übermächtige Firmenvater wird seit seinem Tod im Oktober 2011 nach wie vor an allen Ecken und Enden des Äpfelchens mit Anbiss vermisst…

Und doch wird ausgerechnet jene „Keynote“-Veranstaltung vom 9. September 2014 in die Geschichte eingehen. Nur lag das weder am ach so neuen und ach so innovativen „iPhone 6“ (sieht aus wie immer, kommt in drei Größen) noch an der „Apple Watch“ (auch im Grunde nix Neues – den „iPod nano“ konnte man sich mit Halterung auch schon ums Handgelenk schnallen). Nein, denn Apple-CEO hatte sich Gäste auf die Bühne eingeladen, von denen bereits im Vorfeld gemunkelt wurde: U2 (die „New York Times“ etwas orakelte verschwörerisch von einer „signifikanten Rolle“, die die Band speilen würde). Nur fragte sich darauf logischerweise gleich jeder, was ihre Rolle sein würde… Nachdem die vier irischen Stadionrocker die neue Single „The Miracle (Of Joey Ramone)“ (erstes Urteil: der Punkrock bleibt im Namen hängen, der Rest sind vier U2-typische Minuten „Ohoho“-Pathos und Mitklatschrock der angenehm vorbei rauschenden Sorte) präsentiert haben, lässt Apples unscheinbare graue Eminenz Tim Cook mit der Ankündigung von „one more thing“ die Bombe platzen: Was wäre, wenn in diesen Minuten der „größte Albumlaunch aller Zeiten“ starten würde? Was wäre, wenn Apple seinen knapp 500 Millionen iTunes-Nutzern just in dieser Minute das lang angekündigte und mehrfach verschobene neue U2-Album – das 13. und erste seit 2009 – in die Mediathek packen würde – ungefragt und komplett kostenfrei? Ein kleiner Scherz in Ehren? Mitnichten! Denn bereits wenige Augenblicke später glotzen einen – ob man’s will oder nicht – elf „Songs Of Innocence“ betitelte neue U2-Stücke aus der eigenen Mediathek an, für dessen unverbindlichen Hörgenuss man nur eben auf „Laden“ klicken muss…

review-no-surprise-the-surprise-u2-album-shines

Band-Vorsteher Bono lässt dem Nacht-und-Nebel-Release die gewohnt pathetischen Worte folgen:

„Es ist Edge, Adam, Larry und mir eine Ehre, Euch nun verkünden können, dass unser neustes Baby geboren ist… Songs of Innocence. Es hat ganz schön lange gedauert. Wir haben es erst letzte Woche fertiggestellt und mit der Hilfe von Apple und iTunes können wir es Euch schon heute vorstellen. Das ist wirklich unglaublich, denn normalerweise braucht es einfach mehr Zeit für eine Veröffentlichung. Es war immer schon Teil der Band-DNA, dass wir unsere Musik so vielen Menschen wie möglich präsentieren wollen. – In den nächsten 24 Stunden werden mehr als 500 Millionen Menschen gleichzeitig die Möglichkeit haben, „Songs Of Innocence“ zu hören. Menschen, die bisher noch nie von uns gehört haben oder sich bisher nicht für uns interessierten, könnten uns zum ersten Mal spielen, nur weil wir in ihrer Playlist auftauchen.

Zum zehnjährigen Jubiläum unseres ersten iPod-Werbespots hat Apple entschieden, unser neues Album kostenlos allen Musikfans zur Verfügung zu stellen. Es ist kostenfreie, aber trotzdem bezahlte Musik. Denn wir glauben, wenn kein Mensch für Musik bezahlt, kann Musik nicht wirklich „frei“ sein. Letztendlich würden sowohl die Künstler als auch die künstlerische Form darunter leiden – was zu großen Schwierigkeiten für zukünftige Künstler und ihre Musik führen würde.

Wir haben uns entschlossen, mit Apple über die nächsten Jahre an einigem coolen Material zu arbeiten – Innovationen, die vielleicht die Art, wie wir Musik hören und betrachten, verändern könnten. Wir werden Euch auch darüber auf dem Laufenden halten. Wenn Euch „Songs Of Innocence“ gefällt, dann bleibt uns auch mit „Songs Of Experience“ gewogen. Es könnte schon bald fertig sein…auch wenn ich diese Worte sicher schon viel zu oft gesagt habe.

Ich hoffe, dass ihr nach mehrmaligem Hören des neuen Albums verstehen werdet, warum wir so lange daran gearbeitet haben. Es ist wirklich ein sehr persönliches Album geworden.

There is no end to LOVE.

BONO“

image

Da stellt man sich berechtigterweise die Frage: Was soll das Ganze? Und: wem nützt die Aktion, wem schadet sie vielleicht sogar? Nun, im Grunde dürfen sich sowohl Apple als auch U2 als Nutznießer der vermeintlichen Verschenküberraschung betrachten. Denn während Tim Cook und sein Apfel-Unternehmen etwas vom massenkompatiblen Stadion-Rock’n’Roll-Glanz der Iren-Rocker erhaschen und ganz nebenbei noch auf iTunes und Beats Music, ihren Download-Store beziehungsweise Streaming-Dienst im ebenfalls höchst umkämpften Bezahlmusik- und Musikstream-Sektor, aufmerksam machen können, können sich Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr. nun als großzügige Gönner und innovative Vordenker feiern lassen (wobei verschwiegen wird, dass Beyoncé ihr letztes, selbstbetiteltes Album im Winter 2013 in einer ähnlichen Nacht-und-Nebel-Aktion via iTunes – wenn auch nicht kostenlos – feilbot und sich U2 die Aktion freilich mit einer „Summe X“ von Apple vergüten ließen). Dennoch ist gerade diese Aktion – allein schon aufgrund ihrer Unbemitteltheit – als Erfolg für beide Lager zu werten. Denn mal ehrlich: Ohne diesen Paukenschlag würde es selbst dem treusten Apple-Fanboy schwer fallen, sich an die „Keynote“ vom 9. September zu erinnern. Bono und Co. für ihren Teil machen sich ein weiteres Stückweit unabhängiger von eben jenen Musikmarktmechanismen, die sie mit geschätzten 170 Millionen verkauften Tonträgern sowieso längst überragen, bieten allen Fans und interessierten, potentiellen Neuhörern ihre elf neuen Songs, an denen sie über Jahre mit einem namenhaften Produzenten-Fünftergespann aus Danger Mouse, Declan Gaffney, Paul Epworth, Ryan Tedder und Flood gearbeitet haben, zum kostenlosen – natürlich exklusiv „iTunes-only“ – Download an, bevor das Album am 13. Oktober regulär in die Läden kommt – für die treuen Fans als CD, LP und superexklusive Deluxe Limited Supersonderedition mit Bonus Tracks, Alternativen Takes, Liveversionen und sonstigem Pi-Pa-Po, freilich. Wie die Songs am Ende klingen gerät da schon zur Marginalie, obwohl sich „Songs Of Innocence“ in Gänze auch vor anderen Glanzlichtern im jüngeren U2-Backkatalog (etwa dem 14 Jahre zurückliegenden „All That You Can’t Leave Behind“) nicht verstecken muss, nach wie vor die „U2-typischen“ Zutaten – den mit Pathos aufgeladenen Gesang, den ebenso zeitlosen wie absolut zeitgemäßen Anstrich, den Mut zum Experiment im Kleinen, die charakteristischen The Edge-Dengel-Gitarrenspuren – und nach einmaligem Hören sogar den ein oder anderen Ohrwurm vorweisen kann (wie „Iris (Hold Me Now)“, das Sänger Bono seiner vor vielen Jahren verstorbenen Mutter widmet, dem drängend-spröden „Raised By Wolves“ oder den Rausschmeißer „The Troubles“, für das sich U2 keine Geringere als Lykke „I Follow Rivers“ Li zum Duett ins Studio luden) – wer mehr erfahren mag, für den haben die Kollegen des deutschen „Rolling Stone“ natürlich eine eiligst zusammen geschusterte „Track-By-Track“-Review parat, während einzelne Redakteure des „Musikexpress“ die elf neuen Songs als willkommenen Anlass nehmen, den Rockmusikern von der „grünen Insel“ ihren stadiontauglichen Massenpathos vor die Haustür gallenklebrig zu brechen (den Verriss gibt’s dann hier). Es bleibt dabei: Wer U2 bislang etwas abgewinnen konnte, der wird auch auf „Songs Of Innocence“ den ein oder anderen neuen Favoriten finden, wer die Band schon immer als Anlass für die gepflegte Magenentleerung in den nächsten Mülleimer nahm, der wird auch im 39. U2-Bandjahr einen weiten Bogen um Bono und Co. machen. Nur sollte man nicht vergessen, dass es vielen Kollegen von U2 – in finanzieller Hinsicht – ungleich weniger gut geht, alsdass man das neuste Album mal eben – hochdotiert von einem führenden Elektronikkonzern vergütet, natürlich – gönnerisch unters Hörervolk könne. Denn auf der Kehrseite der Aktion verkommt das Album als solches leider einmal mehr zum bloßen Marketing-Tool zur Bewerbung der nächsten Stadion-Welttournee… mit Apple und U2 als Win-Win-Duo.

P.S.: Ganz am Rande der „Keynote“ hat es Apple doch tatsächlich fertig gebracht, den 2001 präsentierten iPod Classic gänzlich und wohlmöglich für immer aus seiner Produktsparte zu entfernen… Wtf?!? Nun steht der „Walkman des 21. Jahrhundert“ in einer Reihe mit dem Walkman und dem Discman des 20. Jahrhunderts als inzwischen – vermeintlich – „technisch überholter Meilenstein der Elektronikgeschichte“. Nennt mich Dinosaurier, aber das kleine Ding ist bei mir – als mit mehr Speicherplatz aufgerüstete Customized-Variante – seit 2008 nach wie vor im täglichen Einsatz. Ruhe in Frieden, kleiner Freund.

P.P.S.: Allen Skeptikern der vermeintlichen Gönner-Aktion dürfte diese neuste Meldung der angeblichen ersten Download-Zahlen ein süffisantes Lächeln ins Gesicht zaubern…

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , ,

Flimmerstunde – Teil 5


U2 – From The Sky Down (2011)

John Lennon und Paul McCartney. Mick Jagger und Keith Richards. Robert Plant und Jimmy Page. Roger Datlrey und Pete Townshend. Ich könnte die Liste beinahe endlos fortführen… Sie beweist jedoch, dass es bei Bands meist zwei Mitglieder gibt, die die Geschicke innerhalb der Gruppe sowie deren Außenwirkung entscheidend prägen. Bei U2 sind das Bono und The Edge. Und obwohl die neuste Band-Doku „From The Sky Down“ nicht müde wird, auch die Beiträge von Larry Mullen jr. und Adam Clayton zu erwähnen, bestätigt sie doch dieses Vorurteil.

Der Aufhänger dieses 90-minütigen Films von Davis Guggenheim („An Inconvenient Truth“) ist das 20-jährige Jubiläum von U2s wohl wichtigstem Album „Achtung Baby“, welches das Quartett zur Zeit des Mauerfalls zusammen mit den Produzenten Brian Eno, Daniel Lanois und Flood in den Hansa Studios in Berlin aufnahm. Die Voraussetzungen waren denkbar ungünstig: der Vorgänger „Rattle and Hum“ (1988) erhielt meist negative Kritiken und konnte weder von Seiten der Band noch von Seiten der Kritiker und Fans der hohen Erwartungshaltung, die Alben wie „The Unforgettable Fire“ (1984) oder „The Joshua Tree“ (1987) geschürt hatten, gerecht werden. Die Ehe von Gitarrist David Howell Evans (alias The Edge) war gescheitert, Frontmann Paul David Hewson (alias Bono) wurde sich seiner prätentiösen, überkandidelten Außenwirkung bewusst und hatte das Gefühl, dass die Band nach den langen Tourneen einen Kurswechsel dringend nötig hatte. Also verliess die Band das heimische Dublin und buchte den letzten Flug mit British Airways in die Hauptstadt des damals noch geteilten Deutschland (lustige Anekdote: die Band kam in Berlin an, als die Mauer gerade im Begriff war zu fallen. Als im Feiern erprobte Iren suchten sie nach der nächsten Party, gerieten jedoch in eine grimmige Menschenmenge, welche für den Wiederaufbau der Mauer demonstrierte). In den Hansa Studios, in denen vorher auch schon Großtaten wie David Bowies „Heroes“ entstanden waren, fanden U2 mit gemeinsamer Kraftanstrengung zu neuer Inspiration und nahmen ihr, meiner Ansicht nach, neben „The Joshua Tree“ bestes Album namens „Achtung Baby“ auf, welches Songs wie „One“, „Love is Blindness“ oder „Mysterious Ways“ enthält.

Die Dokumentation zeigt einen Mix aus neueren Bildern und Archivaufnahmen, lässt Band und Produzenten, aber auch Bandmanager Paul McGuinness oder den legendären (Musik-)Fotografen Anton Corbijn, welcher das Erscheinungsbild zahlreicher Gruppen (u.a. auch Depesche Mode) entscheidend mitdefiniert hat, zu Wort kommen. Und zeigt U2 zwischen nostalgischer Rückbesinnung und Auftritt in der Öffentlichkeit, unterhalb gigantischer Bildschirmwände und fliegender Trabis auf der Bühne und bei schier endlosen Aufnahme- und Probesessions im Studio, Bono zwischen ehrlicher Selbstkritik und Rückzug in sein Selbstschutz-Kunstfigur-Alter-Ego „The Fly“. Einziges Manko: es wird wenig bis gar nichts zu den Hintergründen vieler eindeutig sexuell inspirierter Songs des Albums berichtet. Da lassen U2 Fans und Publikum auch weiterhin ihr eigenes Interpretationssüppchen kochen…

Diese Band ist und bleibt ein wandelnder Widerspruch, mit einem Frontmann zwischen Heiligem und Pop-Scharlatan (für den jedoch der Friedensnobelpreis irgendwann unvermeidlich wird). Doch U2 sind auch eins: größer als die Summe ihrer einzelnen Teile, gefestigt und bodenständig in ihrem Fundament. Love it or hate it. Größe muss polarisieren. „Scheißegal“ bleibt dem breiten Rest vorbehalten.

In einer der letzten Szenen von „From The Sky Down“ fährt die Band noch einmal in einem Trabi durchs Berlin der Jetztzeit. Die letzte Szene zeigt Bono, The Edge, Larry Mullen jr. und Adam Clayton beim Betreten der Bühne des Glastonbury Festivals, um zum ersten Mal eben jenes „Achtung Baby“ in Gänze aufzuführen. Ein Triumphzug, natürlich.

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , ,
%d Bloggern gefällt das: