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Zu kurz gekommen… – Teil 6


Hope Of The States – The Lost Riots (2004)

Was habe ich dieses Album damals, 2004, geliebt! Monatelang hatte es (s)einen festen Platz in meinem portablen CD-Abspielgerät sicher (jaja, selig waren die Zeiten, als man noch nicht gut 75 Tage Hörgenuss in der Hosentasche mit sich herumtragen konnte). Aber warum? Nun, wenn ich „The Lost Riots“ heute wieder einmal höre, dann ist es, als würde ich einen guten Freund nach langer Zeit wiedersehen. Einen, der einem durch Verständnis und weise Worte zu verstehen gab, dass man mit all seinen Gefühlen, seinen Sorgen und Ängsten, nicht allein ist. Einer, dem auch einst der Boden unter den Füßen fehlte. Einer, der den endlosen Tunnel kennt, aber auch das Licht.

Bereits das instrumentale Intro „The Black Amnesias“ nimmt den Hörer gefangen. Eine dezente Akustikgitarre, dann folgt das Schlagzeug dem Ruf, danach steigen Bass und elektrische Gitarre ein. Und Geigen, tausende Geigen! Irgendwann wähnt man sich in einem orchestralen Sturm, ist mittendrin und dabei, ist bereit, was auch immer nun kommen möge… Im darauf folgenden „Enemies / Friends“ meldet sich dann auch Sänger Sam Herlihy zu Wort. Er singt von Krankenhausfluren und Menschen, die wie er mit ihrem Schicksal hadern, von gebrochenen Herzen und dass in bestimmten Situation auch alles Geld der Welt plötzlich wertlos sein kann. Bei den Schlüsselzeilen des Songs, „Keep your friends close / Your enemies won’t matter in the end“, weiß man, dass es da zumindest einen Menschen gibt, der einem eine Schulter für schwere Stunden und Hilfe zur Selbsthilfe anbietet. Überhaupt: Trostspender – „The Lost Riots“ ist, insofern man dem Album eine Chance und Zeit zur Entfaltung gibt, voll davon. Sei es nun im programmatischen „Don’t Go To Pieces“ („Are you angry when you look at the world? / So desperate it’s making you ill? / Don’t be alone or frightened by all that you see / There’s a million good hearts like you and like me / Don’t you go to pieces now / I need you more than I ever did / Don’t you go to pieces now / I need you all the time“) oder etwa in „Nehemiah“ („People come on, make a stand / Come on people, try again / You’re not alone when the lights go off / Stand together when it all stops“) – die Welt mag kalt, grausam und unwirklich erscheinen und in ihren letzten Zügen liegen, solange wir uns jedoch das Feuer in unseren Herzen bewahren, ist die Oper nicht vorbei. Passend dazu liefert die Band mit „The Red The White The Black The Blue“ („The red, white and the blue has always been what led you / If you don’t do something / They’ll steal it all from under you / You beat us black and blue / We’re coming back to find you“) oder dem darauf folgenden „Black Dollar Bills“ („I’ve seen broken people smile, they’re lying / You can’t buy us with your dollar bills / You can’t rule the world with your broken rule“) Songs, welche als direkte Kritik an der damaligen Bush-Blair-Weltpolizei-Koalition zu verstehen sind, aber ebenso an fehlgeleiteten kapitalistischen Ordnungen. Auch acht Jahre nach ihrer Veröffentlichung haben diese Lieder nichts von ihrer Aktualität verloren…

Insgesamt pendelt das Debütalbum von Hope Of The States immer wieder zwischen Hoffen und Bangen, Harmonie und Agonie, zwischen Aufbruch und Zusammenbruch. Und wenn Herlihy mit seiner an Liam Gallagher mit echter Wut im Bauch erinnernden Stimme im Abschlusssong „A Crack Up At The Race Riots“, welcher aus rechtlichen Gründen als Hidden Track nicht in der Tracklist erwähnt wird, singt „We’ll pull it down, piece by miserable piece / Refuse to live our lives / And sell out the only friends we know / We fight together / And die together“, so darf man das nicht als Kapitulation, sondern als trotzige, ultimative Kriegserklärung verstehen. Nimmerland steht in Flammen, die Reiter der Apokalypse vor der Tür, und selbst Peter Pan bewaffnet sich.

2004 wurde das Sextett aus dem englischen Chichester von der britischen Musikpresse mit allerlei Vorschusslorbeeren bedacht und – ihr ahnt es wohl bereits – als der „neuste heiße Scheiß“ gehandelt. Die Vorzeichen waren auch wahrlich gut, schließlich spielte man das Debüt in Peter Gabriels im englischen Bath beheimateten Real World-Studios zusammen mit dem für seine herausragenden Klangarrangements bekannten Ken Thomas (u.a. Sigur Rós, David Bowie, Queen) ein. Doch kurz vor Fertigstellung des Albums nahm sich der damalige Gitarrist James ‚Jimmi‘ Lawrence das Leben. Seine verbliebenen Bandmitglieder brachten die Aufnahmen trotzdem zu Ende. Nach dem 2006 erschienen Nachfolger „Left„, welcher zwar gelungen ist, jedoch in keinster Weise mit dem Debütalbum konkurrieren kann, lösten sich Hope Of The States jedoch überraschend und ohne Angabe von Gründen auf. Dies ist eine Anekdote von dramatischer Güteklasse, welche „The Lost Riots“ wahrlich nicht nötig hat. Und trotzdem, oder gerade deshalb, macht sie die 13 Songs – oder 65 Minuten – noch um einiges dramatischer, schwingt doch nun selbst in den bereits vor Lawrence’s Freitod fertiggestellten Stücken unterbewusst eine böse Vorahnung mit. Natürlich steht bei den mal an Radiohead, mal an Muse oder Sigur Rós erinnernden Post Rock-Stücken „PATHOS“ in großen Lettern an der Studiotür geschrieben. Wäre dies ein Film, so hätte M. Night Shyamalan dazu sein bestes Drehbuch geliefert und Jerry Bruckheimer seine wohl feinfühligste Produktion. Denn für „The Lost Riots“ kann man den Spruch „Don’t judge a book by its cover“ einmal kurz beiseite legen – das hier ist ein Endzeit-Epos! Die Welt steht am Abgrund. Glück ist, wenn dich ein Freund umarmt.
 
Als Hörbeispiele der bereits erwähnte instrumentale Album-Opener „The Black Amnesias“…

 
…und „The Red The White The Black The Blue“ in der Jools Holland-Liveversion:
 
Rock and Roll.
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