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Auf dem Radar: Olivia Barton


Olivia Barton ist eine Indie-Folk-Singer/Songwriterin aus Orlando, Florida, die nach ihrem Abschluss am Berklee College of Music nun in Nashville, Tennessee lebt. So weit, so Fakt. Dass die Newcomerin, welche kürzlich in den US of A auch einige Shows im Vorprogramm von Illuminati Hotties spielte, noch recht unbekannt ist, dürfte vor allem daran liegen, dass sich die Songs ihres 2019 erschienenen Debütalbums „I Could Have Smiled At You More“ vornehmlich auf eine Akustikgitarre und Bartons zarte Stimme beschränkten, mit welcher sie Texte vortrug, die sich mit einer Extraschippe Nahbarkeit fast wie intime Tagebucheinträge anhörten. Schon schön irgendwie – und doch allerdings auch so weit weg von einem größeren Publikum wie der aktuelle Coldplay’sche Output von ernstzunehmender nachhaltiger Musik. Ob sich das mit „This Is A Good Sign„, ihrer unlängst veröffentlichten zweiten Platte, für die sie sich mit den Produzenten Collin Pastore und Jake T. Finch (Lucy Dacus, Bre Kennedy, Hadley Kennary) zusammentat, ändert?

Nun, zunächst einmal fühlen sich auch Bartons neue Songs so an, als würde man in ihren Tagebucheinträgen stöbern: Mit allerlei emotionaler Tiefe und entwaffnender Ehrlichkeit legt sie dar, wie es sich anfühlt, in die eigenen Kämpfe als junge Erwachsene hineinzuwachsen. Wie bereits beim drei Jahre zurückliegenden Vorgänger bekommt man hier gitarrengetriebene Stücke mit klarem Gesang, begleitet von recht roher Lyrik, die den Hörer in die verletzlichsten Momente ihres Lebens entführen. In ihren eigenen Worten schreibt Barton Songs über „traurige Dinge, die sie nie vorhatte, Fremden zu erzählen“. Das Album beginnt mit „I Don’t Sing My Songs“, in dem die junge Musikerin die Alltäglichkeit ihres Lebens aufzeigt – all die Dinge, die sie tun sollte, aber nicht tut – untermalt von einem gleichmäßigen Gitarren- und Schlagzeugbeat. Sie singt „I miss everything about anything I had before now“, gibt zu, dass die Nostalgie sie zu verzehren scheint, wenn sie diesen Punkt in ihrem Leben erreicht, an dem sie eigentlich auf ihrem „Höhepunkt“ sein sollte, und setzt dieses Gefühl mit religiöser Schuld, vergangenen Traumata und Existenzialismus in Beziehung. Julien Baker, ick hör‘ dir trapsen.

Apropos Julien Baker: Ebenso wie selbige beschäftigt sich auch Barton mit den Kämpfen des Erwachsenwerdens und der Selbstdefinition außerhalb der Perspektive anderer – in diesem Sinne scheint „Playing Alone“ zur Albummitte der Höhepunkt dieses Gefühls zu sein, verziert mit sanftem Gesang, atmosphärischer Klavierbegleitung und einem nahezu pastoralen Klangoutfit, mit denen sich dieser Song wohltuend vom Rest des Werks abhebt. „Cartwheel“ hingegen ist ein Zwiegespräch mit ihrem inneren Kind: Sie gibt ihrem fünfjährigen Ich die Zuwendung, die sie zuvor vernachlässigt hat – „Light up / Tear up / Talk more / Cartwheel“. Die Erfahrung, eine Musikerin zu sein, ist ein weiteres verbindendes Thema auf dem Album: „I think in lyrics / I think in bad songs“ singt sie etwa in „Baby Pictures“, und „Have you been writing lately?… Nothing on the books yet / Writing is laborious“ in „I Don’t Do Anything“. Barton gibt den Hörer*innen einen Einblick in die Kämpfe, welche mit dem Künstlerdasein einhergehen, und schafft so eine intime Erfahrung mit dem lauschenden Gegenüber, wie alte Freunde, die sich zufällig über den Weg laufen.

In „Erotic“, einem Song, den Barton beinahe nie fertiggestellt hätte, ist sie am verletzlichsten, schließlich erzählt sie darin von einem sexuellen Übergriff, den sie in ihrer Jugend durch einem älteren Mann erlebte. Das Stück besteht nur aus Gitarre und Gesang, während sie sich poetisch entblößt und ihre Erfahrung anschaulich schildert: “Sparkling beneath your grip… I’m a woman in service to men”. In „White Knuckling“ beginnt sie mit Textzeilen, die das gesamte Album innerhalb weniger Worte zusammenzufassen scheinen („Is this a rite of passage / Or a bad one-woman show?“) und ringt obendrein nach dem Tod eines Freundes um Fassung. Dennoch gerät nicht jede der knapp 45 Minuten von „This Is A Good Sign“ derart deprimierend, denn Barton lässt im Laufe der Platte glücklicherweise immer wieder Hoffnungsschimmer auf all die guten Dinge, die der Albumtitel suggeriert, aufscheinen, denn schließlich wäre das Süße ohne das Saure nur halb so süß. Wohlmöglich klingt „Florida Honey“ genau deshalb im wahrsten Sinne des Wortes, als würde es mit seinem angenehm leichten Nineties-Songwriter-Pop-Vibe vor Honig triefen, wenn sie über ihren Partner singt? Dass man am Songtitel nicht gleich den kompletten Inhalt ableiten kann beweist „Antisocial“, das von Bartons Beziehung zu einer Frau handelt, die sie so glücklich macht, wie sie nur sein kann, egal wie unvollkommen beide sein mögen. Doch Männer hin, Frauen her – schlussendlich läuft’s doch immer auf die Selbstliebe hinaus, mit der sich auch Barton schwertut („I guess I don’t like being inside my body“), wenngleich sie im abschließenden Titelsong doch zumindest beschließt, es zu versuchen: “What if all this is a good sign? / When I let go and make space to try”.

Freilich hätte „This Is A Good Sign“ in instrumentaler Hinsicht ein wenig mehr Abwechslung gut zu Gesicht gestanden, hätten die zwölf Songs hier und da gern ein bisschen mehr aus dem Rahmen fallen und mehr mit Sound und Produktion experimentieren können. Andererseits darf Bartons Lyrik so auf der gesamten Platte glänzen, und ihre Erzählungen, ihre schöne Stimme und ihre Verletzlichkeit machen auch ihr zweites Album hörenswert. Freunde von Julien Baker, Lucy Dacus oder der frühen Sheryl Crow dürfen diesen Songs also gern mal ein Ohr leihen.

Rock and Roll.

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Song des Tages: corook – „it’s ok!“


Manchmal lassen sich zwischen den zahllosen Quatsch-und-Klickquoten-Videos auf TikTok und Co. tatsächlich kleine, mit ernsthaftem Augenzwinker-Hintersinn gedachte Highlights entdecken. Die Clips von corook etwa. co…wer?

Hinter diesem Allerwebs-Alias versteckt sich Corinne Savage, die sich schon optisch von all den perfekt geschminkten, zu irgendwelchen trendigen Choreographien tanzenden Social-Media-Püppchen abhebt. Vielmehr liegen die Talente der Sängerin, Songwriterin, Produzentin, Multi-Instrumentalistin und selbsternannten „huge fuckin dork“ (was auf Deutsch augenzwinkernd soviel wie „riesige Idiotin“ bedeuten mag) anderswo. So kann die Endzwanzigern – je nach Tagesform – etwa einen Rubiks-Würfel in weniger als einer Minute lösen. Aufgewachsen ist das „sommersprossige, pummelige Babe“ in Pittsburgh, Pennsylvania, wo sie im heimischen Kinderzimmer den Songs von Drake, Gwen Stefani oder Mac Miller lauschte. Sie besuchte eine High School für darstellende Künste, outete sie sich in ihrem letzten Schuljahr als „QUEERAF“, und danach das Berklee College of Music, welches sie mit zwei Abschlüssen beendete. Mittlerweile lebt Savage mit ihrer Freundin im vor allem unter aufstrebenden Musik-Talenten angesagten Nashville, Tennessee („howdy.“), wo sie seit 2021 die meiste Zeit mit dem Schreiben und Produzieren von Musik für ihr Künstlerprojekt corook verbringt und sich dafür nur allzu gern allein in ihrem Zimmer einschließt (und dafür in jüngster Vergangenheit dem Coronavirus die Schuld zuschob, aber eigentlich wohl einfach nur ihrer asozialen Ader frönt). Als corook ließ Savage etwa unlängst, im April, ihre Debüt-EP „achoo!“ hören, welche einige ihrer Lustige-Musikvieos-trifft-auf-Hintersinn-Songs bündelt.

Nun hat die vielseitige US-Künstlerin ihre emotional verletzliche und tröstliche neue Single „it’s ok!“ veröffentlicht. Als „Schlaflied für Erwachsene“, an Tagen, an denen einem einfach alles im Leben zu viel wird, erinnert das Stück die Hörer*innen daran, dass es total okay ist, nicht den Erwartungen und Normen zu entsprechen und ab und an Tage zu haben, an denen es einem bereits schwer fällt, aus dem Bett zu kommen, weil sich einfach alles überwältigend anfühlt. Mental Health und Body Positivity im unterhaltsam-eingängigen Drei-Minuten-Popsong-Format? Funktioniert hier tatsächlich bestens!

„Ich habe diesen Song mit der Absicht geschrieben, ein Schlaflied für mich selbst zu schaffen“, erzählt Corinne „corook“ Savage. „Einen Song für die Tage, an denen es mir schwerfällt, aus dem Bett zu kommen oder wenn meine Sorgen den Tag beherrschen. Als ich einen Clip von diesem Song auf TikTok gepostet habe, war ich mir nicht sicher, was mich erwarten würde. Ich glaube, die interessanteste Reaktion war die Anzahl der Leute, die sich selbst im Bett beim Singen des Liedes gefilmt haben. Es fühlte sich wie ein wirklich einfaches, aber bedeutungsvolles Zeichen der Solidarität an, nach dem Motto ‚Ja, das mache ich auch‘. Als ich diese Videos sah, fühlte ich mich mit diesem Gefühl nicht mehr so allein. Ich hoffe, dass dieser Song eine Erinnerung daran ist, dass die einzige Aufgabe des Tages darin besteht, das zu tun, was man kann, und sich selbst zu gefallen.“

Wie mit den Songs zuvor kreiert corook bei „it’s ok!“ einen ganz eigenen, unbestreitbar genresprengenden Sound, und behandelt in ihrer Musik und ihren Bildern obendrein zutiefst persönliche Themen durch ihre ebenso einzigartige wie schrullige und humorvolle Linse.

„Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird

I should get up outta bed, I should probably drink some water
I should, I should, I should
But I know that I’m not gonna
Do the things statistically that make me feel better
Get outside and out my mind, I know I’ll feel better
Scrolling, scrolling, scrolling through the videos and pictures
Scrolling, scrolling, scrolling like my eyes are drinking liquor
Feeling overstimulated, maybe it’s a sign
If I’m here any longer, I’ll get tan lines from the brightness
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Ok, ok, ok, I got banana socks on like could I get any cuter
Grab a cup of tea and I walk to the computer
Oh, you’re fucking kidding me – another school shooter?
Suddenly I’m cripple by the chances of my future
A parade or a concert or a theatre or a school
Can’t prove I’m any safer in the comfort of my room
Somewhere in Malaysia there’s a plane that disappeared

And no one talks about it and I think that’s pretty weird so
What if it was me?
My chances aren’t that far
What if the plane I take next week ends up where they are?
This isn’t making any sense and now I’m kinda spiraling
Take a deep breathe
And keep reminding

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Ryan Culwell & Aubrie Sellers – „Head Like A Hole“


Die in Nashville, Tennessee ansässigen Künstler Ryan Culwell und Aubrie Sellers haben sich für ein Cover des Nine Inch Nails-Ervergreens „Head Like A Hole“ zusammengetan – und rufen damit recht berühmte Vorbilder wach. So bezeichnete der US-„Rolling Stone“ das zwischen Nashville und Los Angeles aufgenommene Ergebnis als „düsteres, gespenstisches Duett“ und meinte: „Wie Johnny Cash und Rick Rubin vor ihnen, interpretieren Ryan Culwell und Aubrie Sellers einen Nine Inch Nails-Song neu – mit Gänsehaut erzeugendem Ergebnis.“

„Letzten Sommer war ich länger wach und versuchte, einen neuen Song zu schreiben. Dabei kam mir ‚Head Like A Hole‘ immer wieder in den Sinn und ließ mir keine Ruhe“, erzählt Culwell. „Ich machte also eine Sprachnotiz und schickte sie an [Produzent] Ethan Ballinger und Aubrie Sellers, die beide in L.A. lebten. Sie ermutigten mich, die Idee weiterzuverfolgen und wir holten Megan McCormick mit ins Boot, so dass zu diesem Zeitpunkt viele meiner Lieblingskünstler mit mir daran arbeiteten. Wir fingen an, Tracks aufzunehmen und sie zwischen Nashville und L.A. hin und her zu schicken, wobei jeder verschiedene Elemente in seinen Kellern, Küchen, Schlafzimmern usw. produzierte. Aubrie steuerte eine Strophe bei und hob die Gesangsproduktion damit auf ein anderes Level, was wiederum den Rest des Tracks in neue Richtungen gelenkt hat. Da die meisten von uns vorher schon so viel zusammen gearbeitet hatten, war es wirklich einfach, aus der Ferne zu kooperieren. Ethan mischte den Song in L.A. mit Hinweisen von Aubrie und Megan ab und ich bin wirklich begeistert, was bei der Zusammenarbeit mit solch talentierten Künstlern bei der Neuinterpretation von Trent Reznors Meisterwerk herauskam.“

Aubrie Sellers kann die Komplimente nur erwidern: „Ich war ein großer Bewunderer von Ryans letzter Platte [„The Last American“ von 2018], daher war ich sehr aufgeregt, als er mich bat, mit ihm an diesem Song zu arbeiten. Als er mir das erste Mal eine Aufnahme schickte, auf der er den Song spielte und sang, wusste ich, dass es eine einzigartige Interpretation werden würde und etwas, an dem ich gern teilhaben wollte. Es ist immer toll, mit jemandem zu arbeiten, dem man gerne zuhört, und es ist ein großartiger Zeitpunkt, um diese Hymne wiederzubeleben.“

„Head Like A Hole“ erschien auf „Pretty Hate Machine„, dem 1989er Debütalbum von Nine Inch Nails. Der US-„Rolling Stone“ bezeichnete das Werk, welches Elemente aus Pop und Hair Metal mit der damals recht typischen Achtzigerjahre-Produktion kombinierte, seinerzeit als „Lärm von industrieller Härte, über den ein Pop-Rahmen gespannt“ sei – wenn man so mag die Geburtsstunde des Industrial-Genres. Ryan Culwell und Aubrie Sellers haben den mehr als drei Jahrzehnte jungen Song nun in ihrem eigenen Stil neu interpretiert und verwandeln Trent Reznors verquere Mittelfinger-Stadionhymne in eine unheilvoll nachhallende country’eske Beschwörung…

Rock and Roll.

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Song des Tages: Julien Baker – „Hardline“


Foto: Promo / Alysse Gafkjen

Nach der bereits im vergangenen Oktober veröffentlichten ersten Vorabsingle „Faith Healer“ durfte man durchaus (noch) gespannt(er) sein, wohin es Julien Baker musikalisch auf dem Nachfolger zum 2017er Langspieler „Turn Out The Lights“ so zieht: Der Song entwickelte sich ausgehend von Bakers typisch zerbrechlich perlenden Gitarren zu einem üppigen Bandsound, in dessen Zentrum stets der einmalige Gesang der 25-jährigen Indie-Singer/Songwriterin stand.

Das gilt so ähnlich nun auch für „Hardline“: Sacht schwellen zu Beginn ein paar Orgeltöne und Synthesizer an, dann singt Baker feingliedrig wie eh und je. Nach fünfzig Sekunden wirkt es kurz, als würde der Song nun im Bandsound mit einer Pop-Bassdrum in den Mainstream übertreten. Doch der Titel bewahrt sich seine Indie-DNA, kehrt noch einmal zurück zu nichts als Gitarre und Gesang, schwillt wieder opulent an, beruhigt sich leicht und mündet schließlich in ein tosendes Finale, das manch einen eventuell flüchtig an ihren Beitrag im Touché Amoré-Song „Skyscraper“ erinnern könnte. Klar ist: So groß, so weitschweifig klang Julien Rose Baker noch nie.

Das fast noch tollere dazugehörige Stop-Motion-Video zeigt eine mysteriöse gehörnte Figur und ihren Hund in einer beinahe postapokalyptischen Pappmaché-Welt, die an einer einsamen Tankstelle Benzin stehlen, einen seltsamen Apparat testen, auf einem Kirchendach sitzen – und schließlich im stürmischen Schlussakt den Sound des Songs treffend in Bilder übersetzen. Der Look des Clips geht dabei laut Regisseur Joe Baughman, der mehrere hundert Stunden Arbeit in den liebevoll arrangierten, herzerwärmenden Clip steckte, auf eine Skulptur zurück, die Baker selbst gestaltet hatte. „Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, Gegenstände von meinen Reisen aufzuheben, mit dem vagen Hintergedanken, daraus ein Kunstwerk zu machen“, meint Baker selbst. „Ich habe das alles dann in einer Collage in Form eines Hauses und eines Vans verarbeitet. Das wollte ich irgendwie auf der neuen Platte einbinden und als wir über Ideen für ein Video gebrütet haben, sind wir auf Joe Baughman gekommen.“

„Hardline“ wird auf „Little Oblivions“ zu hören sein, Julien Bakers mit Spannung erwarteten drittem Studioalbum, welches am 26. Februar erscheint. Die vorherige Single „Faith Healer“ hatte die junge Musikerin kürzlich in einer mitreißenden Version auch in der US-Late-Show von Stephen Colbert vorgestellt; zuvor hatte sie bereits die einzelnen Spuren des Tracks für Remixe freigegeben. Noch toller war da eigentlich nur ihr Besuch bei „KEXP at Home“, bei dem sie im Gespräch mit Moderatorin Cheryl Waters nicht nur aus ihrem Leben und vom neuen Album erzählte, sondern auch – mal solo, mal mit Band – Live-Session-Versionen von „Faith Healer“, „Hardline“, dem neuen Stück „Song In E“ sowie einer zu Tränen rührenden Coverversion des Soundgarden-Klassikers „Fell On Black Days“ zum Besten gab…

„A few years ago I started collecting travel ephemera again with a loose idea of making a piece of art with it. I had been touring pretty consistently since 2015 and had been traveling somuch that items like plane tickets and hotel keycards didn’t have much novelty anymore. So I saved all my travel stuff and made a little collage of a house and a van out of it. I wanted to incorporate it into the record and when we were brainstorming ideas for videos we came across Joe Baughman and really liked his work so we reached out with the idea of making a stop-motion video that had similar aesthetic qualities as the house I built did. I don’t know why I have the impulse to write songs or make tiny sculptures out of plane tickets. But here it is anyway: a bunch of things I’ve collected and carried with me that I’ve re-organized into a new shape.“ (Julien Baker)

„Man, even after having spent 600 hours immersed in ‘Hardline’ and having listened to it thousands of times, I am still moved by it. It was a fun and ambitious challenge creating something that could accompany such a compelling song. The style of the set design, inspired by a sculpture that Julien created, was especially fun to work in. I loved sifting through magazines, maps, and newspapers from the 60s and 70s and finding the right colors, shapes, and quotes to cover almost every surface in the video.“ (Joe Baughman)

„Blacked out on a weekday
Still, something that I’m trying to avoid
Start asking for forgiveness in advance
For all the future things I will destroy
That way I can ruin everything
When I do, you don’t get to act surprised
When it finally gets to be too much
I always told you you could leave at any time
Until then I’ll split the difference
Between medicine and poison
Take what I can get away with
While it burns right through my stomach
I’m telling my own fortune
Something I cannot escape
I can see where this is going
But I can’t find the brake

Knocked out on a weekend
Would you hit me this hard if I wеre a boy?
See, I don’t need you to defend mе
‚Cause it’s just the sort of thing that I enjoy
Took the fallout, draw a hard line
When I cross it, it’s the third time
Say my own name in the mirror
And when nobody appears
Say it’s not so cut and dry
Oh, it isn’t black and white
What if it’s all black, baby?
All the time

Oh, all the time…“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Julien Baker – „Faith Healer“


Foto: Promo / Alysse Gafkjen

Trotz zwangsweiser Konzertflaute ist das kommende Veröffentlichungsjahr um ein Highlight reicher, denn Julien Baker hat nun offiziell ihr drittes Studioalbum angekündigt. Der Nachfolger zum 2017er Werk „Turn Out The Lights“ soll „Little Oblivions“ heißen und am 26. Februar 2021 erscheinen. Begleitet wird die Ankündigung von einer ersten Single mit dem Titel „Faith Healer“ inklusive dazugehörigem Musikvideo, welches mit religiöser Symbolik und Bild-in-Bild-Sequenzen spielt, während Baker dabei selbst nur auf einem Computerbildschirm zu sehen ist. Der Song selbst kommt ganz im Stile früherer Großtaten daher, ist ebenso kraftvoll wie melancholisch.

Put most simply, I think that ‚Faith Healer‘ is a song about vices, both the obvious and the more insidious ways that they show up in the human experience. I started writing this song two years ago and it began as a very literal examination of addiction. For awhile, I only had the first verse, which is just a really candid confrontation of the cognitive dissonance a person who struggles with substance abuse can feel – the overwhelming evidence that this substance is harming you, and the counterintuitive but very real craving for the relief it provides. When I revisited the song I started thinking about the parallels between the escapism of substance abuse and the other various means of escapism that had occupied a similar, if less easily identifiable, space in my psyche.

There are so many channels and behaviors that we use to placate discomfort unhealthily which exist outside the formal definition of addiction. I (and so many other people) are willing to believe whomever – a political pundit, a preacher, a drug dealer, an energy healer – when they promise healing, and how that willingness, however genuine, might actually impede healing.“

In der offiziellen Pressemitteilung zur Ankündigung erklärt die 25-jährige Indie-Folk-Musikerin, die vor zwei Jahren außerdem als Drittel des Trios boygenius, zu dem außer ihr die Indie-Singer/Songwriterinnen Phoebe Bridgers und Lucy Dacus gehören, für begeisterte Reviews sorgte: „Bei ‚Faith Healer‘ handelt es sich um einen Song über menschliche Laster und die offensichtlichen sowie heimtückischeren Wege, auf die diese in unserem Leben auftauchen.“

Tatsächlich habe Baker bereits vor zwei Jahren mit dem Schreiben des Songs begonnen und dabei vor allem das Thema Sucht untersuchen wollen, sowohl bezogen auf Drogenmissbrauch als auch auf andere Formen der Realitätsflucht. „Eine ganze Weile lang hatte ich nur die erste Strophe, in der es auf sehr direkte Weise um die kognitive Dissonanz ging, die ein Drogenabhängiger häufig empfindet“, erklärt die Musikerin weiter, „das Spannungsfeld zwischen dem überwältigenden Wissen, dass die Droge einen kaputtmacht, sowie dem kontraproduktiven und dennoch sehr realen Verlangen nach der Erleichterung, die sie einem verschafft.“

Bei einer zweiten Betrachtung des Songs habe sich ihr jedoch eben auch eine breitere Deutung des Eskapismus-Begriffs eröffnet. „Es gibt so viele verschiedene Kanäle und Verhaltensweisen, die wir benutzen, um unser Unbehagen auf ungesunde Weise nach Außen zu tragen“, so Baker, „sowohl ich als auch viele andere Menschen sind dazu bereit, die Heilversprechen von Politikexpert*innen, Prediger*innen, Drogendealer*innen oder Energieheiler*innen ohne große Widerrede für bare Münze zu nehmen, und ziehen gar nicht in Erwägung, dass diese unsere wahre Heilung womöglich sogar behindern könnten.“

„Little Oblivions“ entstand wiederum in Bakers Heimatstadt Memphis, Tennessee. Behilflich waren ihr dabei der Tontechniker Calvin Lauber sowie der zweifache Grammy-Gewinner Craig Silvey (The National, Florence and the Machine, Arcade Fire), der für das Abmischen der zwölf Songs zuständig war. Während Baker sich auf früheren Veröffentlichungen noch vornehmlich auf Gitarre und Klavier als Begleitinstrumente beschränkt hatte, habe sie nun die Klangpalette mit Bass, Schlagzeug, Synthesizer, Banjo und Mandoline deutlich verbreitert. Dabei habe sie die Instrumente zur Begleitung ihrer nach wie vor sehr persönlichen Lyrics überwiegend selbst eingespielt. Neuer Bandsound hin oder her – inhaltlich macht Baker auch auf dem kommenden Werk das, was sie am besten kann: intensive, beinahe schon sakrale Introspektion, angereichert um Reflektionen auf das Zurückgeworfensein auf sich selbst in einer unsicheren, manchmal dramatischen Zeit.

(Die Albumankündigung wird außerdem von einem längeren, jedoch durch und durch lesenswertem Essay des Dichters, Essayisten und Kulturkritikers Hanif Abdurraqib begleitet, welches ihr weiter unten findet…)

„If you are lucky enough to have a future where the present anxieties of distance become romantic memories, I hope there are people who turn this album over in their hands years from now and remember the world it tumbled into. A world that, in whatever future moment exists, will likely be defined by the work people undertook and the fights people continued to show up for. But it will also be a world defined by how many of us exist on the other side of distance. 

In the moment, here is a new Julien Baker album that arrives as a world comes to newly understand its relationship with touch, with distance. At the time of this writing, I shouldn’t want to run into the arms of anyone I love and miss, and yet I do. In an era of hands pressed on the glass of windows, or screen doors. An era of hands reaching back. An era where touch became an illusion. If we have been unlucky enough, our own lifetimes have prepared us for the ever-growing tapestry of aches. 

To wrestle with the interior of one’s self has become a side effect of the times, and will remain a side effect of whatever times emerge from these. The first time I ever heard Julien Baker, I wanted to know how an artist could survive such relentless and rigorous self-examination. I have been lonely, I have been alone, and I have been isolated. There are musicians who know the nuances between the three. What whispers in through the cracks of a person’s time alone. Julien Baker is one of those artists. A writer who examines their own mess, not in a search for answers, but sometimes just for a way out. A lighthouse to some newer, bigger mess. 

It is hard to put into words what this feels like. Little Oblivions is an album that steps into that feeling and expands it. Sonically, from the opening swells of sound on ‚Hardline‘ rattling the chest, loving but persistent jabs to the way ‚Relative Fiction‘ spills into ‚Crying Wolf,‘ which feels like speeding down a warm highway that quickly turns into a sparse landscape, drowning in a hard rain. Lyrically, too, of course. There are writers who might attempt to bang at the doors of their listeners, shouting their particular anguish of the hour. And there are undoubtedly times when I have needed that to get from one sunrise to the next. But there are also writers who show up assuming anyone listening already knows what it is to crawl themselves back from one heartbreak, or to shout into an enduring darkness and hear only an echo. Little Oblivions is an album that details the crawling, details the shouting. An album that doesn’t offer repair, or forgiveness. Sometimes, though, a chance to revel in the life that is never guaranteed. Yes, the life that grows and grows and is never promised. How lucky to still be living, even in our own mess.

The grand project of Julien Baker, as I have always projected it onto myself, is the central question of what someone does with the many calamities of a life they didn’t ask for, but want to make the most out of. I have long been done with the idea of hope in such a brutal and unforgiving world, but I’d like to think that this music drags me closer to the old idea I once clung to. But these are songs of survival, and songs of reimagining a better self, and what is that if not hope? Hope that on the other side of our wreckage – self-fashioned or otherwise – there might be a door. And through the opening of that door, a tree spilling its shade over something we love. A bench and upon it, a jacket that once belonged to someone we’d buried. Birds who ask us to be an audience to their singing. A small and generous corner of the earth that has not yet burned down or disappeared. I can be convinced of this kind of hope, even as I fight against it. To hear someone wrestling with and still thankful for the circumstances of a life that might reveal some brilliance if any of us just stick around long enough.

Julien, how good it is to hear you again. And now, in all of our anguish and all of our glory. I miss the way the outside world reflected myself back to me. Now, I make mirrors out of the walls. I am so thankful for a better noise than the howling of my own shadows. Julien, you have done it again. You expert magician. You mirror-maker. Thank you for letting us once again watch you maneuver through all of your pleasant and unpleasant self-renderings. If there is a future, there will be people in it who might not remember how this album came at a time when so many hungered for a chance to put themselves back together. When the imagination of a person, a city, a country, was expanding. When, despite all of that, in the quiet moments, there were people who still wanted to be held by someone they maybe couldn’t touch. Thank you, Julien, for this comfort. This glass box through which a person might better be able to see a use for their own grief. This kingdom of small shards of sunlight, stumbling their way in to disrupt the darkness.

Hanif Abdurraqib

Rock and Roll.

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„Distance“ – Eine Corona-Kurzfilm-Momentaufnahme mit zeitloser Botschaft


REVIEW-Distance-2

Schon ungewöhnlich, dass (Kurz)Filme über historische Ereignisse erscheinen, während jenes Ereignis noch im vollen Gange ist (oder wir vielleicht sogar noch ganz am Anfang von selbigem stehen)…

MV5BZmExYzZiMjAtOThhNi00YjM4LTk4MzUtNjJhYzc1OTNkZmJjXkEyXkFqcGdeQXVyMTEyOTQ0NzM1._V1_SY1000_CR0,0,666,1000_AL_So ist „Distance“ einer der ersten Kurzfilme, welcher die aktuelle Coronavirus-Situation und ihre Auswirkungen thematisch aufgreift. Zwar mag man an mancher Stelle ein wenig am knapp viertelstündigen Film von Autor und Regisseur Jesse Edwards, den dieser zu großen Teilen im März diesen Jahres in Isolation drehte, herum kriteln, mag dem Kurz-Streifen sein Hollywood-likes dezent überlaufenes Fass an Pathos und (leisem) Drama ebenso ankreiden wie den Versuch, etwas Filmisches aus einer Momentaufnahme von etwas heraus, das wohl keiner von uns aktuell so genau einzuschätzen weiß, zu schaffen (so fehlen im Film etwa die Atemschutzmasken, die wir mittlerweile bei jedem Einkauf zu tragen verpflichtet sind). Am Ende jedoch überzeugt „Distance“ mit durchaus gutem Storytelling sowie der ein oder anderen zeitlos wichtigen Botschaft, für welche es im Grunde weder einen Notstand noch eine Pandemie benötigt…

 

„We made this film because in addition to the viral pandemic, we are now faced with an epidemic of fear. More people than ever right now are alone, anxious, and consumed in fear. We need storytelling that will remind people that even in the darkest hour, we can and will get through this, together. There is hope. There is love. And even if at a distance, we have each other.

This motion picture was written, produced & filmed within a short window during March 2020. The filming operated within complete compliance of the State of Tennessee, US Federal Government mandates and CDC recommendations around COVID-19 best practices. Production followed volunteer, micro limited crew & cast footprint, social distancing and strict clean set protocols. The filmmaker’s acknowledge the threat posed by the spread of COVID-19 is real, alarming and should be taken very seriously. Strict precautions were thoroughly evaluated and enforced to ensure a safe set.

We hope you are healthy and safe and that our film can bring you and anyone who watches it some hope during this time.“

 

 

Rock and Roll.

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