Sachma! Da bringt Judith Holofernes – im Allgemeinen und (nicht nur) meinem Empfinden nach seit jeher eine der tollsten deutschsprachigen Liedschreiberinnen – klammheimlich eine neue Single raus, und fast – aber, wie man nun lesen darf, nur fast! – hätte ich’s nicht mitbekommen…
„Sara, sag was“ entstand, ebenso wie das vor etwa eineinhalb Jahren erschienene letzte Holofernes-Soloalbum „Ich bin das Chaos“ (welches die Enttäuschung über das 2014er Debüt „Ein leichtes Schwert“ wieder wett machen konnte), in erneuter Zusammenarbeit mit Teitur – die deutsche Sängerin und der (hierzulande leider noch zu unbekannte) Singer/Songwriter von den Faröern, das passt einfach. Der eingängige Dreieinhalbminüter ist „eine dem Untergang geweihte Liebesgeschichte zwischen Autobahn, Hotel und Vororthölle“ – meint zumindest die offizielle Beschreibung. Oder eben, wie es Judith Holofernes selbst ausdrückt: „Eine kleine, schwingende Klavierballade im Geiste von Carole King, James Taylor und (ja, verdammt!) Elton John.“
Mit all seinen wunderschönen Indiepop-Trademarks hätte das Stück (welches im Übrigen die deutsche Version des ebenfalls in diesem Jahr veröffentlichten Teitur’schen Originals ist) gut und gern auch Holofernes‘ ehemaliger Band Wir sind Helden – die ich hiermit höchst offiziell zur Reunion auffordern möchte – fein zu Gesicht gestanden…
Es gibt in der Tat Coverversionen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Etwa den Versuch von Teitur Lassen, sich die noch immer großartige Wir-sind-Helden-Ballade „Ein Elefant für dich“ zueigen zu machen. Und doch hat sich der 41-jährige vielseitige Singer/Songwriter von den Färöer Inseln ebenjenen Song bei einem Auftritt bei „TV Noir“ Anfang des Jahres vorgenommen…
Dabei ist es zwar erstaunlich, dass sich Teitur an einem deutschsprachigen Stück versucht (und natürlich auch klar, dass man hört, dass er keineswegs in seiner Muttersprache singt), die Wahl selbst jedoch weitaus weniger. Immerhin griff der Mann unlängst Ex-Wir-sind-Helden-Frontdame Judith Holofernes bei deren aktuellem Solowerk „Ich bin das Chaos“ gewinnbringend beim Songwriting und den Aufnahmen unter die Arme – und dürfte spätestens dabei auch auf diesen Song gestoßen sein.
Was hinter dem Stück, welches vom 2005 erschienenen Helden-Album „Von hier an blind“ stammt, steckt? Da lassen wir am besten Judith Holofernes selbst zu Wort kommen:
„Ich habe für das zweite Album von Wir Sind Helden ein Lied geschrieben, ‚Ein Elefant für dich‘, in dem es darum geht, was mir das Tier bedeutet. Er ist ein Symbol dafür, über sich selbst hinauszuwachsen.
Jemand in meiner Familie litt früher an einer schweren Krankheit, in dieser Not musste ich übermenschliche Kräfte entwickeln, um mit der Situation fertigzuwerden. Der Elefant hat mich getröstet – als eine Figur, die mir Schutz gibt und mich mit ihren Riesenkräften auffängt.“
Unvergessen bleibt übrigens ebenjene Live-Darbietung aus dem Jahr 2007, bei der Wir sind Helden „Ein Elefant für dich“ wiederum bewegend mit einer tollen eigenen Coverversion des Moneybrothers-Evergreens „Blow Him Back Into My Arms“ verwoben… *hach*
Und Teitur? Der hat just heute sein neues Album „I Want To Be Kind„, das erste Solo-Werk seit ganzen fünf Jahren, in die Plattenläden gestellt, über das etwa „Sounds & Books“ in einer Rezension schreibt: „Im Prinzip ist I Want To Be Kind das vorweggenommene Winteralbum, bei dem man sich unter die Decke kuscheln möchte und dessen wohltemperierte Songs die Seele wärmen.“ (während „Musikexpress“-Autor Martin Pfnür die zwölf vornehmlich balladesk-anmütigen Songs im Gros „langweilig„ findet).
„Ich seh uns beide, du bist längst zu schwer Für meine Arme, aber ich geb dich nicht her Ich weiß, deine Monster sind genau wie meine und mit denen bleibt man besser nicht alleine Ich weiß, ich weiß, ich weiß und frage nicht Halt dich bei mir fest, steig auf, ich trage dich
Ich werde riesengroß für dich Ein Elefant für dich Ich trag dich meilenweiter Übers Land Und ich…
…trag dich so weit wie ich kann Ich trag dich so weit wie ich kann Und am Ende des Wegs, wenn ich muss trage ich dich trag ich dich über den Fluss
Einer der nicht sollte, weint am Telefon Und eine die nicht wollte, weint und weiß es schon Deine Beine tragen dich nicht wie sie sollten So oft gehen die, die noch nicht weg gehen wollten Ich weiß, ich weiß und ich ertrag es nicht Halt dich bei mir fest, steig auf, ich trage dich
Ich werde riesengroß für dich Ein Elefant für dich“
„Wo ist zuhause, Mama?„ – Eine ebenso gute wie berechtigte Frage, die ein gewisser Johnny Cash bereits 1959, als dieser eine deutschsprachige Version seines Songs „Five Feet High And Rising“ aufnahm, stellte.
„Where Is Home?„ – Diese Frage stellte sich Bloc-Party-Frontmann Kele Okereke 2007 anklagend und gar nicht mal so sicher, ob dieses latent nationalistisch, latent homophob geprägte England farbigen, obendrein homosexuellen Menschen wie ihm überhaupt ein sicheres Zuhause bieten könne: „We all read what they did to the black boy / In every headline we are reminded that this is not home for us“.
Was bitteschön ist eigentlich diese „Heimat“, die so viele von Geltungssucht und Hass getriebene, populistische Politikerpatrioten von Le Pen über Wilders und Höcke, die so viele dumpf-nationale Musikspacken (Frei.wild, Onkelz etc. pp.) für sich reklamieren? Ist es ein Stück Land, das von Zäunen oder einer imaginären Grenze umgeben ist? Sind es die Menschen, die in diesem Land wohnen? Die Bevölkerungsgruppe, deren Sprache man spricht, deren Werte und Gewohnheiten man teilt, zu der man sich selbst zählt? Sind es die eigenen vier Wände, in denen man sich „heimisch“ fühlt? Kann man diese „Heimat“ anfassen, gar sehen, schmecken, fühlen? Beginnt diese „Heimat“ im Außen oder erst tief im Inneren? So viele Fragen, so viele mögliche Antworten… Gibt es viele schlaue Sätze, gibt es viele Studien drüber. Und am Ende muss doch jeder für sich selbst wissen, wo genau dieses „Zuhause“, diese „Heimat“ denn ist.
Seine ganz eigenen Definitionen vom Gefühl der Heimat und des Sich-zu-Hause-Fühlens hat auch Teitur Lassen, seines Zeichens einer der berühmtesten Söhne der Färöer, dieser autonomen, zur dänischen Krone gehörende Inselgruppe im Nordatlantik zwischen den Britischen Inseln, Norwegen und Island. Dass den 40-jährigen Singer/Songwriter hierzulande trotz mehrerer toller Indiefolk-Alben (etwa „Poetry & Aeroplanes“ von 2003 oder „The Singer“ von 2008) und mehrerer Auszeichnungen (so erhielt Teitur bereits zwei Mal – jeweils 2007 und 2009 – den „Danish Music Award“, welcher in etwa als der „dänische Grammy“ gilt) nur Eingeweihte zu kennen scheinen, könnte auch daran liegen, dass Teitur aus einem kleinen, beschaulichen Land, dessen Schafzahl ohne Zweifel über der seiner Einwohner (knapp 50.000) liegt, stammt. Am ehesten dürfte sich der multiinstrumentale musikalische Tausendsassa jüngst als Kooperationspartner von Ex-Wir-sind-Helden-Frontdame Judith Holofernes in Erinnerung gerufen haben, denn immerhin war er es, der vielen Stücken ihres neuen Albums „Ich bin das Chaos“ auf die Beine half.
Wenn Teitur nicht gerade deutschen Musikerinnen beim Schreiben und Musizieren hilft (nebst Engagements für internationale Größen wie Seal, Corinne Bailey Rae, Emile Simon oder Ane Brun), mit Kumpels wie Nico Muhly groß angelegte Orchesterwerke ins Leben ruft oder mit seinem Hund durch die idyllische Einsamkeit der heimischen Färöischen Landschaft wandert, schreibt er selbst ganz wunderbare, einfach gehaltene Songs wie „Home“, die es einem gar nicht schwer machen, sich dreieinhalb Minuten zuhause zu fühlen.
Das Stück war auch Teil von Teitur Lassens Auftritt beim „TED Talk“ im März 2015, welcher im kanadischen Vancouver, BC stattfand:
„Home is the sound of birds early in the morning Home is the song I always remembered Home is the memory of my first day in school Home is the books that I carry around Home is a alley in a faraway town Home is the places I’ve been and where I’d like to go
Home Always gonna feel at home No matter where I may roam Always gonna find my way home No matter how far I’m gone I’m always gonna feel this longing No matter where I might stay
Home is a feather curling in the air Home is flowers in the window sill Home is all the things she said to me Home is the photo I never threw away Home is the smile on my face when I died Home is the taste of the apple pie
I’ve met a woman, she’s always lived in the same place She said home is where you’re born and raised I’ve met a man, he said looking out to the sea He said home is where you wanna be I’ve met a girl in some downtown bar She said I’ll have whatever you’re having And I asked her how come we never met before? She said all my life I’ve been trying to get a place of my own
I’m always gonna feel at home No matter where I may roam Always gonna find my way back home No matter how far I’m gone Always gonna feel this longing No matter where I might stay“