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Der Jahresrückblick 2014 – Teil 3


Ein zwar nicht durch und durch hochkarätiges, jedoch ebenso wenig an tollen Veröffentlichungen armes Musikjahr 2014 neigt sich unausweichlich seinem Ende zu. Zeit also, ANEWFRIENDs “Alben des Jahres” zu küren und damit, nach der Rückschau aufs Film- und Serienjahr, auch die Königsdisziplin ad acta zu legen! Dem regelmäßigen Leser dieses Blogs werden sich wohl wenige Überraschungen offenbaren, schließlich wurde ein guter Teil der Alben meiner persönlichen Top 15 im Laufe des Jahres bereits besprochen. Bleibt nur zu hoffen, dass auch 2015 ein ähnlich gutes Niveau an neuen Platten und Neuentdeckungen bieten wird… Ich freue mich drauf.

 

 

LaDispute_ROTH1.  La Dispute – The Rooms Of The House

Wildlife„, La Disputes zweites, 2011 erschienenes Album, brauchte wahrlich keine Wiederholung, immerhin lieferte die Post Hardcore-Band aus Grand Rapids, Michigan bereits damals ihr Meisterwerk ab, in welchem sie die instrumental-brachialen Tour-de-Force-Rhythmen der Band mit der stellenweise brillanten und noch viel öfter erschütternden Alltagsbeobachtungslyrik von Sänger und Frontmann Jordan Dreyer zu einem wahnhaft faszinierenden einstündigen Albummonolithen verband. Der Nachfolger „Rooms Of The House“ gibt sich da – sowohl musikalisch als auch textlich – weitaus differenzierter, stellenweise gar zurückgenommener und introspektiver. Dreyers Musik gewordene Geschichten scheinen wie zufällig zu Boden gefallene alte Familienfotografien, die nach langer Zeit wieder in die Hand genommen werden, und dann die ein oder andere biografische Wunde aufreißen. Und doch ist alles auf „Rooms Of The House“ an seinem Platz. La Disputes drittes Album ist zwar anders als noch „Wildlife“, jedoch kaum weniger faszinierend.

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Pianos1-640x6402.  Pianos Become The Teeth – Keep You

Zumindest ich hatte die Band noch vor kürzerer Zeit zwar auf dem Zettel (beziehungsweise kannte ich deren Namen), jedoch so gar nicht in meiner rotierenden Playlist. Eine stilistische Beinahe-Einhundertachtzig-Grad-Wende und deren Ergebnis „Keep You“ haben das endgültig geändert. Kaum ein Album ging mir in den vergangenen Monaten mehr zu Herzen, bei keinem anderen finde ich weniger Worte, zu erklären, woran das nun tatsächlich liegt. Muss man ja aber auch nicht. Die Musik übernimmt für 44 Minuten all das, was nicht auszusprechen ist, bevor der krönende Albumabschluss „Say Nothing“ Note für Note davon getragen wird… Indierock, der von schweren Herzen erzählt, selbige damit nicht selten erst erweicht – und dann mit flinken Stichen flickt.

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noah-gundersen-ledges3.  Noah Gundersen – Ledges

Kein Album der Sparte „Singer/Songwriter“ lief öfter bei mir in diesem Jahr, in keines bin ich lieber und tiefer eingetaucht. Dem Debütalbum des 24-jährigen Noah Gundersen aus Seattle, Washington wohnt als Ganzes etwas Spirituelles, Heilsames und Reinigendes inne, dem der Hörer sich nur schwerlich entziehen kann. Große Vergleiche dürfen bereits jetzt angestellt werden, für die Zukunft sollte man den Herren und seine mitmusizierenden Geschwister auf dem Zettel haben. (M)Ein Geheimtipp? Noch.

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1196f14f-MW_Konfetti_Final4.  Marcus Wiebusch – Konfetti

„Der Tag wird kommen“ ist für Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch wohl Segen und Fluch zugleich. Zum einen ist das monumentale Stück, in welchem Wiebusch Homophobie im Profifussball offen und ganz Frank und frei thematisiert, samt dem dazugehörigen, via Crowdfunding finanzierten Kurzfilm, eine der besten, richtigsten und wichtigsten Sachen, die der deutscher Musik und Kulturgesellschaft in diesem Jahr passieren konnten. Andererseits überschattet der Song jedoch völlig zu unrecht seine zehn Kollegen auf Wiebuschs Solodebüt „Konfetti“, denn vor allem „Nur einmal rächen“, „Haters Gonna Hate“ oder der Abschluss „Schwarzes Konfetti“, bei welchen der gebürtige Heidelberger und Wahlhamburger Musiker mit Sozialisierung im DIY-Punk – stilistisch wie textlich – viele neue Wege geht und dabei so einiges richtig macht. Besser war 2014 wohl kaum ein deutschsprachiger Musiker, wichtiger und relevanter definitiv nicht.

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strand of oaks - heal5.  Strand Of Oaks – Heal

Timothy Showalter ist schon ein komischer Kauz. Freilich, das ist der 32-jährige Träger von amtlichem Vollbartes und Headbangermähne nicht eben erst seit „Heal“, dem vierten Album seines Band gewordenen Projektes Strand Of Oaks. Doch ausgerechnet auf Showalters rein textlich bisher persönlichstem und bitterstem Werk stellen sich all der schmerzhaften Lyrik ausgerechnet poppig anmutende Melodien und nicht wenige Fuzz- und Bratz-Gitarren (für ein, zwei Solos konnte er gar Dinosaur Jr.-Legende J. Mascis gewinnen) in den Weg, die dieses Album zu einer wahren Freude mit allerhand Repeat-Garantien machen. Man ist fast versucht, hier von „Hörspaß“ zu sprechen, wären die zehn Songs nicht eine derart tiefe Schlüssellochschau in die Wunden einer auf Kipp stehenden Beziehung.

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against-me-transgener-dsphoria-blues6.  Against Me! – Transgender Dysphoria Blues

Ein Album, dessen Ursprünge wohl – der Biografie von Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace wegen – lange in der Vergangenheit fußen, das – aller Eingängigkeit, allen Hooklines zum Trotz – einen durch- und überaus ernsten Themenanspruch besitzt, und wohl vor allem deshalb so aufrichtig zu Herzen gehen geraten ist. All das ist das so eigenartig wie passend betitelte „Transgender Dysphoria Blues“, da erste seit dem Outing von Ex-Frontmann Tom Gabel als Transgender-Frau, durch welches sie – also Laura Jane Grace, wie sich Gabel jetzt nennt – leider auch einen guten Teil der eigenen Band zum Abgang bewegte. Doch trotz so einiger dunkler Anklänge ist das sechste Studioalbum der Punkrock-Band aus Gainesville, Florida durch und durch kämpferisch, denn weder Gabel, die nach Erscheinen des Albums im Januar in der Webserie „True Trans“ Gleichgesinnte (im Sinne einer Geschlechtsidentitätsstörung) traf und mit ihnen über ihr neues und altes Leben sprach, noch seine Songs geben sich in einer trist-dunklen Ecke zufrieden, sondern kämpfen sich zurück ins Leben.

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we-were-promised-jetpacks-unravelling-album-cover-300-3007.  We Were Promised Jetpacks – Unravelling

Unter all den fantastischen schottischen Gitarrenrockbands waren die fünf Bleichgesichter von We Were Promised Jetpacks bislang auf die Abteilung „Indiediscohit“ abonniert, immerhin boten die beiden Vorgängeralben „These Four Walls“ (2009) und „In The Pit Of The Stomach“ (2011) so einige davon – man nehme nur  „It’s Thunder And It’s Lightning“, „Quiet Little Voices“ oder „Roll Up Your Sleeves“, zu denen sich wohl so einige Indiekids die Röhrenjeans und Chucks schweißnass getanzt haben dürften.  Nur die aus Edinburgh stammende Band selbst hat scheinbar die Lust an Mitgröhlrefrains und allzu repetitiv-zackigen Gitarrenakkorden verloren, denn auf Albumlänge ist – zumindest im Fall von „Unravelling“ – Schluss damit. Eventuell liegt es ja auch an Band-Neuzugang Stuart McGachan, der gleich sein Keyboard mitbringt und den neuen Songs ein vertrackteres, tieferes und ernsthafteres Outfit verpasst. Natürlich verzichten die Schotten weder auf prägnante Melodien (wie im Opener „Safety In Numbers“ oder „Peace Sign“) noch auf den signifikant-sympathischen Schotten-Slang von Sänger Adam Thompson, allerdings sind es 2014 die ungewöhnlichen Stücke, die besonders überzeugen, wie das Abschlussdoppel aus dem instrumentalen Sechseinhalbminüter „Peace Of Mind“ und dem getrommelt ausfadenden „Riccochet“. Dann nämlich steht die Band bereits mit einem Bein wahlweise im Post Punk oder Post Rock – und ist am Ende doch ganz bei sich selbst.

 

 

damon-albarn-everyday-robots8.  Damon Albarn – Everyday Robots

Kaum zu glauben, dass Damon Albarn, der in seinen 46 Lebensjahren schon so einige relevante Fußabdrücke im popmusikalischen Universum hinterlassen hat (vom Britpop von Blur über den megalomanischen Bastardpop der Gorillaz bis hin zu „Superband“-Geheimtipps wie The Good, The Bad & The Queen oder Ausflügen in die Opernwelt und Weltmusik Peter Gabriel’scher Couleur), erst 2014 sein offizielles Solodebüt „Everyday Robots“ vorlegte. Umso besser, dass Albarn das lange Warten nun auch mit Qualität belohnt. Wer die Karriere des Londoner Weltbürgers aufmerksam verfolgt hat, dem dürfte eh klar gewesen sein, dass Albarn kaum etwas mehr zu wurmen scheint als Wiederholungen. Folglich haben die zwölf neuen Stücke kaum etwas bis gar nichts mit seinen früheren Bands und Projekten gemein. Stattdessen jubelt Damon Albarn dem Hörer 2014 allerhand kleine verträumt-melancholische Kleinode unter, in welchen, wie in „Lonely Press Play“, Klaviernoten einsame Schleifen zieht, während Elektrobeats verschlafen pluckern. Anderswo hoppelt zu Kindergitarrenakkorden und Gospelchor in „Mr. Tembo“ ein kleiner Elefant durchs Steppengras, während sich der Musiker kurz darauf – in „Hollow Ponds“ – zurück zu den Plätzen seiner Kindheit begibt. All das gipfelt im hymnischen, gemeinsam mit Brian Eno und Chören entstandenen „Heavy Seas Of Love“. In „Everyday Robots“ lässt Damon Albarn tief in seine eigene Seele blicken – und die reicht ebenso ins nachdenkliche Gestern wie weit ins futuristisch-befremdliche Morgen.

 

 

damien rice MFFF9.  Damien Rice – My Favourite Faded Fantasy

Fast hatte man ihn vergessen, und längst noch weniger Hoffnungen auf eine Rückkehr von Damien Rice gehegt. Nach zwei ganz und gar bezaubernden Alben („O“ und „9“), die auch heute noch jeden in ihren Bann ziehen, der die Stücke zum ersten oder tausendsten Mal hört, nach der privaten wie künstlerischen Trennung von seiner kongenialen (Duett)Partnerin Lisa Hannigan verschwand Rice acht lange Jahre lang ganz und sonders von der Bildfläche. Die Ankündigung seines dritten Albums im September diesen Jahres muss sich daraufhin angefühlt haben, als würden die USA von heute auf morgen ihre Armee abschaffen und fortan einen Staat nach kommunistischen Maximen führen. Doch am Ende der acht Songs von „My Favourite Faded Fantasy“ ist doch wieder vieles beim Alten. Der irische Singer/Songwriter weidet in den gemeinsam mit Produzentenass Rick Rubin (!) in Studios zwischen Los Angeles und Island (!!) entstandenen Songs in der eigenen Seelenpein, dass auch diesmal nicht wenige männliche wie weibliche Herzen schwer werden, während ihm die Akustische, das Piano und ganze Heerscharen von Streichern aufopferungsvoll zu Hilfe eilen. Vermeintliche „Hits“, wie es sie früher noch mit „Volcano“, „The Blower’s Daughter“, „Cannonball“ oder „9 Crimes“ gab, sucht man indessen auf „My Favourite Faded Fantasy“ vergebens – dafür sind die neuen Stücke, von denen nur einer unterhalb der Fünf-Minuten-Marke liegt, zu elegisch, zu introvertiert. Unverhofft schön ist Damien Rices Rückkehr jedoch allemal.

 

 

SKM21021410. Sun Kil Moon – Benji

Viele Dinge mögen außer Frage stehen. Dass der öffentlich ausgetragene Musikerstreit zwischen Mark Kozelek und The War On Drugs-Frontmann Adam Granduciel (über die Hintergründe weiß Google freilich Antworten zu liefern) einerseits verdammt albern war, andererseits aber auch den – wenigstens für kurze Zeit – amüsanten Kozelek-Songkommentar „War On Drugs: Suck My Cock“ hervor brachte. Dass Mark Kozelek – ob nun mit Jimmy LaValle oder den Kollegen von Desertshore im vergangenen Jahr, unter dem eigenen Namen und solo oder mit seiner aktuellen Hauptband Sun Kill Moon – einer der bewegendsten, produktivsten und brillantesten musikalischen Geschichtenerzähler unserer Zeit ist. Denn genau das macht der grantige US-Amerikaner nun mal: er erzählt, während die jeweilige Instrumentierung stets nur Mittel zum Zweck bleibt. Das Bewegende daran ist, dass all diese Geschichten seinem Leben und Erlebten entspringen, und somit auch 2014 eine erstaunliche thematische Bandbreite aufweisen, die vom tragischen Tod einer Cousine zweiten Grades (der Opener „Carissa“) über Attentate in den eben nicht so glorreichen US of A („Pray For Newtown“) bis hin zu Episoden aus Kozeleks Sexualleben („Dogs“) und die Freundschaft zu Death Cab For Cutie-Frontmann Ben Gibbard (der Abschluss „Ben’s My Friend“) reichen. Klar mögen viele Dinge außer Frage stehen: Dass Mark Kozelek wohl privat ein vom Leben zynisch geformtes Arschloch ist. Dass seine Songs eine immer schönere karge Klarheit ausstrahlen, derer man sich so schnell nicht entziehen kann. Dass man das Arschloch für Stücke wie die auf „Benji“ auch gern weiterhin in Kauf nimmt.

 

 

…und auf den weiteren Plätzen:

Foxing – The Albatross

The Afghan Whigs – Do To The Beast

Foo Fighters – Sonic Highways

Ryan Adams – Ryan Adams

Warpaint – Warpaint

 

 

Rock and Roll.

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Die Woche in Bild und Ton…


Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Videoneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…

 

Pearl Jam – Sirens & ein Kurzfilm zum neuen Album „Lightning Bolt“

pearl jam - sirens

Wenn die eigene Lieblingsband ein neues Album veröffentlicht, dann ist es – Blog hin oder her – durchaus gestattet, ein gutes Stück der oft genug vorhandenen kritischen Haltung über Bord zu werfen und sich einfach mal der hemmungslos überbordenden Vorfreude hinzugeben… Zumindest sieht’s momentan so bei Pearl Jam und mir aus.

Wie bereits bekannt erscheint in gut zwei Wochen mit „Lightning Bolt“ Album Nummer zehn der ewig relevanten Grunge-Dinos. Nachdem die Band bereits das forsche „Mind Your Manners“ ins freudige Netzrund schickte, bekommt man nun mit „Sirens“ einen zweiten Song zu hören. Das Stück aus der Feder von Gitarrist Mike McCready ist zwar vergleichsweise ruhig geraten, aber – hach – irgendwie auch auf wunderbare Weise einfach… schön. Und wer mosert, dass das Video lediglich eine unspektakuläre Band-Performance im Gegenlicht zeigt, den darf ich gern daran erinnern, dass wir in diesem Punkt eine bandinterne Revolution im Kleinen erleben. Denn scheinbar haben Pearl Jam auch hier ein wenig Altersmilde walten lassen und zeigen sich, nach „Mind Your Manners“, bereits zum zweiten Mal in Folge selbst in einem Clip, nachdem man in den Neunzigern noch jegliche Zutraulichkeit den Medien gegenüber verweigerte…

Wer ein wenig mehr über „Lightning Bolt“ erfahren möchte, bekommt im neuen, knapp neunminütigen Kurzfilm (welcher, wie das Musikvideo zu „Sirens“ auch, von Musikregisseur Danny Clinch stammt) ein paar mehr Einsichten in die Inspirationen, Pearl Jams politisches wie soziales Bewusstsein, das Bandgefüge und den Zusammenhang zwischen Surfen und Songschreiben.

 

 

 

 

Junip – Walking Lightly

junip - walking lightly

Geradezu leichtfüßig und meditativ kommt „Walking Lightly“, die neue Single vom schwedischen Trio Junip, daher. Dass das dazugehörige selbstbetitelte Album durchaus große Qualitäten besitzt, weiß der regelmäßige Leser dieses Blogs natürlich. Trotzdem stehen diese von Regisseur Fredrik Egerstrand in Szene gesetzten Bilder der Band um Ausnahmestimme José González ausgezeichnet: Wald und Wiese, die Dämmerung kurz vor der Düsternis, schaler Lichtschein, Nebel. Die Band legt vor den Augen von Fuchs und Hase einen intimen Vortrag hin und bleibt am Ende in rot umleuchteter Fauna zurück…

 

 

 

Foals – Out Of The Woods

foals - out of the woods

A propos „Wald“, a propos „dem treuen Leser bekannt“: Das Unterholz trägt auch „Out Of The Woods“, seines Zeichens die nächste Auskopplung aus dem aktuellen, Anfang des Jahres erschienenen Foals-Album „Holy Fire„, im Namen. Doch wo bei Junip noch Ruhe und Gelassenheit herrschten, wartet hier auf die Protagonistin, welche auf ihren Wegen durchs triste Hochhauseinerlei auch Foals-Sänger Yannis Philippakis begegnet, am Ende eine vermeintlich böse Überraschung…

Übrigens: Wer nach drei bislang erschienenen Studioalben bereits auf eine neue Veröffentlichung des englischen Quintetts wartet, dem sei der ab Ende Oktober in den Regalen stehende Konzertfilm „Live at the Royal Albert Hall“ ans Hörerherz gelegt (den kurzen Trailer gibt’s ebenfalls hier und heute!)…

 

 

 

 

Arcade Fire – Reflektor

arcade fire - reflektor

Kaum eine Band hat in den letzten Jahrzehnten derart eindeutig ebenso Kritiker wie Hörer (also: die eigentlichen Endverbraucher) von der eigenen Qualität überzeugen können wie die Kanadier von Arcade Fire.  Mehr noch: Eventuell kam der kommerzielle Durchbruch gerade weil man sich bei all den tollen, eingängigen Melodien stets einen Schuss Kunst – in der Art, wie sie beflissene Hochschulabsolventen definieren würden – und Künstlichkeit bewahrt hat…

Da wundert es kaum, dass aktuell ein riesiger Bohei um den Nachfolger zum vor drei Jahren erschienenen und völlig zurecht mit massig Preisen dekorierten „The Suburbs“ gemacht wird: geheimnisvolle Graffitis zu Werbezwecken an Metropolen-Häuserwänden rund um den Globus, nicht weniger kryptische Twitter-Kurzformel, ein munteres Rätselraten um namenhafte potentielle Gastbeiträge, Albumtitel und Setlists… Ob „Reflektor“, Album Nummer vier von Win Butler, Régine Chassagne & Co., all die Aufregung wert ist, erfahren wir am 25. Oktober. Hier gibt’s schon einmal das Titelstück nebst würdevollem Schwarz-weiß-Video, für das kein Geringerer als Kultfotograf und Gelegenheitsregisseur Anton Corbijn die Verantwortung hinter den Kameras übernahm. Und: Ist im Stück da nicht irgendwo David Bowie zu hören? Arcade Fire bleiben rätselhaft…

„Just a reflection of a reflection of a reflection of a reflection of a reflection / But I see you on the other side / We all got things to hide…“

 

 

 

Sun Kil Moon – Richard Ramirez Died Today Of Natural Causes

kozelek

Wenn man aktuell wohl „Produktivität“ in Wikipedia nachschlägt, so könnte es gut sein, dass man unter der Entsprechung im musikalischen Sinn ein Foto von Mark Kozelek wiederfindet. Immerhin hat der ehemalige Red House Panters-Frontmann in diesem Jahr bereits drei Studioalben – das Soloalbum „Like Rats“, die fantastische Zusammenarbeit mit The Album Lear-Kopf Jimmy LaValle, „Perils From The Sea„, und zuletzt das ebenfalls tolle, gemeinsam mit Desertshore zustande gebrachte „Mark Kozelek & Desertshore“ – sowie etliche Livealben in die digitalen wie haptischen Plattenregale gestellt. Dabei kam jedoch seine derzeitige Quasi-Stammband Sun Kil Moon zu kurz, liegt doch deren letztes Album „Among The Leaves“ bereits über ein Jahr zurück (es erschien im Mai 2012 – im derzeitigen Kozelek’schen Veröffentlichungsrhythmus beinahe eine halbe Ewigkeit).

Das holt der umtriebige 46-jährige US-Songwriter nun nach und hat für Anfang 2014 mit „Benji“ Sun Kil Moon-Album Nummer sechs in Aussicht gestellt, zu welchem unter anderem Sonic Youth-Schlagzeuger Steve Shelley, Will Oldham (aka. Bonnie ‚Prince‘ Billy), Owen Ashworth (Casiotone For The Painfully Alone) und Jen Wood (Postal Service) musikalische Gastbeiträge geben werden. Mit dem ungewohnt spröden, unterschwellig aggressiven „Richard Ramirez Died Today Of Natural Causes“ gibt es hier bereits einen kleinen Vorgeschmack auf „Benji“…

 

 

 

Haim – Wrecking Ball

haim - live lounge

Gut, Miley Cyrus‘ Fremdschäm-Moment bei den VMAs ist ausreichend diskutiert worden, ihr Musikvideo zu „Wrecking Ball“ hat für nicht weniger pikierte Blicke und massig Nachahmer gesorgt – wenn man heutzutage als ehemaliger Disney-Star noch für Imagewechsel und Aufmerksamkeit sorgen möchte, dann muss man schon All In gehen, wie’s scheint… (siehe auch: Lindsey „Exzess“ Lohan. siehe auch: Britney „It’s Britney, bitch!“ Spears. siehe auch: Xtina „Latina-Rollmops“ Aguilera.)

Die drei jungen Rockhühner von Haim, die mit ihrem Debütalbum „Days Are Gone“ zufälligerweise auch ANEWFRIENDs aktuelles „Album der Woche“ stellen, haben das wohl derzeit – und auch in Zukunft – kaum nötig. Trotzdem haben sie sich im Rahmen ihres Besuchs bei der Radioshow des BBC-Senders Radio 1 nicht nehmen lassen, den Miley Cyrus-Gassenhauer „Wrecking Ball“ von der Nudisten-Abrissbirne zu kratzen und das Stück in eine amtliche Rocknummer verwandelt…

 

 

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Das neue und aktuelle „Album der Woche“, nun eben mit ein, zwei Tagen Verspätung. Ein Grund, keinerlei Ausrede: Das Album erschien erst an diesem Montag. Und es stammt zu großen Teilen von einem Künstler, von dem vor wenigen Woche schon einmal an dieser Stelle die Schreibe war… Ist es nicht langweilig – gar: einfallslos – auch die nächste Veröffentlichung von Mark Kozelek zum „Album der Woche“ zu machen? Für mich: keinesfalls. Denn Qualität spricht stets für sich selbst. Und ein Künstler wie eben jener Mark Kozelek kann gar nicht zu oft in zu hohen Tönen gelobt werden. Warum? Lest ihr hier. Während die Musik ihr Übriges tut…

 

Mark Kozelek & Desertshore – Mark Kozelek & Desertshore (2013)

Mark Kozelek & Desertshore (Cover)-erschienen bei Caldo Verde/Cargo Records-

Wer kennt das nicht: Da hat man einmal etwas, was man abgöttisch liebt – und tief in einem drin rumoren noch immer die kleinen Teufel des Zweifels. Da ist für einen winzigen Moment alles schön und gut und wunderbar. Und obwohl man für eine gefühlte Ewigkeit in diesem Sepiablick aus Zufriedenheit verweilen möchte, kommt sie doch plötzlich auf, diese innere Unruhe. Nichts ist nie nur wahr oder falsch, nur schwarz oder weiß. Wie sang Gisbert zu Knyphausen unlängst: „Die Welt ist grässlich und wunderschön.“ Das Leben, eine pulsierende Janusköpfigkeit…

Mark Kozelek

Wer, wenn nicht Mark Kozelek, könnte besser von all diesen Dingen singen. Der 46-jährige, US-amerikanische Musiker ist seit den späten achtziger Jahren höchst umtriebig in der Indie-Musikszene unterwegs – anfangs noch mit den großartigen Sadcore-Slowrockern Red House Painters, später mit den zu weitläufigen Elegien neigenden Sun Kil Moon und als mit Nylon-Steel-Gitarre bewaffneter Solo-Barde. Über die Jahrzehnte mag seine Stimme merklich an Rauheit und Charisma zugelegt haben. Doch die Art, die Zuhörer mit seinen Texten zu bannen und gefangen zu nehmen – sie scheint Kozelek von Jahr zu Jahr, von Tournee zu Tournee, von Veröffentlichung zu Veröffentlichung nur weiter zu verfeinern, ja: manifestieren. Wer behaupten mag, dass die Lyrik des scheuen Singer/Songwriters – Bob Dylan und Bruce Springsteen lassen wir hier mal außen vor – als vertonte US-Chronik des 20. und 21. Jahrhunderts seinesgleichen zwar suchen, aber in einem weiten Feld keinerlei Ebenbürtigkeit findet, der greift zwar hoch, jedoch keinesfalls zu hoch. Denn Kozelek besitzt das seltene Talent, scheinbar alltägliche Beobachtungen eines Außenstehenden gefühlt zu den eigenen zu machen, während er selbst mit stoischer Stimme empathische Zeilen um den kleinen Mann da an der nächsten Straßenecke spinnt. Er ist der Begleiter der von der Gesellschaft Unbedachten, der Biograf des hart schuftenden Fließbandarbeiters, der eine ganze Familie ernähren muss, seine lang gehegten Wünsche auf ewig hinten an stellt, und doch Monat um Monat nicht weiß, wie sicher der kommende Lohnzettel noch ist. Und Kozelek ist auch der weltreisende, stille Verwalter eines familiären Erbes, von welchem er knochentrocken berichtetet – mit nüchternem, klaren Blick, warmer Stimme, und umringt von einer Menge an Familienfotos. Träume, Realismus, Lakonie, kleine zynische Spitzen, Romantik – all das spiegelt Mark Kozelek in Musik und Text. Man mag’s fast auf den Zwang, zuhören zu müssen schieben, dass diesem Mann noch kein Denkmal errichtet wurde. Andere Gründe, die gegen größeren Erfolg sprächen, gibt es nämlich kaum…

Und: Auch das Veröffentlichungspensum eines Mark Kozelek sucht seinesgleichen. So ist das dieser Tage erschienene und simpel „Mark Kozelek & Desertshore“ betitelte Werk bereits – nach dem Solo-Coveralbum „Like Rats“ und der erst vor wenigen Wochen in die Regale gestellten, großartigen Zusammenarbeit mit The Album Leaf-Kopf Jimmy LaValle namens „Perils From The Sea“ – die dritte Kozelek’sche Studioalbumveröffentlichung des laufenden Jahres. Daneben tourt der Mann beinahe unablässig um die Welt und konserviert einige dieser Shows dann als Livealben. Wann bitte kommt der Musiker dann dazu, neue Songs zu schreiben? Nun, die Antwort liegt bei „Mark Kozelek & Desertshore“ quasi auf dem lyrischen Präsentierteller…

Mark Kozelek & Desertshore

Wichtiger jedoch dürfte sein, dass Kozelek erstmals seit der Auflösung der Red House Painters Ende der Neunziger wieder auf Albumlänge mit seinen alten Weggefährten gemeinsame Sache macht. Nachdem der Frontmann wider Willen bereits gut der Hälfte des 2011 erschienenen Desertshore-Albums „Drawing Of Threes“ seine Stimme lieh, begab er sich nun für ein komplettes Album mit den ehemaligen Red House Painters-Mitgliedern Phil Carney (Gitarre) und Chris Connolly (Keyboard) ins Studio, um – unterstützt durch den Sun Kil Moon-Schlagzeuger Mike Stevens – nach vielen Jahren ein neues gemeinsames Album aufzunehmen. Dass man(n) die Sache im Titel nüchtern getrennt hält, erscheint beim Inhalt zur Makulatur verkleinert, denn auf „Mark Kozelek & Desertshore“ erinnert Vieles an jene Großtaten aus vergangenen Red House Painters-Tagen – nur eben: versierter, alterweiser, komprimierter.

Und das neue Werk rückt einmal mehr Kozeleks lyrische Finessen ins Licht, zwischen Alltagsbeobachtungen und Persönlichem spielend leicht hin und her zu springen. Ob er all diese in „Mariette“ geschilderten Streifzüge durchs pralle Südstaatenleben von New Orleans wirklich unternommen hat? Ob die Schönheit an seiner Seite ihm wirklich fortwährend Zweifel am Zusammensein vorhielt? Ob er wirklich einst die „Satanische Bibel“ in einer Mall in Ohio gekauft und gar Anton LaVey, den Gründer der „Church Of Satan“, persönlich kennengelernt hat (wie in „Hey Bastards I’m Still Here“ zu hören)? Ob er wirklich aus Schlafmangel ein Ranking von Gitarristen erstellt hat, bei dem Saitenfrinkler wie Robert Fripp (King Crimson), Johnny Marr (The Smiths), Malcolm Young (AC/DC), Neil Young, Jimmy Page (Led Zeppelin), Jeff Beck, Steve Vai oder Kirk Hammett (Metallica) gut wegkommen, während er – wohl augenzwinkernd – bekennt: „I hate Nels Cline“? Die lyrischen Grenzen zwischen Erträumtem, Erdachtem und tatsächlich Erlebtem sind während der 45 Minuten jederzeit fließend. Und egal, ob er in dem nach einem Steve McQueen-Zitat benanntem „Hey Bastards I’m Still Here“ alte Filme stets mit Kindheitserinnerungen an seinen Vater und seine Heimatstadt im mittleren Westen der USA verknüpft, ob er in „Katowice Or Cologne“ vom Leben auf Tour und über all das, was man zu Hause zurück lässt berichtet, ob „Tavoris Cloud“ als große, herzzerreißende Akusikgitarrenode an das innere Kind, die geliebte Katze und den nicht minder geliebten, im vergangenen Jahr verstorbenen Musiker/Freund Tim Mooney (American Music Club) gen Himmel aufsteigt, ob er sich in „Sometimes I Cant Stop“ zu zutiefst menschlichen Schwächen, zu Widersprüchen, aber auch zu all seinen positiven Charakterzügen, seinem kürzlich ebenfalls zu früh verstorbenen Musiker/Freund Jason Molina (Magnolia Electric Co.) und den Wonnen augenscheinlich simpler Familienaktivitäten bekennt oder mit „Brothers“, das vom Vater und schweren Schicksalsschlägen erzieht, wie sie wohl jede Familie schultern muss, den bewegenden, pianogetragenen Schlussakkord unter die zehn Stücke setzt – Kozelek ist immer bei sich selbst. Da tut sich ein Song wie „You Are Not Of My Blood“ schon als das kleine Biest des Albums, das mit schleichendem Rhythmus und verhangener Orgelbegleitung daherkommt, und das sich partout nicht von falschen Freunden vereinnahmen lassen möchte, hervor: „You’ll die a lonely death /…/ You’ll die a lonely person“ – bevor die Band im Chor mächtig einstimmt: „You are not of my blood“. Da schildert der Singer/Songwriter zum Countrytwang von „Don’t Ask About My Husband“ – freilich mit einer Menge Empathie – erdachte Monologe aus der Sicht des gehörnten Ehepartners. Kozelek schimmert – trotz gefühlter vornehmer Zurückhaltung – an allen Ecken und Enden. Und das liegt freilich auch an seinen Mitmusikern Phil Carney, Chris Connolly und Mike Stevens, denn diese rücken mit reppetitiven Gitarrenlinien, hypnotischen Saitenschleifen und dezenter Rhythmusarbeit Stimme und Texte in den Vordergrund. Klar dürfen ab und an mal ein paar angejazzte Pianonoten durchfahren („Mariette“), klar spielt die Band für Momente etwas energischer auf („Katowice Or Cologne“), natürlich rufen die Gitarren von „Livingston Bramble“ (welches ebenso wie „Tavoris Cloud“ nach einem Boxer benannt ist) sofort Neil Young & Crazy Horse auf den Plan, erinnert das schleppende „You Are Not Of My Blood“ ebenso an die seligen Slint wie an die Red House Painters, oder „Katowice Or Cologne“ gar an Tortoise. Dennoch gehört Mark Kozelek die Show. Und der nutzt sie, erneut – dabei hat „Perils From The Sea“ die qualitative Gefühlsmesslatte keinesfalls niedrig gelegt…  Ob er am Ende wirklich Wilco hasst? Antworten findet man in „Mark Kozelek & Desertshore“ zwischen Erzählungen, Anekdoten und  gefühlten Tagebuchpassagen zuhauf…

Und: Wer bitte möchte nicht einem Mann lauschen, der Zeile wie jene zu Papier und ins Mikro bringt: „At the age of 46 / I’m still one fucked up little kid / Though I moved out here I know / I’m still that kid from Ohio / Who still has hopes / Still has dreams / Still not learned a fucking thing /…/ Who’s living in a world that I’m still getting to know“? Rette sich, wer kann. Wer einmal Mark Kozelek verfällt, der ist auf alle Zeit verloren. Und darf aufs Leben wetten. Tausende kleine und große Wahrheiten – und alles, was man selbst dafür tun muss, ist: hinhören. Deal?

desertshore

 

 

Hier kann man sich anhand der Stücke „Mariette“…

 

…“Katowice Or Cologne“…

 

…und „Brothers“ einen ersten Eindruck von „Mark Kozelek & Desertshore“ verschaffen:

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Mark Kozelek & Jimmy LaValle – Perils From The Sea (2013)

Perils From The Sea (Cover)-erschienen bei Caldo Verde/Cargo Records-

Ja was zur Hölle war denn nun bitteschön zuerst da? Das Huhn? Das Ei? Manche Fragen verkommen in der Tat mit der Zeit, je öfter man sie sich stellt oder gestellt bekommt, zum Geduldsspiel, zum metaphorischen Kausalkettenstelldichein ohne Anfang und Ende.

Auch bei „Perils From The Sea„, der ersten Zusammenarbeit von Mark Kozelek und Jimmy LaValle, könnte man sich diese Frage stellen. Dabei liegen doch die Fakten auf dem Tisch der überlieferten Musikhistorien: Es war Kozelek selbst, der LaValle im September 2011 kontaktierte und ihm eine Zusammenarbeit anbot. Da beide die Arbeit des jeweils anderen seit jeher schätzten, willigte LaValle ohne viel nachzudenken ein. Und siehe da – mit „What Happened To My Brother“, welcher nun den Songreigen des gemeinsamen Albums eröffnet, stand auch schnell das erste Stück. Eines wird sofort klar: hier umkreisen sich zwei Pole. Zum einen der 46-jährige Mark Kozelek, früher Denker und Lenker der Sadcore-Slowrocker Red House Painters, danach Vorsteher der elegischen Americana-Groover Sun Kil Moon und – vor allem – stets tieftrauriger, selbstbegleitender Akustikgitarrenbarde mit einem kreativen Output und Veröffentlichungs- Und Tourneepensum, welches wohl jedem Kollegen die an Schreibblockade grenzende Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte. Zum anderen Multiinstrumentalist Jimmy LaValle, ganz früher einmal Teil des Grindcore-Kollektivs The Locust sowie von Black Heart Procession und nun das Mastermind des Electronica-Projekts The Album Leaf. Beide schufen in der Vergangenheit Großes in ihren jeweiligen musikalischen Nischen. Beide heimsten für ihr Schaffen zwar berechtigtes Lob von Musikfreunden wie kundigen Journalisten ein, konnten – und wollten – jedoch nie den kommerziellen Reibach machen, denn ihre Musik zeichnete stets eines aus: sie entzog sich jeder Plattitüde.

Kozelek & LaValle

Diese beiden umtriebigen Kreativlinge trafen nun gewollt aufeinander. Euphorische Musikfreunde beider Lager erwarteten Großtaten, Skeptiker hingegen elegische Langeweile. Und? Die Wahrheit liegt – zumindest bei den ersten ein, zwei Hördurchgängen – wohl irgendwo dazwischen. Denn offenkundig „spektakulär“ ist keines der elf Stücke. Vielmehr gibt jeder der beiden jene Zutaten in die musikalische Sud, die ihn bislang auszeichneten. LaValle besorgt mit behutsam pluckernden, pumpenden, klackernden Beats, verträumt flirrenden Keyboard- und Synthesizerklänge, die mal an die Folktronica-Sphären seines Stammprojektes, mal an Dubstep-Bekanntmacher wie The xx oder gar an The Notwist erinnern – die instrumentalen Soundscapes. Kozelek legt auf diese so episch wie bedächtig pumpenden Klangteppiche sein sonor windschiefes, unverwechselbares Organ und erzählt große kleine amerikanische Geschichten, wie wohl nur er es kann (und eventuell noch Bruce Springsteen). Diese handeln seit jeher von der Vergangenheit, verpassten Chancen, (Alp)Träumen, Tragödien und dem Leben auf Tour – vom Verlassen und (N)irgendwo ankommen, vom einfachen Leben an der nächsten Straßenecke, von Dreck und Staub, von Licht und Schatten. Doch wo sonst Gitarren – ob nun elektrisch und surrend oder akustisch und gezupft – von eben diesen Geschichten ein stückweit ablenken, stehen diese nun auf „Perils From The Sea“ beinahe komplett nackt da, denn hier lenkt nur höchst selten ein Tönchen den inneren Fokus von Kozeleks Organ, dessen Akustische auf dem Album nur in wenigen Ausnahmen – etwa im romantischen Geständnis „Caroline“ oder  in „Here Come More Perils From The Sea“ – zum Einsatz kommt. Und so kommt der Hörer all den verwandtschaftlichen Aufarbeitungen („Got me thinking about my grandpa for some reason / Met him half a dozen times in a nursing home / The last time I saw him, he was in a box / And they were lowering him into the ground“ – „Ceiling Gazing“), den komplett unkitschigen Liebesbeweisen („And I’m so happy to be alive / To have these people in my life“), den Kindheitserinnerungen („1936“), den Lebewohl-Andenken an verstorbene Freunde, den schaurigen Moritaten („You Missed My Heart“), den Erzählungen vom täglichen Kampf um Leben und Überleben („Gustavo“) so unheimlich nahe, dass man schnell hofft, dass vieles von all dem nur den kreativen Zellen Kozeleks entsprungen sein mag. Denn so persönlich, so intim war der eh schnell zu fragilen Elegien neigende Musiker einem selten. Fast jedes Stück weht hin und her wie eine in Schwarz-weiß oder verblichene Sepiatöne getauchte Fotografie im Wind. Man sieht Menschen, Portraits aus längst vergessenen Tagen. Und obwohl man all dies vermutlich zum ersten Mal vor Augen und Ohren haben mag, scheint es fast so, als seien sie alte Freunde, Bekannte und Wegbegleiter… So neu, so alt, so sehr gestern wie morgen und heute.

Kozelek & LaValle

Natürlich ist „Perils From The Sea“ beileibe kein Album, das dem Hörer sofort und ohne Umschweife entgegen springt, das sich anbiedert und zu sagen scheint: „Höre mich, verfalle mir Hals über Kopf!“. Nein, und so etwas wie poplastige – schlimmer gar: tanzbare Loungemusik! – durfte man von diesen zwei tendenziell in sich gewandten Trauerklössen auch keinesfalls erwarten. Vielmehr bilden Mark Kozelek, der weltenbummelnde, melancholische Geschichtenerzähler, und Jimmy LaValle, der genialisch im Hintergrund agierende musikalische Direktor, für elf wunderbare Songs eine nahezu perfekte, sich organisch ergänzende Symbiose, dessen Schichten sich dem Hörer erst nach und nach erschließen. Denn obwohl einige der Stücke bereits als Konzelek’sche Soloversionen in dessen Live-Programm zu hören waren, erreichen sie erst jetzt – und durch LaValles instrumentale Ausformulierung – ihre wahre Größe. Für den einen mögen sich während der nahezu 80 Minuten, in denen keiner der Songs die Fünf-Minuten-Marke unterschreitet, einige kleine Längen einschleichen. Der andere hüllt sich in diese mäandernden Songmeditationen wie in eine warme Decke. Auf „Perils From The Sea“ werden bewusst nahezu alle Genregrenzen zwischen Singer/Songwriter, Electronica, Folktronica, Dubstep verwischt – ja, selbst Minimal- und Hip Hop-Tendenzen deuten sich an! Und am Ende weckt der zehnminütige, tränenreiche Abschluss „Somehow The Wonder Of Life Prevails“, welcher zum Besten zählt, was beide in ihren nicht eben knappen Diskographien vorzuweisen haben, die Hoffnung, dass „Perils From The Sea“, dieses erlesene Kleinod von seltsam großen Momenten, erst der Anfang einer gemeinsamen Reise ist…

Nach Huhn und Ei kräht längst kein Hahn mehr.

Mark Kozelek & Jimmy LaValle

 

Hier kann man sich mit „What Happened To My Brother“, „Gustavo“ und „Baby In Death Can I Rest Next To Your Grave“ drei Stücke aus „Perils From The Sea“ anhören:

 

Rock and Roll.

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„Like Rats“ – Das neue Mark Kozelek-Album im Stream


Mark Kozelek

Seit Jahren ist Mark Kozelek einer der wohl umtriebigsten Musiker im Geschäft. Dass dieser Fakt – und auch der Künstler selbst – wohl nur den wenigsten ein Begriff sein wird, ist an und für sich auch kein Wunder, denn der 46-Jährige ist seit als Leisetreter in jeder Beziehung bekannt. Das war bereits mit seiner ersten, 1989 gegründeten Band Red House Painters so, es setzte sich mit seiner neuen, nach dem Red House Panters-Split 2002 formierten – und noch immer aktuellen – Band Sun Kil Moon fort, und während seiner zahlreichen Solo-Ausflüge durfte man auch keine „Besserung“ erwarten. Klar erlauben sich die durchaus jam-erfahrenen Vollblutprofis, hier und da auch einmal kleine E-Gitarren-Dissonanzen mit einfließen zu lassen. Natürlich hing – und hängt – nicht jede Note kerzengerade von den Saiten. Aber am Ende stand und steht da immer dieser US-Amerikaner, der zur Akustischen ruhige, melancholische Geschichten vom Leben erzählt. Und wäre da nicht diese Stimme, wer weiß, wie viele ihm zuhören würden…

Mark Kozelek #2

Und der Mann hat definitiv immer neue Geschichten zu erzählen, denn allein in den letzten 13 Jahren gehen gut und gern 20 Veröffentlichungen auf sein Kreativitätskonto, veröffentlichte er unter anderem gar Alben, auf welchen er Stücke von Modest Mouse (das Sun Kil Moon-Album „Tiny Cities“ von 2005) oder AC/DC (das Soloalbum „What’s Next To The Moon“ von 2001) als puristisch-entlarfende Akustikversionen darbietet. Und so er sich den nicht in (s)einem Aufnahmestudio befindet, so kann man sich sicher sein, dass Kozelek wohl gerade auf Tournee ist – nur im dann wieder einen Live-Zusammenschnitt der aktuellsten Auftritte zu liefern… (Ob man selbst als absoluter Fan des Singer/Songwriters wirklich alle diese Live-Alben benötigt, muss am Ende jeder selbst entscheiden.)

Dass Mark Kozelek seine Gewohnheiten für’s Jahr 2013 ändern würde, war wohl kaum abzusehen. Und so sind allein für den Februar vier Neuerscheinungen angesetzt: das letzte Sun Kil Moon-Album „Among The Leaves“ wird auf LP veröffentlicht, zwei neue Konzerte seiner letzten Tourneen – diesmal mitgeschnitten in Melbourne und in Peking/Shanghai – wurden für die heimische Anlage archiviert, und Kozelek bringt erneut eine Platte mit Coverversionen unter seine Hörerschaft – „Like Rats“ beinhaltet erneut eine höchst differenzierte Künstlerschaft, deren Ausgangssongs Kozelek, wie so oft nur „bewaffnet“ mit Akustikgitarre und Ausnahmestimme, zu (s)einem homogenen ganzen formt.

Like Rats“ setzt sich aus folgender Tracklist zusammen…

01. I (Bad Brains)Like Rats
02. Like Rats (Godflesh)
03. Free-For-All (Ted Nugent)
04. Young Girls (Gary Puckett & The Union Gap)
05. Right Back Where We Started From (Maxine Nightingale)
06. Time Is Love (Josh Turner)
07. Silly Girl (Descendents)
08. Onward (Yes)
09. Carpet Crawlers (Genesis)
10. 13 (Danzig)
11. Green Hell (Misfits)
12. I Killed Mommy (Dayglo Abortions)
13. I Got You Babe (Sunny & Cher)

…und kann bereits hier in Gänze vorgehört werden. Wer es bewegter haben mag: hier kann man sich das Video zum Titelstück ansehen…

 

Und auch danach gönnt sich Kozelek keine Pause, denn bereits im April wird „Perils From The Sea“, die Zusammenarbeit seiner Band Sun Kil Moon mit dem Jimmy LaValle-Projekt The Album Leaf erscheinen (mehr Infos auf der Seite des Labels, Caldo Verde, welche auch Höreindrücke bietet).

 

Klar, wen all die Vorgänger bisher recht kalt ließen und eher zum Gähnen denn zum Träumen animierten, den werden wohl weder die kommenden noch die zukünftigen Veröffentlichungen von Kozelek und Band(s) begeistern können. Ich jedoch liebe den Mann, liebe seine Lieder, liebe vor allem seine Erzählweise und seine Stimme. Und allein für den Song „Have You Forgotten“ (bekannt geworden als Teil des Soundtracks zum Cameron Crowe-Film „Vanilla Sky„) sollte man Kozelek, diesem stillen Geschichtenerzähler, einen Altar errichten.

 

Rock and Roll.

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Neuer Sun Kil Moon-Song: „Sunshine In Chicago“ + Albumankündigung


Meine allerliebster Sehnsuchtssänger Mark Kozelek, welchen man allein für Songs wie „Have You Forgotten“ oder „Summer Dress“ heilig sprechen sollte, veröffentlicht mit seinem aktuellen Bandprojekt Sun Kil Moon am 29. Mai Album Nummer sechs. Einen ersten Song aus „Among The Leaves“ namens „Sunshine in Chicago“ könnt ihr bereits hier hören:

 

 

Kozeleks Songs, ob nun von seiner ehemaligen Band, den Red House Painters, solo oder eben Sun Kil Moon, sind für mich seit Jahren der perfekte Soundtrack für ausgedehnte Herbst- und Frühlingsspaziergänge, wie gemacht, um die ersten oder letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf der Nasenspitze tanzen zu lassen… Wer einen Einstieg in den Klangkosmos von Sun Kil Moon bzw. Mark Kozelek sucht, dem empfehle ich das 2003 erschiene SKM-Debüt, „Ghosts Of The Great Highway„, die Red House Painters-Zusammenstellung „Retrospective“ oder eins von Kozeleks zahlreichen Live-Alben.

Viva Melancholia!

 

 

Rock and Roll.

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