Honus Honus (alias Ryan Kattner) hat seine Künstler-Karriere seit eh und je der Erforschung der Ungewissheit zwischen den Extremen des Lebens, Schönheit und Hässlichkeit, Ordnung und Chaos verschrieben. Die Songs auf „Dream Hunting In The Valley Of The In-Between„, dem ersten Album von Man Man seit über sechs Jahren sowie dem Debüt der aus Philadelphia, Pennsylvania stammenden Experimental-Rock-Band auf dem renommierten US-Indie-Label Sub Pop, fallen ebenso intim, gefühlvoll und zeitlos wie kühn, einfallsreich und wagemutig aus…
Ende 2015 legten Man Man eine unerwartete Pause ein, wenn auch nicht gänzlich grundlos, schließlich befand sich Bandleader Honus Honus zu diesem Zeitpunkt mitten in einer Periode der kreativen Neuerfindung: Er arbeitete als Music Supervisor und schrieb an etlichen Film- und Serien-Scores („The Exorcist“, „Superdeluxe“, „Do You Want To See A Dead Body?“) mit. Außerdem übernahm er einige kleine Schauspielrollen (etwa in dem Indie-Film „Woe“: „Ich spielte einen Park-Ranger – ein netter Kerl in einem traurigen Film.“) und spielte die Hauptrolle in der preisgekrönten Tournee-Dokumentation „Use Your Delusion„. Außerdem entwickelte er eine Zeichentrickserie, schrieb Drehbücher, Graphic Novels, einen Neo-Noir-Fernsehpilotfilm und tippte kurzzeitig eine Musikkolumne für The Talkhouse, während er weiterhin an allerlei neuer – und nicht selten ebenso abseitiger wie gegensätzlicher – Musik von Kindermusikplatten bis hin zu konzeptueller Lärmkunst arbeitete. Inmitten dieses surrealen Kreativexils von Man Man begann Honus mit der Arbeit an ersten Konzepten zu „Dream Hunting In The Valley Of The In-Between“. Er rekrutierte seinen langjährigen Kreativmitarbeiter Cyrus Ghahremani, um ihm bei der Produktion zu helfen. Honus schrieb die Songs im „Gästehaus“ eines Freundes in Los Angeles, das mit „einem alten Klavier, einer Sparlampe und sonst nichts“ eigentlich vielmehr „ein Schuppen als etwas Schickes“ war. Und wer jetzt einen entspannten, Martinis am Pool schlürfenden Bohème vorm inneren Auge sieht, liegt wohl komplett falsch. Vielmehr war die Entstehung des Albums ein mühsamer, dreieinhalbjähriger Prozess: „Ich hatte Akkordfolgen, die wie wildes Krickelkrakel aussahen, und Texte auf Zetteln, welche überall an den Wänden klebten. Es sah so aus, als ob ich gerade dabei wäre, den großen Fall zu knacken, den Mörder zu fassen“, sagt er und lacht. „Es gab eine Menge Selbstzweifel, und ich war drauf und dran, das Handtuch zu werfen. Es hat keinen Spaß gemacht, aber es hat mich definitiv zum besten Album meiner Karriere geführt. Manchmal muss man einfach alles niederreißen, um die Dinge wieder richtig aufzubauen. Vertraue dem Prozess“.
Schließlich wurde das immerhin siebzehn Stücke starke Erdergebnis von S. Husky Höskulds (Norah Jones, Tom Waits, Mike Patton, Solomon Burke, Bettye LaVette) gemischt und von Dave Cooley (Blood Orange, M83, DIIV, Paramore, Snail Mail) gemastert. Als Gastsängerinnen auf „Dream Hunting…“ wirken etwa Steady Holiday’s Dre Babinski bei „Future Peg“ und „If Only“ sowie Rebecca Black (ihr wisst schon: Sängerin des viralen Peinlich-Pop-Hits „Friday“) bei „On The Mend“ und „Lonely Beuys“ mit.
Selbst für all jene, die bisher (noch) nicht mit der mittlerweile ebenso in Los Angeles beheimateten Experimental-Rock-Band vertraut sein sollten, setzt die erste Single aus dem im Mai erscheinenden sechste Studioalbum ein dickes Ohrwurm-Ausrufezeichen: „Cloud Nein“ vermischt eingängigen, orchestralen Indiepop mit trockenem Zynismus. So singt Honus an einer Stelle: „All your dreams crash and burn and fall to the ground / When they’re made of sweet nothings ’cause nothing sticks around.” Ryan „Honus“ Kattner, der auch das dazugehörige Musikvideo, in dem ein älterer Mann locker-flockig durch sonnenbeschienene Straßen tanzt, erklärt: „Ich schrieb den Song über jemand anderen, aber in gewisser Weise auch über mich selbst. Man muss sich ständig verändern, sich weiterentwickeln, um zu überleben. Man muss schätzen, was man hat, solange man es hat, denn es gibt keine Garantien dafür, dass es für immer bleibt. So ist das Leben.“ – „Life is short. Dance, be merry!“
Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Video- und Songneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…
Conor Oberst – Hundreds Of Ways
Glaubt man dem eigenen (digitalen) Plattenschrank, so war es in letzter Zeit ruhig um Conor Oberst. Dabei war das einstige „Wunderkind des Folk“ keinesfalls untätig, immerhin hat Oberst neben seiner seit mehr als 15 Jahren betriebenen Stammband Bright Eyes auch Soloaktivitäten oder die Alt. Country-„Supergroup“ Monsters Of Folk, zu welcher auch My Morning Jacket-Frontmann Jim James, Singer/Songwriter M. Ward oder Langzeitproduzentenkumpel Mike Mogis zählen, fest im Auge. Zudem reaktivierte er im vergangenen Jahr seine Post-Hardcore-Indierocker Desaparecidos, um mit ihnen ein paar – freilich politisch höchst relevante – Singles zu veröffentlichen und karitative Konzerte zu spielen.
Nun jedoch soll es wieder Zeit für ein neues Soloalbum sein. „Upside Down Mountain“, der Nachfolger zum 2008 erschienenen selbstbetitelten Plattenalleingang, wird am 20. Mai via Nonesuch Records veröffentlicht, wurde vom auf archaisch große Folk-Traditionen spezialisierten Musikerbuddy Jonathan Wilson produziert und wird wohl den ein oder anderen Gastauftritt, wie den des schwedischen Folk-Schwesternpaares First Aid Kit, die sich damit wohl bei Oberst für dessen Gastspiel auf ihrem zwei Jahre zurückliegenden Album „The Lion’s Roar“ revanchieren, bereithalten. Schon jetzt gibt es mit „Hundreds Of Ways“ einen ersten Vorgeschmack aufs kommende Conor Oberst-Werk, und der weist mit seinen ebenso introspektiven wie melancholischen und weitsichtigen Textzeilen, seiner country’esken Stimmung und Obersts markanter Stimme durchaus Dylan’sche Qualitäten auf…
„What a thing to be a witness to the sunshine / What a dream to just be walking on the ground / What a time to live among the ash and remnants of our love / That came before and I’m still looking for that now…“
The Notwist – Kong
Wesentlich weniger Geduld müssen alle Freunde der deutschen Elektronik-Frickel-Indierocker The Notwist aufbringen, immerhin erscheint deren neues Album „Close To The Glass“ bereits in wenigen Tagen. Bevor Platte Nummer sieben ab dem 21. Februar in Gänze in die Regale wandert, stellt die international geschätzte Band aus dem beschaulichen oberbayrischen Weilheim, deren Album in den USA vom feinen Indie-Label Sub Pop Records vertrieben wird, mit „Kong“ einen der heimlichen Hits auf „Close To The Glass“ vor und schickt das Stück samt einem Animationsvideo von Regisseur Yu Sato ins Rennen. Das macht auch durchaus Sinn, erzählt der Song doch die Geschichte eines Superhelden namens „Kong“, der eine Familie aus dem Ausnahmezustand rettet und auf ein autobiografisches Erlebnis von Notwist-Sänger Markus Achter anspielt, der als Kind viele Comics las und sich während eines regnerischen Tages in Weilheim – als Hochwasser die Stadt bedrohte – vorstellte, dass ein Superheld kommen und ihn und seine Familie aus den bedrohlichen Fluten retten würde…
(Wer den Song als Live-Version hören mag, der kann sich hier einen Mitschnitt von „Kong“, den die Band während eines Konzerts in Düsseldorf im Kotober 2012 zum Besten gab, ansehen…)
Marcus Wiebusch – Konfetti
Das hat aber gedauert, Herr Wiebusch! Immerhin ein Jahr Zeit hat sich der hauptberufliche Kettcar-Bandchef und (zu einem Drittel) Labeleigentümer des geschätzten Grand Hotel van Cleef nach der Veröffentlichung seines Drei-Song-Solo-EP „Hinfort ! Feindliche Macht“ gelassen, um mit dem längst versprochenen Soloalbum in die Pötte zu kommen. Dass nun sowohl das Cover als auch die Tracklist und ein Veröffentlichungsdatum (der 18. April) vom Marcus Wiebusch-Debüt „Konfetti“ stehen, ist umso erfreulicher. Und falls auch nur ein Teil der elf Stücke so großartig gerät wie „Nur einmal rächen“, im vergangenen Jahr bereits Bestandteil der EP, nun freilich auch auf dem Debüt vertreten und außerdem eine meiner persönlichen Lieblingssongs 2013, dann steht uns ein wahrlich famoses Album von einem der sympathischsten und gewieftesten bundesdeutschen Musik-Lyriker ins Haus…
„Wenn ich abends einschlafe oder morgens aufwache / Ein gutes, cooles Leben wird die beste Rache / Eure Welt programmieren, meine leichteste Sache / Ein gutes, cooles Leben ist die beste Rache….“
Brody Dalle – Meet The Foetus / Oh The Joy
Rückblick 2003: Marcus Wiebuschs Hauptband Kettcar hatte damals unlängst ihr vielgelobtes und seitdem – sowohl in Punkto „Referenzwerk“ als auch als „Meilenstein“ – oft zitiertes Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“ in Label-Eigenregie in die Plattenregale gebracht, und auch aus den US of A vernahm man ein gewaltiges Brausen und Grollen. „All my friends are murder / Hey, all my bones no marrows in / All these fiends want teenage meat / All my friends are murderers“ zischte die damals 24-jährige Brody Dalle in „Drain The Blood„, der Leadsingle des dritten Albums „Coral Fang“ ihrer damaligen Band The Distillers, höchst pissed’n’angry in Mikro. Auch heute noch verursachen der Song und seine zehn Albumkumpane energetische Punkrock-Fallstricke in den Magengruben all jener, denen das Album in bester Rancid-Tradition (mit Tim Amstrong, dem Frontmann der kalifornischen Punktocker, war Dalle übrigens bis 2003 für ganze sechs Jahre verheiratet) damals in die Karten der adoleszenten Wirren spielte. Dann jedoch machten die Distillers unvermittelt Schluss, Dalle bandelte mit Queens Of The Stone Age-Mastermind Josh Homme an, heiratete ihn 2007 und zog sich als zweifache Mutter weitestgehend aus dem Musikgeschäft zurück – Windeln und Fläschchen statt Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Und obwohl der erneute Versuch der gebürtigen Australierin, im Jahr 2009 mit dem selbstbetitelten Debüt ihrer neuen Band Spinnerette an die alte Klasse anzuknüpfen, eher Alternative Rock-mäßig mau ausfiel, beweist etwa Caspers Textreferenz im Song „230409“ („Du warst nie Brody Dalle / Und ich war nie dein Wes Eisold“ – vom Album „XOXO“), dass die Dame auch heute noch als Inbegriff der „Bonnie & Clyde“-mäßig abgefuckten Erotik des Punkrock gilt…
Nun also wagt die mittlerweile 35-jährige Brody Dalle, die auch optisch kaum noch etwas mit dem kaputten Twentysomething-Ich ihrer Selbst gemein hat (blonde Mähne statt buntem Mohawk), einen erneuten Anlauf im Musikgeschäft. „Meet The Foetus / Oh The Joy“, der erste Song ihres kommenden Soloalbums, das von QOTSA-Intimus Alain Johannes produziert wurde, lässt dabei freilich all die Bissigkeit der Distillers vermissen und erinnert mit seinem verrockten Hall und den derben Riffs eher an Achtziger-Jahre-Darkwave-Heroen wie Bauhaus oder – natürlich – die Queens Of The Stone Age. Kein großes Ding also, und man hofft, dass Dalle mit dem Rest des Albums mehr überzeugen kann als mit diesen ersten fünf Minuten. Ein kleines Ausrufezeichen kommt jedoch aus dem Hintergrund, immerhin lotste die ehemals „sexiest woman in punkrock“ keine Geringeren als Emily Kokal (Warpaint) und Shirley Manson (Garbage) für die Backing Vocals ins Studio…
Karen O – The Moon Song
Ein nicht eben unähnlicher Ruf eilt auch Karen O voraus. Seit dem elf Jahre zurückliegenden Debütalbum ihrer Band, den Yeah Yeah Yeahs, gilt die 35-jährige New Yorkerin als feministische Stil-Ikone, die mit ihren Outfits mal Trends setzt, mal aneckt und mit ihrer Musik kaum bis keinerlei Anbiederei oder Kompromisse an den Zeitgeist zulässt, sondern diesen schlichtweg selbst mitdefiniert. Dass dieser Weg durchaus von Erfolg gekrönt sein kann, zeigen einerseits die vielfachen Grammy-Nominerungen des Yeah Yeah Yeahs, andererseits jedoch auch, dass Karen O für „The Moon Song“, ihren Beitrag zum – im Übrigen sehr zu empfehlenden – neuen Film „Her“ von Kultregisseur Spike Jonze, nun für den Oscar als „bestes Titelstück“ nominiert wurde.
Wer das bezaubernde „The Moon Song“, im Film selbst von den beiden Hauptdarstellern Joaquin Phoenix und Scarlett Johansson gesungen, noch nicht kennt, der sollte dies schleunigst nachholen. In dieser Version gab Karen O den Song gemeinsam mit Regisseur Spike Jonze und Produktdesigner KK Barrett bei der Online-Radioshow von KCRW „Morning Becomes Electric“ zum Besten:
Außerdem nahm Karen O „The Moon Song“ noch im Duett mit Vampire Weekend-Frontmann Ezra Koenig auf – in eben der Variante, die der Sängerin im Grunde von Anfang an vorschwebte: „It’s wild because ‚The Moon Song‘ was written and recorded in the most humble of circumstances; at my dining room table, a few paces away from the couch I read the script for Her for the first time“, wie Karen O dem Rolling Stone erzählte. „I was really excited at the prospect of getting to record it with a male vocalist. Ezra was super cool and open, he slipped into character like a champ and damn he’s got the goods.“
The National – I Need My Girl + Live from the Sydney Opera House
Und allwöchentlich grüßen The National… Nachdem die US-Band in der vergangenen Woche noch zum Cover-Contest ihres Songs aufrief (das Rennen machte am Ende übrigens jene Multiinstrumental-Version von Kai Keefe), präsentierten die Mannen um Frontstimme Matt Berninger am Freitag – und damit passend zur Feier des Valentinstags – das Musikvideo zur Ballade „I Need My Girl“, in welchem die Kamera vor einem komplett in schwarz getauchten Hintergrund um zum Tanz aufgestellte Paare kreist, die sich vertraut in die Augen blicken und aneinander schmiegen. Romantik pur – und das von den wohl größten Indierock-Melancholikern unserer Zeit…
Und als ob das noch nicht genug wäre, bietet die Band all denen, die es bis dato noch nicht zu einer Show von The National geschafft haben (so wie ich, leider) oder diese intensiven Eindrücke noch einmal Revue passieren lassen wollen, den kompletten zweitstündigen Auftritt im ebenso berühmten wie ehrwürdigen Opernhaus von Sydney, Australien, welcher jüngst am 8. Februar stattfand und bei dem The National ganze 26 Songs zum Besten gab, im Stream an:
Als Joshua Tillman kürzlich bekannt gab, dass er die Trommelstöcke bei den Fleet Foxes, die er seit 2008 in Händen hielt, demnächst an jemand anderen weiterreichen werde, konnte niemand ahnen, dass er so schnell mit neuem Solo-Material „um die Ecke“ kommen würde… Gut, wer darüber verwundert ist, ist irgendwie auch selbst dran schuld – sieben Soloalben und drei EPs seit 2005 (also teilweise neben seiner Bandtätigkeit!) sprechen eine deutliche Sprache und lassen an den phasenweise wahnwitzig kreativen Output eines Omar A. Rodriguez-López oder John Frusciante (btw: was macht der eigentlich seit seinem Ausstieg bei den Red Hot Chili Peppers so?) denken… Neu ist, dass Tillman jetzt unter dem Pseudonym „Father John Misty“ fungiert und auf ein breiteres (jedoch immer noch rockorientiertes) Klangspektrum setzt – aber meine persönliche Lieblingsstimme der letzten Jahre könnte mir auch eine Aufbauanleitung von IKEA vorsingen und es würde mir gefallen…
Das Album „Fear Fun“ wird am 1. Mai über Sub Pop erscheinen, das Video zur ersten Single „Hollywood Forever Cemetery Sings“ mit der hinreißenden Aubrey Plaza (u.a. „Scott Pilgrim vs. The World“) in der Hauptrolle gibt jetzt hier zu bestaunen: