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Der Jahresrückblick – Teil 1


„High Fidelity“ lässt lieb grüßen, denn der Pop ist bekanntlich seit jeher besessen von Listen. Ob Verkaufscharts, Streamingzahlen oder höchst subjektive Kritiker*innen-Rankings – ständig weder Plattenregale uns -sammlungen, wird die Veröffentlichungsflut in Listenform gebracht, wird Altes in Listenform neu gewichtet. Zum Jahresende ist es besonders heftig, denn natürlich dürfen, sollen, müssen überall die besten Alben und Songs der vergangenen zwölf Monate gekürt werden. 

Vor dem Blick auf die Deutschen Charts scheue (nicht nur) ich auch sonst schon zurück, da sich dieses Land seit jeher durch (s)einen notorisch schlechten Geschmack auszeichnet und Fremdscham-Alarm jedes Mal aufs Neue garantiert ist. Und leider bilden die erfolgreichsten Titel des Jahres 2022 da – Bestätigung, hier kommt sie – keine Ausnahme: Das nervtötend ohrwurmige Vollpfosten-Lied „Layla“ von DJ Robin & Schürze belegt den ersten Platz der Single-Charts – neun Wochen hielt sich der dumpftumbe Ballermann-Hit, der ein Skandälchen auslöste, jedoch besser keinerlei Erwähnung verdient gehabt hätte, an der Chartspitze, mehr als 143 Millionen Mal wurde er gestreamt. Bei den Alben dann ebenfalls keine Überraschung: Mit „Zeit“ führen die Teutonen-Böller-und-Ballermänner von Rammstein erwartungsgemäß die Liste an – und zwar mit deutlichem Abstand. 340.000 Mal hat sich das elfte Nummer-Eins-Album der Berliner Band um das personifizierte rrrrrrrrollende „R“, Till Lindemann, insgesamt verkauft. Wie erwartbar, wie öde. Und irgendwie ja auch ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft…

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Christian Lee Hutson – Quitters

In den zurückliegenden Monaten durfte man ein ums andere Mal kopfschüttelnd seinen Glauben an die Menschheit verlieren: Kriege, Krisen, Klimawandel und damit einhergehende Umweltkatastrophen, Inflation, dazu die – hoffentlich – letzten Ausläufer einer weltweiten Pandemie, gesellschaftliche Spaltungen, politischer Stillstand (oder gar der ein oder andere Rechtsruck) wohin man schaute. Gesellschaftliche Unruhen im Iran, weil irgendwelche gottverdammten Männer unter religiösen Deckmänteln an ihrem formvollendet sinnfreien Regelwerk der Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden festhalten wollen? Eine aus so vielen, so falschen Gründen aus dem heißen Wüstenboden hochgezogene und mit unvorstellbar viel Blutgeld durchgeführte Winter-Fußball-WM in Katar? Ja, auch 2022 fanden Tagesschau und Co. meist statt, wenn der Sprecher (oder die Sprecherin) einem einen „Guten Abend“ wünschte und darauf mit vielerlei Schlagzeilen bewies, dass es eben kein guter war. Dass die Musikwelt in diesem Jahr Größen wie Mark Lanegan, Taylor Hawkins (Foo Fighters), Meat Loaf, Jerry Lee Lewis, Andy Fletcher (Depesche Mode), Christine McVie (Fleetwood Mac), Loretta Lynn, Betty Davis oder Mimi Parker (Low) verlor, macht das Ganze keineswegs besser. Dass 2022 Konzerte und Festivals endlich wieder in halbwegs „normalem“ Rahmen stattfinden konnten, jedoch schon – wenngleich es der Live-Branche jedoch alles andere als gut geht und vor allem kleinere, unbekanntere Künstler*innen und Bands sich in der Post-Corona-Zeit mit immer neuen Schwierigkeiten konfrontiert sehen (wen es interessiert, dem sei ein recht ausführlicher Artikel mit dem Titel „Kuh auf dem Eis“ hierüber in der aktuellen Ausgabe der „VISIONS“ – Nummer 358 von 01/2023 – ans Herz gelegt). Ja, das noch aktuelle Jahr war rückblickend sowohl gesellschaftlich als auch fürs menschliche wie planetare Zeugnis kein tolles – musikalisch darf zum Glück das komplette Gegenteil behauptet werden.

Wie also sieht und wertet die schreiberische Zunft als Albumjahr 2022? Nun, beim deutschen „Rolling Stone“ landen Tom Liwas „Eine andere Zeit“, „And In The Darkness, Hearts Aglow“ von Weyes Blood sowie „Ytilaer“ von Bill Callahan auf dem Treppchen, beim erfahrungsgemäß hype- und pop-affinen „Musikexpress“ sieht man Kendrick Lamars „Mr. Morale & The Big Steppers“, „DIE NERVEN“ von Die Nerven und „Motomami“ von Rosalía vorn, bei der „VISIONS“ wiederum „DIE NERVEN“ von Die Nerven, „Eyes Of Oblivion“ von den Hellacopters sowie „Wet Leg“ von Wet Leg. International führt „Renaissance“, das siebente Studioalbum von Beyoncé, das Kritiker-Ranking an. Und bei ANEWFRIEND? Ich greife mal vorweg und verrate, dass es zwar ein kleinwenig Konsens, jedoch recht wenig Überschneidungen mit alledem bei mir gibt und meine persönliche Bestenliste der Qualität wegen auf eine amtliche Top 25 erweitert wurde…

Foto: Promo / Michael Delaney

Dass die vergangenen Monate die notwendige Untermalung fanden, lag auch an „Quitters„, dem vierten Langspieler von Christian Lee Hutson. Was mich rückblickend etwas erstaunt, ist, dass der im April erschienene Nachfolger zum 2020er „Beginners“ zwar seinerzeit von den einschlägigen kritischen Stimmen wohlwollend goutiert, in den jeweiligen Jahresendabrechnungen jedoch kaum berücksichtigt wurde. An den durch und durch großartigen 13 Songs des Albums kann’s kaum gelegen haben, denn näher an das Schaffen eines Elliott Smith ist lange, lange Zeit niemand herangekommen – und das ist vor allem aus meiner digitalen Feder als recht großes Kompliment zu verstehen. Zudem mischen einmal mehr keine Geringeren als Phoebe Bridgers und Conor Oberst mit. Heraus kommt eine Dreiviertelstunde musikalischer Zerstreuung und Realitätsflucht, die auch bei der Vielzahl an Konkurrenz im Jahr 2022 völlig zurecht auf meiner Eins landet. A singular ode to melancholy.

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2.  Nullmillimeter – Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd

Nullmillimeter sind eine von so einigen tollen musikalischen Neuentdeckungen des zurückliegenden Musikjahres. Und knallen dem geneigten Hörer (oder eben der geneigten Hörerin) mit „Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd“ mal eben ein derart faszinierendes Debüt vor die Lauscher, dass man sich im Wirbel kaum entscheiden mag, was hier toller ist. Das großartige Coverartwork mit dem auf einem Poller festgerittenen Pony? Der Albumtitel, in welchem wortwörtlich ebensoviel Wahrheit steckt wie in all den klugen Textzeilen? Die Stimme von Sängerin Naëma Faika, die der bundesdeutschen Musiklandschaft – tatsächlich, tatsächlich – gerade noch gefehlt hat? Die bockstarke Band hinter ihr, die manch eine(r) in der Vergangenheit bereits als Teile der Begleitbands von Kid Kopphausen, Staring Girl, Jochen Distelmeyer, Tom Liwa, Olli Schulz oder Gisbert zu Knyphausen zu hören bekam? Dass letztgenannter hier bei einer Coverversion eines Songs aus dem Solo-Schaffen von Pearl Jam-Frontstimme Eddie Vedder mitmischt? Dass sich diese Nummer dann noch ganz organisch in den Albumfluss einfügt und man sich immer wieder kopfüber in die Platte schmeißen möchte, die so voller Schmerz, so voll herrlicher Melancholie, aber vor allem so voller Leben steckt? Ach, herrje – man weiß es nicht. Man will’s auch gar nicht wissen, denn im Zweifel aller Zweifel ist’s all das. Doppelt. Dreifach. Gleichzeitig. Und es ist einfach so toll, dass man lediglich kritisieren mag, dass dem Album kein Booklet beiliegt.

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3.  Pianos Become The Teeth – Drift

Es gibt Bands, Alben und Songs, die einen vom ersten Moment an mit ihrer Atmosphäre und ihrer wunderbaren Unmittelbarkeit einfangen und so schnell auch nicht mehr loslassen. Pianos Become The Teeth wurden für mich anno 2014 mit ihrem dritten Langspieler „Keep You“ zu einer solchen Band (und schafften es damals auch völlig zurecht aufs Treppchen der „Alben des Jahres„). Ihr vorheriges Post-Hardcore-Brülloutfit war (und ist) mir im Gros herzlich schnuppe, aber mit ihrem einschneidenden Wechsel hin zu melancholischem Emo-Indie und mit den ersten Tönen des „Keep You“-Openers „Ripple Water Shine“ war ich unwillkürlich schockverliebt. Nach dem auf hohem Niveau stagnierenden 2018er Album „Wait For Love“ besitzt „Drift“ nun wieder diesen „Ripple Water Shine“-Effekt, denn das Album ist schlichtweg schonungslos emotional – in Ton und Wort. Dicht gewebte, hallende Rhythmen, melancholische Melodien und wenige, gut dosierte laute Momente. Dazu singt Kyle Durfey seine persönlichen Texte, die vom Leben und oft von dessen Schwere handeln. In „Pair“ etwa davon, wie Durfeys Frau Lou (die in vier Stücken namentlich genannt wird) und er lange auf ihren Nachwuchs warten mussten. Wie es sich für richtig gute Alben gehört, wechselt die Lieblingssongs von Zeit zu Zeit, neben der Übernummer „Genevieve“ sticht etwa das repetitive, an Radiohead erinnerte „Easy“ hervor. So oder so liefert die Band aus Baltimore, Maryland einmal mehr zehn wundervolle Tearjerker, zu denen es sich vortrefflich die Fäuste gen Firmament ballen lässt.

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4.  Frank Turner – FTHC

Apropos „liefern“, apropos „Fäuste gen Firmament“: Beides trifft natürlich auch auf Frank Turner zu, denn der britische Punkrock-Barde scheint Schlaf so nötig zu haben wie ein Uhu eine Badekappe. Nicht nur hat der 41-jährige Musiker bereits über 2.700 Shows unter eigenem Namen gespielt (etwa 140 allein in diesem Jahr, zudem fand mit den „Lost Evenings“ gar ein eigenes Festival in Berlin statt), er trägt das Herz auch am richtigen Fleck und liefert im Zwei- bis Drei-Jahres-Turnus auch verlässlich Alben ab, zu deren Songs man nur allzu gern die geballte Patschehand gen Himmel strecken und ein bierseliges „Aye, mate!“ ausstoßen möchte. Daran ändern die 14 Nummern (beziehungsweise 20 in der Deluxe Edition) von „FTHC„, seinem nunmehr neunten Studioalbum, mal so rein gar nix. Und so vielseitig, so frisch klang der nimmermüde Turner schon lange nicht mehr. Frank und frei – Sie wissen schon… Und wem bei „A Wave Across A Bay“, seinem Tribute an den zu früh verstorbenen Frightened Rabbit-Buddy Scott Hutchison, nicht das Herz holterdipolter gen Schlüppi rutscht, der hat statt pochendem Muskel nur einen ollen Betonklotz in der Brust sitzen…

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5.  Dreamtigers – Ellapsis

Nerds wissen es freilich längst: Die meisten Fachsimpeleien über Musik stützen sich manches Mal schon sehr auf eine Art von Genre-Taxonomie, bei welcher sowohl Kritiker als auch Fans Songs und Alben in verschiedene Bestandteile zerlegen und die Anatomie der verwendeten Formen in erkennbare Strukturen unterteilen. Doch was für die einen nützlich erscheinen mag, um dem lesenden Gegenüber Empfehlungen zu geben, dürfte all jene, die sich eben nicht knietief im musikalen Nerdtum bewegen, schnell abschrecken. Ein recht gutes Beispiel, dass man bei Empfehlungen lange wie kurze Wege gehen kann, ist „Ellapsis“, das zweite Album von Dreamtigers, einem Bandprojekt, das sich aus Mitgliedern der Melodic-Hardcore-Helden Defeater und den Post-Rock-Größen Caspian zusammensetzt. Denn auf dem Langspieler, dessen Titel ein erfundener Begriff für eine Krankheit, die durch den Lauf der Zeit hervorgerufen wird, ist, passiert eine ganze Menge, und vieles davon scheint unvereinbar zu sein. Das erste, das Unmittelbarste, was man wahrnimmt, ist die beständig zwischen fragilem und mächtigem Momentum pendelnde Instrumentierung. Die Gitarren werden durch eine ganze Reihe von Effektpedalen gejagt, dazu kommen ein unscharf ins Rund tönender Bass und souveräne Drums. Einen Moment lang könnte man meinen, es handele sich um ein eher konventionelles Post-Rock-Album – bis der Jake Woodruffs Gesang einsetzt, der auch in einer Alt-Country-Band nicht fehl am Platz wäre. Überhaupt lassen sich die Stücke stilistisch nur schwerlich festlegen, denn während des gesamten Albums schimmern verschiedene Nuancen durch, die wie Lichtstrahlen durch einen Kristall fallen: Folk-Songs brechen in Post-Rock-Höhepunkte aus, Indie-Rock-Hooks huschen durch Shoegaze-Atmosphären, wobei Gesang und Songwriting stets unbehelligt von dem akustischen Wirbelsturm aus Effektpedalen und treibenden Schlagzeugmustern um sie herum bleiben. Fast könnte man meinen, dass die Songs so sehr auf akustische Soloauftritte zugeschnitten zu sein scheinen, dass die üppigen, hymnisch empor steigenden Arrangements, welche mit ihrer Dringlichkeit und latent aggressiven Energie ein ums andere Mal an Defekter erinnern, fast trotzig klingen. Dennoch kommt man der Sogwirkung dieses Albums als Ganzes (ganz ähnlich wie bereits beim kaum weniger tollen 2014er Vorgänger „Wishing Well„) nicht wirklich nahe. Denn wie auch immer man das Zusammenspiel zwischen Instrumentalem und Gesang beschreiben mag, was bei dieser Platte wirklich heraussticht, sind all die Meditationen über das Verfliegen der Zeit und wie die Band aus Massachusetts hier selbst die flüchtigsten Momente ewig erscheinen lässt. Selbst die längeren Songs von „Ellapsis“ fühlen so kurz an wie die kürzeren, während die kurzen den längsten ebenbürtig erscheinen, und das Album als Ganzes hallt weit über seine lediglich dreißig Minuten Laufzeit hinaus. Angefangen beim Opener „Six Rivers“ umspülen einen die Stücke wie ans Ufer schlagende Wellen, die mit den Gezeiten verebben und fließen. Wenn der Albumabschluss „Stolen Moments“ schließlich sein Ende findet, fühlt es sich beinahe so an, als ob der Schlusschor schon ewig hinter dem Universum her gesummt wäre.

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6.  Pale – The Night, The Dawn And What Remains

Pale melden sich ein allerletztes Mal zurück – einerseits ja wunderbar, wären die Gründe für das unerwartete Comeback keine so traurigen. Umso schöner, dass die Aachener Indie-Rock-Band mit „The Night, The Dawn And What Remains“ umso trotziger sowohl ihre Freundschaft und den gemeinsamen Weg als auch das Leben feiert. Macht’s gut, Jungs – und danke für diese wundervolle Ehrenrunde! #träneimknopfloch

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7.  Muff Potter – Bei aller Liebe

Und wo wir gerade bei Comebacks wären, sind Muff Potter in diesem Jahr freilich nicht allzu weit, denn: Alle kommen sie wieder, irgendwann und irgendwie. Das traf 2022 selbst auf ABBA zu, die 2021 mit „Voyage“ zunächst die ersten neuen Songs seit fast vierzig Jahren präsentierten, um im Jahr darauf ausverkaufte Hologramm-Konzerte in London zu „spielen“- getreu dem schwedischen Erfolgsmotto „Entdecke die Möglichkeiten“. Und auch in der Rockmusik konnte man zuletzt vermehrt das Gefühl bekommen, selbige bestehe nur noch aus Reunions einst erfolgreicher Bands, die in Ermangelung neuer Ideen versuchen, mit den alten noch einmal abzukassieren. Dann wiederum gibt es Truppen wie eben Muff Potter, denen es mit ihrem Albumcomeback nach schlappen 13 Jahren Pause gelingt, selbst eingefleischte Per-se-Skeptiker umzudrehen, weil man „Bei aller Liebe“ bei allem frischen Ideenreichtum die Zeit anhört, die seit dem Abschied mit „Gute Aussicht“ vergangen ist. Die Platte zeugt davon, dass das Leben eben auch ohne gemeinsame Band weitergeht, und es töricht wäre, all die Erfahrungen beiseite zu lassen, die man in der Zwischenzeit zwangsläufig macht. Und deshalb steht hier Blumfeld-artiges wie „Ein gestohlener Tag“ neben Instant-Hits wie „Flitter & Tand“ oder einem 72 Sekunden kurzen Punkausbruch wie „Privat“. Verschränken sich in Thorsten „Nagel“ Nagelschmidts Texten seine schriftstellerische Arbeit (sic!) mit dem Punk-Fan, den es auch mal einfach braucht. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man Muff Potter – bei aller Liebe – keineswegs zugetraut hätte, noch einmal so viel zu sagen zu haben und sich musikalisch so offen zu zeigen – mit Kurzweil wie mit Tiefgang. Andererseits ist’s natürlich umso schöner, wenn die eigenen Erwartungen übertroffen werden und man eine lange Zeit auf kreativem Eis liegende Herzensband neu für sich entdeckt.

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8.  Cat Power – Covers

Dass Chan „Cat Power“ Marshall für ihre Coverversionen bekannt ist, dürfte sich mittlerweile auch bis zu den allerletzten Hütern des guten Musikgeschmacks herumgesprochen haben, immerhin hat die 50-jährige US-Musikerin im Laufe ihrer annähernd dreißigjährigen Kariere bislang zwei verdammt formidable Coversong-Alben veröffentlicht, auf denen sie von unbekannteren Bob Dylan-Nummern über Blues’n’Soul-Stücken bis hin zu abgeschmackten Evergreens wie „(I Can’t Getroffen No) Satisfaction“ jedem Song derart ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stempel aufdrücken konnte, dass es eine wahre Schau war. Nach „The Covers Record“ (2000) und „Jukebox“ (2008) macht Cat Power nun mit „Covers“ das Trio voll und liefert erneut formvollendet-exquisites Coverhandwerk – ganz egal, ob die Originale von von Nick Cave and the Bad Seeds („I Had A Dream, Joe“), Lana Del Rey („White Mustang“), den Replacements („Here Comes A Regular“) oder Billie Holiday („I’ll Be Seeing You“) stammen. Ja, die Frau kann mit ihrer so wunderbar rauen, so unendlich tiefen Stimme kaum etwas falsch und sich so ziemlich jede Fremdkomposition zueigen machen.

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9.  Tristan Brusch – Am Rest

Wie bereits in der dazugehörigen Rezension erwähnt, bin ich bei Tristan Bruschs dritten Album „Am Rest“ etwas late to the party, immerhin erschien die Platte bereits im Oktober 2021. Dennoch verpassen alle jene, die diese Musik gewordene Trübsalsfeierlichkeit ganz außen vor lassen, so einiges bei diesen Oden an das Ende der Dinge und an die Akzeptanz des Verlusts. Ja, im Grunde könnte es kaum bessere Stücke geben, um jenen so intensiv graumeliert schimmernden Tagen einen passenden Soundtrack zu liefern. Sucht wer die passenden Gegenstücke zu Max Raabes „Wer hat hier schlechte Laune“ (welches, wenn ihr mich fragt, übrigens als weltbeste Warteschleifenmusik für alle Kundendiesnthotlines taugen würde)? Nun, hier habt ihr sie – dargeboten von einem begnadeten Liedermacher, der alle nach billigem Tetrapack-Weißwein und zu vielen Marlboro-Kippen müffelnden, mieslaunigen Chansoniers ins piefige Bundesdeutsche überträgt.

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10. Betterov – Olympia

Freilich war die Vielzahl an Erwartungen, die an den Debüt-Langspieler von Manuel „Betterov“ Bittorf geknüpft waren, ebenso groß wie die Vorfreude auf neue Songs des gebürtigen Thüringers und Wahl-Berliners. Umso schöner, dass „Olympia“ diese Hürde beinahe mühelos nimmt und elf Songs präsentiert, denen man den Produzenten ebenso anhört wie die Platten, die beim Schreiben wohlmöglich im Hintergrund liefen. So mausert sich Betterov vom Newcomer-Geheimtipp zum amtlichen Senkrechtstarter, der völlig zurecht einen Platz in meinen persönlichen-Jahres-Top-Ten einfährt. Olympia-Norm? Vollends erfüllt.

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…auf den weiteren Plätzen:

Husten – Aus allen Nähten mehr…

Casper – Alles war schön und nichts tat weh

Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows mehr…

William Fitzsimmons – Covers, Vol. 1

Caracara – New Preoccupations mehr…

Eddie Vedder – Earthling mehr…

Black Country, New Road – Ants From Up There

Gang Of Youths – Angel In Realtime.

Spanish Love Songs – Brave Faces Etc. mehr…

Faber – Orpheum (Live)

Die Nerven – DIE NERVEN

Ghost – Impera

Proper. – The Great American Novel mehr…

Rocky Votolato – Wild Roots mehr…

The Afghan Whigs – How Do You Burn?

Rock and Roll.

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Song des Tages: Spanish Love Songs – „Optimism (As A Radical Life Choice)“ (Etc Version)


Wie so viele andere auch hatten die Emo-Punk-Indierocker von Spanish Love Songs im nahezu konzertfreien Musikjahr 2021 ein deutliches Plus an Freizeit zu verzeichnen. Also wurde das Beste aus der ungewollten Lage gemacht und man ging zurück ins Studio.

Doch anstatt neue Songs zu schreiben, nahm die fünfköpfige Band sich der Stücke ihres formidablen, im Februar 2020 erschienenen dritten Albums „Brave Faces Everyone“ (welches damals einen völlig verdienten Silberplatz von ANEWFRIENDs „Alben des Jahres“ errang) ein zweites Mal an. Das Ergebnis: „Brave Faces Etc.„, welches die bekannten Nummern in neuem musikalischen Gewand präsentiert und im April erscheinen wird. Frontmann Dylan Slocum weiß Folgendes zu berichten:

„Kurz vor dem einjährigen Jubiläum des Albums haben wir beschlossen, die Songs auf die gleiche Art und Weise neu zu interpretieren, wie wir es mit unseren früheren Alben für unsere Patreon-Community getan haben. Ich weiß nicht, ob irgendjemand von uns jemals mit einem fertigen Album zufrieden war, das wir veröffentlicht haben, also war dies unsere Chance, einige Dinge auszuprobieren, die wir auf dem Original nicht machen konnten, sei es wegen des Budgets, aus Zeitmangel, etc. Gleichzeitig sahen wir es als Chance, uns musikalisch ein wenig herauszufordern und den Sound der Band zu erweitern, um besser widerzuspiegeln, wo wir alle in Sachen Songwriting und Produktion stehen.“

Bereits jetzt lässt die Band aus Los Angeles, Kalifornien zwei Kostproben hören: „Generation Loss„, welche sich in der Neuaufnahme als herzzerreißende Akustikballade präsentiert, sowie „Optimism (As A Radical Life Choice)“, das lediglich eine Akustikgitarre, Synthesizer und Dylan Slocums Stimme benötigt, um auch ein zweites Mal als Elektro-Emo-Slow-Burner zu überzeugen. Zu zweiterem meint Slocum:

„‚Optimism (As Radical Life Choice)‘ stach auf dem Originalalbum schon immer als ein Song mit einem etwas anderen Vibe hervor, und wir haben versucht, diese Energie auch in der überarbeiteten Version beizubehalten. Wir haben den schrillen Neunzigerjahre-Rock-Beat genommen und ihn in einen echten Downer von einem Dance-Song verwandelt, was bedeutete, dass wir mit all den Drum-Machines und Synthesizern spielen konnten, die wir schon immer benutzen wollen. Ich finde es toll, dass die Bridge hier irgendwie chaotischer ist als im Original und wirklich die Angst des Songs transportiert, während wir es irgendwie geschafft haben, den Dance-Vibe beizubehalten.“

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick – Teil 1


(Illustration: Rae Pozdro)

Was für Musik braucht man in einem so eigenartigen Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf diese ganze verdammt verrückte und aus den Angeln geratene Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie das Schlechte – für Momente vergessen lässt. Eine Zuflucht. Eine Ton und Wort gewordene zweite Heimat. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2020 einmal mehr recht wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!

Phoebe Bridrs – PunisherPhoebe Bridgers – Punisher

Phoebe Bridgers – Punisher

Im ersten Moment doch sehr, bei genauerer Betrachtung jedoch etwas weniger überraschend: Für ein Jahr, das die meiste Zeit am Rande des totalen gesellschaftlichen wie ökonomischen und kulturellen Stillstands wankte, gab es 2020 eine ganze Menge (sehr) guter neuer Musik zu hören. Fiona Apple etwa brachte mit „Fetch The Bolt Cutters“ zum ersten Mal seit acht Jahren ein neues, von Fans wie Kritikern vielbeachtetes Album heraus. Bob Dylan zeigte, dass er im Alter von 79 Lenzen immer noch eine Menge zu sagen hat. Und Taylor Swift bewies, dass sie nicht nur eine der erfolgreichsten und versiertesten Songwriterinnen der Pop-Gegenwart ist, sondern auch eine der produktivsten: gemeinsam mit Teilen des The National-Lagers und Gästen wie dem unter Indie-Folk-Freunden höchst geschätzten Justin „Bon Iver“ Vernon veröffentlichte „TayTay“ im Juli und Dezember ohne größeres Werbe-Tamtam mehr als dreißig Songs, die sie seit Beginn der Pandemie geschrieben und aufgenommen hatte.

All diese und viele andere Veröffentlichungen sind es freilich wert, gehört und nachhaltig beachtet zu werden. Aber ein Album steht – und das zeigt auch diese Auswertung der Jahresbestenlisten – über ihnen allen: Phoebe Bridgers‚ „Punisher“. Zu großen Teilen aufgenommen während der letzten zwei Jahre, kann das Werk zwar nicht von sich behaupten, eine Echtzeit-Reflexion der Stimmung während der Pandemie zu sein, wie im Fall von Taylor Swifts „folklore“ und „evermore„. Dennoch passt Bridgers‘ musikalische und lyrische Sensibilität besser als alles andere, was in diesem Jahr veröffentlicht wurde, zum unverwechselbarem Geist des gefühlten „Rien ne va plus“-Scheintods der vergangenen Monate. Das Album ist ein zerbrochener, trüber Spiegel, der unseren von Melancholie, Isolation und immerneuen Hiobsbotschaften geschundenen Körpern und Seelen vorgehalten wird.

Nicht, dass „Punisher“ eine Art einmalige Novalität wäre. Weit gefehlt. Schon Bridgers‘ kaum weniger gelungenes Debüt von 2017, „Stranger In The Alps„, sowie die gemeinsame letztjährige Platte mit Conor Oberst als Better Oblivion Community Center etablierten die 26-jährige Singer/Songwriterin als versierte Emo-Folk-Musikerin im Stile des früh verstorbenen großen Elliott Smith. Wie Smith ist Bridgers, die selbigen nicht eben zufällig verehrt, eine Künstlerin mit einem ausgeprägten Sinn für feine Mark-und-Bein-Melodien und der Gabe, Texte zu verfassen, die persönliche Traumata und alltägliche Kämpfe in kunstvoll einnehmende Porträts menschlicher Zerbrechlichkeit und der Sehnsucht nach inniglicher Verbundenheit verwandeln.

Die sehnend fatalistischen Songs auf „Punisher“ entwickelt diese Themen weiter und führen sie in expansive neue Richtungen, während Bridgers‘ teilweise skurrile Beobachtungen und emotionale Einsichten in eine irrgärtene, zumeist stille Klanglandschaft eingebettet werden, die sowohl intensiv schön als auch auf vereinnahmende Weise klaustrophobisch ist – wie ein Spaziergang auf dem Grund des Ozeans oder der Oberfläche eines anderen Planeten (oder eben durchs nächtliche Pandemie-L.A.). Das konnte selbst die US-Musikindustrie nicht überhören und würdigte die musikalische Kraft des Albums, indem sie Bridgers und ihre Platte jüngst für ganze vier Grammys nominierte, darunter als „beste neue Künstlerin“ und als „bestes alternatives Musikalbum“.

Bridgers und ihre Mitstreiter – die Co-Produzenten Tony Berg und Ethan Gruska, die Songwriting-Partner Christian Lee Hutson, Conor Oberst und Marshall Vore, ihre boygenius-Girl-Buddies Julien Baker und Lucy Dacus sowie etliche andere Musiker aus der heimischen Indie-Szene von L.A. – haben ein Album geschaffen, das all die Hilfsmittel in Los Angeles‘ legendärem Aufnahmestudio Sound City – all die Fader, Sampler, Autotune-Gadgets und andere Vocal-Effektgeräte – mit einer breiten Palette von akustischen Instrumenten kombiniert, um eine über alle Maßen intensive Erfahrung zu schaffen, die auf die beste Art und Weise verwirrend ist – wie ein seltsamer, beunruhigender Traum, der es schafft, etwas Schmerzhaftes, Wahres und irgendwie Notwendiges zu vermitteln, während man am nächsten Morgen nicht einmal mehr Worte für das nokturn Geträumte findet.

Der gequälte Existenzialismus des Albums wird vielleicht am stärksten in „Chinese Satellite“ vermittelt, einem herzzerreißenden Song über Bridgers‘ Tendenz, „in Kreisen umher zu laufen und vorzugeben, dass ich ich selbst sei“. Er gipfelt in einem Refrain, der mit einem herzzerreißend schönen, gen Firmament hauchenden Streicher-Arrangement unterlegt ist und als eine Art Gebet um Erlösung von Einsamkeit und Zweifeln fungiert:

„I want to believe
Instead I look at the sky and I feel nothing
You know I hate to be alone
I want to be wrong“

Eine alltägliche Klage – „I hate to be alone“ – in einen Ausdruck metaphysischer Sehnsucht zu verwandeln, der sowohl düster-komisch als auch tieftraurig ist, ist das, was Bridgers wie kaum eine andere aktuell beherrscht – und sie tut genau das auf „Punisher“ immer wieder.

Die Songs des Albums sind voll von lebendigen, einprägsamen – und oft nur im ersten Licht trivialen – Beschreibungen des alltäglichen Lebens, die beim Lauschen zwischen den Zeilen mit einer größeren Bedeutung einhergehen: Sie ändert ihren Plan, einen Garten anzulegen, als Reaktion auf die Aktivitäten eines Skinheads in der Nachbarschaft („Garden Song“). Sie „wollte die Welt sehen“, bis sie nach Übersee flog und daraufhin ihre Meinung änderte („Kyoto“). Sie macht einen morbiden Witz über den fortwährenden Klang von Sirenen aus Richtung des Krankenhauses in der Nähe ihres Hauses (interessanterweise nur eine von vielen unheimlichen lyrischen Vorahnungen der Pandemie, die über das ganze Album verstreut sind – Entstehungszeitraum hin oder her). Sie und ein Freund verbringen einen Abend damit, den „Rest unseres Serotonins“ zu verbrauchen, während sie auf dem Boden sitzen und eine Packung Cracker futtern („Graceland Too“). Sie gesteht ihrem verheirateten Ex-Liebhaber, dass er sie „wie Wasser in deinen Händen“ hält („Moon Song“). etc. pp.

Solche Momente flüchtiger Schönheit häufen sich, türmen sich auf, ziehen manches Mal auch wieder vorbei, während sich das Album auf (s)einen unheilvollen Schluss zubewegt: „I Know The End“, in dem Bilder vom Ende einer Beziehung zu Visionen der Apokalypse verschwimmen, während sich die hübsche Folk-Melodie langsam in eine Kakophonie aus klirrenden Akkorden, wirbelndem Lärm und menschlichen Schreien verwandelt. Es ist ein überraschendes, beängstigendes und doch irgendwie perfekt passendes Ende für eine Platte, die so todgeweiht ist wie das Leben am Ende selbst. Das mag sich zwar schwer oder deprimierend lesen, ist es jedoch ganz und gar nicht. „Punisher“ ist ehrlich, heftig, extrem melodiös – und der perfekte Soundtrack für dieses oder jedes andere Jahr. Kurzum: ein verdammtes Meisterwerk.

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2. Spanish Love Songs – Brave Faces Everyone

Liebe? Doof. Job? Doof. Finanzielle Lage? Doof. Soziale Kontakte? Doof. Und sonst so? Alles recht beschissen, danke der Nachfrage… Man wünscht Dylan Slocum – wie ja eigentlich jedem anderen Menschen – wirklich, dass er irgendwann seine mentale Gesundheit erlangt, auch wenn das wohl bedeuten würde, dass der Spanish Love Songs-Frontmann dann nicht mehr diese verdammt intensiven, dem eigenen Schicksal trotzenden Loserhymnen zur Selbsttherapie schreibt. Bis dahin macht die fünfköpfige Band aus Los Angeles auf „Brave Faces Everyone“ jedoch exakt dort weiter, wo „Schmaltz“ vor zwei Jahren endete: Sie vertonen seelische Abgründe und verpacken diese in maximal mitreißendem Punkrock, mit dessen gefühlter Intensität sie aktuell allein auf weiter Flur stehen. Zehn Fäuste für ein herzhaftes „Fick dich!“.

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3. Bright Eyes – Down in the Weeds, Where the World Once Was

So wirklich still war es um Conor Oberst nicht in den letzten Jahren – siehe die tolle Platte mit Phoebe Bridgers als Better Oblivion Community Center, siehe das Comeback-Album mit den Radaubrüdern der Desaparecidos, siehe die jüngsten Alt.Country-meets-Indiefolk-Solo-Alben „Ruminations“ und „Salutations“ (ersteres war anno 2016 gar ANEWFRIENDs „Album des Jahres“). Trotzdem durfte man bei all der Umtriebigkeit seine Haupt- und Herzensband Bright Eyes schon ein kleinwenig vermissen… Nun, nach neun langen Jahren, hat sich Oberst endlich wieder mit Mike Mogis und Nate Walcott zusammengetan, und in der Trio-Formation strahlen seine Songs noch heller durch all die Dunkelheit hindurch, die sich seit jeher im Großteil seiner Texte offenbart. Dabei zieht das Dreiergespann alle zur Verfügung stehenden Register, dies ist längst mehr als folkender Indie Rock, es besitzt und besetzt (s)eine eigene Kategorie: Conor-Oberst-Songs eben. Also faszinierende Textkaskaden, betörende Melodien und spirituelle Suche in einem. Dance on through and sing!

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4. Biffy Clyro – A Celebration Of Endings

„Baby, I’m scorched earth / You’re hearts and minds / Fuck everybody! / Woo!“ – ein Album, das mit solchen Worten endet, kann wahrlich kein schlechtes sein… Der dazugehörige Song fasst in gut sechs Minuten zusammen, warum Biffy Clyro seit eh und je eine der spannendsten Rock-Bands sind, die das an spannenden Bands wirklich nicht arme Schottland hervorgebracht hat. All ihre Klangelemente – von hektischen, an frühe Großtaten gemahnenden Rhythmen über mit sanften Strichen gemalte balladeske Klangbilder bis hin zu allumfassendem Pathos – finden sich aber nicht nur in besagtem Rausschmeißer „Cop Syrup“ wieder, sondern clever ausgespielt auf dem gesamten achten Album des Trios um Frontmann Simon Neil verteilt. Präsentiert sich „North Of No South“ zu Beginn als prototypischer Biffy-Clyro-Knüller, hadert „The Champ“ funky und elegant mit der Gegenwart: „A virtual dream and a virtual life / Well, I’m in love with the older kind / A Biblical truth and a cynical lie“. Derlei Beobachtungen ziehen sich zwar durch „A Celebration Of Endings“ und das Album wird außerdem vor dem Hintergrund des Brexit veröffentlicht, explizit politisch ist es jedoch nicht. Dafür aber sehr, sehr gut. Und das nicht nur, weil es wesentlich besser als sein mauer Vorgänger ist, dessen Pop-Exzesse hier lediglich dosiert stattfinden (etwa beim erstaunlich gelungenen Kitsch-Balladen-Ohrwurm „Space“). Mon the Biff!

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5. Kristofer Åström – Hard Times

Alben wie “Northern Blues”, „Loupita“ oder “So Much For Staying Alive” sind tatsächlich schon über eineinhalb Dekaden alt. Doch Singer/Songwriter Kristofer Åström lässt den Sound von damals mit seinem neuen Werk “Hard Times” wieder aufleben, als wären zwischen all diesen Langspielern gerade einmal wenige Wochen vergangen, denn in der Tat wären die acht neuen Songs auch damals schon gut auf diesen ausnahmslos tollen Kleinoden voll skandinavischer Herzschmerz-Melancholie aufgehoben gewesen. 2020 entfalten sie aber noch mal ihre ganz eigene Schönheit, auch wenn der Schwede betont, dass der fürs aktuelle Jahr überaus passende Albumname bereits vor der Corona-Pandemie feststand. Schon im Opener “Inbetweener” leidet der 46-jährige „Scandinavian Cowboy“ hörbar wie eh und je. “In The Daylight” erzählt eine lange vergangene, aber bis heute traumatische Liebesgeschichte. Und auch “Another Love”, das er gemeinsam mit Britta Persson in ein wunderschönes Duett packt, ist berührend und voller Liebeskummer: “The sun don’t shine on me and the night won’t leave me be”. Es sind einmal mehr die kleinen, jedoch schmerzenden Sätze, die so viel ausdrücken: “She kissed me and then she moved on” aus “Then She Moved On” ist nur ein weiteres Beispiel. “Nowhere In Sight” hat ebenfalls diese allumfassende Traurigkeit, mit der sich Åström vor inzwischen sehr vielen Jahren in der Singer/Songwriter-Szene etabliert hat. Glaubt mir: Wer’s liebt, der liebt’s auf Lebenszeit.

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6. Matt Berninger – Serpentine Prison

Jetzt ohne Band. Um sich endlich selbst zu verwirklichen? Eher nicht. Denn auch The National sind ganz Matt Berninger. Und hier wie dort leidet der heute 49-Jährige melodischer und melancholischer als jeder andere. Gewiss ist aber: „Serpentine Prison“, das späte Solodebüt nach acht Alben mit seiner Hauptband, ist viel mehr eine Songwriter-Platte als die letzten National-Alben. Uptempo-Indie-Rock, elektrische Gitarren, elektronisches Klackern, vertrackte Beats: nichts davon findet sich hier wieder. Und dass Berninger sein Mikro aus der Hand gibt, wie zuletzt reihenweise auf „I Am Easy To Find“ etwa an Mina Tindle und Sharon Van Etten, kommt auch nur einmal vor, wenn Gail Ann Dorsey (aus Bowies Band) im Song „Silver Springs“ eine Strophe singt. Stattdessen hört sich „Serpentine Prison“ fast schon überraschend traditionell und, ja, auch klassisch amerikanisch an. Akustische Gitarre, Bläser, irgendwo zwischen Americana und Indie Folk. Feine Klaviermelodien und Streicher bringen Kammerpop mit hinein. Und die bluesig-groovende Orgel im Song „Loved So Little“ geht ganz klar auf das Konto von US-Legende Booker T. Jones, der hier produziert und mitgespielt hat, und so hörbar seinen Sinn für erdig-ehrlichen Soul-Rock und einen klugen räumlichen Blick auf die eher spärlichen Arrangements einbringen kann. „I don’t see no brightness and I’m kind of startin’ to like this“, singt Berninger, ganz Schmerzensmann, in „Oh Dearie“. Das ist nah an der Selbstparodie, und wie er es sich so bequem macht in seinen kontemplativen, traurig-schönen Stücken, glaubt man’s ihm fast. Nach dem verloren flehenden „Take Me Out Of Town“ nicht mehr so. „Where are you, you said you’d be here by now“, fragt jemand. Und garantiert nicht im Titelsong. Leben inmitten von Frustration, Nationalismus, Zynismus – wie geht das? „Serpentine Prison“ schließt – ziemlich großartig – individuelle und kollektive Angst kurz, erzählt von Depression und einer Welt am Rand der Zerstörung. Resignation, Fatalismus? Hilft alles nicht: „I walk into walls and I lay awake / I don‘t want to give it to my daughter“. Dazu spielen Trompete und Mundharmonika. Und spätestens wenn man so samtig-schlichte Songs wie „One More Second“ hört ist klar, warum Berninger ein Soloalbum gemacht hat. Feinster Herbstblues mit Sonnenstrahlen.

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7. Gerry Cinnamon – The Bonny

Überlastete Live-Streams, volle Hallen, ratzfatz ausverkaufte Tourneen (selbstredend in der Vor-Corona-Zeit): Ist Gerard Crosbie, der hinter dem Künstlernamen Gerry Cinnamon steckt, der größte Star, den – hierzulande – (fast) niemand kennt? So ähnlich zumindest wird der Singer/Songwriter gern schonmal vorgestellt. Oder besser der „Sangster-Sangwriter“, wie man es in seiner schottischen Heimat zu sagen pflegt. Cinnamon nämlich singt, wie viele seiner Landsleute auch, keineswegs in feinstem Oxford-Englisch, sondern auf „Glaswegian“, einem Dialekt, der nach der größten Stadt des Landes benannt ist: „Glesga“ (Glasgow). Es ist denn auch dieser Dialekt in Verbindung mit seiner prägnanten Stimme, die den Charme seiner Songs und von „The Bonny“, seinem zweiten Album, ausmachen. Mit rauchigem Gesangsorgan, das mutmaßlich schon in einigen Pubs und vernebelten Clubs erklang, singt der 36-Jährige seine persönlichen Geschichten über Liebe, Hoffnung und Erinnerungen. „Sun Queen“ etwa kommt als lockere Pop-Leichtigkeit daher, die einer verflossenen Liebe gedenkt, deren Namen er, bildlich, in einen Regenbogen schnitzte. „Dark Days“ erzählt vom Entkommen aus dunklen Zeiten. Wenn das Leben ein Spiel und das Glück für Verlierer ist, „dann gewinne ich wieder“ ist da zu hören. Musikalisch ist Cinnamon vornehmlich ganz der spartanischen Instrumentierung verpflichtet: seine Akustikgitarre, Mundharmonika und Stimme bilden den Rahmen der zwölf Songs. Schlagzeug und Bass zimmern ein rhythmisches, teils höchst eingängiges Gerüst für die Songs. „Where We‘re Going“ etwa klingt wie das Beste aus der munteren Pop-Phase von The Cure, „Mayhem“ wie ein sehr starker Non-Album-Song von Travis und das Titelstück nach einer feucht-fröhlichen Nacht an einem schottischen Highland-Lagerfeuer. Trotz aller hörbaren Einflüsse und Querverweise behält der hagere Schotte mit der Oasis-Britpop-Gedächtnis-Topfschnitt-Frisur seine Eigenständigkeit und liefert ein unterhaltsames Album ab, bei dem sich selbst Liam Gallagher zu einem seiner zugegebenermaßen recht seltenen, da diss-freien Komplimente hinreißen lässt: „Ein Top-Mann macht völlig natürliche Sachen.“ Will was heißen, heißt auch was.

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8. Pearl Jam – Gigaton

2020 hätte ein weiteres großes Konzertjahr für die Grunge-Rock-Band aus Seattle werden können, ja: sollen. Dieses neue Album (das erste seit immerhin sieben Jahren), das der Tour den Rahmen und den Anlass gegeben hätte, ist keineswegs unwichtig, aber auch nicht der zentrale Kern der Unternehmung – Pearl Jam würden auch ohne eine neue Veröffentlichung im Rücken die Stadien und die Gelände rund um den Globus füllen. Nun jedoch gab es keine Konzerte, was zur Folge hat, dass „Gigaton“ unerwartet und ungewohnt erhöht auf einem Podest im Raum steht, als exklusiver Beitrag von Eddie Vedder und Co. in diesem (Musik)Jahr. Es ist daher davon auszugehen, dass so manch treuer Fan diese Platte häufiger gehört haben als die soliden Vorgänger. Und die meisten der Hörer werden beglückt festgestellt haben, dass das Gros der zwölf neuen Stücke diesem Anspruch genügt. Die Band erzählt auf „Gigaton“ – vom unerhört funky Vorboten „Dance Of The Clairvoyants“ einmal abgesehen – freilich wenig Neues, aber das ist nun wirklich keine allzu große Überraschung. Was Pearl Jam leisten, ist eine absolut solide Ausdifferenzierung ihrer hinlänglich bewiesenen Könnerschaft. Ein Song wie „Who Ever Said“ zum Beispiel läuft mehr als fünf Minuten lang und verbindet in dieser Zeit Virtuosität und Kraftmeierei, Melancholie und Melodien, Achtsamkeit und Sehnsucht. Viel mehr kann man von massentauglicher, aber nicht stromlinienförmiger Rockmusik nicht erwarten, weder im Jahr 2020 noch vor genau drei Jahrzehnten, als sich die Band gründete. Die „elder statesmen des Grunge“ liefern. 

9. Brian Fallon – Local Honey

Es ist das dritte Soloalbum von Brian Fallon, und mit jedem scheinen The Gaslight Anthem weiter weg. Wenn man sich seine heutigen Sachen und diese lediglich acht um Akustik-Klampfe, Klavier, Bass und Schlagzeug gezimmerten Stücke anhört, kann man sich auch nicht so recht vorstellen, was er bei seiner alten Band noch finden sollte. Die großen Kämpfe der Jugend, der Punk Rock, das unbedingte Drama scheinen vorbei zu sein. „Ich bin 40, habe zwei Mädchen, eine Frau, ein Haus – das ist, was ich heute bin“, sagt er selbst. Die federnde Folkrock-Ballade „When You’re Ready“ hat Fallon denn auch für seine Töchter geschrieben. „In this life there will be trouble, but you shall overcome“, singt er da. Das modern-radiopoppig produzierte „21 Days“ überblendet Sucht- und Beziehungsende, in „I Don’t Mind If I’m With You“ blitzen die alten Dämonen, die gefochtenen Kämpfe noch einmal für Momente auf, im Angesicht der Liebe aber werden sie klein und kleiner. „Horses“ erzählt ebenso von Vergänglichkeit wie von Erlösung ohne Theatralik: „In this life change comes slowly, but there is time to be redeemed“. „Hard Feelings“ ist einer jener Songs, die Fallon noch immer wie kaum ein Zweiter aus dem Ärmel schüttelt: eine Mischung aus hemdsärmeliger Americana und von Nostalgie durchwehter New-Jersey-Romantik, in der immer ein „slow song“ aus einem „baby blue Mercedes“ spielt. Und „You Have Stolen My Heart“ könnte am Ende schon fast wieder eine der Balladen auf „American Slang“ sein. „Local Honey“, das sind Songs über die Zeit, wenn die Jugend vorbei ist und das Alter noch weit weg scheint. Es gehe zu „einhundert Prozent ums Alltagsleben“, so Fallon, „und wenn das mein Leben ist, dann ist es wahrscheinlich auch das vieler anderer Leute.“ Wirklich spektakulär ist hier nichts, langweilig jedoch auch nicht. Ergo: kein „Nebraska“, aber definitiv auch kein Reinfall. 

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10. Beans On Toast – Knee Deep In Nostalgia / The Unforeseeable Future

Jay McAllister aus Braintree ist ohne Zweifel einer der sympathischsten Klampfenbediener der britischen Inseln. Und einer der talentiertesten. Und einer der umtriebigsten. Seit zig Jahren haut der 40-jährige englische Indie-Musiker pünktlichst zu seinem Geburtstag im Dezember ein neues Album unters Hörervolk, auf dem er jeweils aus seinen zurückliegenden Monaten erzählt und in den Songs vom trubeligen Leben um ihn herum berichtet. In selbigen kommt seit einiger Zeit nicht nur seine kleine Tochter vor, sondern auch der wachsende Unmut über soziale Ungerechtigkeiten oder den Brexit. Umso tiefer sollte man seine Kopfkappe ziehen, dass Mr. Beans On Toast all das nicht mit kaltschnäuziger Pumpe tut, sondern mit jeder Menge Witz, Hirn und Herz. Und dass bei einem Teil der doppelten Veröffentlichung dieses Jahres (denn immerhin feierte der Mann ein rundes Wiegenfest) ein gewisser Buddy namens Frank Turner unter die Indie-Arme gegriffen hat, macht das Ganze nun auch nicht weniger sympathisch… Spitzentyp, der Beans!

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…auf den weiteren Plätzen:

BRUTUS – Live in Ghent mehr…

A Burial At Sea – A Burial At Sea mehr…

Deep Sea Diver – Impossible Weight mehr…

Bruce Springsteen – Letter To You

Dogleg – Melee mehr…

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Spanish Love Songs – Brave Faces Everyone (2020)

-erschienen bei Pure Noise/Soulfood-

Rückblick in den Februar: Das Jahr 2020 war gerade mal ein paar Wochen alt, aber schon fühlte es sich mit all den weltlichen Entwicklungen an, als ob wir mindestens schon wieder Halbzeit gehabt hätten: Die USA mit ihrem Ex-Reality-Show-Darsteller im Weißen Haus waren einmal mehr aufs militärische Säbelrasseln aus, Australien brannte lichterloh, Flüchtlinge ertranken im Mittelmeer und das Coronavirus machte sich auf, für die nächste große Panikwelle zu sorgen (welche uns bekanntlich noch immer im Griff hält). Mehr als genug also, um den Kopf in den Sand stecken zu wollen, oder? Wer in solch sowieso schon niederschlagenden Zeiten voll düstrer Wasserstandsmeldungen dann auch noch mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte, konnte sich nur allzu schnell komplett am gefühlten absoluten Tiefpunkt wiederfinden…

Ein Glück, dass sich Spanish Love Songs genau zum richtigen Zeitpunkt mit neuem Material zurückmeldeten. Zwei Jahre nach dem von Kritikern wie Fans gefeierten Zweitlingswerk „Schmaltz“ lieferte die Combo aus Los Angeles wieder den gewohnten und geliebten Emo-Punkrock in Perfektion. Und zugleich eine für alle zugängliche Katharsis, die mit dem Weltgeschehen am Hadern waren. “Es ist tröstend zu wissen, dass wir uns alle auf dem selben sinkenden Schiff befinden. Wir wollen uns das mit dem Album eingestehen und die Welt damit ein kleines bisschen erträglicher machen, wenn sie es auch nur für vierzig Minuten ist“, so Frontmann Dylan Slocum.

Wie schon sein 2018 erschienener Vorgänger, ist auch „Brave Faces Everyone“ der wohl schönste und hörbarste Win-Win-Deal der Indie-Musikszene. Slocum singt und schreit sich einmal mehr mit massig Emphase das eigene Chaos aus Gedanken und Dämonen aus Hirn und Leib, bis die Stimme kurz davor ist vollends weg zu brechen. Kein Wunder, schließlich ist er diesmal mit noch eindeutigeren Songtiteln wie “Routine Pain”, “Self-Destruction” oder “Losers” wieder Sprachrohr einer stetig wachsenden Bevölkerungsschicht mit Mental Health-Problemen und anderen inneren wie äußeren Kämpfen. 

„Stuck working at that third job driving
Well-meaning moms to protest for minimum wage
Still depressed, still living for the weekend
Still terrified to die at your age
No cancer, no crash
It better all go as planned
One day soon you’re not gonna get by
You know damn well they’re ain’t a promised land
The cost of living means
It costs to stay alive…“

(„Losers 2„)

Und in der Tat liefert „Brave Faces Everyone“ zehn neue Beweise dafür, dass das Quintett weitaus mehr ist als ein mit großem Momentum von der Szene abgefeiertes “One-Trick-Pony” und auch “Schmaltz” eben nicht nur ein feiner Zufallserfolg voller melodieseliger Punkrock-Hits war. Schon die 2019 veröffentlichte (Vorab-)Single “Losers” hatte gezeigt, wohin die Reise mit “Brave Faces Everyone” gehen sollte – Sänger Dylan Slocum betonte darin: “We’re mediocre / We’re losers forever”. Für alle Wegbegleiter wenig überraschend, zieht sich diese Thematik doch wie ein roter Faden durch das Schaffen der 2013 gegründeten Band, die das Vorgänger-Album übrigens zunächst “The Fear Of Being Normal” nennen wollte. So überrascht es auch nicht, dass der Album-Opener “Routine Pain” mit der gleichsam großartigen wie lakonischen und trivialen Zeile “On any given day I’m a 6/10” beginnt – sechs von zehn Punkten, das ist natürlich nicht ganz schlecht, aber auch nicht besonders gut, sondern eben: “mediocre”. So braucht es nur Sekunden um festzustellen: Der Weltschmerz hält Dylan Slocum und seine Spanish Love Songs weiter fest im Griff.

Was auf “Brave Faces Everyone” jedoch als neue Zutat dazukommt, ist zwar zaghafter, jedoch zum Teil fast schon versöhnlicher Optimismus (welchen man auch aus Slocums „Selbes sinkendes Schiff“-Zitat weiter oben herauslesen kann). Dieser zeigt sich in Songs wie dem grandiosen “Beachfront Property”, “Optimism (as a radical life choice)” oder „Self-Destruction (as a sensible career choice)“ sehr deutlich: „It won’t be this bleak forever / And I hope you’re right…“.

Obwohl sich im Bandsound – vom tieftraurigen Americana-Abschweif „Dolores“ einmal abgesehen – einmal mehr Punkrock-Brett an Punkrock-Brett reiht und somit all jenen gefallen dürfte, die auch schon Platten von The Gaslight Anthem, The Menzingers, The Smith Street Band, Hot Water Music, Against Me! oder – natürlich – Bruce Springsteen (dessen „Born To Run“ Slocum völlig zurecht verehrt, wie er verriet) in ihrer Sammlung haben, verändern Spanish Love Songs also ihre Sichtweise – weg von reiner Selbstbeobachtung und einer Menge Selbstkritik hin zu Blick auf das große Ganze. Immer wieder tauchen dabei Themen wie beispielsweise der Verlust einer geliebten Person („Generation Loss„), Klimawandel oder Konsumkritik auf, wenn Slocum entwaffnende Zeilen wie “Can’t even have my coffee without exploiting someone / Or making another millionaire a billionaire” singt. Und auch Kritik an dem heute so oft vorherrschenden Selbstoptimierungszwang beziehungsweise der tumben “Wir können alles sein und schaffen”-Mentalität bleibt ein wichtiger Pfeiler, wie die zweite Single “Kick” beweist: “Say ‘Keep your head up, if you’re not okay’ / But not okay is what’s expected”.

Spanish Love Songs zeigen auf ihrem dritten Langspieler, der übrigens von Gitarrist Kyle McAulay produziert wurde, wie wichtig es gerade in turbulenten, unsicheren Zeiten wie diesen ist, weniger zu urteilen, mehr Empathie zu zeigen – und auch einfach mal den Mund zu halten und zuzuhören. Dabei zeigt sich oft, dass positive wie negative Wendungen im Leben selten plötzlich und unerwartet passieren, dass es immer Zeichen gibt, auf die man achten, auf die man hören sollte. Dass eben niemand als rundum perfektes Sonnenscheinchen geboren wurde und alle unsere Fehler uns zu dem machen, was wir sind. Die zehn Songs dazu sind eine auf Tonträger gepresste Audio-Therapie, ein Dampfablassen ohne den Mund aufzumachen oder irgendetwas kaputthauen zu müssen. Selten (und schon gar nicht in diesem Jahr) hat sich ein Bad in süßer Melancholie, schmerzender Nostalgie und harter Selbstreflexion so gut, so erlösend angefühlt wie auf „Brave Faces Everyone“, mit dem Dylan Slocum, Kyle McAulay, Ruben Duarte, Trevor Dietrich und Meredith Van Woert weitaus mehr geschaffen haben als ein „Schmaltz 2.0“ und sich sogar noch dringlicher, noch hymnischer, noch melodiöser, noch mitreißender präsentieren – ein durchaus emotionaler Vollgastrip. Gut vierzig Minuten wie ein Gespräch nach einer extrem beschissenen Woche – dafür mit dem besten Freund bei ein paar Bier.

“Brave Faces Everyone” appelliert dabei daran, die Hoffnung nicht aufzugeben, egal wie mies es derzeit aussehen mag. „Wenn man etwas laut und lang genug singt,“ so Slocum, „finden die Leute hoffentlich etwas Frieden darin.“ Passend dazu endet der Titelsong ganz zum Schluss mit den Zeilen „We don’t have to fix everything at once / We were never broken, life’s just very long / Brave faces, everyone„.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Spanish Love Songs – „Kick“


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Erstes Jahreshighlight, ick hör‘ dir trapsen – Spanish Love Songs haben mit „Kick“ einen neuen Song veröffentlicht und mit diesem ihr kommendes Album angekündigt. Der Nachfolger zum vielerorts gefeierten „Schmaltz“ (welches auch bei ANEWFRIEND unter den liebsten Alben des Jahres 2018 landete) erscheint sogar schon bald…

0010744144_350Genauer gesagt: am 7. Februar. Nur genau einen Monat darf man sich also noch gedulden, dann erscheint mit „Brave Faces Everyone“ das dritte Studiowerk der US-Emo-Punkrocker aus Los Angeles. Dylan Slocum (Gesang, Gitarre), Kyle McAulay (Gitarre), Trevor Dietrich (Bass), Meredith Van Woert (Keyboard) und Ruben Duarte (Schlagzeug) hatten sich nach dem Release von „Schmaltz“ im März 2018 mit leidenschaftlichen Liveshows auch in Europa eine große Fangemeinde erspielt, unter anderem auf eigenen Headliner-Tourneen, mit Auftritten auf größeren Festivals, aber auch als Support von Bands wie Hot Water Music oder den Menzingers, mit denen sie noch diesen Monat live im deutschsprachigen Raum unterwegs sein werden (die Termine findet ihr weiter unten).

„Kick“ ist der erste eindrucksvolle Vorgeschmack auf das neue Album und verspricht, dass jenes nicht weniger erschütternd und euphorisch sein wird als sein Vorgänger. Jeder der zehn Songs auf „Brave Faces Everyone“ soll eine Geschichte von verschiedenen Protagonisten in kleinen Dörfern und großen Metropolen der USA erzählen. „Persönliche Skizzen und die allgemeine Lebensrealität der 2010er“ sollen die Stücke abbilden, immer vermischt mit den eigenen Erfahrungen von Sänger Dylan Slocum.

„Es ist tröstend zu wissen, dass wir uns alle auf dem selben sinkenden Schiff befinden“, so der Frontmann. „Wir wollen uns das mit dem Album eingestehen und die Welt damit ein kleines bisschen erträglicher machen, auch wenn es nur für 40 Minuten ist.“

 

„THIS ALBUM IS US HONING IN ON WHAT WE THINK MAKES OUR BAND RESONATE WITH PEOPLE – NAMELY, THE FEELING THAT YOU’RE NOT ALONE. THESE ARE SONGS ABOUT LOOKING OUTWARD AND FINDING THAT, FOR ALL OUR DIFFERENCES, MOST OF US ARE JUST TRYING TO GET BY AS THE WORLD IS GOING TO HELL AROUND US. WE DON’T HAVE ANY GRAND AMBITIONS BEYOND THAT – WE JUST WANT PEOPLE TO FEEL ACKNOWLEDGED. THERE’S COMFORT IN KNOWING WE’RE ON THE SAME SINKING SHIP. WE WANT THE ALBUM TO BE A KNOWING NOD AND A WAY TO MAKE THE WORLD A SLIGHTLY MORE BEARABLE, EVEN IF IT’S JUST FOR 40 MINUTES.“

(Dylan Slocum)

–Tracklist–

01. Routine Pain
02. Self-Destruction
03. Generation Loss
04. Kick
05. Beach Front Property
06. Losers
07. Optimism
08. Losers 2
09. Dolores
10. Brave Faces, Everyone

 

 

–The Menzingers + Spanish Love Songs + Mannequin Pussy live–

25.01. Hamburg – Gruenspan
26.01. Berlin – Bi Nuu
28.01. Wien – Wuk
29.01. Zürich – Dynamo
30.01. Stuttgart – Universum
31.01. München – Technikum
01.02. Köln – Kantine

 

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick – Teil 1


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Was für Musik braucht man in einem Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader wild pocht und der ganze gerechte Zorn auf die Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass alles schon besser werden wird – irgendwann, irgendwie. Und auch solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt, und einen – im besten Fall – alles andere – das Gute wie Schlechte – für Momente vergessen lässt. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meiner Bestenliste der persönlich tollsten Alben des Musikjahres 2018 einmal mehr wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr. Bühne frei und Vorhang auf für ANEWFRIENDs Alben des Jahres!

 

 

cursive_virtiola.jpg1.  Cursive – Vitriola

So sehr ich Tim Kasher für nicht wenige Diskografie-Glanzlichter (angefangen bei Cursive bis hin zur Zweitband The Good Life und den Solo-Werken) schätze, aber: Wirkliche Erwartungen – im Positiven – hatte ich zuletzt kaum noch. Dafür war vor allem das letzte, 2015 erschiene The-Good-Life-Album „Everybody’s Coming Down“ einfach zu mies, und auch die 2013 beziehungsweise 2017 veröffentlichten letzten Alleingänge „Adult Film“ und „No Resolution“ waren zwar mit einigen Ausnahmesongs gesegnet, verschwanden allerdings schnell wieder in den hinteren Ecken des (digitalen) Plattenregals.

Dass es also Cursive, Tim Kashers bereits seit den Neunzigern bestehende Alle-Jubeljahre-wieder-Stammformation, heraus reißen würde, darauf durfte man auch kaum vertrauen, schließlich konnten dort weder „Mama, I’m Swollen“ (2009) noch das im großen Stil gescheiterte „I Am Gemini“ (2012)  mit der Intensität von „The Ugly Organ“ oder dem kalkulierten Wahnwitz von „Happy Hollow“ mithalten. Warum also sollte ausgerechnet „Vitriola“, Cursives erstes wirkliches Lebenszeichen seit geschlagenen sechs Jahren, da auf überzeugenderen Schienen unterwegs sein?

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Nun, zunächst einmal, weil mit Tim Kasher, Matt Maginn, Ted Stevens, Clint Schnase sowie Co-Produzent Mike Mogis – erstmals seit „Happy Hollow“ und zwölf Jahren –  Cursives bewährte Stammformation wieder an Bord ist. Und auch, und das wiederum erstmalig seit „The Ugly Organ“ und immerhin 15 Lenzen: das Cello ist zurück! Und ebenjenes füllt gleich einmal jede Ecke und Kante der zehn Albumstücke aus. Und wie! Bei aller Ruppigkeit gelingt es Kasher und Co. derart fulminant, ihr einmal mehr einem Cursive-Album zugrunde liegendes hochtrabendes Konzept (diesmal arbeitet sie sich am Existenzialismus ab, der in Richtung Nihilismus, mal hin zu dystopischer Verzweiflung abwandert und von der Art und Weise erzählt, wie die Gesellschaft, ähnlich wie ein Schriftsteller, einerseits im Eifer erschafft, andererseits jedoch auch – sich selbst – zerstört) an die Hörerschaft zu bringen, dass man kaum mehr indierockende Zeitgeist-Kritik von irgendeiner anderen Band erwarten kann. Diese Songs sind pissed, sind angewidert, sind unzufrieden. Ganz gleich, ob, wie in „Under The Rainbow“ Unruhe in Wut überschwappt, die die Selbstzufriedenheit der privilegierten Klassen anklagt, sich im großartigen „It’s Gonna Hurt“, das Klimax über Klimax über Klimax schraubt, Trauer Bahnen bricht, in „Life Savings“ Geldgier und Konsumhörigkeit vor die Flinte laufen, oder, wie etwa im Abschluss „Noble Soldier / Dystopian Lament“, ein eindringlicher Blick auf einen möglichen gesellschaftlichen Kollaps geworfen wird, der wenig Hoffnung bietet, aber versucht Schönheit und Schrecken auf dem Kopf einer Nadel auszubalancieren. Und so wunderbar kaputte Schrammelorgien wie etwa „Ghost Writer“ können ohnehin nicht viele verfassen…

Natürlich darf man auch 2018 keinen zugänglichen Radiopop von Cursive erwarten – warum auch? Die Welt ist keine gute, der Mensch darin im Zweifel dem anderen gegenüber kaum selten feindsinnig gestimmt, und oft genug nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Tim Kasher spricht all das in so einigen feinsinnig-bissigen Alltagsbeobachtungen offen genug an. Und das tönt auch wegen Megan Siebes fast omnipräsentem Cello so kraftvoll wie gefühlt noch nie im Cursive’schen Klangkosmos… So famos wie kaum etwas anderes 2018, und deshalb meine liebste Platte!

 

 

mastersystem_dancemusic2.  Mastersystem – Dance Music

Dass „Dance Music“ Scott Hutchisons Abschiedsgeschenk an die stetig wachsende Hörerschar des umtriebigen Frightened-Rabbit-Frontmanns werden würde, konnte – wenn überhaupt, denn all das gehört freilich ins Reich der Spekulationen – wohl nur er selbst ahnen. Trotzdem bleibt es dabei: Scott Hutchison ist tot. For fuck’s sake, damnit! Und dieses gemeinsam mit befreundeten Musikern aus Kapellen wie den Editors oder Minor Victories aufgenommene Album einhält daher die wohl sinnlosesten Abschiedszeilen des Musikjahres. Sind sie großartig, diese Songs? Zur Hölle, ja! Würde ich sie eintauschen für ein paar von Scott verfasste Worte, in denen er – gesund, lebend und bester Dinge – von den Aufnahmen eines Nachfolgers zum nun auch finalen 2016er Frightened-Rabbit-Album „Painting Of A Panic Attack“ schreibt? Zu gern, zu gern…

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restorations_lp5000.jpg3.  Restorations – LP5000

Ganz ehrlich: Plattencover des Jahres, mit Abstand. Dass auch die – leider: nur – sieben Songs von „LP5000“ zu überzeugen wissen, spricht für die stetige Entwicklung von Restorations. Dass die fünfköpfige Indierock-Band aus dem US-amerikanischen Philadelphia, Pennsylvania auch mit Album Nummer vier nicht unter „Geheimtipp“ für Freunde von Referenzbands wie The Gaslight Anthem, The Hold Steady, Hot Water Music, Jimmy Eat World oder den Get Up Kids verbucht werden darf, ist da eigentlich eine Schande, denn toll ist auch 2018 jede neue Albumnote. 

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yellowknife_retain4.  Yellowknife – Retain

„Grundsympathischer Indierock wie um die Jahrtausendwende herum – schroff, direkt und unaufdringlich. Kribbelt. Rockt. Macht Laune. Umarmt.“ Besser als diese zehn Songs aus der Feder von Tobias „Tobi“ Mösch und seinem Band gewordenen Wohnzimmer-Projekt Yellowknife ist dies 2018 in Indienrock-Deutschland keiner anderen Band geglückt. Macht zuckerfrei süchtig. Da kannste eigentlich nur kritisieren, dass bereits nach 35 Minuten der Finger einmal mehr auf die Repeat-Taste wandern muss…

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william_fitzsimmons_missionbell5.  William Fitzsimmons – Mission Bell

Würde man versuchen, die Biografie von William Fitzsimmons zu verfilmen, das Ergebnis würde wohl fast schon zwangsläufig zu einem kitschigen Zelluloid-Melodram verkommen (oder wahlweise zu einer vor Pathos triefenden Prime-Time-Telenovela). Und auch, wenn man sich bei einem Urteil wie diesem ein klein wenig wie ein schlechter Mensch fühlt, aber: Der 40-jährige grundsympathisch-herzliche US-Singer/Songwriter ist immer dann besonders gut, wenn es um das Vertonen seiner eigenen Schicksalsschläge geht. Und davon hat Studiowerk Nummer sieben, „Mission Bell“ so Einige zu bieten. Manchmal mag’s so sehr zu Herzen gehen, dass sich Kuschelplümo und Kakao fast von selbst erwärmen. Ach, William… ♡

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exre_exre.jpg6.  Ex:Re – Ex:Re

„“Ex:Re“ ist ein Trennungsalbum, wie es auch schon die Daughter-Vorgänger waren, eine Sammlung an Tipps zum Verkraften und Überleben, eine Anleitung zum Alleinsein. Eine Art Tagebuch, in das man nur nachts schreibt, wenn der Kummer einem den Schlaf raubt.“ wie Jennifer Deiner in ihrer plattentests.de-Rezension zum Solo-Debüt von Daughter-Frontfrau Elena Tonra schreibt. Klar sind die zehn darauf dem Herzschmerz abgerungenen Stücke durch und durch traurig, schonungslos offen und unheimlich direkt – allerdings auch weit weg davon, wirklich trostlos zu sein. „When you sheltered yourself and / Cut off the phone / Well, I knew then / You weren’t hurt / You’de forgotten / How to love“ heißt es zwar im abschließenden, bitteren „My Heart“. Trotzdem legen sich die meisten Songs wie eine düster glimmende nächtliche Decke um den Hörer, und lassen ihn wissen: Du bist nicht allein.

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pianosbecometheteeth_waitforlove.jpg7.  Pianos Become The Teeth – Wait For Love

Der Album-Vorgänger „Keep You“ war 2014 noch auf dem Treppchen zu ANEWFRIENDs „Platten des Jahres“, „Wait For Love“ schafft es 2018 zumindest in die Top Ten. Und das auch völlig zu recht für Pianos Become The Teeth. Denn obwohl das Quintett aus dem US-amerikanischen Baltimore, Maryland Note für Note immer weiter das Post-Hardcore-Gewand der wütenden ersten beiden Werke „Old Pride“ und „The Lack Long After“ abstreift, um seine Songs hin zum mittlerweile sehr melodisch-melancholischen Indierock zu öffnen, tut dies der Spannung keinen Abbruch. Denn vor allem die Stimme von Kyle Durfey ist viel zu großartig, um als Schreihals im nächsten juvenilen Moshpit zu verenden. Und wie hieß es doch im 2013 erschienenen Song „Hiding“ (welcher an sich bereits die formvollendete Richtungskorrektur vorweg nahm): „You can’t stay angry forever, or so I’m told…“

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Quiet-Slang-Everything-Matters-But-No-One-Is-Listening-700x700.jpg8.  Quiet Slang – Everything Matters But No One Is Listening

Beach-Slang-Frontmann James Alex nimmt sich den ein oder anderen Song seiner Stammband noch einmal vor – und stimmt diese dann eine ganze Ecke leiser an. Passenderweise als Quiet Slang. „Insgesamt scheint die Idee von Beach Slang-Frontmann James Alex, als Quiet Slang mit einer intim(er)en Variante seiner Hauptband an den Start zu gehen, eine durchaus brillante zu sein, schließlich kommt sein herrlich ungeschliffen-raues Organ zu Piano, Akustischer und Streichern nun voller zur Geltung.“ Absolut. Und alle, die befürchten, dass Beach Slang nun deshalb in der Versenkung verschwinden würden, seien beruhigt: Diese Album gewordene Verschnaufpause scheint James Alex genügt zu haben, denn bald schon soll es wieder neue Beach-Slang-Songs zu hören geben…

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slothrust_thepact9.  Slothrust – The Pact

Gäbe es einen J-Mascis-Gedächtnis-Award für den bloßen Versuch, ein feinsäuberlich durchgegniedeltes Gitarrensolo in möglichst JEDEM Indierock-Song unter zu bringen, so wären Slothrust hierfür die wohl sichersten Anwärter des Musikjahres 2018. Denn für das Trio aus Boston, Massachusetts scheint es ein Leichtes zu sein, ein Solo in eben nahezu jedem der zwölf Stücke von Album Nummer vier, „The Pact“, zu platzieren. Kann nerven? Kann aber auch recht geil sein. Dafür sorgt auch die stilistische Melange, durch welche sich Leah Wellbaum, Kyle Bann und Will Gorin mittlerweile recht leichtfüßig bewegen. War „Everyone Else“, der 2016 erschienene Albumvorgänger, noch ein einziger tiefer Flanellhemd-Knicks vor der Grunge-Ära, so tauchen die Songs des Dreiergespanns mittlerweile ohne jegliche Berührungsängste auch in Indiepop- oder Alt.Country-Gefilde ab und schrecken auch vor subtilen Synthie-Streichern oder einem Jazz-Saxophon-Solo (!) nicht zurück. Macht mächtig Laune, das Ganze! And this year’s J-Mascis-Gedächtnis-Award goes to…

 

 

clueso_handgepäck.jpg10.  Clueso – Handgepäck I

Wie meinte ich noch im August: „Ist halt ein Guter, der Cluesen.“ Das hat sich freilich auf im Verlauf der letzten Monate kaum geändert. Und allen, für die der Pop auf den letzten Nummer-Eins-Alben des gebürtigen Erfurters Überhand nahm, bietet Clueso auf „Handgepäck I“ eine – Outtakes hin, Album-Überbleibsel her – in sich stimmige Sammlung meist akustisch-reduzierter Songs an, über denen – zumindest, wenn’s nach mir geht – seine Neuinterpretation des Puhdys-Klassikers „Wenn ein Mensch lebt“ thront…

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…und auf den weiteren Plätzen:

Boygenius – Boygenius EP mehr…

Hannes Wittmer – Das große Spektakel mehr…

Spanish Love Songs – Schmaltz

Foxing – Nearer My God

We Were Promised Jetpacks – The More I Sleep The Less I Dream mehr…

 

 

Persönliche Enttäuschungen 2017:

adam-angst-neintology.jpgAdam Angst – Neintology

Das selbstbetitelte Debüt war 2015 noch ANEWFRIENDs „Album des Jahres“, der „Neintology“ genannte (und aufgrund des auch heute noch famosen Vorgängers konsequenterweise selig erwartete) Nachfolger jedoch lief bei mir seit Veröffentlichung im September geschätzte zwei, drei Mal. Was also ist passiert? Adam, du machst mir Angst! Adam, wir haben wohl Redebedarf…

Eine der großen Stärken des Debütalbums war noch, dass Frontmann Felix Schönfuss und seine Band Dinge klar – und meist darbst angepisst – beim Namen nannten, Problemkarten offen auf den Tresen der Indierock-Spelunke legten – und daraus ordentliche Punkrock-Songs mit eingebauter Repeat-Taste klöppelten. Drei Jahre später sind die Zeiten, und freilich auch die Gesellschaft um die Band herum, kaum besser, trotzdem gelingt es Schönfuss und seinen Mit-Adam-Ängsten nur recht selten, den Funken (erneut) überspringen zu lassen. Der vermeintliche Technologie-Horror von „Alexa“ mag zwar im ersten Moment witzig erscheinen, ist jedoch arg überformuliert. Der Protektionismus-Abgesang „Blase aus Beton“ geht in Ordnung, stinkt letztendlich jedoch gegen fast jedes Stück des Vorgängers mächtig ab. „Kriegsgebiet“ arbeitet sich zu tobenden Riffs und drückenden Drums an allerlei Erste-Welt-Problemen ab (das wusste die Band 2015 mit „Splitter von Granaten“ noch weitaus besser hinzubekommen). Beinahe der einzige Lichtblick: „Alphatier“. Dieser beschäftigt sich in der Ich-Perspektive mit dem Coming Of Age einer Transperson und ermuntert diese schlussendlich zum Coming Out. Offenbar hat sich das Quinitett die Kritik, die es in „Punk“ ironisch vorweg formuliert, am Ende tatsächlich zu Herzen genommen: Zu smart, musikalisch zu unkomplex. Weiterskippen statt auf Repeat zu hämmern. 2018 wandeln Adam Angst bestenfalls auf etwas blassem Ärzte- und/oder Farin-Urlaub-Niveau (ohne es despektierlich zu meinen, aber auch Champions und Europa League sind ja zwei verschiedene Ligen). Das Debüt spuckt noch heute Gift und Galle, das hier tut leider niemandem mehr weh. Böse Zungen würden nun darauf verweisen, dass Frontmann Felix Schönfuss in diesem Fall zum ersten Mal ein zweites Album mit einer seiner Bands (in der Vergangenheit etwa Escapado oder Frau Potz) abgeliefert hat, und dieses ja in der Vergangenheit „aus Gründen“ vermied. Nach einem Meilenstein-Schuss ist wohl stets Schluss? Ich erbitte Besserung!

 

 

aperfectcircle_eattheelephantA Perfect Circle – Eat The Elephant

Zunächst einmal ist es toll, dass sich Maynard James Keenan und Kompagnon Billy Howerdel nach schlappen 14 Jahren tatsächlich mit einem neuen A Perfect Circle-Langspieler zurück melden. Klar, gerade Keenan lag in der Zwischenzeit mit seiner Weinbau-Passion, seinem etwas umtriebigeren (und ab und an arg spleenig-ambitionierten) Band-Projekt Puscifer sowie neuerdings wieder Tool (deren Nachfolger zum 2006er Album „10,000 Days“ längst zum weltgrößten musikalischen Treppenwitz taugt) kaum auf der faulen Haut. Und gerade deshalb schien ein Nachfolger zum 2004 veröffentlichten Album „eMOTIVE“ nicht eben wahrscheinlich. Wer’s anders sieht, dem seinen mal eben die damaligen Randbedingungen vor Augen geführt, erschien dieses doch am 1. November, und damit einen Tag vor den damaligen US-Präsidentschaftswahlen, bei denen ein gewisser George W. Bush im Amt bestätigt wurde. Danach folgten zwei Amtszeiten von Barack Obama, dem wiederum ein mit dem Goldlöffel aufgezogener, tumbdreist daher plappernder ehemaligen Reality-TV-Show-Star im vermeintlich höchsten Amt der US of A nachfolgte. Die Welt hat sich also seit dem dritten Langspielwerk kaum zum Besseren gewandelt. Bühne frei für neue Songs von Keenan, Howerdel und Co., die sich auch in der Vergangenheit kaum mit Kritik zurück hielten, also?

Nun so einfach ist’s kaum. Natürlich hat die Band in all den Jahren kaum ihre Trademarks, die einerseits von Maynard James Keenan markanter Stimme, andererseits von Billy Howerdels filigranem Gitarrenspiel, welches in Alternative-Rock-Songs mündet, die wiederum beständig im Spannungsfeld zwischen Melancholie und Eruption hin und her mäandern, über Bord geworfen – man höre nur das großartige „Features“! Natürlich gibt es auch 2018 zeitgeistige Sozialkritik, wie etwa im feinen Holzhämmerchen „Disillusioned“. Das Problem mit der Rückkehr von A Perfect Circle ist vielmehr, dass „Eat The Elephant“ zu viel will (und, wie etwa beim fast schon grotesk poppigen „So Long, And Thanks For All The Fish“, auch wagt), dem – freilich einmal mehr schön konzeptuierten -Ganzen jedoch wenig wirkliche Substanz, arg viel oberflächlichen Inhalt entgegen stellt. So verkommt ein Großteil der Stücke auf „Eat The Elephant“ zu einer Mogelverpackung á la Hollywood, gegen die es gerade noch selbst gewettert hat, und wäre – zusammen gedampft auf eine EP – wohl potentiell größer rausgekommen…

 

 

Die Entdeckung des Musikjahres: 

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Soup

Der Bandname? Der wohl nichtssagendste, fast schon schwachsinnigste seit Langem. Die Band selbst? Ein echter Geheimtipp, bei dem selbst ich mich frage, wieso gerade die so lange an mir vorbei musizieren konnten…

Denn vor allem die letzten beiden Studioalben von Soup – die großartigen „The Beauty Of Our Youth“ (2013) und „Remedies“ (2017) – bieten eine wunderbar zusammen gewürfelte Melange aus so Vielem: Kopfkino-Postrock von Größen wie Godspeed You! Black Emperor, Sigur Rós oder Mogwai, psychedelischer Seventies-Rock der Duftmarke Pink Floyd, an manchen Ecken lugen gar Genesis, Steven Wilson, Opeth oder Motorpsycho hervor. Dass der Fünfer aus dem norwegischen Trondheim aus all diesem potentiellen Referenzen tolle Alben (bei den genannten saß wiederum nicht grundlos Mogwai-Mischer Paul Savage hinter den Studioreglern) zimmert, macht das Endergebnis nur noch umso erstaunlicher, sodass man beinahe gewillt ist, dem Promotext unumwunden zuzustimmen: „‘The Beauty Of Our Youth‘ ist ein Album, das gekonnt die Schönheit der Landschaft widerspiegelt und ein Manifest nordischer Melancholie zu sein scheint, auferstanden aus moosigen Wäldern, durch nebelige Berge streifend, um letztendlich in der rauen See zu versinken. Dynamisch, aufregend und entspannend zugleich.“

Verschroben-verschwurbelte Naturromantik trifft also auf die gaaaaanz große Artrock-Palette? Mag sein, ja. Klingt jedoch großartig genug, um Soup – dämlicher Bandname hin oder her – endlich zu mehr als nur einem Geheimtipp-Status gratulieren zu wollen…

Übrigens: Wer wissen mag, ob Erlend Aastad Viken, Ørjan Langnes, Jan Tore Megård, Pål Ramsøy-Halle und Espen Berge ihre große Studio-Show auch auf die Konzertbühnen transportieren können, dem sei etwa die kürzlich erschienene (und leider nur fünf Songs kurze) Live-Konserve „Live Cuts“ ans Hörerherz gelegt.

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
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