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Das Album der Woche


Arab Strap – As Days Get Dark (2021)

-erschienen bei Rock Action/PIAS/Rough Trade-

Achtung, die schlecht gelaunten Männer sind zurück – älter, bärtiger und grimmiger als je zuvor: 2005 (und all die Jahre darauf, bis heute) glaubte man, Aidan Moffat und Malcolm Middleton hätten sich mit ihrem Album „The Last Romance“ ein letztes, hinreißend misanthropisches Denkmal gesetzt. Doch jetzt haben sich die beiden schottischen Musiker noch mal ins Studio geschleppt. Zusammen mit Drummer und Band-Intimus Paul Savage, der 1996 schon das Debüt von Arab Strap produziert hatte, ist ihnen – recht unerwartet, aber so ist’s ja oft – ihr zugleich vielleicht bestes, fiesestes und feinfühligstes Album gelungen. Ein verblüffendes Comeback zur richtigen Zeit, bei dem auch der Titel wie die trunkene Faust aufs müde Auge passt, denn wenn die Tage dunkler werden, gibt es schließlich mehr herunterbekommende Verstecke für Arab Straps schattige Geschäfte. Daran haben auch die 15 Jahre Abstinenz des Duos, welches sich zuzeiten ihrer Gründung 1995 nach einem Sexspielzeug für den Herrn gebannte, nichts geändert.

Und mal ehrlich: Was braucht man in diesen Tagen des Corona-bedingten Grollbürgertums und der allerorten grassierenden Lockdown-Melancholie dringender als Pop, der einen in den düstersten Winkeln der eigenen Mickrigkeit abholt? Der einem beim sauertöpfischen Aufstoßen niederster Triebe im Homeoffice-Geschlumpfe ertappt, umarmt und zum erlösenden Sicherheitsabstandstänzchen bittet: Ist schon okay, wir sind alle mies drauf, schmoren alle im eigenen, stinkenden Saft… Wie unendlich tröstlich. Aye.

Fotos: Promo / Kat Gollack

Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet Sänger und Songwriter Aidan Moffat gleich im ersten, sanft schubsenden Song „The Turning Of Our Bones“ zum Salsa-Rave und zum Ausschütteln der morschen Knochen auffordert. Das Stück pumpt und klappert wie ein Voodoo-Tanz im schottischen Hochmoor, bis die unterm Morast vergrabenen Toten wenigstens eine beinharte Erektion bekommen. Hatte er nicht gerade noch, vor schlappen 17 Jahren, im ähnlich sinisteren „Don’t Ask Me To Dance„, ebensolche Animationsversuche verdammt? Na ja… fuck it, mate – man wird älter.

Aber nicht milder: „I don’t give a fuck about the past, our glory days gone by / All I care about right now is that wee mole inside your thigh“, deklamiert Moffat, mittlerweile 47 Lenze alt, sichtlich ergraut und mehrfacher Familienvater, im ungehobelten Falkirk-Dialekt, als wäre er Leonard Cohens zynischer kleiner Saufbruder aus dem Norden: sexfixiert, desillusioniert, moralisch korrumpiert, jedoch ohne die abfedernde Frömmigkeit und heilige Wucht von Cohen oder Nick Cave. Bei Moffat und Middleton, die in den späten Neunzigern so etwas wie den Soundtrack zur „Generation Trainspotting“ – keine Romantik, bloß keine Herzscheiße und als solches ein ätzendes Gegenmittel zum gockelnden Brit-Pop-Gewese jener Zeit – lieferten und nach dem zwischenzeitlichen Ende von Arab Strap jeder für sich kleine Indie-Solokarrieren starteten, taten die vom Bodensatz des Lebens gekratzten Wahrheiten schon immer eine wenig mehr weh.

Zum Beispiel in „Another Clockwork Day“, einer Akustikballade, die davon handelt, wie ein sentimentaler Tropf zu alten, pixeligen Erotik-JPGs in den geheimen Ordnern auf seiner Festplatte masturbiert, während seine Frau nebenan leise schnarcht. Es geht um den Verfall des männlichen Körpers in diesen lakonisch humorvollen Geschichten, um das Aufbäumen der Libido, Viagra, Selbstekel – critical oldness, wenn man so will. Was will man auch, irgendwo inmitten der großstädtischen Anonymität und jenseits der Vierzig, noch groß erwarten? Well, for fuck’s sake: Eine Rollo-runter-Atmosphäre aus schlechtem Sex, billigem Alkohol und deftigem Schämkater, für die das Duo seit jeher in Fan-Kreisen so geschätzt wird. Und 2021 endlich ein paar neue traurige Geschichten über kaputte Orte, gescheiterte Träume, verzweifelte Menschen liefert – und natürlich immer wieder über die beschissene Liebe und das trostlose Leben, die aus Sicht von Arab Strap ungefähr gleichermaßen ernüchternd daherkommen.

Die elf neuen Songs, welche sich um die ewig kreisenden Gitarren-Loops Middletons herum aufbauen, diesmal jedoch auch mit apokalyptischem Streicher-Schwirren und fiesem Saxofon-Drama ausgeschmückt werden, treiben den geneigten Zuhörer ein ums andere Mal durch Quälgeisterstunden. Klare Sache: Arab Strap sind, immer noch, Meister des heiteren Nihilismus und schwitzigen Unbehagens auf dem Kaschemmen-Dancefloor. Ihr Sound, irgendwo im Halbdunkel zwischen Mogwai-Post-Rock, Indietronica und Slowcore, ist auch 2021 mehr denn je einzigartig im Limbo zwischen Nervosität und Lethargie. Wie Folk gewordene Joy Division aus den Highlands, abzüglich des gefrorenen Pathos.

„Bluebird“, noch so eine elektronisch zittrige Moritat, erzählt vom gemeinen Schwarzmilan, der in Großbritannien fäkalistisch „Shite-hawk“ genannt wird, ein unsympathischer Greifvogel, der seiner Beute nachts in den Büschen auflauert. Ein waschechter Kackvogel also, aus dessen Perspektive Moffat alles schön schwarzmalt: „Ich will deine Liebe nicht, ich brauche sie“, bringt er die Notgeilheit in einer depravierten Welt auf den Punkt; Sex ja, aber bloß niemalsnie keine Zuneigung: „Give me your love, don’t love me“. Wir reden mit niemandem und allen, wir ratschen mit Geistern in Computerfenstern, philosophiert Moffat, der grummelige Crooner, dieser versierte Geschichtenerzähler mit großer Beobachtungsgabe fürs Alltäglich-abgründige und Profan-widrige, über die allgemeine Zoom-Entfremdung (sowieso schon und unter Corona-Bedingungen besonders), um – vielleicht etwas zu banal – im Existenziellen zu landen: „And who are you anyway? Who am I anyway? Does anybody care?“

In „Tears On Tour“ nimmt das Glaswegian Duo sein eigenes Image als sauertöpfische Trauerklöße aufs Korn, das wundervoll betitelte „Kebabylon“ ist eine Ode an die Schönheit im schottischen Schmutz. Nicht ganz so stark ist die zweite Hälfte des Albums: „Here Comes Comus!“ und „I Was Once A Weak Man“ sind Porträts von Unholden, die man sich auch als Single-B-Seiten vorstellen könnte, die „Fable Of The Urban Fox“ eine politische Folk-Allegorie über Fremdenfeindlichkeit (in der jedoch ausnahmsweise mehr Menschenliebe als Selbstverachtung mitschwingt). Aber dann ist da eben noch „Sleeper“, so etwas wie das schottische „Hotel California“ auf Schienen, eine albtraumhaft-hypnotische Horrorgeschichte, die mit ihrem Gefühl der Heimatlosigkeit durchaus Lust auf mehr in ähnlicher Tonart macht. 

Der Cringe-Faktor dieser Männer, die mit unbarmherzigem Blick auf das letzte Zucken ihrer schwindenden Virilität starren, ist hoch, aber auch heilsam und kathartisch. Zumindest, aber nicht nur, für Angehörige derselben Alterskohorte. Those lads are fucking back, aye! Und ringen ihren großstädtischen Odysseen zwischen Flaschen- und Körperöffnungen auch auf „As Days Get Dark“ das höchste Maß akustischer Poesie ab.

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Circus Trees


Foto: via Bandcamp

Mit dem Alter ist’s immer so eine Sache. Denn in der Tat waren viele große Talente noch ziemlich jung, als sie ihre ersten wichtigen Alben aufnahmen. Kurt Cobain ist 22 Jahre alt, als das Nirvana-Debüt „Bleach“ erscheint. Paul McCartney ist 21, als die Beatles anno 1963 ihr Erstlingsalbum veröffentlichen. Robert Plant ist noch 20, als Led Zeppelins monumentales erstes Werk erscheint. Und Gitarrist John Frusciante gerade einmal zarte 19 Lenze, als er mit den Red Hot Chili Peppers „Mother’s Milk“ an den Start bringt.

Darüber können die drei Schwestern hinter Circus Trees, Giuliana, Finola und Edmee McCarthy, wohl nur milde lächeln, schließlich sind sie 18, 16 und 14 Jahre jung, und können trotzdem bereits jetzt auf die ein oder andere Erfahrung im Haifischbecken Musikgeschäft zurückblicken. Schon bemerkenswert? Türlich, türlich! Noch erstaunlicher ist jedoch, dass ihr Debütalbum „Delusions„, welches im vergangenen August erschien, dabei nicht einmal das erste Material des Trios aus Marlborough, Massachusetts ist. Bereits die EP „Sakura“ von 2019 war ein starkes Ausrufezeichen, mal abgesehen vom 8:20 Minuten langen ersten Song „Floating Still“ von 2018 (aufgenommen von Jay Maas von Defeater) – da war das familiäre Dreiergespann 16, 14 und 12! Und bereits jenes Stück enthält im Grunde alles, was die Newcomer-Band so stark macht: erschütternde Traurig- und Ernsthaftigkeit sowie ein dramaturgisch ausgeklügeltes Gespür, über die lange Strecke mit lauten und leisen Passagen zu fesseln. Sie nennen es selbst Sadcore – und haben damit vor einer ganzen Weile bereits Szene-Größen wie Caspian überzeugt, für die sie in Boston eröffnen sollten, hätte ihnen nicht COVID-19 einen Strich durch die Tour-Planung gemacht. Dafür teilten sie bereits die Bühnen mit Bands wie O’Brother, Holy Fawn oder Spotlights – ebenso amtlich.

Eventuell liegt ein Teil des Erfolgsgeheimnisses von Circus Trees ja in den durch und durch familiären Strukturen: So erschien das Debüt über Five By Two Records, einem Label, das mit Robert McCarthy der Vater der Musikerinnen betreut – ein ehemaliges Punk-Kid, das in der Tech-Industrie zu Geld gekommen ist und sich von der Arbeit zurückgezogen hat, um sich voll und ganz um die Band seiner Töchter und ihre Kreativunternehmungen zu kümmern. Der ältere Bruder Eoghan, selbst Musiker, und der jüngste, Declan, helfen als Roadies bei den Shows mit. Was jedoch unterm Strich zählt, sind natürlich die vier- bis achtminütigen Songs von Circus Tree, die mal melancholisch-introspektiv, mal laut sind, die mal walzen und mal zart fließen, als würden Songwriterinnen wie Julien Baker oder Emma Ruth Rundle den Shoegaze-Metal-Helden Hum als Sängerin(nen) vorstehen.

Dennoch wollen Finola, Giuliana und Edmee McCarthy keinen Welpenschutz, kein gönnerhaftes Schulterklopfen und erst recht keinen Außenseiterbonus – und „Delusions“ ist passenderweise genau das Biest von einem Album geworden, das seinem Publikum dieses Ansinnen auch recht unmißverständlich einhämmert. Die Schrottkarren vom Cover geben einen ersten Ausblick auf die Musik, die nach einem kurzen gesprochenen Snippet mit „Wasted Air“ beginnt. Ein skandinavisch anmutender, bleischwerer Gitarrenschleier wird kurz für Finolas jetzt schon abgeklärt wirkenden Gesang geöffnet, dann bekommen wir es mit dem Schlagzeug zu tun. Circus Trees haben die Laut-leise-Dynamik des Post Rock verinnerlicht, spielen ihren atmosphärischen Slowcore hart und heftig wie eine erfahrene Doom-Metal-Band und arrangieren die sechs teils mehrgliedrigen Songs auch noch souverän durch. Im Gegensatz zur 2019er EP neigt „Delusions“ bereits zur Verfeinerung dieses überraschend brachialen Sounds. Bestes Beispiel ist etwa das siebenminütige „Breath“, welches ganze Klanglandschaften und eine komplette Palette von windstillen wie stürmischen Klangwelten durchmisst. „Wir machen Musik, die nicht zu unserem Alter, unserem Geschlecht oder unseren Lebensumständen passt“, lässt die Band dazu ausrichten. „Wir sind jung, wir sind Schwestern, wir verbringen unser Leben in der Vorstadtwüste.“ Extrem persönlich sei das Album geworden, besessen von „Schmerz, Trauer und Verlust“, eine emotionale Fallhöhe, die sich beim Hören auch ohne konkretes Insider-Wissen vermittelt. „Was kann man als pausbäckiger Teenager schon Dramatisches erlebt haben?“, mag der Zyniker fragen – nun, für die Antwort(en) kann man sich in der Regel bei so gut wie jedem Teenager dies- wie jenseits des Atlantiks erkundigen… Oder man kann die sechs Songs dieses verblüffenden Debüts auflegen, in denen gefühlt einmal alle drei Minuten die juvenile Welt untergeht, nur um dann kraftvoll, nass geschwitzt und vor Selbstbewusstsein strotzend wiedergeboren zu werden. Die Vorstadtwüste hat bei der (Ver)Formung junger angepisster Menschen jedenfalls wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Jugend forscht? Jugend tönt forsch!

Hier gibt’s das Debütalbum „Delusions“ im Stream…

…sowie Musikvideos zu „Wasted Air“…

…und „Confronting Time“:

Rock and Roll.

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