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Song des Tages: Sløtface – „Telepathetic“


Foto: Promo / Jonathan Vivaas Kise

Junge Menschen treibt heutzutage vieles umher – der Klima-Wandel oder zunehmende Rechtsruck-Tendenzen etwa. Hinzu kommen das Zurechtfinden in einer sich immer schneller wandelnden Welt und scheinbar erwachsenen Lebenssituationen, zerbröselnde Liebesbeziehungen sowie die Planung der eigenen Zukunft. „Sorry For The Late Reply“, das bereits im Januar erschienene zweite Studioalbum der Indie-Punker Sløtface, schnappt sich für seinen Titel nicht nur eine Alltagsphrase, die den Zeitgeist junger Erwachsener griffiger kaum fassen könnte, sondern reißt in gleichem Zug eben jene Themenbereiche an, die diese Gesellschaftsgruppe scheinbar in den Wahnsinn zu treiben scheinen. All das packt die Band aus der norwegischen Küsten-Stadt Stavanger in eingängigen Indie-Punk-Rock, der sich an so einigen Stellen herrlich befreiend anfühlt und wohlmöglich auch bei „älteren Semestern“ den Wunsch hervorruft, tanzen zu wollen. Kurzum: Das nahezu perfekte Gitarrenalbum für die „Generation Y„.

Der Sound, den das Quartett um Sängerin Haley Shea auf dem Nachfolger zum 2017er Werk “Try Not To Freak Out” auffährt, ist dabei ebenso vielschichtig wie zumeist dezent poppig. Das mag zu großen Anteilen an Odd Martin Skålnes liegen, der etwa bereits an Sigrids Hit-Single „Don’t Kill My Vibe“ werkelte und der Band als Produzent zur Seite stand. Gleich das Eröffnungs-Dreiergespann aus „S.U.C.C.E.S.S.“, „Telepathetic“ und „Stuff“ setzt auf drei so schmissige Refrains, dass es fast schon frech erscheint, wie sehr sich die Songs bereits nach wenigen Durchgängen in den eigenen Kopf fressen. Die auf Hit getrimmte Ausarbeitung der Aufnahmen kommt gerade in den Strophen von „Stuff“ zur Geltung: Der Beat klingt nahezu programmiert, der Bass übernimmt in leicht angespactem Sound das Ruder und die Gitarre steuert zumeist lediglich kleine Blues-Licks bei. Solche Spielereien sind so banal, dass sie erst im Zusammenwirken mit den anderen drei Instrumenten ihre volle Durchschlagkraft entfalten.

Trotz aller Eingängigkeit sind die Songs im Kern und Herzen jedoch immer Punk. Das spiegelt sich freilich vor allem in den flotteren Stücken wider. So wird „Crying In Amsterdam“, bei dem flottes Tempo auf Lo-Fi-Produktion und Fuzz-Gitarren trifft, von einem elektrifizierenden „Yeah“-Ausruf eingeleitet und zieht das Tempo mit seiner knarzenden Bass-Line und flottem Beat alsbald entsprechend an. Der niedliche Garage-Rocker „Tap The Pack“ treibt wenige Minuten zuvor mit angecrunchten, in den richtigen Momenten aber knarzenden Gitarren befreiend nach vorn. Auch fein: „Nancy Drew“ mit seinem Death From Above-Bass. Dabei versieht die Band ihre Songs stets immer mit einem Fünkchen Pop à la Ash, The Wannadies oder Green Day.

Auch die Texte von Sløtface (die in ihren Anfangstagen als „Slutface“ umher tingelten) verankern sich tief im Punk Sub-Genre, sind zwar selten direkt politisch, dafür stets politisiert. So zieht Frontfrau Haley Shea mal über soziale Ungerechtigkeiten und den Leistungsdruck westlicher Gesellschaften her („S.U.C.C.E.S.S.“), seziert später die monotone Natur der Routine („Telepathetic“) und behandelt schlussendlich auch den mensch-gemachten Wandel unserer Umwelt („Sink Or Swim“). Gerade letztgenannter Song könnte mit Zeilen wie „It’s not politics, it’s sink or swim“ oder „It’s too warm for October“ sowie seinem eingängigen Sound fast schon zur kommenden Hymne der juvenilen „Fridays For Future“-Bewegung mutieren.

Die zurückgenommene Indie-Ballade „New Year, New Me“ wiederum wendet sich mehr dem „Ich“ als Objekt zu und reflektiert jene Neujahrsvorsätze, die eh nie-nie-niemals eingehalten werden. In Sheas Worten heißt das dann: „‘New year, new me‘ is the greatest lie I always tell myself.“ Ertappt? „Laugh At Funerals“ dahingegen nähert sich einer anderen unangenehmen Situation, nämlich dem Zusammentreffen von Verwandten und Freunden, wenn Familienmitglieder versterben. Passend zu seiner emotional aufgeladenen Thematik entlässt der Song gen Ende seine Spannung in einem instrumentalen Ausbruch. Im Anschluss nimmt „Static“ einen jedoch schon wieder bei der Patschehand und schleppt einen mitsamt unverschämt tighter Bass-Linie auf die Indie-Tanzfläche (so diese denn nach Ende des Corona-Lockdowns wieder freigegeben wird).

All diese Erlebnisse machen viele junge Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens durch. Mehr noch: Diese Sorgen – die Angst vor den Folgen der Klima-Katastrophe, dem gesellschaftlichen Druck, einem gewissen Standard entsprechen zu wollen – scheinen mittlerweile ein fester Teil des Heranwachsens geworden zu sein. Sløtface bieten auf ihrem Zweitling gerade jenen Gedanken eine Plattform. Und wo andere nur hohle, stylish gereimte Phrasen singdreschen, lässt das Quartett auf kritische Worte auch Taten folgen, beteiligte sich in ihrer Heimat an Aktionen zum Weltfrauentag und spielte etwa für das Musikvideo zu ihrem Song „Sponge State“ (von der gleichnamigen 2016er EP) illegal auf einem Berg in Førde, wo sich zeitgleich eine Aktivistengruppe an Maschinen eines großen Bergbaukonzerns kettete, der Abfälle in den Fjord kippt. Bei solch einer Nähe zum alltäglichen Leben überrascht es keineswegs, dass die Band in der Vergangenheit für ihr Debüt und ihren unverschämt eingängigen Glitter-Punkrock nicht nur das Grammy-Äquivalent ihres Heimatlandes, den „Spellemann„, in Empfang nehmen durfte, sondern sogar bereits in der erfolgreichen Coming Of Age-Netflix-Serie „Sex Education“ Erwähnung fand. Denn – ja – gerade solche Themen treiben Millennials nämlich umher…

(Wem übrigens die etwas ruhigere Seite von Sløtface mehr zusagt, dem sei das unlängst in tourneefreier Quarantäne entstandene und im Oktober veröffentlichte Quasi-Akustikalbum „the slumber tapes“ wärmstens empfohlen…)

Rock and Roll.

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„Tausend Jahre sind ein Tag…“ – ANEWFRIENDs Top 10 der Jahreszahl-Songs


How-to-Promote-Mixtape

Kürzlich kam mir beim Hören von Frank Turners neustem Album „Be More Kind“ (welches kein schlechtes, jedoch bei weitem nicht sein bestes ist) ein spontaner Gedanke: Wie wäre es mit einer Top 10 der – spontan, freilich! – persönlich liebsten und tollstbesten Songs mit einer Jahreszahl im Titel?

Gedacht? Getan! Natürlich (ich schrob „spontan“, Ladies und Gentlemänner!) ohne Gewähr auf Vollständigkeit, jedoch feinstsäuberlich-deutsch chronologisch geordnet: hier ist meine eigene Liste…

(Falls euch noch das ein oder andere Stück in den Sinn kommen sollte: lasst es ANEWFRIEND und die internetze Welt da draußen in den Kommentaren wissen!)

 

 

The Gaslight Anthem – „1930“ (vom Album „Sink Or Swim“, 2007)

 

„And I see you like you were there

And I know just how you’d smile

Mary, you looked just like it was 1930 that night…“

 

 

 

Frank Turner – „1933“ (vom Album „Be More Kind“, 2018)

 

„The first time it was a tragedy

The second time is a farce

Outside it’s 1933 so I’m hitting the bar…“

 

 

 

Neutral Milk Hotel – „Holland, 1945“ (vom Album „In The Aeroplane Over The Sea“, 1998)

 

„The only girl I’ve ever loved

Was born with roses in her eyes

But then they buried her alive

One evening 1945

With just her sister at her side

And only weeks before the guns

All came and rained on everyone

Now she’s a little boy in Spain

Playing pianos filled with flames

On empty rings around the sun

All sing to say my dream has come…“

 

 

 

The Stooges – „1969“ (vom Album „The Stooges“, 1969)

 

„Well, it’s 1969 – OK all across the USA

It’s another year for me and you

Another year with nothing to do…“

 

 

 

The Smashing Pumpkins – „1979“ (vom Album „Mellon Collie And The Infinite Sadness“, 1995)

 

„Shakedown 1979, cool kids never have the time

On a live wire right up off the street

You and I should meet…“

 

 

 

Sophie Hunger – „1983“ (vom Album „1983“, 2010)

 

„Guten Morgen, 1983

Wo sind deine Kinder?

Ich bin zu Dir zurückgekehrt

Nur kurz, noch nicht für immer

1983, zeig mir deine Finger

Und frag nach deinem Abdruck…“

 

 

Prince – „1999“ (vom Album „1999“, 1982)

 

„Say, say two thousand zero zero party over, oops, out of time

So tonight I’m gonna party like it’s nineteen ninety-nine…“

 

 

 

Silverchair – „Anthem For The Year 2000“ (vom Album „Neon Ballroom“, 1999)

 

„We’ll make it up to you

In the year 2000

Build it up for you

In the year 2000

Make it up to you

In the year 2000

Build it up for you

In the year 2000 with you…“

 

 

 

Pearl Jam – „4/20/02“ (vom Album „Lost Dogs (Rarities & B-Sides)“, 2003)

 

„So all you fools

Who sing just like him

Feel free to do so now

‚Cause he’s dead…“

 

 

 

The World is a Beautiful Place & I am No Longer Afraid to Die – „January 10th, 2014“ (vom Album „Harmlessness“, 2015)

 

„But don’t you quiver

I am an instrument

I am revenge

I am several women…“

 

 

Rock and Roll.

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High and lonesome sounds – zwei Download-Tipps für Freunde von The Gaslight Anthem und Brian Fallon zur angekündigten Bandpause


Foto: Danny Clinch

Foto: Danny Clinch

„Wir wollten euch mitteilen, dass wir mit The Gaslight Anthem nach unserer Europa-Tour im August eine Pause einlegen werden. Wir werden in der Zwischenzeit andere Projekte verfolgen, auch musikalischer Art, der Band aber eine Pause gönnen, bis wir entschieden haben, was wir als nächstes tun wollen.

Anstatt eine neue Platte aufzuznehmen, nur um eine neue Platte zu haben, wollen wir lieber unsere Batterien aufladen und abwarten, bis wir uns wieder richtig inspiriert fühlen. Wir denken, das ist zum jetzigen Zeitpunkt die beste Entscheidung, die wir treffen können.“

Foto: Joey Maloney

Foto: Joey Maloney

Mal ehrlich: Diese Meldung, die The Gaslight Anthem vor gut zwei Wochen über ihre Facebook-Seite verbreiteten, überraschte wohl die Wenigsten. Immerhin wurden die letzten Alben der Band – angefangen beim dritten Werk „American Slang“ (2010) über  „Handwritten“ (2012) bis hin zum bisher letzten Studiozeugnis „Get Hurt“ (2014) – von Kritikern wie auch Fans immer zwiespältiger aufgenommen. Klar war nicht alles auf diesen Alben schlecht. Klar muss keine Band – auch nicht der Punkrock-Vierer aus New Brunswick, New Jersey – seine Meilensteine (in diesem Falle „Sink Or Swim“ und „The ’59 Sound„, 2007 und ein Jahr darauf erschienen) immer und immer wieder in unterschiedlichsten Variationen wiederholen. Aber wie viel hatten die jüngsten Songs noch mit Gassenhauern für die ewigen Rock-Jagdgründe, die einem noch immer Entenpelle auf die Unterarme zaubern, mit Stücken wie „Great Expectations“, „We Came To Dance“, „Blue Jeans And White T-Shirts“, „1930“ oder „Old White Lincoln“ gemeinsam? Oftmals: zu wenig, um einem Tränen der Begeisterung in die Augen zu zaubern – leider. Trotz all der Liebe, die der Band (auch meinerseits) noch entgegenschlägt, scheint zunächst einmal die Luft raus…

Trotzdem werden die einzelnen Teile von The Gaslight Anthem – Frontmann Brian Fallon, Gitarrist Alex Rosamilia, Bassist Alex Levine und Schlagzeuger Benny Horowitz – kaum stillstehen. Fallon – für mich seit jeher der einzig kredible Anwärter auf den Thron vom „Boss“ Bruce Springsteen – hatte ja auch in den letzten Jahren bereits das ein oder andere Betätigungsfeld abseits seiner Hauptband, etwa The Horrible Crowes, bei dem ihm TGA-Gitarrentechniker Ian Perkins zur Seite stand, oder das bislang vielversprechende Bandprojekt Molly and the Zombies. Es bleibt also trotz allem spannend…

11787320_10207551032240545_252736424_nWer auch in der Bandpause auf unbestimmte Zeit nicht auf The Gaslight Anthem und Brian Fallon verzichten möchte, dem seinen zur Minute zwei Konzertmitschnitte ans Hörerherz gelegt. Ersterer stammt von einer Show von The Gaslight Anthem in der Saint Andrew’s Hall in Detroit, MI, welche die Band am 1. April 2009 spielte (also noch bevor das dritte Werk „American Slang“ erschien und die Punkrocker in größere Venues überwechselten). Hit folgt auf Hit folgt auf Hit folgt auf Hit – 18 Stücke lang. Zweiterer Mitschnitt ist deutlich neuer und präsentiert den TGA-Frontmann a.D., Brian Fallon, (beinahe) solo und akustisch und bestens aufgelegt beim diesjährigen „Newport Folk Festival“ in Newport, Rhode Island im Juli diesen Jahres. Unterstützt von einigen Freunden (etwa Gaslight-Gitarrist Alex Rosamilia und Horrible-Crowes-Kumpan Ian Perkins) gibt Fallon während der 45-minütigen Show insgesamt neun Songs zum Besten, welche vor allem vom 2011 veröffentlichten Horrible-Crowes-Debüt „Elsie“ stammen, mit „Steve McQueen“ und „Smoke“ sind gar zwei neue Stücke dabei. Rein qualitativ handelt es sich bei beiden Bootlegs um Soundboard-Mitschnitte, welche in Bootlegger-Kreisen wohl die Note A- oder B+ bekommen würden (bei der Gaslight-Show sind die Fallon’schen Vocals, welche vor sechs Jahren noch etwas windschief-punkiger ums Eck kamen als etwa heute, wohl etwas zu sehr in den Vordergrund und der Rest der Band zu sehr in den Hintergrund gemischt, bei der von der Festival-eigenen „Newport Folk Festival“-Internetradiostation mitgeschnittenen Solo-Show gibt es die ein oder andere kleine Übertragungsinterferenz). Alles in allem zwei feine geschenkte Gäule, die die Wartezeit fürs Erste überbrücken sollten – Für den Rest gibt es (mindestens) zwei Alben für die Ewigkeit…

 

 

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


The Gaslight Anthem – Handwritten (2012)

-erschienen bei Mercury/Universal – 

Viel Ruhe war Brian Fallon in den letzten Jahren -freilich selbstgewählt –  auch abseits von The Gaslight Anthem nicht vergönnt. Erst ließ er mit Ian Perkins, dem Tour-Gitarrentechniker seiner Hauptband, und dem gemeinsamen Projekt The Horrible Crowes irgendwo zwischen gewohnten Gefilden und dem dunklen Raunen eines Tom Waits seinen Dämonen auf dem Album „Elsie“ freien Lauf, dann begab er sich mit Kumpels wie Chuck Ragan (Hot Water Music), Dan Andriano (Alkaline Trio) oder Dave Hause (The Loved Ones) auf Hemdsärmel-Folkrock-Tour dies- und jenseits des Atlantiks, und zum Schluss redete er sich – vor allem hierzulande – mit seinem Bekenntnis zum christlichen Kreationismus (fast) um Kopf und Kragen. Das Ergebnis: Verwirrung, Unverständnis und Leck-mich!-Ansagen von beiden Seiten, erhitzte Gemüter und die (angekündigte) Abkehr eines Teils der bisherigen Stammhörerschaft. Dabei kann man Fallon keinesfalls – und ganz im Gegensatz zu sich zu Scientology bekennenden Schauspielern wie Tom Cruise, Will Smith oder John Travolta – vorwerfen, mit seiner Kunst Menschen in religiöser Hinsicht bekehren, beeinflussen oder manipulieren zu wollen. Denn auch auf dem mittlerweile vierten The Gaslight Anthem-Album „Handwritten“ ist (beinahe) alles bei Alten…

Doch von Anfang und dem Albumopener “ ’45‘ “ an: wie man es bereits von den Vorgängern und deren dynamischen Einstiegssongs wie „Great Expectations“ oder „American Slang“ gewohnt war, stellen Brian Fallon (Gesang, Gitarre), Alex Rosamilia (Gitarre, Gesang), Alex Levine (Bass, Gesang) und Benny Horowitz (Schlagzeug, Percussion, Gesang) auch hier einen Rocksong mit Powerpop-Einschlag an die erste Stelle. „Have you seen my heart? / Have you seen how it bleeds?“ singt Fallon gewohnt energisch und mit heiser-rauer Stimme. Jawohl, die Jungs sind zurück! Im darauf folgenden Titelsong fragt er „What’s your favorite song? / That’s mine, I’ve been crying to it since I was young“ und singt davon, dass die Musik für beide Seiten eine nahezu katharsische Wirkung haben kann. „Mulholland Drive“ legt Erinnerungen an eine große kleine Liebe am Ende eines Sommers, an eine Zeit, als ein gebrochenes Herz noch das Ende der Welt bedeutete und man mit Radiosongs für die Ewigkeit noch durch endlos scheinende laue Nächte fuhr, frei und bietet ein tolles, wenn auch kurzes Gitarrensolo im Mittelteil. „Keepsake“ ist ein Mundharmonika-Rocker über Flüsse, Blut und Familienbande. „Too Much Blood“ schürft textlich wohl von den zehn Songs auf „Handwritten“ am tiefsten: „What can I keep for myself if I tell you me hell? /…/ And if I just tell the truth are there only lies left to tell you / If I put too much love on the page?“ zweifelt Fallon. Belastet man die, die man liebt, manchmal zu sehr mit den eigenen inneren Dämonen? Ist es an manchen Tagen besser, zu schweigen und einige Dinge mit sich selbst auszumachen? Antworten findet auch er keine, schreibt sich seine dunklen Reflexionen jedoch (vorerst) von der Seele. Das darauf folgende, lediglich zwei Minuten kurze „Howl“ wirft die Frage „Does anything still move you since you’re educated now?“ auf und erinnert mit seiner straighten Art am ehesten an das 2007er Debüt „Sink Or Swim„. „Biloxi Parish“ dürfte all denen, die in den vergangenen Jahren ein Konzert des Quartetts aus New Jersey besucht haben, bereits bekannt sein, gehört es doch als einziger Albumsong seit langem zum festen Live-Repertoire. „Desire“ macht mit den ‚Ohoho‘-Chören und sinnstiftenden Zeilen wie „What makes a man do the things that a man does?“ seinem Namen alle Ehre, „Mae“ stellt mit gewohnten Ewigkeitstexzeilen wie „Stay the same, don’t ever change / ‚Cause I’d miss your ways / With your Bette Davis eyes / And your mama’s party dress“ und an U2’s The Edge erinnernden, flirrenden Gitarrenlinien ein Highlight ans Ende des Albums und „National Anthem“ bildet den weisen Akustikgitarre-mit-Streichern-Rausschmeißer. „I never will forget you my American love /…/ The place where you were in my heart is now closed / I already live with too many ghosts“ singt Fallon.  Ein Melancholiker? Ja, jedoch keiner um den man sich sorgen müsste. „Don’t worry about me, Mama, I’ll be all right.“

Alles in Allem ist The Gaslight Anthem mit dem von Brendan O’Brien, welcher unter anderem Künstler wie Bruce Springsteen, Pearl Jam oder Incubus in seiner Kundenkartei stehen hat, produzierten und in Nashville, Tennessee zu großen Teilen live eingespielten Majorlabel-Debüt ein Sicherheitsalbum gelungen, das sein Heil in straighten Rocksongs und dezent eingesetzten ‚Heyheyhey‘- oder ‚Ohoho‘-Chören sucht und Überraschungen oder Neuerungen allenfalls im Detail bereithält. Zwar fehlen auf „Handwritten“ die großen Hymnen wie „The ’59 Sound“ (vom gleichnamigen, 2008 veröffentlichten Zweitwerk) oder „American Slang“ (vom gleichnamigen Vorgänger von 2010), jedoch bieten die zehn Songs genug Anwärter als feste Größen für zukünftige Konzerte. The Gaslight Anthem empfehlen sich mit Springsteen-Rock (es ist schlichtweg unmöglich, den aus der selben Stadt stammenden Protégé in einem Artikel über die Band außen vor zu lassen) erneut für’s Stadion – im besten Sinne.

Und auch textlich bleibt die Band sich treu: Fallon & Co. erzählen kurze Episoden aus der Zeit des Heranwachsens, als die gewohnte Vorstadt viel zu klein und grau und die weite Welt mit all ihren Perspektiven zum Greifen nah und doch mit all ihren Irrungen und Wirrungen meilenweit entfernt schien. Von der großen Liebe, vom Verlust, von den letzten lauen Sommernächten und endlosen Autofahrten ohne Ziel, aber dem guten Gefühl der Freiheit im Bauch und den von LPs aufgenommenen Songs aus dem Kassettendeck als treuen Begleiter. Vom süßen und sauren einfachen Leben, das doch so viel besser schmecken kann als jedes Fünf-Sterne-Dinner. Von den kleinen Geschichten, an denen du wächst, und die nun, hymnenhaft-schön verklärt, als Irrlichter im Lampenschein in der Erinnerung deinen Weg kreuzen.

Klingt wie: Ein vor einem Kleinstadt-Diner geparkter Cadillac. Der an James Dean erinnernde, Marlboro rauchende Typ am Steuer lehnt sich aus dem Fenster und fragt dich, während er gen Sonnenuntergang blickt, beiläufig, ob er dich mitnehmen soll. Go!

 

Den Mut hat sich die Band eventuell für’s nächste Album aufgehoben, doch The Gaslight Anthem enttäuschen mit „Handwritten“ keineswegs. Wer aufgrund von Vorurteilen erst gar nicht (mehr) hinhört, verpasst wohlmöglich das Beste.

„Turn the record over / And I’ll see you on the flip side.“ (aus “ ’45‘ „)

 

Hier die Videos der ersten beiden Singles “ ’45‘ „…

 

 

…und „Handwritten“…

 

 

…sowie ein Link zu Soundcloud, unter welchem man die Vorgängeralben in Gänze hören kann.

 

Rock and Roll.

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