Überraschungen ohne größere Ankündigung (*andenkopfklatsch* Sonst wären’s ja keine!) sind meist die besten, oder? Etwa im Falle von Conor Oberst: Nach „LAX„, einem Soundtrackbeitrag zur neusten Nick-Honby-Romanverfilmung „Juliet, Naked“ (mit Ethan Hawke und Rose Byrne in den Hauptrollen), entlässt der in den letzten Jahren zumeist solo agierende Bright-Eyes- und Desaparecidos-Frontmann die neue Doppel-A-Seiten-Single aus den Stücken „No One Changes“ und „The Rockaways“ in die Musikwelt (zunächst digital via Bandcamp und Co., im Februar 2019 sollen beide auf Vinyl erscheinen)…
Natürlich dürften beide Songs geübten Oberstinatos, die in den letzten Jahren das ein oder andere Konzert des 38-jährigen US-Musikers besucht haben, durchaus bekannt vorkommen. Und auch dem Rest sollte das grundlegend singer/songwriterische Soundgerüst nicht ganz fremd sein, lehnen sich doch beide Stücke sowohl stimmungsmäßig als auch klanglich an das ruhige, nicht selten bewegende 2016er Solo-Album „Ruminations“ (seinerzeit – und auch heute noch völlig zurecht – „Album des Jahres“ von ANEWFRIEND) an: zu „No One Changes“ begleitet sich Conor Oberst lediglich solo am Piano, bei „The Rockaways“ bekommt er – am Keyboard – Unterstützung von Bright-Eyes-Bandmate Nathaniel Walcott. Wenn es nach mir ginge, dürften baldestmöglich gern noch so einiger mehr Songs dieser Größenordnung folgen…
Muss deutschsprachige Popmusik in der heutigen Zeit immer gleich aufs volle Risiko hin existenzialistisch daher wanken?
Für all diejenigen, die diese Frage mit einem klaren „Ja!“ beantworten würden, liefert Das Paradies eine kleine Antithese zu Casper, Kraftklub und Co. Das Para…wer?
Hinter dem Pseudonym, unter welchem bereits im Mai die erste Single „Goldene Zukunft“ erschien, versteckt sich der Leipziger Florian Sievers, der bisher als männlicher Teil des Indiefolk-Duos Talking To Turtles in Erscheinung getreten ist. Und: Sievers hatte unter neuem Namen scheinbar auch mehr Bock auf Indiepop als auf den melancholischen LoFi-Folk, welchen er gemeinsam mit Duo-Partnerin Claudia Göhler auf insgesamt drei Alben (zuletzt erschien 2014 „Split„) zu Tönen gemacht hat.
In jedem Fall schwimmt Sievers‘ „Goldene Zukunft“ zwischen all den Nachrichten über Bankenpleiten, Anschlägen, Regierungskrisen und Flüchtlingswellen mit beinahe eskapistisch veranlagten Zeilen wie „Ich sehe eine goldene Zukunft und nicht viel mehr“ oder „Keiner wird sich gestört fühlen, alles wird allen gefallen / Und ich attestierte blind, dass die Zeiten rosig sind“ bewusst gegen den Strom. Anderswo im weltweiten Netz werden diese gerade einmal dreieinhalb Minuten als „himmlischer, luftiger Pop mit Hamburger-Schule-Abschluss, Exerzitienreisen nach Weilheim und neuer Anwärterschaft auf den Whitest-Boy-Alive-Award“ beschrieben sowie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Single-B-Seite „Du, die anderen und ich“ – wenn man so will die zwar weitaus melancholischere, aber nicht minder interessante Wochentagsschwester von „Goldene Zukunft“ – „mindestens Pflicht für alle Netflix- und HBO-Abonnenten“ sein sollte. Lassen wir’s mal so stehen…
Hoffentlich erzählt Opa den Kiddos dann auch, dass es bereits früher schon Singles gab… 7-Inches, 12-Inches, 45-Inches – hallo? Mailorder, Veröffentlichungstermine, rare Releases und lange Wartezeiten. „Generation Stream“ kennt leider nur noch die digital allzeitige Verfügbarkeit…
Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Videoneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…
Casper – Im Ascheregen
Heiß erwartet, nicht nur auf ANEWFRIEND: das neue Casper-Album. Bevor „Hinterland“ am 27. September erscheint, schickt der in Berlin lebende Bielefelder Rapper mit US-Vergangenheit die erste Single „Im Ascheregen“ voraus, die viele der Trademarks in sich vereint, welche bereits den erfolgreichen Albumvorgänger „XOXO“ auszeichneten: Bandinstrumentierung, Emotionen und groß aufgetragene Videomomente – während Cas im Text mal eben Referenzen an Kettcar und Slime rausschickt: „Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin / Augen und Herzen sind Dynamit“.
Ob der Rest des neuen, gemeinsam mit Get Well Soon-Mastermind Konstantin Gropper aufgenommenen Albums ebenso großspurig auftrumpfen wird, wird sich in knapp zwei Monaten herausstellen. Fest steht: Auch an „Hinterland“ werden sich die Gemüter der bundesdeutschen Rapszene, der versammelten Musikjournalie und des höchstens sporadisch szenekundigen Poppublikums zu reiben wissen. Und um große, altkluge Worte ist Benjamin Griffey auch 2013 nicht verlegen… Gut so!
„Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen Will auf und davon und nie wiederkommen Kein Lebewohl, will euch nicht kennen Die Stadt muss brenn’…“
Biffy Clyro – Victory Over The Sun
Die drei Schotten von Biffy Clyro veröffentlichen momentan – gefühlt – Singles im Wochentakt. Kein Wunder: Mit „Opposites“ haben Simon Neil und die beiden Johnston-Zwillinge Ben und James in diesem Jahr ein Doppelalbum in die Regale gestellt, bei dem sich so einige potentielle Singlekandidaten dicht gedrängt halten. Und so ist „Victory Over The Sun“ (ganz nebenbei einer meiner persönlichen Favoriten vom sechsten Studioalbum) bereits Auskopplung Nummer fünf…
Ebenso dick und cineastisch wie der Song trägt auch das dazugehörige Video zu „Victory Over The Sun“ auf, in welchem Neil & Co. sich wahlweise in einem religiös anmutenden, gespannt lauschenden Kreis oder inmitten einer brennenden Szenerie wiederfinden… Wer mag schon kleine Pathosbrötchen, wenn das Budget für ’ne ganze Bäckerei reicht, oder?
Villagers – Earthly Pleasure
Weitaus subtiler gehen da schon Conor O’Brien und sein bandgewordenes Musizierprojekt Villagers zu Werke. Und doch warten die neusten bewegten Bilder zum zweiten, ganz hervorragenden Villagers-Album „{Awayland}„, für die sich die Regisseure Smith & Werber verantwortlich zeichnen, mit allerlei bunten, phantasievollen und irgendwie surrealen Bildern auf, während O’Brien scheinbar atemlos seine Zeilen vom Teufel, Tod und dem Kreislauf der Wiedergeburt singt.
„Earthly Pleasure“ wird am 26. August als digitale Single erscheinen.
The Postal Service – Some Idealistic Future (Dokumentation)
Schade, dass Ben Gibbard und Jimmy Tamborello das zehnjährige Jubiläum des Debütalbums „Give Up“ ihres gemeinsamen Projekts The Postal Service nicht zum Anlass nahmen, dem Album einen Nachfolger zu spendieren. Stattdessen erschien im April 2013 eine erweiterte Neuauflage des Albums, zu dem sich Gibbard, Tamborello und ihre Begleitmusiker (u.a. Ex-Rilo Kiley-Frontfrau Jenny Lewis) aktuell auf ausgedehnter Tour befinden.
Wer jedoch mehr über The Postal Service erfahren möchte, dem bietet diese „Some Idealistic Future“ betitelte, viertelstündige Dokumentation, die von Justin Mitchell (von The Creators Project) produziert wurde, ein paar Einblicke in die Bandhistorie und die aktuellen Konzerte…
Außerdem gibt’s hier das Musikvideo zum Song „A Tattered Line Of String“, der als Teil der Neuauflage von „Give Up“ seine Erstveröffentlichung erfuhr:
Broken Social Scene – The World At Large
Stilistisch gar nicht so weit weg von The Postal Service musiziert das kanadische All-Star-Kollektiv von Broken Social Scene. Was macht die „Band“, die sich aus der vitalen Indieszene rund um Toronto rekrutiert und der zu Hochzeiten schon mal mehr als zwanzig (!) Musiker angehören können, denn eigentlich gerade? Nun, abgesehen von ein paar sporadischen Konzerten hier und da befindet sich die Band seit ihrem letzten, vor drei Jahren erschienenen Album „Forgiveness Rock Record“ weiterhin in einer Auszeit, während ihre einzelnen Teile, zu denen dann etwa Feist oder Teile von Stars und Metric zählen, munter solo oder in anderen Konstellationen weiter musizieren…
Trotzdem fanden sich Frontmann Kevin Drew und ein paar Mitmusiker vor kurzem für eine spontane Studiosession zusammen und nahmen sich den Modest Mouse-Song „The World At Large“ vor…
Wer einen neuen Song von Broken Social Scene hören mag, der wird aktuell auf der Geburtstagscompilation „X“ des Haus-und-Hof-Labels Arts & Crafts fündig, auf welcher kürzlich das Stück „Day Of The Kid“ erschien…
Nachdem sich Conor Oberst und seine Post-Hardcore-Bandkumpane von den Desaparecidos im vergangenen Jahr – nach zehn Jahren Sendepause – wieder zusammenschlossen, veröffentlichten sie in den vergangenen Monaten bereits die Doppelsingle-Pakete „ManiKKKopa“/“Backsell“ und „Anonymus“/“The Left Is Right“ (ANEWFRIENDberichtete), die zeigten, dass seit dem Debütalbum „Read Music/Speak Spanish“ zwar einiges an Zeit vergangen sein mochte, dass die Band selbst – und allen voran immer noch Bandvorsteher Oberst – aber immer noch eins ist: keineswegs leise und in höchstem Maße politisch positioniert.
Dem steht auch das neue Singlepaar „Te Amo Camila Vallejo“ und „The Underground Man“ in nichts nach. Ersterer Song zollt nicht nur im Titel einer linksradikalen chilenischen Bürgerrechtlerin Tribut, das zweite Stück hält textlich auch keinesfalls seinen Ärger hinterm Berg zurück:
„They pulled your teeth til you smiled and agreed They slit your throat and buried you at sea All for the land of the free.“
Beide neuen Songs können hier gehört und als Single erworben werden.
Konzerttechnisch schauen alle europäischen Freunde der Band jedoch weiterhin in die sprichwörtliche Röhre – die anstehenden Termine im August, Oktober und November finden vorerst nur in den USA und Australien statt…