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Das Album der Woche


Foo Fighters – But Here We Are (2023)

-erschienen bei Roswell/RCA/Sony-

Ein in vornehmem Weiß gehaltenes Album. Von den Foo Fighters. Jetzt, ausgerechnet. Natürlich ließe sich das Ganze trefflich in eine ausführliche popkulturelle Ahnenreihe setzen, schließlich haben Größen wie die Beatles bekanntlich ein solches „Weißes Album“ in ihrer Diskografie, Weezer (die heftigst daran werkeln, die komplette Farbpalette albumzubetiteln) ebenso, selbst die vom Feuilleton seit eh und je für ihren Hamburger-Schulenen Diskurs-Rock geliebten Tocotronic haben eins aufzubieten – und wer nun noch den Proll-Sprechgesangsfeilbieter Haftbefehl oder die unterbelichtete Scheißband titels Böhse Onkelz erwähnt, bekommt mindestens eine Woche tonfreien Stubenarrest. Doch Popkultur hin oder her, Popkultur beiseite. Denn anstatt auf Paul McCartney, John Lennon und Co. zu schielen, dürften die Foo Fighters mit dem einerseits stylish-cleanen, andererseits recht sparsamen Langspieler-Artwork-Konzept wohl etwas ganz Anderes im Sinn gehabt haben, schließlich steht das Weiß – nebst dem „the light the dead see“ – auch für einen Neuanfang, für ein von nun an zu füllendes leeres Blatt, für eine trotzige Geste entgegen aller Trauer, ein bewusste Bekenntnis zum Weitermachen, ohne genau zu wissen, wie man eigentlich weitermachen soll. Es steht für die Fassungs- und Orientierungslosigkeit, mit der sich die sonst eher von Erfolgen verwöhnte US-Rockband vor nicht allzu langer Zeit unvermittelt konfrontiert sah. „But Here We Are“ – tja, trotz alledem stehen wir nun hier. Was war passiert? Wir erinnern uns…

„I’ve been hearing voices / None of them are you / Late at night, I tell myself / Nothing this good could last forever“: Im März 2022 starb Taylor Hawkins, und mit ihm nicht nur der langjährige Schlagzeuger der Foo Fighters, sondern auch ein integraler Teil der Band und einer von Dave Grohls engsten Vertrauten. Auch deshalb war lange Zeit verdammt unklar, wie es mit einer der größten Rockkombos unseres Planeten weitergehen würde, ja sollte. Aber Frontmann Dave Grohl wäre nicht Dave Grohl, wenn er als erprobtes Stehaufmännchen nicht für nahezu alles einen Ausweg im Ärmel hätte – oder zumindest ein Ventil, ein Pflaster, irgendetwas gegen den Schmerz eben. Schon das selbstbetitelte 1995er Debüt, welches das damals als „Ex-Nirvana-Drummer“ bekannte Allround-Talent im Alleingang einprügelte, wurde bekanntlich aus einem ganz ähnlichen Verlust geboren. Wenn man so mag, schließt sich mit „But Here We Are“ nun also in gewisser Weise ein gigantischer Kreis. Das elfte Foo Fighters-Album steht nicht nur im Zeichen Hawkins‘, sondern verarbeitet auch den Tod von Grohls Mutter Virginia im August des vergangenen Jahres. Und ähnlich wie damals eine ungestüme Post-Grunge-Platte die Leere füllte, die Kurt Cobain zurückgelassen hatte, liefern die Foo Fighters – und das sowohl sich selbst als auch ihren Fans – auch heute einen Rettungsanker in schweren Zeiten: Krankten Vorgängeralben wie „Sonic Highways“ oder „Concrete And Gold“ noch an der aufgehenden Schere aus großen Ideen versus mangelnder Inspiration, spielen Dave Grohl und seine Band nun – so zynisch sich’s im ersten Moment auch lesen mag – deutlich befreiter auf und liefern ein zwar selten spektakuläres, aber äußerst gelungenes Werk ab, dem man die Hingabe – und natürlich auch die Last – in beinahe jeder Sekunde anhört. Es heilt vielleicht nicht. Aber es hilft.

Eigentlich wolle er nach dem vor allem durch seine Überproduktion ohnehin schon aus der Reihe tanzenden, 2021 erschienenen „Medicine At Midnight“ ein „wahnsinniges Prog-Album“ kreieren, hatte der mit allerlei Kreativprojekten eh dauerbeschäftigte Grohl 2022 noch frech angekündigt. Dann jedoch starb sein Best Buddy, sein Foo’scher Beatgeber, plötzlich, im Alter von gerade einmal fünfzig Lenzen, mitten im nach Corona erst wieder angelaufenen Tourneebetrieb, allein in einem Hotelzimmer in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Und anstatt gramgebückt das Handtuch zu werfen (ohnehin eine Option, die man Grohl, Bassist Nate Mendel, den Gitarristen Chris Shiflett und Pat Smear sowie Keyboarder Rami Jaffee kaum zugetraut hätte), schüttelten sich die Foos ebenso kurz wie tränenreich, veranstalteten im September 2022 zwei großartige, starbesetzte Tribute-Konzerte für ihren verstorbenen Freund in London und Los Angeles – und besinnen sich auf ihrem ersten „Post-Hawkins-Album“ ganz auf ihre Stärken, drehen die Amps nicht selten auf Anschlag und bleiben die meiste Zeit erfrischend bodenständig. Ein Mittelfinger an das olle Arschloch Schicksal? Haben Dave und Band einmal mehr in Töne gebannt – und schauen dennoch ab und an mal zurück auf frühere Werke. So hätte sich etwa „Under You“, das zu Gitarrenwänden a là Hüsker Dü  ganz explizit Grüße an Taylor Hawkins aussendet, auch gut auf dem 1999 veröffentlichten Langspieler „There Is Nothing Left To Lose“ samt dessen verwaschenem Sound gemacht (welcher übrigens damals der erste mit Ex-Alanis Morissette-Schalgzeuger Hawkins an Bord war). Der Titelsong schraubt sich wild und euphorisch nach oben, packt die altbekannten „Ooooh“s aus und stellt eindeutig klar, dass die Foo Fighters sich trotz der Umstände keineswegs ins Jammertal zurückziehen möchten. Ähnlich konsequent kommt „Nothing At All“ daher, das sich im Refrain von einer zackigen New-Wave-Nummer in einen Grungerocker verwandelt und dem nicht im Traum einfällt, einfach so klein beizugeben. Dennoch verfällt die Band nicht in tumbe Durchhalteparolen, sondern trotzt in Rrrrrock getaucht tapfer und überlegt allen Widrigkeiten – wer genauer hinhört, kann sich an so mancher Stelle einer Gänsehaut kaum erwehren. Richtig melancholisch wird es erst nach hinten raus: „You must release what you hold dear“, fordert Grohl auf klassischer Steigerung im dezent beatles’esken „Beyond Me“, bevor er sich zum Schluss doch noch ein wenig austoben will.

„Hey kid, what’s the plan for tomorrow?“: Wie man sich ganz Prog-mäßig an einen aus mehreren Teilen bestehenden Zehnminüter wagt, beweisen die Foos mit „The Teacher“. Obwohl der Spannungsbogen nach dem ersten Drittel ein wenig ausfranst (und die Herren daraufhin einfach zuerst träumerisch, dann psychedelisch, dann nahezu halsbrecherisch weiterrocken), zählt hier vielmehr der Inhalt, schließlich ist Dave Grohl hier einmal mehr nicht der von Fanmassen umjubelte Rockstar, sondern der Sohn – und tut das, was man seinen Eltern gegenüber wohlmöglich viel zu selten macht: Er bedankt sich für alles, was ihm seine Mutter Virginia, die tatsächlich bis zuletzt als Lehrerin gearbeitet hat, beigebracht hat. Das mag nicht frei von Kitsch sein – wie sollte es auch –, trifft einen in seiner Unverstelltheit jedoch noch unmittelbarer als etwa das Titelstück. Vermutlich wird “The Teacher” selten bis nie auf einer Setlist der Foo Fighters auftauchen, auf “But Here We Are” ist der Song aber zentral. Er appelliert, nicht bis zum Tod einer geliebten Person zu warten, ehe man sich daran erinnert, was man alles an ihr hat(te). Das Stück fordert dazu auf, Dankbarkeit für die vielen kleinen Dinge zu zeigen; für die flüchtigen Momente, denen man zunächst keine Bedeutung beimisst, die einen aber letztlich als Mensch ebenso ausmachen wie die Erfolge und Glanzlichter: „You showed me how to breathe / Never showed me how to say goodbye“. Auch das in diesem Sinne als Geschwistersong durchgehende „Show Me How“, in dem die Foo Fighters tatsächlich gelungenen Dreampop wie aus dem Lehrbuch präsentieren, widmet sich der Verstorbenen und liefert mit Unterstützung von Grohls Tochter Violet am Mikro (die bereits im Zuge der Tribute-Shows ihr weltweit bestauntes großes Bühnendebüt ablieferte) noch dazu einen echten „family effort“, eine kleine Staffelstabübergabe an die nächste Rock-Generation. Das alles funktioniert tadellos – gegen derartige kleinere Experimente beeindrucken „The Glass“ mit seinen pulsierenden Riffs und treibendem Schlagzeug oder der Albumopener „Rescued“ weniger, sind aber immer noch grundsolides Foos-Futter (während der Fünfer wiederum ausgerechnet im sich hinter ein paar Gitarrenriffs versteckenden „Hearing Voices“ einfach klingt wie irgendeine Formatradio-Mainstreamcombo). „Is this happening now?“ – Gelebt wird im Hause Grohl auch 2023 vor allem im Hier und Jetzt.

Im Studio eingetrommelt hat Dave Grohl die Platte – hörbar – selbst, zur Live-Besetzung ist mittlerweile Profi-Schlagzeuger Josh Freese dazugestoßen, der im Laufe seiner über dreißigjährigen Karriere „an 250 bis 300 Alben“ (laut eigener Schätzung) mitgewirkt und bei zig Bands und Künstler*innen von den Vandals über A Perfect Circle bis hin zu Nine Inch Nails, Chris Cornell, Guns N’Roses, Kelly Clarkson, The Offspring oder Sting ausgeholfen hat – eine gute, eine offensichtliche Wahl für die großen Rock-Bühnenbretter. Aber schlussendlich gehört dieses elfte Foo Fighters-Album ganz dem Frontmann. „Rest“ schüttelt zwischen Bedroom-Demo und erhabenem, beinahe schrägem Noise-Finale kurz vor Ende der knapp fünfzig Minuten noch einmal sämtliche Fesseln ab und beschließt „But Here We Are“ mit einer tröstenden Entwarnung: „You will be safe now“. Klar, die ganz, ganz großen Arena-Momente mögen hier selten sein (und sich ja dank Evergreens wie „Everlong“, „All My Life“, „The Pretender“, „Best Of You“ oder „My Hero“ auch längst auf jeder Konzert-Setlist wiederfinden), die Foo Fighters zeigen sich vielmehr roh, direkt, unmittelbar – und zwar mit keiner kreativen Kehrtwende (die durfte auch niemand ernsthaft erwarten), dafür jedoch mit so einigen Trademark-Essenzen ihres Schaffens. Dabei halten sie optimistisch die Köpfe über Wasser: Das erste Album unter den veränderten Umständen ist schlussendlich weder ein Requiem noch ein Nachruf geworden, sondern ein entschiedener Blick nach vorn. Und selbst wenn die bandinternen Nackenschläge am Ende kein durchs Optische befeuertes Meisterwerk erzeugt haben (aber dennoch eines der besten und wichtigsten der Bandgeschichte), so bleiben doch ein Appell – „Gebt niemals auf!“ – und eine freundliche Erinnerung: nämlich, was Musik zu leisten imstande ist, wenn der Rest der Welt soeben unvermittelt über einem zusammengebrochen ist.

  

  
  

Rock and Roll.

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