„Sei nicht zu dick! Sei nicht zu dünn! Mach‘ eine Diät! Iss deinen Teller auf! Sei gesund! Sieh‘ bitte nicht krank aus! Tu was gegen deine Falten! Push deine Brüste!“
All diese Forderungen rattert die Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon („Sex And The City“) im Video „Be A Lady They Said“ herunter. Sie rezitiert das gleichnamige Gedicht von Camille Rainville. Was Nixon mit den bereits 2017 veröffentlichten Worten der 22-jährigen US-Bloggerin deutlich machen will: An Frauen werden auch im Jahr 2020 die unterschiedlichsten Anforderungen gestellt, die sich oft widersprechen und daher nicht alle erfüllbar sind. Dennoch hat das weibliche Geschlecht irrationalerweise das Gefühl, diese erfüllen zu müssen.
Das knapp dreiminütige Video wurde wenige Tage nach Veröffentlichung bereits millionenfach geklickt, tausendfach geteilt und kommentiert, weltweit gefeiert – obwohl es doch eigentlich keinerlei Neuigkeiten enthält. Fast alle Frauen dürften zumindest manch einen dieser Sätze im Laufe ihres Lebens schon gehört und gelesen haben. Sie hören sie von Männern, lesen sie in Magazinen, bekommen sie vielleicht auch von anderen Frauen gesagt, kriegen sie in der Werbung, in Filmen oder Serien nur allzu deutlich vor Augen geführt… Das Video ist daher vor allem eines: frustrierend wahr.
Der Clip, produziert – ausgerechnet? – als Werbevideo vom High-Fashion-Magazin „Girls Girls Girls“, welches sich sonst vor allem mit teurer Mode und passenden Accessoires beschäftigt, wird nun – im Zuge von #MeToo und wenige Stunden nach dem US-Urteil gegen den ehemaligen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein – als feministisches Statement gefeiert. „Sei eine Lady, haben sie gesagt“ – dieser Satz fällt im Video immer wieder. Cynthia Nixon spricht ihn in die Kamera. Sie sieht dabei verdammt ernst aus. Und wird im Laufe der drei Minuten zunehmend wütend. „Sei top gepflegt! Sei sexy! Zieh‘ High Heels an! Hab‘ manikürte Fingernägel! Hab‘ bloß keine grauen Haare – ABER FÄRB‘ DIE HAARE DOCH NICHT BLAU! Sei natürlich!“ – Dass Frauen einfach ganz natürlich wunderschön sein sollen, ist doch wirklich nicht zu viel verlangt, das implizieren all diese Forderungen…
Ist es eben doch. An dem Ideal, das Frauen vermittelt wird, hat die Body-Positivity-Bewegung zwar gekratzt. Wirklich etwas geändert hat sich – auch dank Heidi Klum und ihrer Selbstvermarktungsjungfrauenfleischbeschau „Germany’s Next Topmodel“ – dadurch leider nicht. Dass so viele sich in dem Video wiederfinden, beweist, dass immer mehr Frauen die Ansprüche, die die Gesellschaft an ihr Äußeres stellt, zunehmend hinterfragen und kritisieren. Sie wissen eigentlich tief in sich drin, dass sie diese Ansprüche nicht erfüllen müssen. Und schaffen es oft doch nicht, sich von den Erwartungen zu lösen.
Doch in dem Video geht es nicht nur ums bloße Aussehen: „Bitte sei nicht zu streng… Aber auch nicht zu soft! Durchsetzungsfähig! Aber nicht zickig! Nicht zu laut! Aber auch nicht ganz still…“ Thematisiert wird auch die weibliche Sexualität: „Sei nicht prüde! Nicht zu willig! Lächle mehr! Hab‘ Erfahrung im Bett! Sei unschuldig… MÄNNER WOLLEN DAS, WAS SIE NICHT HABEN KÖNNEN. Also halt dich dran! Werd‘ nicht vergewaltigt! Pass halt ein bisschen auf… Trink nicht zu viel! Sag‘ nicht ja! Sag nicht nein! Vertraue niemandem!“
Das Video ist – ganz Fashion-Industrie (gegen die es im Grunde ja auch wettert, welch‘ Janusköpfigkeit!) – professionell produziert, es ist stark, es zieht einen mit allerhand schnellen Schnitten in sich und seine audiovisuellen Aussagen hinein – es funktioniert (was ja auch dessen viraler Erfolg belegt). Ein bisschen schmerzt es beim Zusehen dennoch, dass fast alle gezeigten Frauen aussehen wie Topmodels und all die Forderungen verkörpern, die Cynthia Nixons Stimme doch anprangert: schlank, perfekt geschminkt und wunderschön. Makel? Keiner. Nirgends.
Dennoch ist der Clip von Regisseur Paul McLean wichtig, das zeigt allein die Resonanz, die er bereits innerhalb kürzester Zeit hervorruft. Eine Resonanz, die gleichzeitig nachdenklich machen sollte: Es ist frustrierend, dass sich auch heute noch so viele Frauen jeglichen Alters in diesem Video wiedererkennen, dass sie das Gefühl haben, sich selbst und der Gesellschaft nicht gerecht werden zu können. Dass sie zerbrechen zwischen allem, was sie tun, was sie sein sollen. Feministinnen prangern die genannten Missstände bekanntermaßen schon lange an. Geändert hat sich offenbar immer noch viel zu wenig. Auch, weil jede (und jeder!) bei sich selbst anfangen muss. Wie hieß es damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, eine der Losungen der Frauenrechtlerinnen: „Nicht Worte zählen, sondern Taten.“
Das aus englischen Bristol stammende (und in London gegründete) Hardcore-Punk-Quartett Petrol Girls, von dem ja bereits im vergangenen Jahr etwas ausführlicher hier bei ANEWFRIEND die Schreibe war, hat mit „Sister“ einen neuen Song in Bild und Ton herausgebracht.
Das erfreulicherweise nicht nur wild um sich schlagende, sondern zwischen dezenten Spoken-Word- sowie Gesangs- und ausdrucksvoll von Frontfrau Ren Aldridge skandierten Passagen pendelnde Stück fokussiert sich – und das mag bei der Band, die sonst dem Sexismus in ihrem nach Außen hin ach so tolerant und progressiv auftretenden, schlussendlich doch noch recht männerdominierten Hardcore-Punk-Genre sowie der tumben Gesellschaft als solcher den lautstarken Kampf angesagt hat – auf die Bedeutung von schwesterlichen Verbindungen und Freundschaften, über die Sängerin Ren Aldridge schon länger etwas schreiben wollte. Gemeint seien damit nicht nur die Beziehungen zu ihren beiden jüngeren Schwestern, sondern auch zu einigen wichtigen Freundinnen und auch der verstorbenen Familienhündin Skye, die sie alle ihre Schwestern nennt: „All diese Beziehungen haben mich so viel gelehrt. Sie haben mir den Weg gewiesen, sich um mich gesorgt, mich zum Lachen gebracht, bis ich weinen musste und mich letztendlich in eine bessere Version von mir selbst verwandelt.“ Weiterhin denke sie, dass die heutige Gesellschaft einen Schwerpunkt auf sexuelle Beziehungen legen würde, obwohl diese Art von schwesterlicher Verbundenheit viel wichtiger sei.
Im dazugehörigen fünfminütigen Musikvideo lassen Petrol Girls – wie schon beim großartigen „Touch Me Again“ – erneut andere für sich sprechen: Es kommen Menschen zu Wort, die ihre persönliche Bedeutung des Wortes beschreiben.
„Sister“ erscheint am 14. September auf der neuen EP „The Future Is Dark“ (welche wiederum nach einem Virginia-Woolf-Zitat betitelt wurde). Den ebenfalls darauf enthaltenen Song „Survivor“ hatten Petrol Girls schon Anfang des Jahres – inklusive Musikvideo – veröffentlicht.
Das Frauenbild um die 1950er herum kennen die meisten von uns – ob nun aus Dokumentationen, Erzählungen oder eventuell sogar eigenen Erlebnissen – nur allzu gut: das fleißige, stets umsichtige und willige „Heimchen“ am Herd, das dem hart arbeitenden Ehemann tagtäglich die leckersten Gerichte auftischt (was ja damals auch die Werbeindustrie suggerierte), den gemeinsamen Nachwuchs umschwänzelt, sich stets adrett zu kleiden hat – und all das mit einem Lächeln tut (oder eben auch mal nachhilft).
Dass all das – wie feste Geschlechterrollen im Allgemeinen und zumindest in den meisten Ländern – sprichwörtlich Schnee von Vorgestern ist, weiß man(n) ebenso. Umso befremdlicher wirken Reklameanzeigen für Staubsauger, Bier und Co. aus den Vierzigern bis Sechzigern des letzten Jahrhunderts.
Und ebenjene nahm sich der 31-jährige, aus dem libanesischen Beirut stammende Fotograf und Video-Editor Eli Rezkallah für seine neuste, so simpel wie treffend „In A Parallel Universe“ benannte Kunstserie vor – und drehte die dargestellten sexistischen Geschlechterrollen mal eben um. Das Ergebnis sollte man mit einer Schippe Humor nehmen, schließlich werden die absurden Stereotype nur allzu deutlich…
Den Anstoß für die Serie gab Eli Rezkallah übrigens ein Ereignis innerhalb seiner Familie, wie er auf seiner Website erzählt:
“Last Thanksgiving, I overheard my uncles talk about how women are better off cooking, taking care of the kitchen, and fulfilling ‚their womanly duties.‘ Although I know that not all men are like my uncles and think that way, I was surprised to learn that some still do, so I went on to imagine a parallel universe, where roles are inverted and men are given a taste of their own sexist poison.”
Zwar sind die Bilder, die der junge College-Studentin Aria Watson im vergangenen Dezember unter dem Motto „#SignedByTrump“ weltweite Aufmerksamkeit bescherten, schon gut ein Jahr im Internet zu finden, doch auch Ende 2017 – und gerade nach dem kulturellen Erdrutsch-Beben, das #metoo und Co. ausgelöst haben – hat sich leider herzlich wenig an Watsons Botschaft geändert: Frauen sind keine Objekte. Und chauvinistische, gestrige Vollidioten wie – es liest sich noch immer unglaublich – US-Präsident Donald Trump sollten für ihre ebenso verachtenswerten wie fürs völkische ADHS-Twitter-Verständnis knapp gehaltenen Gaga-Kommentare weder eine Lobby noch Aufmerksamkeit erhalten.
Mehr über Aria Watsons Bilder und die Geschichte dazu findet man hier.
Deutscher Hip-Hop, der politisch klar Stellung bezieht und gesellschaftskritische Botschaften zwischen die freshen Beats legt? Klar, gibt es. Man nehme nur Sookee.
Soo…wer? Sicher, dem Großteil der Nur-nebenbei-Radio-Hörer wird die 33-jährige Berliner Künstlerin, deren bürgerlichem Name (Nora Hantzsch) wohl zu wenig Street Cred anhaftete, weswegen sie sich flugs mal eben ihr Szene-Pseudonym von Michelle Pfeiffers gespieltem Charakter „Sukie“ aus „Die Hexen von Eastwick“ entlieh, wohl kaum etwas sagen. Dabei ist Sookee, nachdem sie 2006 anfing, erste lyrische Ergüsse bei Spoken-Word- und Poetry-Slam-Abenden zu präsentieren, bereits seit etwa zehn Jahren Teil der bundesdeutschen Rap-Szene. Und anstatt, wie bemitleidenswerte Kolleginnen wie etwa Schwester Ewa, die toughe Mackerin zu markieren oder auf Bling-Bling und sinnentleert-dicke Hose zu machen, ergreift Sookee für die Queer-Szene Partei (zu der sie sich übrigens auch selbst zählt) oder engagiert sich gegen Homophobie und Sexismus im deutschen Hip-Hop sowie gegen Rassismus in Deutschland. Man höre etwa den durchaus bissigen, jedoch definitiv gelungenen Song „Q1„…
Das neuste Beispiel für Sookees Message ist das Stück „Die Freundin von“, welches, wie auch „Q1“, von ihrem im März erschienenen Album „Mortem & Makeup“ stammt: Die in Berlin-Neukölln lebende und meist in Lila (die Farbe, welche mit der Frauenbewegung assoziiert wird) auftretende Künstlerin rappt über Unsicherheiten und rechnet mit den damit verbundenen Dummheiten ihres jüngeren Ichs ab. Sookee erzählt über „Nierenentzündungen“, die sie als Teenie-Mädchen in Kauf genommen hat, um sexy zu wirken, das Klappe-halten, wenn die Jungs reden, das Macker-Gehabe, dem man sich angepasst hat und die große Angst davor, ausgegrenzt zu werden.
Vor allem aber geht es In „Die Freundin von“ darum, all den oberflächlichen Mist hinter sich zu lassen. Ein paar Jahre später hat sie die Leute, die sie damals mit ihren Dummheiten beeindrucken wollte, längst vergessen, ist klüger geworden – und vor allem: stärker. Der Song und das Musikvideo zu Sookees neuster Single mögen recht unspektakulär sein, die Botschaft aber ist umso wichtiger. Oder, wie „Intro“ schreibt: „Falls ihr noch auf der Suche seid nach einem Song, den ihr euren jüngeren Geschwistern vorspielen könnt, hier ist.“
„Die Köpfe, die ich rauchte, waren größer als mein Selbstbewusstsein Ich versteckte mich in mir, lebte nur einen Bruchteil Um mich rum ein Mosaik, Kanten und Brüche Arroganz und Gerüchte Es ging immer nur darum, nicht unterzugehen Als könnte zwischen Bangen und Hängen noch ein Wunder geschehen Aber niemand entpuppte sich als einfühlsam Weil es peinlich war, angreifbar Mein Redeanteil lag bei um die sieben Prozent Mein Top war zu kurz und meine Jeans war zu eng Denn wenn du inhaltlich keine Relevanz hast Geht es darum wie du aussiehst, was du an hast Ich hatte Nierenentzündungen und Selbstzweifel Wenn ich zurückblicke, finde ich die selbst Scheiße Und um dazuzugehören griff ich erneut zur Bong Ich war im allerbesten Falle nur ‚die Freundin von‘
Aber heute sind sie mir völlig egal Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen Ihre Stimmen verstummen, ihre Gesichter verblassen Manchmal ist mir danach, über diese Geschichten zu lachen Weißt du, heute sind sie mir völlig egal Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen Wann war das ’98 oder 2006? Irgendwann sind die Erinnerungen weg
Ich gaukelte anderen vor, dass ich cool sei Ich fand mich selber nicht cool, es war kein Zufall Weil ich dachte, dass die Realität nicht ausreicht Hab ich meine Stories übertrieben und als Ausgleich Hab ich mich geschämt oder abgelenkt Ich war nicht mal richtig kriminell, ich war nur angestrengt Es gab einige Leute, vor denen ich Angst hatte Doch ich hatte keine Angst, dass sie mich anfassen Sondern ausgrenzen, ich hab‘ erst später gemerkt Das war das klassische Beispiel für Opfer-Täter-Umkehr Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn mit ’nem Schlag ins Gesicht Es einmal kurz knackt und dein Nasenbein bricht Ich hab die Fresse gehalten in ihrer Gegenwart Sie haben mich ignoriert oder verarscht, wie es gelegen kam Hab auch nach unten getreten, war nicht besser als sie Hab ihre Namen vergessen, doch das vergesse ich nie
Aber heute sind sie mir völlig egal Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen Ihre Stimmen verstummen, ihre Gesichter verblassen Manchmal ist mir danach, über diese Geschichten zu lachen Weißt du, heute sind sie mir völlig egal Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen Wann war das ’98 oder 2006? Irgendwann sind die Erinnerungen weg…“