Wir leben in verdammt unbeständigen Zeiten, von daher ist’s schön wenn es Dinge gibt, die nunmal schlichtweg feststehen. Dass Bob Dylan mindestens ein, zwei phänomenal großartige Songs geschrieben hat und die Singer/Songwriter… ach was, die Musikszene heutzutage ohne Robert Allen Zimmerman aus Duluth, Minnesota eine nahezu undenkbare, jedoch mindestens völlig andere wäre.
Absolut verständlich also, dass im Laufe der Jahrzehnte zig mal mehr, mal weniger bekannte Künstler*innen und Bands die 81-jährige, unter anderem gar mit einem Literatur-Nobelpreis dekorierte Musik-Legende mit Coverversionen bedacht haben – zwar mit höchst unterschiedlichen qualitativen Erfolgen, dennoch sorgt jede einzelne von ihnen dafür, Dylans Erbe fester im Hier und Jetzt zu verankern.
Auf der positiven Habenseite präsentiert sich nun jene Coverversion, die Angel Olsen unlängst vom anno 1964 auf Bob Dylans drittem Album „The Times They Are A-Changin‘“ erschienenen Stück „One Too Many Mornings“ veröffentlicht hat. Die Version der US-Indie-Folk-meets-Art-Pop-Musikerin, welche ihrerseits unlängst mit „Big Time“ ein von der Kritik höchst positiv aufgenommenes neues Album in die Plattenläden stellte, ist Teil des Soundtracks zur Apple TV+-Serie „Shining Girls„, in der Elisabeth Moss („The Handmaid’s Tale“) sowohl als Darstellerin als auch als ausführende Produzentin in Erscheinung tritt.
Etwas Gutes hat der Musik gewordene Dylan-Knicks obendrein auch, denn Olsen spendet die Einnahmen aus den Streaming-Tantiemen für „One Too Many Mornings“ an die gemeinnützige US-Organisation Everytown for Gun Safety, die sich für die Kontrolle von Waffen einsetzt. Zudem wird die 35-jährige Musikerin in Kürze mit den befreundeten Kolleginnen Julien Baker und Sharon Van Etten auf ausgedehnte The Wild Hearts-US-Tour gehen und während der Konzerte, wie man so liest, den gemeinsamen Wurzeln für den guten alten, handgemachten Alt.Country fröhnen. Shows in good ol‘ Europe sind zwar aktuell nicht geplant, dafür kann man derzeit bestens Angel Olsens neusten kreativen Ergüssen auf Konserve (aka. Studio-Langspieler Nummer sechs) lauschen.
Die Macher der Netflix-SciFi-Mystery-Serie „Stranger Things“ haben einem der Achtziger-Pophits von Kate Bush unlängst zu neuem Glanz verholfen. Und andersherum. Viele sehen darin eine reine Marketingmasche. Doch selbst wenn – es gibt allerlei gute Gründe, warum ein Song wie „Running Up That Hill“ noch immer funktioniert…
Fest steht: Die Achtziger sind zurück – und das nicht nur wegen dem in jenem Jahrzehnt angesiedelten Streaming-Serien-Hit. Teenager tragen wieder Batik-Shirts und Pastell-Töne. Leider – qualitativ war jene Dekade bekanntlich nicht die beste – wird das Revival auch in der Musik deutlich: Zu den beliebtesten Liedern auf TikTok gehört unter anderem gerade ein Cover von Madonnas „Like A Prayer“ (vorher ging ein Hype-Raunen um den 1977er-Fleetwood Mac-Hit „Dreams“ durch die digitale Plattform). Hinter dem überraschenden Neu-Erfolg von „Running Up That Hill“ bleibt jedoch selbst der Ciccone-Evergreen zurück, denn Kate Bushs Song aus dem Jahr 1985 wurde durch die neue Staffel von „Stranger Things“ nicht nur wieder in die Charts katapultiert, er ist heute sogar weitaus erfolgreicher als damals.
So schaffte es die ursprünglich auf Bushs fünftem Album „Hounds Of Love“ erschienene Nummer nun zum ersten Mal in die Top 5 der US-Charts, erklomm danach erstmals die Spitze der UK-Charts und führte auch die Single-Spitzenränge in Australien, Norwegen, Österreich oder der Schweiz an – schnell erreichte Streaming-Quoten machen so etwas heutzutage eben im Nu möglich. Dennoch ist der Erfolg in vielfacher Hinsicht bahnbrechend, schließlich liegen stolze 44 Jahre zwischen Kate Bushs erster UK-No. 1, „Wuthering Heights“ im Jahr 1978, und nun eben „Running Up That Hill“ 2022. „Dem Lied wurde neues Leben eingehaucht“, schrieb die britische Musikerin als Reaktion auf die unverhofften Erfolge, die ihr als alleinige Songschreiberin und Produzentin des Stücks mehr als zwei Millionen US-Dollar in die Kassen spülten, auf ihrer Website – und meint damit wohlmöglich auch ein bisschen sich selbst. „Ich bin überwältigt von dem Ausmaß an Zuneigung und Unterstützung, die der Song erfährt.“ Dies alles passiere „sehr schnell, als würde es von einer Art Urgewalt vorangetrieben“. Dabei ist der Kult um die mittlerweile 63-jährige Musik-Ikone, deren jüngstes Album „50 Words For Snow“ 2011 erschien, auch sonst ungebrochen. So treffen sich australische Fans etwa im Juli im „klassischen“ Kate-Bush-Outfit – rotes Kleid, roter Gürtel –, um zu ihrem Song „Wuthering Heights“ zu tanzen. Anno 2013 kamen zu einem ähnlichen Flashmob-Event 300 Leute, in diesem Jahr werden’s wohl ungleich mehr werden.
Interessant daran ist außerdem weniger, dass die Achtzigerjahre-Ästhetik mit all ihren verquer-grellbunten Alleinstellungsmerkmalen noch so gut funktioniert, als warum das Musikjournalisten in Zusammenhang mit einer Netflix-Serie so (ver)ärgert. Kristoffer Cornils etwa erregt sich im „Deutschlandfunk“ über zynisches Cross-Marketing und dass die Musikauswahl immer mehr Marketingzwecken angepasst werde. Während „Cicero“ gar ein „Armutszeugnis für den Zeitgeist“ausstellt, sieht auch der „Spiegel“ den Song in der Serie „verramscht“. Das Stück selbst sei zwar „große Kunst“, füge der Ästhetik der Serie aber nichts hinzu, sondern reihe sich einfach in die seit vier Staffeln bestens bekannte Achtzigerjahre-Kulisse ein, schreibt Oliver Kaever: ein reines „Marketingtool auf einem riesigen Berg von Merchandise“.
Fakt ist, dass wir uns – auch abseits von Filmen und Serien – längst an Produktplatzierungen gewöhnt haben – egal, ob bestimmte Cornflakes-Packungen, Saftsorten oder Bierflaschen werbeschleichend im Bild herumstehen, der Hauptdarsteller rein zufällig und bestens ausgeleuchtet ins neueste Modell eines großen Autoherstellers steigt oder Influencer sich zu Beginn ihrer Videos ganz offen bei ihren Sponsoren bedanken. Doch mit Musik ist es – oder war es zumindest – anders, Musik ist persönlich. In „Running Up That Hill“ etwa geht es um eine Trennung, die von Bush schmerzlich-schön beschrieben wird: „Gibt es so viel Hass für jene, die wir lieben? Sag mir, wir zählen beide, oder nicht?“ Zeilen, die zu den ohrwurmigen Keyboard-Tönen bestenfalls direkt ins gefühlige Mark treffen und sich durch das Schlagzeug direkt ins Herz trommeln. Zeilen, die vielleicht anstrebende Musikjournalisten einmal bewegt haben, als sie Teenager waren und der Song gerade rauskam – damals, vor satten 37 Lenzen.
Denn der größte Aufreger scheint zu sein, dass auch hier das angestrebte Cross-Marketing der „Stranger Things“-Macher bestens funktioniert (was ja wiederum kein vollumfänglich neues Prinzip ist). Kate Bush, die ein Fan des soeben mit Staffel vier (wohlmöglich) zuende gegangenen Netflix-Serien-Hits sein soll, freute sich öffentlich nicht nur über den Erfolg ihrer Kunst, sondern auch auf den finalen zweiten Teil der vierten Staffel. Was ist daran so ärgerlich? Vielleicht, dass der Streaming-Milliardenkonzern Netflix, in Verkörperung der Serien-Macher Matt und Ross Duffer, ein Kunstwerk auf seine Funktionalität als schlichtes Marketingmittel beschränkt. Das Lied greift nicht länger nach unserer Seele, sondern nun – oh Schande, oh Kapitalismus! – nach unserem Geldbeutel! Ganz ähnlich erging es übrigens unlängst Nirvanas „Something In The Way“, als das Stück der US-Grunge-Heroen in der neuesten Fledermaus-Irgendwie-Antisuperhelden-Verfilmung „The Batman“ Verwendung fand. Ob sich Kurt Cobain 28 Jahre nach seinem Ableben deshalb mißmutig tobend im Grabe gewälzt hat? Dürfte immerhin anzunehmen sein…
Aber tut das Stück das wirklich, nach unserem schnöden Mammon greifen? Schließlich spielt „Stranger Things“ nunmal in den Achtzigern und „Running Up That Hill“ ist ein ikonischer Popsong dieser Zeit. Zudem passt selbst der Songtext, in welchem es um Trotz im Angesicht der Verzweiflung geht, in die Handlung: „Es tut mir nicht weh… Ich werde die Straße hochlaufen, den Hügel hochlaufen, das Gebäude hochlaufen. Wenn ich nur könnte…“.(Achtung Spoiler: In der Serie hört Max Mayfield, das starke, unabhängige Skater-Mädchen mit dem aggressiven Stiefbruder, immer wieder diesen Song, während sie sich durch die Unterwelt kämpft.) Und wie anziehend der Song ist, zeigten in der mehr oder minder jüngeren Vergangenheit Coverversionen von Placebo (im typischen Alternative-Rock-Outfit), der Elastic Band (im Disco-Fummel) oder Georgia (im kontemporären Pop-Outfit). Ja, es berührt die Jugend auch heute noch, wenngleich mithilfe anderer, neuzeitlicher Inspirationsquellen. Das Lied ist eben ein Klassiker. Und das Grundprinzip von Klassikern ist doch stets, dass sie verdammt zeitlos sind – 37 Jahre, „Stranger Things“, Netflix und die unsäglichen Achtziger hin oder her.
Und falls irgendjemand zum runden Abschluss noch einen interessanten Fun Fact haben mag: Dieses kleine Revival-Hoch passiert Kate Bush mit „Running Up That Hill“ in der Tat keineswegs zum ersten Mal. Nachdem ein Remix des Songs bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London verwendet worden war, kletterte die Britin schon einmal wieder zurück in die Charts – wenn man so mag wohl nur ein weiterer Beweis dafür, wie zeitlos das Stück durch die Jahre wandelt…
Und was passiert, wenn 1.600 Fremde ein paar Drinks nehmen und dann lernen, „Running Up That Hill“ in dreistimmiger Harmonie zu singen? Nun, dreht gern die Lautstärke auf, nehmt euch was Kühles für die Kehle und findet es heraus, denn die kreativen Köpfe des australischen Kneipenchor-Pojektes Pub Choir haben genau das ausprobiert:
Cristin Milioti kennen die meisten vor allem wegen ihrer Rollen in Serien wie „How I Met Your Mother“ (als die ominöse „Mutter“), „Palm Springs“, „Fargo“ oder „Black Mirror“ sowie Filmen wie „The Wolf Of Wall Street“. Dass die 36-jährige US-Künstlerin nicht nur ein hübsches Mattscheibengesicht, sondern auch ein formidables Stimmchen besitzt, bewies Milioti zudem als Teil der Broadway-Musical-Adaptierung von „Once„, was ihr 2012 sogar eine Tony-Award-Nominierung einbrachte.
Dennoch fand die vielseitige Mimin erst kürzlich Zeit, um ihr Debütalbum aufzunehmen, und als ersten Vorgeschmack auf die Richtung, in die selbiges gehen soll, veröffentlichte Cristin Milioti im vergangenen Jahr ein wunderschöne Coverversion von Bon Ivers „715 Creeks“.
Kenner des Künstlers des Originalstücks wissen freilich: Wenn es um anspruchsvolle Coversongs geht, bekommt so ziemlich alles aus dem Katalog von Bon Iver einen Extrapunkt für den Schwierigkeitsgrad, aber „715 – CRΣΣKS“ (so die Schreibweise des Originals aus der 2016 erschienenen Elektro-Folk-Album-Wundertüte „22, A Million„) geht sogar noch einen Schritt weiter, schließlich stellt das Bon Iver’sche Ausgangsstück Justin Vernons Gesang, der mit einem Prismizer-Effekt autotune’esk stark modifiziert wurde, ohne jede weitere Begleitung in den Vordergrund – der Text sowie Vernons emotionale Darbietung benötigen in diesem Fall einfach keinerlei Schmückwerk.
Milioti hingegen entscheidet sich bei ihrer Interpretation dafür, ihre Stimme weitaus natürlicher und ohne derlei Verfremdung auskommen zu lassen, nur begleitet von einem Klavier und einigen Streichern. Versehen mit ausreichend Fallhöhe zunächst wohlmöglich ein gewagter Plan, der jedoch aufgeht, denn mit ihrer Stimme weiß sie voll und ganz zu überzeugen. Wenngleich der Höhepunkt des Originalsongs so kraftvoll daherkommt, dass es unmöglich scheinen mag, ihn ohne Vernons spezielle Gesangseffekte nachzubilden, macht sich Cristin Milioti mit ihrem Talent das Stück dennoch zueigen. Es schwillt an den richtigen Stellen an und hält sich an anderen Stellen wiederum zurück, um die Stille sprechen und der Melancholie Raum zu lassen. Wundersam berührend. Und macht gerade deshalb durchaus gespannt auf ihr zwar versprochenes, aber noch nicht erschienenes Debütalbum…
Wer ANEWFRIENDauf Facebook folgt, dem dürften die unterstehenden Zeilen wohlmöglich bekannt vorkommen. Der Rest findet hier jeweils zwei Film- und Serien-Empfehlungen meinerseits aus der letzten Zeit…
Fern (Frances McDormand) hat vor einiger Zeit ihren Mann verloren, aber dennoch ist sie in dem gemeinsamen Haus in Empire, Nevada wohnen geblieben. Nun allerdings hat die United States Gypsum Corporation, ein Baustoffhersteller und der einzige große Arbeitgeber der Kleinstadt, dicht gemacht und es gibt keine Jobs mehr. Nicht einmal eine Postleitzahl hat Empire mehr, weswegen Fern sich schließlich dazu entscheidet, in ihrem kleinen Van zu leben, durch die Vereinigten Staaten zu fahren und sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob treiben zu lassen. Sie besteht allerdings darauf, dass sie nicht obdachlos, sondern einfach nur hauslos ist. Wohlmöglich könnte die Frau in ihren Sechzigern aufgrund ihrer Qualifikationen jederzeit wieder ein relativ „normales“ Leben führen, doch sie bevorzugt den Alltag auf der Straße mit seiner Freiheit, den anderen Menschen und den vielen Bekanntschaften, die man irgendwann wieder trifft. So arbeitet sie mal in einem Versandlager, hilft mal der Ernte, arbeitet in einem Diner oder in einer Wohnwagensiedlung, nie so ganz wissend, was die nächsten Tagen bringen werden…
Mit „Nomadland“ entwickelt „The Rider“-Regisseurin Chloé Zhao – trotz ihres zwischenzeitigen Marvel-Blockbuster-Gigs mit dem kommenden „Eternals“ – ihre ganz eigene Art des Filmemachens konsequent weiter. Der Film, welcher lose auf dem Sachbuch-Bestseller „Nomadland: Surviving America In The Twenty-First Century“ basiert, für den sich Autorin Jessica Bruder ein Jahr lang sogenannten „Arbeitsnomaden“ angeschloss, lebt nicht nur von seinen vielen Laiendarstellern, sondern vor allem vom konsequent uneitlen Mimenspiel der zweifachen Oscar-Preisträgerin Frances McDormand („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), die selbst den kleinen, melancholisch-stillen Momenten eine erstaunliche Tiefe und Würde verleiht. Der bewusst „kleine“ Film, welcher bei seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde und somit als einer der Geheimfavoriten in die anstehende Oscar-Saison geht, stilisiert die modernen Nomaden weder zu Opfern noch zu Helden – und setzt ihnen und ihren klapprigen Heimat-Vehikeln gerade deshalb ein so eindringliches Denkmal, das den Zuschauer mitsamt seinen Protagonisten von Stop zu Stop, von Jahreszeit zu Jahreszeit treiben lässt. Ein berührendes, bildgewaltiges und trotzdem durch und durch bescheidenes Roadmovie voll von Poesie und flüchtigem Glück, das gerade deshalb so tief berührt, weil es nicht auf die Tränendrüse drückt (und somit quasi die Antithese zu klassischen Oscar-Projekten wie „Green Book“ & Co. darstellt). Ebenso toll auch: der einmal mehr wunderbar subtile Score des italienischen Komponisten Ludovico Einaudi.
Es ist ein grauenvoller Anblick, der sich Jacob Kanon (Jeffrey Dean Morgan) da bietet: Seine Tochter und ihr Ehemann wurden während ihrer Hochzeitsreise in London grausam ermordet, zerstückelt und auf bizarre Weise neu zusammengesetzt. Aber wer könnte eine solche furchtbare Tat begangen haben? Und aus welchem Grund? Als der New Yorker Polizist nach möglichen Hinweisen sucht, führt ihn die Spur nach Madrid, München und Stockholm, wo bald darauf ganz ähnliche Morde geschehen. Gemeinsam mit dem deutschen Kommissar Bubeck (Joachim Król) und der schwedischen Journalistin Dessie Leonard (Cush Jumbo) jagt er einem Phantom hinterher, das es zu seiner Methode gemacht hat, seine Verbrechen stets mit Postkarten anzukündigen…
Eines muss man „The Postcard Killings„, der filmischen Adaption eines Romans von Liza Marklund und James Patterson, lassen: Es gibt doch – dem blutigen Sujet zum Trotz – während der 104 Minuten den einen oder anderen Moment, über den man schmunzeln darf. Wenn etwa Kanon ganz frustriert ist, dass es in Europa Reisefreiheit gibt und die Menschen deshalb nicht ständig überwacht werden können, ist einer davon (während in seiner Heimat, genauer betrachtet, nicht einmal eine Meldepflicht herrscht). In einem anderen wird trocken entgegnet, dass es in den US of A eben üblich sei, erst zu schießen und danach zu fragen… Möglich gemacht wird beides durch eine Mörderjagd, die quer durch Europa führt und auch noch einen US-Polizisten mit hineinzieht. Das soll für internationales Flair sorgen und führt so zu dem ein oder anderen Konflikt, wenn sich Behörden und Mentalitäten gegenseitig in die Quere kommen. Und auch wenn der Mystery-Killer-Thriller an so einigen Stellen keinen gesteigerten Wert aufs kleinste Detail legt und eine Unstimmigkeit zugunsten des Kurzweils mal eben eine Unstimmigkeit sein lässt, unterhält der Film mit Jeffrey Dean Morgan (vielen wohlbekannt als Negan aus „The Walking Dead“) in der Hauptrolle. Daher: Tipp für alle Genre-Freunde. (Wer nicht gespoilert werden mag, der sollte übrigens die digitalen Griffel vom deutschen Trailer lassen…)
Frankreich im Jahr 1787: Das Volk hungert, die Unruhen auf den Straßen nehmen zu und eine Revolution bahnt sich an. Doch die adlige Elise de Montargis (Marilou Aussilloux) hat ganz andere Sorgen – seit ihr Vater vor Monaten nach Versailles gereist ist, beschleicht sie der Verdacht, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Außerdem wird ihre kleine Schwester Madeleine (Amélia Lacquemant) von schlimmen Albträumen und Visionen geplagt, weswegen ihr Onkel sie in eine Nervenheilanstalt stecken will. Währenddessen häufen sich in der Bevölkerung die Fälle mysteriöser und brutaler Morde. Gefängnisarzt Joseph Guillotin (Amir El Kacem) untersucht einen Verdächtigen und kommt Unstimmigkeiten auf die Spur. Auf eigene Faust beginnt er zu ermitteln, damit der Verdächtige nicht unschuldig gehängt wird. Seine Wege kreuzen sich bald mit denen von Elise, die eine gemeinsame Vergangenheit mit Josephs Bruder Albert (Lionel Erdogan) hat. Sie stellen fest, dass die Dinge, die sie beide umtreiben, auf ungeahnte Weise zusammenhängen – und alle Spuren führen zu einer Infektion, die das Blut der Infizierten blau färbt und sie in mörderische Raserei verfallen lässt…
Wer hier eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts erwartet, der wird schnell eines Besseren belehrt. Dafür bietet die Netflix-Serie „La Révolution“ ein ebenso faszinierenden wie kruden Mix aus Historiendrama und Fantasy-Elementen, der zuweilen auch in Richtung detektivischer Spurensuche sowie Horror-Slasher geht und an mancher Stelle sichtlichen Spaß an der gezielten Übertreibung hat. Das mag einerseits ziemlicher Schund sein, ist gleichzeitig aber eben auch faszinierend. Vor allem ist diese erste Staffel durchaus hübsch bebildert. Vieles sieht künstlich aus, zudem wird mal wieder ganz übertrieben mit Grautönen gearbeitet, sodass jeder Anflug von Farbe falsch und auffällig im Kontrast wirkt. Auch an diesen Stellen legte man also so gar keinen Wert auf Authentizität. Aber diese Kombination aus Noblesse und Trash, aus Blut, Dreck und Okkultem ist auf ihre Weise derart fesselnd in ihrer Kühnheit, dass man sich die acht Folgen doch ganz gut (am Stück) anschauen kann. Zwischenzeitlich kommt es zwar zu kleineren Hängern, wenn die Geschichte mal wieder derart konfus umherirrt, als befände sie sich selbst in einem Virus-Wahn. Zu sehen gibt es jedoch auch dann noch genug.
Zu viel sollte man an der Stelle nicht vorab verraten, da ein Teil des Spaßes bei „La Révolution“ darin liegt, dass die Geschichte immer und immer abstruser wird. Da gibt es Abarten gewohnter Genrekreaturen, Ausflüge in die Zauberwelt, garniert mit einer Prise Sherlock Holmes und etwas Pseudo-Wissenschaft. Geradezu prophetisch mag sein, dass hier ein Virus eine große Rolle spielt, welches höchst ansteckend ist und wofür eilig nach einem Heilmittel gesucht wird. So als hätte man das Jahr 2020 mal so eben rund 230 Jahre nach vorne verlegt. Polternde Populisten gibt es in der Serie zwar nicht, dafür andere Adelsschurken, denen minderwertige Menschen – sprich: alle aus dem schnöden Volk – herzlich egal sind.Unterm Strich ist „La Révolution“ also für Genre-Freunde durchaus empfehlenswert. Und aufgrund des Erfolgs kurz nach dem Serienstart im vergangenen Oktober ist – so Corona und Netflix es denn zulassen – eine 2. Staffel durchaus denkbar…
Es ist 2019, die Welt steht in Flammen. Die von BBC One und HBO produzierte sechsteilige Mini-Serie „Years and Years“ zeigt, wie eine Familie aus dem englischen Manchester – teils im Zeitraffer – ihren Weg aus dem globalen Übel sucht, und in den immer wirreren Zeiten versucht, nicht sich selbst (und einander) zu verlieren…
Auch wenn absurd Komisches die Serie glücklicherweise immer wieder auflockert, ist Wegschauen – besonders gen Ende – schlicht unmöglich: Das Szenario von „Years and Years“ mag zwar dystopisch und (noch) fiktiv sein, ist mit all seinen bitteren Konklusionen bis ins Detail jedoch so verdammt realitätsnah und gut vorstellbar, dass es richtig weh tut zuzusehen, wie die Welt von Jahr zu Jahr mehr vor die Hunde geht. Außerdem ist vor allem Nebendarstellerin Emma Thompson einmal mehr schlichtweg fabelhaft.
Wer übers Wochenende (oder an ein, zwei Abenden) nur eine Serie schauen mag, der sollte definitiv diese wählen – zudem flimmern sich die knapp sechs Stunden, welche man aktuell in der ZDF-Mediathek findet, quasi in einem Binge-Rutsch. Ohne viele Worte, kurzum: Unbedingte Empfehlung!
Im Jahr der Bandgründung direkt ein komplettes Debütalbum zu veröffentlichen und damit im Heimatland die Charts zu entern, ist schon beeindruckend genug. Erfolgreiche Genre-Wechsel und ein starkes Feingefühl für bewegende Sound-Landschaften haben der Kunst von Highasakite außerdem bereits mehrfach die Krone aufgesetzt. 2012 trafen sich Sängerin Ingrid Helene Håvik und Schlagzeuger Trond Bersu auf der Trondheim Jazz Conservatory und beschlossen schnell, zukünftig zusammen Musik zu machen – die Geburtsstunde der norwegischen Indie-Pop-Band.
„Rare musical landscapes, a place of long dark shadows, sudden flashes of glittering light, brooding silences and unexpected explosions of fierce percussion…“ (Highasakite über Highasakite)
Man braucht auch kein Geheimnis draus zu machen, man hört’s ohnehin schnell – ausschweifend atmosphärisch ging es bei Highasakite schon immer zu. Doch setzte das Duo, welches vor allem auf der Bühne manches Mal zum Quintett anwachsen kann, diese Fähigkeit bei den von Electro-Folk durchdrungenen ersten Langspielern „All That Floats Will Rain“ und „Silent Treatment“ noch auf sehr malerische Weise ein, wurden ihre Songs auf dem 2016er Album „Camp Echo“ deutlich vielschichtiger und elektronischer, ja: düsterer. Anstatt länger in melancholischen Traumbildern zu schwelgen, thematisierten Ingrid Helene Håvik und Trond Bersu in vielen Stücken verdammt weltliche Ängste in Verbindung mit Krieg, Terror oder der Klimaerwärmung. Findige Füchse lesen dies bereits aus dem Albumtitel „Camp Echo“ heraus, schließlich handelt es sich hierbei um den Namen eines Gefangenenlagers in Guantanamo Bay. Passend dazu verlagerten Highasakite die dazugehörige Soundkulisse hin zu Neunziger-R’n’B, Trance und sinistrem Synthie-Pop mit tonnenschweren Tastentönen, Drumbeats und Verfremdungseffekten – kühl, aggressiv und aufgewühlt klingen hier viele Momente, in einer Manier, die oft genug an The Knife erinnert. Diesen Weg setzte die Band, die bereits mehrfach den renommierten norwegischen „Spellemannsprisen“ einheimsen konnte und 2016 sogar beim „Nobel Peace Prize Concert“ auftrat, unlängst auch mit dem 2019 erschienenen Album „Uranium Heart“ fort: Schlagzeug, Gitarre, Synthesizer und allerlei elektronische Elemente bilden vornehmlich den Rahmen für die hingebungsvoll-epischen Klangflächen der Norweger.
Was auf Konserve zwar recht gut als Kopfkino-Untermalung funktioniert, an mancher Stelle jedoch auch schnell überfrachtet wirkt und – zumindest nach meinem Gusto – zu electronica-lastig gerät, bekommen Highasakite live wesentlich wirkungsvoller hin. Bestes Beispiel ist etwa die „Acoustic Versions EP„, auf der die Band vier Songs von „Camp Echo“ in reduziertem Gewand präsentiert. Oder eben diese 2019er Live-Variante des tollen Songs „God Don’t Leave Me“ (hier und hier gibt’s weitere Auszüge von jener Show). Auch dieser stammt vom 2016 erschienen dritten Album und verhandelt zum Widerhall von Synthies und Chor einen verzweifelten Ruf an Gott, den laut Band ein Soldat in seiner größten Not ausstoßen könnte…
(Auf den Song aufmerksam geworden bin ich übrigens durch seinen Einsatz in der zwar etwas vorhersehbaren, jedoch dennoch sehenswerten norwegischen Nordic-Noir-Serie „TWIN„, welche auch für alle Freunde von „Game Of Thrones“ einen Binge-Versuch wert sein dürfte, immerhin ist Kristofer „Tormund Riesentod“ Hivju hier in einer Doppelhauptrolle zu sehen. Die insgesamt acht Folgen findet man bei Interesse in der ARD-Mediathek…)
„God, don’t leave me, I’ll freeze I panic in my bedroom half asleep God, don’t tempt me, I’m weak And either way, it’s a shitty way to leave Creator of my awful mind You crossed the line this time You crossed the line this time It’s been a long time since the phone rang and it was you God, don’t leave me, I’ll freeze If only ‚bout a second of your time If only ‚bout a second of your time
God, don’t leave me, I’ll freeze Like the last summer God, don’t leave me, I’ll freeze Like the last summer (God, don’t leave me out) God, don’t leave me, I’ll freeze Like the last summer (God, don’t leave me now) God, don’t leave me, I’ll freeze Like the last summer (God, don’t leave me now) Like the last summer (God, don’t leave me now) Like the last summer (God, don’t leave me now) Like the last summer…“
„Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh’ ich wieder aus…“
(aus „Winterreise“ von Franz Schubert & Wilhelm Müller)
Aljoscha Pauses kürzlich erschienene fünfteilige Dokuserie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“ beginnt mit einem Zitat aus Schuberts „Winterreise“. Und sie ist genau das: eine Reise. Eine tatsächliche, eine persönliche und eine kreative.
Der „Fremde“ im Zentrum der knapp vierstündigen Serie dürfte den meisten tatsächlich fremd sein: Roland Meyer de Voltaire. Der 1978 in Bonn geborene Musiker, der einen Teil seiner Kindheit in Moskau verbrachte, war der Kreativkopf hinter der 2011 aufgelösten Band Voltaire, die Mitte der Nuller-Jahre von der Kritik als aussichtsreiche deutsche Newcomer gefeiert wurden. Komplexe, herrlich verkopfte deutschsprachige Texte, ein Sound mit poppiger Attitüde, indierockigen Gitarrenriffs und Brüchen, dazwischen de Voltaires gerne auch in die Kopflagen lavierende Stimme. Dass der deutsche „Rolling Stone“ die Band als „schönste Aussicht auf das Jahr 2006“ neben die britischen Indie-Rocker der Arctic Monkeys stellte, half allerdings eben so wenig wie der unverhoffte große Plattenvertrag beim Major-Label Universal. Nach zwei Alben (von denen vor allem das Debüt „Heute ist jeder Tag„, welches kürzlich sein Re-release mit Bonus Tracks erfuhr, auch heute noch wärmstens ans Hörerherz gelegt sei) erleidet der Kopf der Band finanziellen und mentalen Schiffbruch und steht nach jahrelangem Komplettfokus auf sein kreatives „Baby“ vor dem vollumfänglichen Nichts.
„Ich glaube, dass die meisten sich nicht vorstellen können, wie wenige Musiker eigentlich von ihrer Musik leben können“, fasst es SWR-Moderatorin Christiane Falk nüchtern zusammen. Sie ist, neben einigen Musikjournalisten und musikalischen Weggefährten wie Schiller, Madsen, Alina, Desiree Klaeukens, Megaloh oder Enno Bunger, eine der Stimmen dieser Dokuserie, für die Pause den Musiker sechs Jahre lang begleitete. Die beiden kennen sich schon länger, de Voltaire hat, neben anderen Projekten, die Soundtracks für Pauses Fußball-Dokus, zuletzt etwa für „Inside Borussia Dortmund„, beigesteuert. Der Bonner Regisseur hat zuvor mit seinen Langzeitstudien „Tom Meets Zizou – Kein Sommermärchen„, „Trainer!„ oder „Being Mario Götze – Eine deutsche Fußballgeschichte„ die Fußball-Szene durchleuchtet. Jetzt gewährt er einen Einblick in das Leben eines Musikers und in den deutschen Popmusikzirkus.
„Nach meinen jüngsten Doku-Serien für Amazon und DAZN geht es mit dieser Serie einerseits wieder back to the roots: diese Doku ist Independent von Kopf bis Fuß, wie einst mein Film ‚Tom meets Zizou’. Andererseits geht es auch zu neuen Ufern: Popmusik.“ (Aljoscha Pause)
Bei den ersten Begegnungen im Jahr 2014 wirkt Roland Meyer de Voltaire wie ein Gestrandeter, wie er da in seinem Kölner WG-Zimmer wohnt und am Existenzminimum herumkrebst. Die Miete muss er teils mit Instrumentenverkäufen zusammenkratzen, teils von Familie und Freunden leihen, teils vom Dispo aus besseren Zeiten finanzieren. „Da gibt es kein Mandat für einen tollen Musiker, dass er da irgend ’ne Berechtigung hätte“, erklärt Musikjournalist und Musikexpress-Redakteur Linus Volkmann. In Rückblicken zeigt Pause Musikvideos und Live-Auftritte aus den good old days und lässt Expertinnen und alte Bandmitglieder ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass der Mann nicht völlig durch die Decke gegangen ist.
Die Serie gibt sich gerade zu Beginn viel Mühe, ein wenig Mythenbildung zu betreiben: Roland Mayer de Voltaire, die zarte Künstler-Seele, das verkannte Genie! Das mag an mancher Stelle eine Spur zu dick aufgetragen sein und soll wohl der Dramaturgie dieser recht klassisch geratenen Doku-Serie dienen. Die kommt in manchen Momenten konsequenterweise, wie man ergänzen muss, selbst wie ein Popsong daher. Es braucht halt eine Prise Pathos, ein bisschen Drama…
Und doch folgt man de Voltaire gern bei seinem persönlichen und vor allem kreativen Wandel. Ist da anfangs noch ein Störgefühl, wenn der zunächst überidealistisch wirkende Mann, unterstützt noch von seinen Eltern, sich als für die Musik geboren betrachtet, kommt im Laufe der Serienminuten immer mehr die Erkenntnis: Das ist völlig ernst gemeint, das kommt aus tiefstem Künstlerherzen – und zwar mit aller Konsequenz!
Von Köln verschlägt es de Voltaire irgendwann nach Berlin, wo er sich ohne festen Wohnsitz und in einem nomadischen Dasein in verschiedenen Wohnungen von Freunden und Bekannten neu sortiert. Wir folgen ihm nicht nur bei Alltäglichkeiten, sondern auch zu Gesprächen mit Produzenten und Managern oder in den Proberaum der deutschen Rockband Madsen, die fast zeitgleich mit Voltaire bekannt wurde, sich allerdings bis heute gehalten hat. Wir sehen den Komponisten und Soundfrickler in seinem kleinen Heim-Studio vor neuen Produktionen, an denen er arbeitet, als Ideengeber für eine Bekannte, bei der er schließlich einzieht und auch im Studio von Rapper Uchenna van Capelleveen alias Megaloh, für den de Voltaire schon länger als Gastsänger arbeitet. Was fast schon als Sinnbild für den hart umkämpften deutschen Musikmarkt herhalten kann: Trotz musikalischer Erfolge muss sich auch der Rapper nebenbei im Lager eines großen Paketlieferanten verdingen, um sich „genug Zeit und Sicherheit für seine Musik“ zu verschaffen, wie er erklärt.
„Wie ein Fremder“, das visuell zwar nicht an vergleichbare Musik-Dokumentarfilme der jüngeren Vergangenheit wie „20.000 Days On Earth“ (2014), „Cobain: Montage Of Heck“ (2015) oder „Amy“ (2015) heranreichen mag, sich stattdessen jedoch auf seinen Protagonisten sowie dessen Auf und Ab und Hin und Her konzentriert (und dabei das nötige Quäntchen Glück hat, dieses Mal mit dem gleichsam ruhigen, mitfühlenden, bescheidenen wie talentierten – und auch oft genug phlegmatischen – Roland Meyer de Voltaire einen spannenderen Charakter als den vermeintlich aalglatten Medienprofi Mario Götze vor der Kamera zu haben) ist einerseits die in Serie gegossene Entromantisierung des (nicht nur bundesdeutschen) Popmusik-Traums. Eine zugespitzte Botschaft mag lauten: Für wirkliche Kreativität ist im auf Radiotauglichkeit und ökonomische Interessen gebürsteten Showbusiness wenig bis gar kein Platz und Geld verdienen am Ende die wenigsten. Andererseits hat es zugleich etwas Romantisches, wie Pause dem selbstkritischen, teils unschlüssig herumstochernden, aber doch zielstrebigen Soundperfektionisten de Voltaire dabei zuschaut, wie er alternativlos versucht, seinen Traum zu leben.
Die kreative Reise, auf der wir ihn begleiten, scheint eine vom Licht ins produktive Dunkel: von ehemals deutschen Texten hin zu englischen, von akustischen Sounds hin zu elektronischen. „SCHWARZ“ nennt sich das Projekt, das sich langsam – und auch begleitet vom ein oder anderen Rückschlag – aus der Serie herausschält. Inspiriert von der „Dunkelheit, bevor der Film losgeht“, so de Voltaire, vermischt er 80er-Jahre-Synthesizer mit Soundscapes, die Radio Head-Kreativmotor Thom Yorke in seinen Soloprojekten eingehend kartografiert hat. Mehr Kraft als auf Platte entwickelt SCHWARZ live. Es sind starke Momente der Serie, wenn de Voltaire ausgerechnet mit dem Stück „Home“ ein neues Erfolgshoch gelingt, oder der Musiker, gemeinsam mit einer Cellistin und einer Pianistin, erstmals seit Langem wieder auf der Bühne steht und vor kleinem Publikum ein Akustik-Arrangement des Songs „Shine“ zum Besten gibt. Auch davon erzählt die Serie: Musik gehört auf die Bühne.
Wie es ihm heute, im Angesicht der Coronakrise (welcher auch die für Anfang Juni in Berlin geplante Premierenfeier von „Wie ein Fremder“ zum Opfer fiel), vieler abgesagter Konzerte und geschlossener Veranstaltungshäuser geht, ist ungewiss. Man wünscht ihm, diesem großartigen Menschen und begnadeten Künstler, jedoch nur das Beste (und wer mag, der findet hier oder hier aktuelle Interviews mit Roland Meyer de Voltaire).