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Der Jahresrückblick 2015 – Teil 2


IndieKinos Berlin

ANEWFRIENDs Filmfazit lässt sich – sagen wir’s kurzum, schreiben wir’s frank und frei – mit einem äußerst ernüchternden Resümee bilanzieren: einen „Film des Jahres“ gab es nicht.

Das mag auf der einen Seite mit (m)einem akuten Zeitmangel während der vergangenen zwölf Monate (wofür ja das Kino als solches wenig dafür kann) zu tun haben, auf der anderen Seite beweist diese Erkenntnis wieder einmal, dass sich die wahren qualitativen „Ereignisse“ mittlerweile vor allem im Serienfach abspielen (siehe Der Jahresrückblick 2015 – Teil 1). Natürlich habe ich auch 2015 so einige Filme sehen können – sowohl im Kinosaal als auch im Heimkino -, jedoch hatte am Ende kein abendfüllendes Zelluloid das Zeug zum „Film des Jahres“. Lange habe ich überlegt, einschlägige wie abwegige Internetseite gewälzt und mir im Zweifel den doch recht filmverrückten Kopf zerbrochen, aber: nichts zu machen.

jurassicworldposter_0Am ehesten käme noch – und allein das spricht bereits Bände – Jurassic World an diesen Titel heran. Und das nicht, weil der Film – die Fortsetzung des mittlerweile auch schon wieder 14 Jahre zurückliegenden „Jurassic Park III“ – so uneingeschränkt großartig ist. Aber immerhin bot der Streifen im aktuellen Filmjahr noch die beste actionreiche Popcornunterhaltung – auch dank Chris Pratt, guter Animationen, und trotz der Tatsache, dass Pratts weiblicher Co-Star Bryce Dallas Howard schwachsinnigerweise gut 120 Minuten in High Heels durch den Urwald stöckelt. Immerhin das Gesamtergebnis wusste am Ende so einigermaßen zu überzeugen. Auch gut war die neuseeländische Vampir-Mockumentary 5 Zimmer Küche Sarg, eben weil sie so anders angelegt ist als viele ihrer „großen“ Vergleichsfilme aus etwa den USA und am Ende mit einer Menge liebenswert abseitigem Indie-Charme überzeugt. Oder Men & Chicken, der neuste Streifen des dänischen Regisseurs Anders Thomas Jensen. Kenner des skandinavischen Films werden bei der bloßen Aufzählung vergangener Werke des 43-Jähreigen – „In China essen sie Hunde“, „Old Men In New Cars“, „Dänische Delikatessen“, „Adams Äpfel“ etc. pp. – freilich schnell mit der zelluloidbelasteten Zunge schnalzen und wissen, was auch 2015 von Jensen und so einigen seiner bewährten und befreundeten Langzeitdarsteller – allen voran Mads Mikkelsen und Nikolaj Lie Kaas – zu erwarten war: ein weiterer Film, der sich mitnichten um irgendwelche Konventionen schert. Stattdessen nimmt die Truppe mit der Geschichte um zwei ungleiche Brüder, die ihrer Vergangenheit und Familiengeschichte nachspüren und dabei auf allerlei Haarsträubendes stoßen – erneut gesellschaftliche Entwicklungen aufs Korn – samt passend weirdem Happy End.

298632Freilich gab es auch 2015 den ein oder anderen ansehnlichen deutschen Film: Victoria von Regisseur Sebastian Schipper etwa, wobei die Annahme, dass sich der in einer Einstellung gedrehte Streifen mit Schippers Klassiker „Lola rennt“ vergleichen ließe, freilich nur oberflächlich stimmt (obwohl es doch – sowohl von der Story wie von der Machart her – Parallelen gibt). Leider gelingt es dem Film nicht, den Zuschauer über (s)eine Länge von immerhin 140 Minuten zu fesseln. Trotzdem gut. Wie auch Heil“ von Dietrich Brüggemann („3 Zimmer/Küche/Bad“, „Renn, wenn du kannst“), eine feine, bissig-schwarzhumorige Abrechnung mit den immer akuter werdenden nationalistischen Tendenzen in Deutschland, welche sich nie zu ernst nimmt und durch des Regisseurs langjährige Arbeit als Musikvideomacher mit so einigen Musiker-Gastauftritten aufwarten kann (unter anderem von Thees Uhlmann, Gisbert zu Knyphausen, Heinz Rudolf Kunze oder Bernd Begemann).

Der Rest des Filmjahres ist mir jedoch (vorerst) durchs Raster gefallen. Entweder habe ich den ein oder anderen Streifen noch auf meiner Liste (das neue Biopic über Apple-Mastermind „Steve Jobs“ mit Michael Fassbender in der Hauptrolle etwa, freilich „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, die Hitler-Hipster-Persiflage „Er ist wieder da“ oder den neusten Tom-Hanks-Film „Bridge Of Spies“), oder das Gesehene war zwar redlich unterhaltsam, am Ende jedoch kaum der Rede wert (wie so vieles in den letzten Monaten eben). Und wenn man’s positiv sehen mag, dann stehen die Chancen damit gut für ein besseres Filmjahr 2016…

 

Rock and Roll.

 

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Flimmerstunde – Teil 6


Mitte Ende August (2009)

Ein Sommer in brandenburgischen Nirgendwo, wo man selbst für Handyempfang zum nächsten Baumarkt fahren muss. Hanna (toll gespielt von Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel, der seine Rolle zwar gut spielt, für mich jedoch eine gefühlte Fehlbesetzung darstellt), zwei verliebte, kinderlose Großstädter Mitte Dreißig, proben in ihren Ferien die Flucht aufs Land und kaufen sich ein renovierungsbedürftiges Häuschen in der idyllisch-weiten Einöde. Zwangloses, semiprofessionelles Heimwerken, entspanntes Federballspielen auf der Wiese, Essen, Trinken, Lachen, der Badesee gleich hinterm Haus – alles ist gut und vertraut, und so könnte es auch bleiben. Doch dann erreicht Thomas ein Anruf seines Bruders Fritz (André Hennicke), der gerade sein privates und berufliches Waterloo erlebt und fragt, ob die beiden ihn für die nächsten Tage bei sich aufnehmen können. „Ich finde es so unglaublich schön, hier mit dir alleine zu sein“, sagt Hanna. Unterbewusst schwant ihr Böses… Thomas überredet seine Freundin schließlich, Hanna willigt ein und holt auch ihre jugendliche Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) hinzu. Bald schon entwickelt sich eine wilde Überkreuzliebe, ständig pendelnd zwischen Zu- und Abneigung, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Der Film legt schonungslos die Defizite und Schwächen seiner Protagonisten zu Tage, betreibt eine Fallstudie von Beziehungs- und Alltagsneurosen der desorientierten Großstädter kurz vor der „wirklichen“ Midlife Crisis. „Mitte Ende August“ zeigt, dass Dramatik keine schnellen Kamerafahrten, Explosionen und Orchesterbeschallung benötigt und dass Stille manchmal verletzender sein kann als tausend Worte.

Die Idee zu einem Film „frei nach Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘ “ kam Regisseur Sebastian Schipper (u.a. „Absolute Giganten“ und „Ein Freund von mir“) im Urlaub, als ihm in Ermangelung anderer Literatur Goethes Werk von 1809 in die Hände fiel. Erwartet hatte er „fremden, alten Geruch“, fand stattdessen einen hellsichtigen, modernen Beziehungsroman, der ihn nicht als ersten Leser „fassungslos und aufgeregt“ hinterließ. Er machte sich ans Werk und entlieh sich alles, was ihm gut gefiel. Und obwohl zeitlos-klassische Motive wie der ewige Lockruf der Jugend oder das ständige Hinterfragen von Leben und Liebe durchaus an Goethe erinnern, ist Schipper ein Sommerfilm voll schöner Bilder und Momente, jedoch mit ernstem Unterton und im Innern gebrochenen Figuren gelungen, welcher sehenswert ist, jedoch keine Empfehlung für den gemeinsamen Pärchen-Filmabend.

Einen besonderen Platz nimmt bei „Mitte Ende August“ die Filmmusik ein. Der Soundtrack wurde komplett von dem mittlerweile – wie so viele viel zu früh -verstorbenen US-amerikanischen Songwriter Vic Chesnutt geschrieben, dessen Biografie die Tragik jedes Goethe-Werkes um Längen schlägt. Die Songs (u.a. eine gespenstische Coverversion von Kylie Minogues „Come Into My World“) sind mit Bedacht im Film platziert; in vielen Momenten beherrscht die Stille das Bild, Chesnutts Lieder nehmen so eine auffällige Sonderstellung ein, seine traurig greinende Stimme und sein an der Oberfläche unstrukturiert erscheinendes Gitarrenspiel bilden das emotionale Gerüst des Films. Ich hatte einige der Titel des Soundtracks bereits vorher gehört, doch erst jetzt, nachdem ich den Film gesehen habe (und um Chesnutts trauriges Leben bzw. Ende weiß), fügen die elf Titel sich zu einem berührenden Ganzen zusammen. Eine Empfehlung von mir – der Film zum Nachdenken, der Soundtrack für die Verlängerung der Gänsehaut.

Der Filmtrailer…

 

…und die Vic Chesnutt-Version von „Come Into My World“ als Hörprobe:

 

Rock and Roll.

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