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Böhmermann’s back! – #verafake und der Sand im Getriebe der Bloßstellerindustrie


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Mensch, Böhmermann! Der Bremer Jung‘ entwickelt sich so langsam aber sicher zu einem der verdientesten Kandidaten der „Person des Jahres“ (freilich im positiven Sinn)…

Und eigentlich hatte ich vor einigen Tagen vorgehabt, ein, zwei Worte zu dieser – mindestens unterhaltsamen – „Novo Magazin Khasan“ betitelten, liebevoll nachgeahmten Hommage, die sich da ein medienaffiner Fanboy ausgedacht hat, zu verlieren, während Jan Böhmermann und sein „Neo Magazin Royale“ eine selbstverordnete mehrwöchige (Zwangs)Pause eingelegt haben – Sie erinnern sich wohl: „Schmähkritik„, Böhmi vs. Recep Tayyip Erdoğan, Anzeige aus der Türkei, eine scheinbar überforderte Bundeskanzlerin und eine drohende, an Lächerlichkeit kaum zu überbietende Staatskrise, ausgelöst von einem forschen Moderator einer immer besser werdenden Show auf einem öffentlich-rechtlichen Spartensender… Kam ich zeitlich nicht dazu, kann ich hiermit auch vergessen (den Link zur einmaligen Episode von „Novo Magazin Khasan“ lasse ich trotzdem da), denn Böhmermann und seine „Neo Magazin Royale“-Mannschaft haben sich am vergangenen Donnerstag mit einem medialen Paukenschlag zurückgemeldet. Klar, einfach so konnte er – einem veritablen Gast wie Gregor Gysi zum Trotz – nach all dem „Ziegenficker“-Bohei irgendwie nicht weitermachen. Aber mit seiner neusten Aktion hat Böhmi wohl sogar sich selbst noch einmal überboten…

Denn unter dem Hashtag #verafake hat Jan Böhmermann nun die nächste subversive Aktion ausgeheckt, im Geheimen geplant und erfolgreich durchgeführt. Um die an Menschenverachtung grenzende Bloßstellung von *hust* Individuen mit überschaubarem Intellekt in der RTL-Sendung „Schwiegertochter gesucht“ aufzuzeigen, hat das Team von „Neo Magazin Royale“ zwei Schauspieler engagiert, die als debile Vater-Sohn-Kombi für die voyeuristische Verkupplungsshow angemeldet wurden. Das Casting-Team von „Schwiegertochter gesucht“ schien vom 21-jährigen Duisburger Robin und seinem Alk vernichtenden Vater begeistert gewesen zu sein und holte die beiden in die Sendung. Und siehe da: Obendrein wurden Simon Steinhorst alias „Robin, der einsame Eisenbahnfreund“ und Andreas Schneiders alias René Schulte sogar (temporär) zum beliebtesten Heiratsanwärter-Team der aktuellen Staffel.

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Dass der Kölner Privatsender mit den drei Buchstaben nie für Qualitätsfernsehen mit intellektuellem Mehrwert stand, dürfte für niemanden neu sein. Dass RTL – spätestens seit den Neunzigern – offensiv seinen Teil zur kollektiven Volksverdummung beiträgt und all jene nur allzu gern verarscht, die ebendas bereitwillig mit sich tun lassen, auch nicht. Und irgendwie schlagen Böhmermann, dessen Hass auf Privatfernsehen und dessen Mechanismen hinlänglich bekannt sein dürfte, und sein Team den Privatsender mit seinen eigenen Waffen, denn war es nicht unlängst RTL, dass den 73-jährigen Enthüllungsmann Günter Wallraff zu sich ins Boot holte, um unter dem Titel „Team Wallraff – Reporter undercover“  Missstände in Burgerbratereien oder Krankenhäusern aufzudecken? Also drehen Böhmi und Co. den Spieß um, betreiben den unglaublichen Aufwand, in Duisburg eine Wohnung anzumieten, diese komplett spleenig mit Sammelobjekten von „Schildkrötenfan Robin“ und allerlei leeren Bierflaschen von Vater Schulte einzurichten und die beiden fiktiv-übertriebenen Charaktere dann bei „Schwiegertochter gesucht“ anzumelden. Dass das Team von Moderatorin Vera Int-Veen dem von „Neo Magazin Royale“ – die sich hier, in Anlehnung an Wallraff, schelmisch augenzwinkernd „Team Royaleraff“ nennen – auf den Leim geht, ist irgendwie bezeichnend, geht es RTL doch um nichts anderes, als Menschen für möglichst kleines Geld und maximale Profite bloß zu stellen. Bloßsteller stellen Bloßsteller bloß – genial. Dass all die ad-hoc-Reaktionen seitens RTL lediglich halbherzig ausfielen, ist nur umso bezeichnender.

Jan Böhmermann und sein „Neo Magazin Royale“ werden mit dieser geradezu unglaublich guten Enthüllungsaktion, mit der die Show eine Rückkehr mit Ausrufezeichen feiert, freilich kaum die Welt verändern. Aber sie zeigen immer und immer wieder – ob nun mit früheren Aktionen wie dem „Be deutsch!„-Rammstein-Karaoke oder jüngst der Erdogan-„Schmähkritik“ – auf, in welch perverse Richtung sich diese Welt – auch abseits der Medien – entwickelt. Nein, dadurch werden keine Kriege gestoppt, Hungersnöte in Luft aufgelöst oder Blinde wieder sehend gemacht. Aber überraschende Aktion wie diese sollten jeden zum Nachdenken anregen – und sei es nur über die eigenen Fernsehgewohnheiten. Oder, im besten Fall auch: mit Niveau unterhalten. Und das kann aktuell niemand besser als Jan Böhmermann. Basta.

 

Mit #verafake wird klar, wie sehr Böhmermann und sein „Neo Magazin Royale“ in den letzten Wochen gefehlt haben, aber jetzt sind sie ja glücklicherweise wieder zurück – hier könnt ihr die Aktion sehen:

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Person des Tages: Jan Böhmermann


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Eines steht fest, zumindest für den Schreiberling dieser Zeilen: Jan Böhmermann besitzt aktuell die mit Abstand wichtigste Nase im deutschen Fernsehen. Wer den Herren bislang nicht kennt, dem liefert ANEWFRIEND mal eben ein paar Fakten und Begründungen zum Wieso, Weshalb und Warum…

 

1.  Seit gut zehn Jahren tingelt der gebürtige Bremer, Jahrgang 1981, nun schon durch Funk-, Online- und Fernsehmedien. Legendenstatus besitzt sein *hust* „Zwist“ mit dem heutigen Arsenal- und Nationalmannschaftsbankdrücker Lukas Podolski, der seinerzeit – im Zuge der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2006 in deutschen Gefilden – eine vermeintlich harmlose Hörfunkreihe beim nordrhein-westfälischen Radiosender 1LIVE hervorgerufen wurde. Gleichzeitig legte diese jedoch auch einen ersten Grundstein für Böhmermanns satirische Schmerzgrenze. Zitat Wikipedia:

„Bei 1LIVE erfand Böhmermann 2005 die Hörfunkunterhaltungsreihe ‚Lukas’ Tagebuch‘, eine Parodie auf den Fußballspieler Lukas Podolski, deretwegen Lukas Podolski den WDR verklagte und während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 der ARD einige TV-Interviews verweigerte. Podolskis Unterlassungsklage scheiterte jedoch vor dem LG München, 2007 zog Podolski die Klage bei den mündlichen Verhandlungen zurück. Zur Fußball-Europameisterschaft 2008 setzte Böhmermann diese Tätigkeit fort und veröffentlichte den Podcast ‚Pod-Olski – Der EM-Podcast von Lukas‘. Auch diese Show schaffte es wieder bis an die Spitze der iTunes Podcast-Charts. ‚Lukas’ Tagebuch‘ wurde mit der Rückkehr von Lukas Podolski zum 1. FC Köln nach der Fußball-Bundesliga-Saison 2008/09 eingestellt, in der Nachfolgeserie Lukas’ WG geht die Parodie jedoch in gleicher Art weiter, allerdings lebt hier ‚Lukas‘ mit Geißbock Hennes in einer WG.

Böhmermann ist Urheber des Ausspruchs ‚Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!‘, der u. a. von Spiegel Online und dem Kicker fälschlicherweise Lukas Podolski zugeschrieben und darum 2008 beinahe von der Deutschen Akademie für Fußballkultur zum Fußballerzitat des Jahres 2008 gewählt wurde.“

 

2.  Jan Böhmermann gibt all jenen Hoffnung, die nie ein Studium beendet haben (er selbst studierte einige Zeit lang Geschichte, Soziologie und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln) und an diversen Schauspielschulen (in seinem Fall: in München, Berlin und Hamburg) nur eines mit auf den Weg gegeben wurde: freundliche, jedoch umso bestimmtere Absagen. Wenn man’s so nimmt, zählt der 33-Jährige aktuell zu Deutschlands beliebtesten Quereinsteigern.

 

3.  Jan Böhmermann ist sich – bei allen bewussten satirischen wie schauspielerischen Qualitäten – nicht zu schade, auch auf Sendern wie RTL, das im Grunde nicht eben für Unterhaltungsware mit Tiefgang bekannt sein dürfte, neue Showformate ins Leben zu rufen. Im Februar 2014 gab der Fernsehsender bekannt, schon bald eine neue Comedy-Sendung mit Böhmermann zu testen. Zum Team der Sendung unter dem Titel „Was wäre wenn?“ gehörten neben Böhmermann die „Loko & Klaas“-Sidekickette (bitte um Patent für dieses Wort!) Palina Rojinski, Kultur-Moderatorin Katrin Bauerfeind und der ehemalige *hust* VJ Jan Köppen. Der Pilotfilm entstand bereits 2012, die ersten vier Folgen wurden im März 2014 aufgezeichnet und ab dem 28. August 2014 auf RTL ausgestrahlt. Aufgrund schwacher Einschaltquoten wurde die Sendung jedoch bereits nach mickrigen drei Folgen abgesetzt. Nichtsdestotrotz wurde die Reihe jedoch in der Kategorie Comedy für den Deutschen Fernsehpreis 2014 nominiert. Und Böhmermann? Der rechnete an anderer Stelle schon bald süffisant mit seiner RTL-Erfahrung und der Feigheit der kölner Fernsehsenders ab…

 

4.  Jan Böhmermann ist nicht nur ein brillant-zeitgeistiger Satiriker, sondern auch erfahrender – um mal beim Neudeutschen zu bleiben – „Late Night Talker“. Zwischen März 2012 und Januar 2013 moderierte er gemeinsam mit der ehemaligen Viva2-Nervensäge und heutigen Bestsellerautorin Charlotte Roche (die Romantitel „Feuchtgebiete“ und „Stoßgebete“ dürften bei den Meisten wohl die Geschmacknerven zum angewiderten Zucken bringen) die von ZDFkultur ausgestrahlte Talkshow „Roche & Böhmermann“, während beim Radiosender EinsPlus beinahe zeitgleich die Hörfunk-Talkreihe „Lateline“ lief.

 

5.  Nach seinem Talk-Gastspiel mit Charlotte Roche hat Böhmermann wohl Gefallen an der vermeintlichen Narrenfreiheit im öffentlich-rechtlichen Spartenfernsehen gefunden. Oder um es anders auszudrücken: er erkannte die Zeichen der Zeit und deutete sie genau richtig. Denn wo zu den Hauptsendezeiten allabendlich die immergleichen bräsigen Gurkengesichter von Till Schweiger über Dieter Bohlen bis hin zu Stefan Raab, Günther Jauch und Markus Lanz (letzterer trägt ja aktuell mit „Wetten Dass..?“ das Erbe von Frank Elstner und der grabbeligen Haribo-Föhnwelle Thomas Gottschalk zu Grabe) über die Bildschirme von geistern, um Fernsehdeutschland ins Dämmerdelirium zu langweilen, besitzt Jan Böhmermann mit seiner aktuellen Sendung, dem „Neo Magazin„, jeweils donnerstags um 22:15 Uhr beim ZDF-Spartenprogramm ZDFneo, welches sich selbst „als eine öffentlich-rechtliche Programmalternative für 25- bis 49-Jährige“ sieht, zu sehen, nahezu Narrenfreiheit. Und das ist nicht nur gut so, nicht nur höchst unterhaltsam. Das ist vor allem eines: wichtig.

 

6.  Seit Oliver Welkes „heute-show“ im Unterhaltungsniveau stagniert (man einer wirft dem Freitagabend beim ZDF gesendeten Politiksatire-Magazin seit dessen Start im Jahr 2009 gar einen stetigen Qualitätsverlust vor), sind Alternativen rar gesät. Da kommt Jan Böhmermann gerade recht. Freilich ist sein „Neo Magazin“ im Themenbereich weiter gefasst, klar kann er sich bei ZDFneo, dessen Fernseh-Marktanteil im vergangenen Jahr gerade einmal ein Prozent umfasste, einiges mehr erlauben als Oliver Welke und Co. bei der „großen Mutter“ ZDF. Doch trotzdem – oder: gerade deshalb – macht Böhmermann da weiter, wo die Möglichkeiten (oder Ideen) der „heute-show“ in der Vergangenheit limitiert waren und aktuell enden (als meist beim Draufhauen auf der Bundesregierung, der am Boden liegenden FDP oder Nazi-Vergleichen der AfD).

 

7.  Jan Böhmermann bekommt sie alle. Angefangen von TV-Urgesteine wie Frank Elstner, Herbert Feuerstein, Jean Pütz über Moderatoren-KollegINNEN wie Katrin Bauerfeind oder Oliver Welke bis hin zu streitbaren Personen wie Politpunk-Blogger Sascha Lobo oder Komikern wie Carolin Kebekus oder Bastian Pastewka (um nur mal eine kleine Auswahl auf die Schnelle zu bringen). Derzeit ist sich beinahe keiner für einen kurzen Besuch in der 30-minütigen Show zu schade. Selbst wenn er, wie der mehrfach ausgezeichnete Starfidler David Garrett, der andernorts Abend für Abend Mütterherzen zum Erliegen bringen, mal eben zum „Studiogeiger“ umfunktioniert wird. Und: Böhmermanns Gäste sind allesamt zur Selbstironie bereit. Da bekommt die gemeinsam mit Komikerin Carolin Kebekus getragene „Kill Bill“-Persiflage „Kill Böhmermann“ gleich noch einmal ein dickes Plus an Ironie, als plötzlich Oliver Petszokat (aka. Oli „Flugzeuge im Bauch“ P, der in den Neunzigern mit seiner Rolle als Ricky Marquart in der RTL-Daily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ nicht wenige Teenie-Herzen zum Hyperventilieren brachte) im „Zurück in die Zukunft“-Delorean vorbei rauscht…

 

8.  Jan Böhmermann ist nicht nur gewieft, sondern auch äußerst schlagfertig. Das durfte auch BILD-Chef Kai Diekmann am eigenen Leib erfahren, als er versuchte, Böhmermann für dessen Hitler-Parodie beim israelischen Volk anzuschwärzen. Denn so viel man Böhmermann auch vorwerfen mag an Gürtellinienuntertreibung, geschmacklichem Grenzgängertum, üblem Nachtreten, Gehässigkeit und ironischem Klamauk, eines hat der Mann definitiv: Chuzpe und Rückrat – auch wenn (oder gerade weil) er sich damit nicht allseits beliebt macht. Dass dabei noch großartige Unterhaltung mit bei rum kommt, ist natürlich ein gern genommenes dickes Plus. Ganz klar: Jan Böhmermanns Vorteil ist, dass es aktuell zu wenige von seinem Format gibt in der deutschen Sendelandschaft. Und, all ihr scheinheiligen Doppelmoralapostel von Diekmann’schem Kaliber: Wenn wir Deutschen nicht über Hitler lachen dürfen, wer dann (abgesehen davon, dass der Herr österreichischer Staatsbürger war und bleibt)? Eben! Und jetzt, Ruhe bitte! Ich will „Neo Magazin“ schauen…

 

 

Rock and Roll.

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