Schlagwort-Archive: Rock N Roll

Der Taktgeber der Rolling Stones – Charlie Watts ist tot.


Fast sechs Jahrzehnte saß er bei den Rolling Stones am Schlagzeug. Zwei Monate nach seinem 80. Geburtstag ist Charlie Watts – trotz des stolzen Alters etwas überraschend – heute gestorben.

Gerade erst hatte sich der taktgebende Elder Statesman des Rock’n’Roll gedanklich mit dem Ruhestand beschäftigt. „Ich weiß nicht, was die anderen denken, aber mich würde es nicht stören, wenn die Rolling Stones sagen würden, dass es das jetzt war“, sagte der Schlagzeuger anlässlich seines 80. Geburtstags im Juni diesen Jahres dem englischen „Guardian“. Allerdings, so räumte er ein, wisse er gar nicht, was er machen würde, wenn wirklich alles zu Ende sei.

So abrupt hatte sich der Schlagzeuger sein Ende bei den Rolling Stones jedoch keineswegs vorgestellt: Am 24. August 2021 ist Charlie Watts in einem Londoner Krankenhaus im Kreis seiner Familie gestorben. „Charlie war ein geschätzter Ehemann, Vater und Großvater und als Mitglied der Rolling Stones auch einer der größten Schlagzeuger seiner Generation“, teilte ein Sprecher mit.

Fast sechszig Jahre gab er bei einer der größten, erfolgreichsten und populärsten Bands der Musikgeschichte den Takt vor, war wohlmöglich sogar ihr Motor. Freilich mag dies recht hypothetisch sein, trotzdem lässt sich ohne einen Funken britischem Understatement behaupten, dass es die Rolling Stones ohne ihn wahrscheinlich schon längst nicht mehr gegeben hätte, schließlich gelang es ihm mit diplomatischem Fingerspitzengefühl im Laufe der Jahrzehnte immer wieder, die aufbrausenden Streithähne Mick Jagger und Keith Richards zur Räson zu bringen.

Charles Robert „Charlie“ Watts erblickte am 2. Juni 1941 in Kingsbury das Licht der Welt, einem heutigen Stadtteil im Norden Londons. Der Sohn eines Lastwagenfahrers studierte, nachdem er schon früh seine Liebe zu Jazz und Blues entdeckte und sich aus einem alten Banjo sein erstes Schlagzeug bastelte, zunächst Kunst und Grafik und stieg in seiner Freizeit als Drummer in Alexis Korners Band Blues Incorporated ein. Ebendort spielten auch ein gewisser Michael Philip „Mick“ Jagger und der 1969 verstorbene Gitarrist Brian Jones, die 1962 die Rolling Stones mitgründeten. Nur ein Jahr später schmiss Watts seinen Job als Grafiker, als Keith Richards ihn unbedingt als Schlagzeuger in der Band haben wollte. Die Entscheidung machte sich bezahlt – musikalisch wie finanziell. Die Stones hätten eben das Glück und das Geld gehabt, viel Zeit im Studio verbringen zu können, sagte er dem britischen „Telegraph“ ein halbes Jahrhundert später – und sie hätten daher viel ausprobieren können. Nach anfänglichen Erfolgen mit Coverversionen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten erlangte die Band mit Hits aus der Feder von Mick Jagger und Keith Richards wie „(I Can’t Get No) Satisfaction„, „Get Off Of My Cloud“ oder „Paint It, Black“ sowie Alben wie „Aftermath“ oder „Exile On Main St.“ weltweiten Ruhm. Der Rest? Ist längst Rockgeschichte.

Watts mag zwar nach Jagger und Richards das dienstälteste Mitglied der Rolling Stones gewesen sein, war dabei jedoch der oft unterschätze Mann im Hintergrund, derStoiker hinter Keith und Mick, der seinen Bandkollegen mit reichlich cooler Eleganz, britischem Understatement und knochentrockenen Beats die großen Bühnen überließ. „Charlie Watts gibt mir die Freiheit, auf der Bühne fliegen zu können“, meinte der ungleich exzentrischere Gitarrist Keith Richards einmal.

(Im Mittelpunkt stand der zurückhaltende Drummer selten – hier tat er es im Kreise seiner Bandkollegen im Jahr 1967)

Watts galt als wortkarg und solide, seine Alkohol- und Drogensucht hatte der einst starke Raucher schon in den 1980er-Jahren überwunden. Während viele Rockstars – und mitunter auch seine Bandkollegen – eher durch einen unsteten Lebenswandel Schlagzeilen machten, war der Drummer seit 1964 glücklich mit Shirley Ann Shepherd verheiratet. Die beiden lebten zurückgezogen auf dem Land, wo Watts Vollblutaraber züchtete.

Charlie Watts stand für all das, was nicht zum ursprünglichen, wahlweise wilden und rüpelhaften Image der Rolling Stones passte. Er bevorzugte Anzüge und liebte Jazz – ironischerweise genau jene Musikrichtung, gegen die die Stones am Anfang ihrer Karriere aufbegehrt hatten. Wenn er nicht mit Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood auf Tour oder (zuletzt immer seltener) im Studio war, spielte er Schlagzeug in seiner eigenen Jazz-Band. Dort fühlte er sich wohler als im Scheinwerferlicht (das er demnach lieber Jagger und Richards überließ), minutenlange Standing Ovations waren ihm unangenehm.

Gemeinsam mit den Stones zog Charlie Watts 1989 in die „Rock ’n‘ Roll Hall of Fame“ ein, das Magazin „Rolling Stone“ (das sich seinerzeit wohl nicht ohne Grund nach seiner Band benannte) wählte ihn schon vor einigen Jahren auf seiner Liste der „besten Schlagzeuger aller Zeiten“ auf Platz zwölf. 2004 erhielt er die Diagnose Kehlkopfkrebs, besiegte die Krankheit aber mit zwei Operationen, um schon im Jahr darauf wieder mit den Stones auf Welttournee zu gehen.

Nachdem er sich in diesem Jahr einer Operation unterziehen musste, hatte Charlie Watts seine Teilnahme an der für kommenden September geplanten US-Tour der Rolling Stones abgesagt. Seinerzeit hieß es, Watts habe eine medizinische Behandlung hinter sich (zu dessen Hintergrund der Sprecher keinerlei Angaben machte), weshalb es „unwahrscheinlich“ sei, dass er für diese Konzerte zur Verfügung stehe. Nun hat der Taktgeber, die Herzmaschine der dienstältesten Rockband der Welt seine irdischen Drumsticks für immer zur Seite gelegt… Mach’s gut, Charlie Watts!

(Hier findet man etwa einen Nachruf des deutschen „Rolling Stone“, hier einen vom „Musikexpress“…)

Rock and Roll.

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Song des Tages: Ida Maria – „Dirty Money“


Ida Maria mag Rock’n’Roll durch und durch sein, der richtig große internationale Durchbruch blieb der norwegischen Punkrockerin by heart trotz damaliger positiver Kritiken von „Pitchfork“ oder dem „Rolling Stone“ bislang verwehrt. Dabei könnten einem Mini-Hit-Singles aus ihrem 2008er Debütalbum „Fortress Round My Heart“ wie „Oh My God“ oder „I Like You So Much Better When You’re Naked“ durchaus bereits zu Ohren gekommen sein, immerhin waren diese seinerzeit in zahllosen TV-Serien wie „Grey’s Anatomy“, Gossip Girl“ oder „Big Mouth“ zu hören. Doch nach so einigen vielfältig desillusionierenden Erfahrungen im gleichsam wuseligen wie irgendwie anonymen Los Angeles und im Haifischbecken Major-Industrie kehrte Ida Maria Børli Sivertsen, der die Liebe zur Musik schon in die Wiege gelegt wurde (ihr Vater ist Ska- und Jazzmusiker, ihre Mutter singt bei festlichen Anlässen, beide sind Lehrer) nach der Veröffentlichung ihres zweiten, weithin (zu) wenig beachteten Langspielers „Katla“ im Jahr 2013 nach Norwegen zurück, wurde Mutter und veröffentlichte mit „Love Conquers All“ (2013) und „Scandalize My Name“ (2016) noch zwei weitere Alben, bei denen sie sich vermehrt in anderen musikalischen Spielarten versuchte (auf letzterem etwa knietief im Gospel und in Spirituals). Danach verschwand die mittlerweile 36-Jährige jedoch von der musikalischen Bildfläche – nur um sich nun mit der EP „Dirty Money“ zurückzumelden. Und um eines vorweg zu nehmen: Man kann durchaus das Gefühl entwickeln, dass Ida Maria noch nie so sehr nach sich selbst klang – ängstlich, energiegeladen und laut.

Noch vor der Veröffentlichung der kompletten EP veröffentlichte die Norwegerin Ende 2020 die erste Single „Sick Of You“ – nicht nur ein feines „Hallo zurück!“, sondern auch eine Art abschließender Mittelfinger an das chaotische zurückliegende Jahr und ihre eigenen persönlichen Fallstricke. Wie bei den anderen neuen Stücken auch könnte man bei „Sick Of You“ glatt vermuten, dass Maria für die Klangästhetik tief aus den Annalen des Garage-Rock-Revivals der 2000er Jahre geschürft hat (zu dem sie selbst ja auch ihren Teil beigetragen hat). Zu derben, bluesig-schweren Gitarren, die an Zeitgenossen wie The Black Keys oder The White Stripes erinnern, schmettert Maria immer und immer wieder „I’m so sick of you“ in dem für sie so typischen Heulen. Die im April erschienene zweite Single „I’m Busy„, die sie gemeinsam mit Mark Ronson produzierte und mit Oscar-Preisträger Anthony Rossomando, der unter anderem „Shallow“ auf Lady Gaga und Bradley Cooper maßschneiderte, schrieb, besitzt ein paar eingängige Hooklines, ist aber auch eines der mutigeren künstlerischen Statements in Marias bisheriger Karriere. Über glitzernde, verzerrte Gitarren-Licks und einem stetigen Schlagzeugbeat singt Maria über gedankenlosen Sexismus und Frauenfeindlichkeit.

Irgendwo aus diesem Spektrum ziehen die neuen Stücke auch ihre entschiedene thematische Energie: feministische Unabhängigkeit, Sex, Drogen und Rock’n’Roll. Bei Ida Maria jedoch kommt all das eher als echter Ausdruck denn als übertriebener, kunstvoll aufgesetzter Bombast daher, weil die Songs die sehr realen Emotionen, mit denen sie sich auseinandersetzt, mal unumwunden ansprechen, mal galant touchieren. Und: Die Songs erzählen nicht nur Geschichten über bedeutungslose Beziehungen oder dem Stinkefingerzeig an alle machistischen Idioten, sondern unternehmen auch den Versuch, die Objektivierung von Frauen in der Musikindustrie zu thematisieren und sich von den geschlechtsspezifischen Fesseln zu befreien, die in der (Musik)Welt, in der Maria (nun wieder) agiert, auch heute noch – und auch nach #MeToo – zum zwangsläufigen Gepäck gehören – eine Welt, von der sie in der Vergangenheit sehr öffentlich, sehr offensichtlich desillusioniert war.

Denn, wie bereits erwähnt, passte Ida Maria nie so richtig, nie so ganz ins leicht verdauliche, leicht zu formende Superstar-Schema F der Musikindustrie. Zwar brachte die Preisträgerin des prestigeträchtigen Spellemannprisen einiges an Talent und Soundoutfit mit, aber nichts von den gut bekömmlichen Persönlichkeitsvorstellungen, denen die an Profit und Prestige interessierten Anzugträger der Major-Plattenfirmen jedes Jahr bei den Preisverleihungen nur allzu gern die roten Teppiche ausrollen. „Ein Mädchen kann keine Musik auf einer großen Plattform herausbringen, ohne irgendein verdrehtes, verrücktes Schönheitsideal zu erfüllen – was wiederum nicht mit meinen eigenen Vorstellungen davon übereinstimmt, was eine Frau sein kann“, sagte Maria selbst dazu. „Eine Frau ist eine komplexe Kreatur. Und es gibt derzeit nicht genügend komplexe weibliche Vorbilder da draußen.“

Durchaus kritisch – und die fünf Songs der neuen EP, welche im Laufe der letzten zwei Jahre in diversen Studios zwischen Los Angeles und Norwegen entstanden, gehen in Punkto Kritik und Introspektivität noch ein paar Schritte weiter. Das Titelstück etwa, das mit „Dirty Money“ das Sujet im Namen quasi bereits selbsterklärend vorwegnimmt, relativiert Marias individuelle Existenz und ihr Verhältnis zur Klimakrise. Sie kritisiert sowohl die großen Plattenlabels, die auch in nicht eben umweltfreundlichen Geschäftsfeldern wie dem Ölmarkt Geld scheffeln, als auch sich selbst, weil sie als kleiner staubkorner Teil der Musikindustrie indirekt davon profitiert und dieses im wahrsten Sinne dreckige Geld mitverdient.

Die „Dirty Money EP“ gerät so vielschichtig und persönlich, dass der sonst so triviale Randnotenfakt, dass diese unabhängig von Altitude Music veröffentlicht wird, plötzlich relevant erscheint, weil in diesem noch einmal Ida Marias Verachtung der großen Labels deutlich wird. Dennoch können all die, die weniger an Tiefschürendem, Systemkritischem interessiert sind, die Songs auch ohne allzu große Hirnzermaterei genießen, derart getränkt wurden diese im dickwandigen Fass des Garage Rock, derart versetzt wurden diese mit euphorisierendem Shout-Sing-Gesang. Klares Ding: mit dem ersten vollwertigen Release nach mehrjähriger Pause meldet sich Ida Maria in absoluter Bestform zurück und präsentiert allen, die sie vermisst haben, eine perfekte Melange aus sommerlich-rock’n’roll’nem Spaß und bedeutungsvollen Botschaften.

(Bei Paste findet man zudem ein ausführliches Interview mit der norwegischen Indie-Musikerin…)

(via Vimeo)

„Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go (help, help, help)
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Everybody wanna be full makeup and on TV
Talking ‚bout your jealousy
Mum, I know I look insane, but they all promised me champagne
Swear they want me for my brain

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Girls in line wanna be a star, honey, you’re not getting far
Not with psychotherapy
Please, don’t put your parents through, naughty days in Malibu
Coming off your ecstasy

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

What’s it feel like? Devil emotion
Find my body, bottom of the ocean
What’s it feel like? Devil emotion
Find my body, bottom of the ocean

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Pay me, all your dirty money (shoulda seen the coke get)
I’m your favorite monkey, watch me go

Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Pay me, all your dirty money
I’m your
favorite monkey, watch me go
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Rock and Roll.

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Flimmerstunde – Teil 37


What Drives Us“ (2021)

Das Timing von Foo Fighters-Frontmann Dave Grohl könnte einerseits kaum eigenartiger, andererseits jedoch kaum besser sein. Seine neuste Dokumentation „What Drives Us“ ist eine Liebeserklärung an das Tourleben und dadurch ein Statement für die Livemusik. Denn mal ehrlich: Einen besseren Zeitpunkt als eine weltweite Pandemie, die nahezu jeglichen Vis-à-vis-Konzertbetrieb unterbindet, könnte es für diesen Film nicht geben.

Wie schon bei seinen vorangegangenen Musik-Dokumentationen wie „Sound City“ oder „Sonic Highways“ sind auch hier von der ersten Sekunde an die Liebe und das Herzblut spürbar, welche Grohl für das Thema mitbringt. Auf effektive Weise stellt der kreative Tausendsassa Szenen seiner frühen Band Scream jenem Moment gegenüber, in dem er den ersten Touring-Van der Foo Fighters zurück erhält und sich damit erneut auf eine Reise begibt. Nur dass es bei dieser Reise gerade nicht darum geht, Konzerte zu spielen…

Stattdessen macht er sich damit auf, faszinierende Tour-Stories zu sammeln. Die Liste der Gäste ist mehr als beeindruckend. Beatles-Trommler Ringo Starr, Metallicas Lars Ulrich, Aerosmith-Frontmann Steven Tyler, Slash und Duff McKagan von Guns N‘ Roses, U2-Gitarrist The Edge, AC/DC-Stimme Brian Johnson, Red Hot Chili Peppers-Bassist Flea, Ian Mackaye von Fugazi, Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo oder L7-Bassistin Jennifer Finch sind nur einige der illustren Namen, die diesem Film mit ihren Geschichten zwischen Rock’n’Roll und Punk Rock füllen.

Allesamt erinnern sie sich auf sympathische, oft herzerwärmende Art an ihre musikalischen Anfänge, ihre frühen Einflüsse und natürlich ihre ersten Tourerfahrungen – auch wenn Lars Ulrich scherzt, dass er zum eigentlichen Van-Touring-Thema des Films nicht viel beitragen könne: „I realized, I actually never toured in a van. So… can I go now?“ Grohl verbindet die Interviews mit zahlreichen Archivaufnahmen aus den frühen Tagen von Bands wie den Foo Fighters oder No Doubt, bei welchen man sich oft genug fragt, wo er die wohl aufgetrieben hat. Sehr unterhaltsam gerät zudem die Animation der Hardcore-Legenden von Black Flag und. D.O.A., welche das Van-Touring in den US of A mit einer Menge DIY-Spirit quasi einst aus den Angeln gehoben haben.

Doch Grohl wäre nicht Grohl, wenn er bei all den großen Namen die junge Garde ignorieren würde. In einer kurzen Sequenz erzählt er davon, wie frühe Foo Fighters-Interviews vor allem daraus bestanden, Fragen zur Vergangenheit der Mitglieder zu beantworten (beziehungsweise nach seiner Vergangenheit als Nirvana-Drummer) – und zeigt derweil, wie man’s besser macht. Obwohl das Schwelgen in den eigenen Historien logischerweise einen guten Teil der 90 Minuten einnimmt, gerät „What Drives Us“ nämlich mitnichten zur reinen Nostalgieveranstaltung, die nur dazu dient, von vermeintlich besseren, längst vergangenen Zeiten zu schwärmen.

Mit Radkey holt Grohl – neben Starcrawler, die er in seinem alten Tour-Van durch Los Angeles chauffiert – auch eine vergleichsweise neue, unbekannte Band vor die Kamera, die erst in den 2010ern zusammenfand. Die drei Jungspunde aus St. Joseph, Missouri zeigen, dass sich die Punk-Rock-Geschichte – digitaler Über-Nacht-Ruhm hin oder her – in manchen Fällen glücklicherweise eben doch wiederholt. Während etablierte Namen in der Vergangenheit schwelgen, leben Radkey, die seit Jahren von ihrem Vater/Manager/Mercher durch die Vereinigten Staaten gefahren werden, genau den Van-Lifestyle, der für alte Recken wie AC/DC-Sänger Brian Johnson längst nur noch eine Erinnerung ist. Auffallend ist, dass sich am Grundlegenden kaum etwas geändert hat. So lässt sich die Kunst des Van-Packens der Bad Brains perfekt mit dem heutigen tetris’esken Verstauen von Instrumenten in einem viel zu kleinen Gefährt vergleichen – wenn auch mit etwas mehr technischen Standards.

„Es kommt ein Moment im Leben eines jeden Musikers, in dem sein Engagement auf die Probe gestellt wird. Wenn ihr Wunsch, Musik für andere zu spielen, zu einem fast irrationalen Akt blinden Glaubens wird. Es ist kein Job, es ist eine Berufung. Der erste Schritt, um sich und der Welt zu beweisen, dass man in diesen Club gehört, ist, in den Van zu steigen. Du lädst deine Instrumente, dein Talent und deinen Mut ein, und bringst deine Musik in die Welt. Es spielt keine Rolle, ob du die Beatles oder Billie Eilish bist, oder irgendein bekannter oder unbekannter Künstler dazwischen. Du musst in den Van steigen, um herauszufinden, ob du das Zeug dazu hast. Das ist der Rock ’n‘ Roll-Ritus des Übergangs…“ (Dave Grohl über das Touren und Musikmachen)

Während der Interviews kommt Grohls Stimme immer wieder aus dem Off, um Nachfragen zu stellen. Manchmal schwenkt die Kamera sogar auf sein Gesicht, während der 52-Jährige zwischen dem Drehequipment sitzt. Das mag vielleicht nicht dem güldenen Handbuch für Dokumentationsinszenierung entsprechen, gibt „What Drives Us“ aber genau das nahbare Gefühl von Authentizität und Verbindung, von welchem Grohl und all die anderen Musiker*innen vor der Kamera sprechen. Es gibt keine Trennung zwischen dem Interviewer und den befragten Personen. Grohl ist als Musiker schließlich selbst Teil dessen, von dem er in seinem Film erzählt. Und: Alle Beteiligten sind sich weitestgehend einig, dass die Erfahrung, ständig und rund um die Uhr mit seinen Bandkollegen auf engstem Raum zusammengelebt zu haben, die einzelnen Mitglieder näher zusammengebracht hat. „Es ist nicht glamourös darüber zu reden. Aber es braucht wirklich eine gewisse Unreife und Unschuld, um in einem Van unterwegs zu sein. Aber auch eine gewisse Reife, um vieles tolerieren zu können, das große Ganze zu sehen, Geduld zu haben, seinen Mitmenschen gegenüber freundlich zu sein, die vielleicht Probleme haben“, wie es L7-Bassistin Jennifer Finch ausdrückt.

Damit sich nicht alles lediglich um das selige Schwelgen in den „good old days“ und um den heilen Tourwelt-Protz dreht (etwa dann, wenn No Doubt-Bassist Tony Kanal berichtet, dass sich die Touren von No Doubt von Mal zu Mal vergrößert haben und sich schlußendlich jedes Bandmitglieder seinen eigenen Luxusliner leisten konnte), schlägt Grohl zwischendurch auch den ein oder anderen ernsteren Ton an. So spricht etwa der ehemalige Dead Kennedys-Schlagzeuger D.H. Peligro über den schwelenden Rassismus, welcher ihm als einzigem schwarzem Bandmitglied bei frühen Shows der kalifornischen Punk-Ikonen immer wieder entgegenschlug, oder von seiner Drogenabhängigkeit während seines kurzen Intermezzos bei den Red Hot Chili Peppers.

Mit dieser Sprunghaftigkeit zwischen Leichte und Tiefe erzeugt „What Drives Us“ ganz ähnliche Gefühle wie die besten Konzerte – ganz gleich, ob diese nun im Station oder im kleinen Indie-Club stattfinden. Obwohl das Publikum stets auf gewisse Weise eine andere Position einnimmt als die Bands, die da auf der Bühne stehen, sorgen grandiose, erinnerungswürdige Shows dafür, dass sich eben doch alle im Saal miteinander verbunden fühlen. Selbst wenn der Austragungsort ein Stadion mit 50.000 Zuschauenden ist.

Dieses Stadiongefühl beschwört Grohl (der ja im Laufe seiner Karriere so einige Erfahrungen mit ebenjenen „Stadiongefühlen“ sammeln durfte) ebenfalls in der Eingangssequenz von „What Drives Us“ herauf: einen Zusammenschnitt diverser Tour- und Konzertaufnahmen unterlegt er mit AC/DCs „For Those About To Rock (We Salute You)“. Wer schon einmal selbst die brachialen, ikonischen Kanonenschläge erlebt hat, die den Song in der Live-Situation flankieren, der weiß, warum gerade diese die Konzertfaszination perfekt symbolisieren. Passenderweise beschließt denn der Foto Fighters-Evergreen „Everlong“, welches live ebenso zu fesseln und euphorisieren weiß, die Dokumentation. So saugt einen „What Drives Us“, dieser kleine Liebesbrief an das Leben auf Tour und für die Musik, förmlich ein – und unterhält mit einer Fülle aus Kurzweil, Anekdoten und teilweise recht persönlichen Geschichten aus dem Musiker-Leben bis zum Schluss.

Rock and Roll.

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„Mr. Tutti Frutti“ – Little Richard ist tot.


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Little Richard ist tot. Der Sänger, einer der Gründungsväter des Rock’n’Roll, verstarb am heutigen 9. Mai im Alter von 87 Jahren. Das bestätigte sein Sohn Danny Penniman dem US-amerikanischen „Rolling Stone„, machte jedoch keine Angaben zur Todesursache. Charles Glenn, der frühere Bassist von Little Richard, erläutert gegenüber dem US-Portal „TMZ“ nähere Details: „Richard war seit zwei Monaten krank. Er ist in seinem Haus in Tennessee gestorben.“ Sein Bruder, seine Schwester und sein Sohn seien bei ihm gewesen. Glenn selbst habe zuletzt Ende März mit Little Richard gesprochen und ihn besuchen wollen. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie sei dies jedoch nicht möglich gewesen. Unter welcher Krankheit die Musik-Legende gelitten habe, ist nicht bekannt.

Seinen ersten Hit hatte Little Richard, der am 5. Dezember 1932 in Macon, Georgia als Richard Wayne Penniman geboren wurde und in einem Schwarzenghetto als erstes von zwölf Geschwistern aufwuchs, 1956 mit „Tutti Frutti“. Darauf folgte eine Reihe weiterer Hits: „Long Tall Sally“, „Rip It Up“, 1957 dann „Lucille“ und 1958 „Good Golly Miss Molly“. Von Anfang an war seine Darbietung einzigartig: mit sexuellem Unterton („Tutti Frutti“ etwa war ein unter farbigen Homosexuellen geläufiger Ausdruck für Analverkehr) und dennoch Blues’n’Gospel-beeinflusst, dazu sein eher simples, aber geradezu hämmerndes Piano-Spiel.

Nach mehreren offenbar recht prägenden Erlebnissen Ende der Fünfziger – unter anderem hatte er leuchtende Propellertriebwerke eines Flugzeugs als die Erscheinung eines Engels interpretiert –, wurde er Priester und widmete sich der Gospel-Musik. Mitte der Sechziger folgte ein Comeback im Bereich Soul’n’Funk, bei dem er jedoch keineswegs an seine früheren Verkaufserfolge anknüpfen konnte. Ende der Siebziger zog er sich erneut zurück, um sich einmal mehr dem Gospel-Genre zu widmen, und 2013 im Alter von 80 Jahren (und nach ein paar sporadischen Fußnoten im Rock-Genre) in einem „Rolling Stone“-Interview seinen endgültigen Rückzug zu erklären: „I am done!“ 

Obwohl Richard, den der „Rolling Stone“ vor ein paar Jahren auf Rang acht der 100 größten Musiker sowie auf Rang zwölf der 100 besten Sänger aller Zeiten listete, in den letzten Jahren ansonsten vornehmlich durch recht wirre Äußerungen über seine Sexualität von sich hören ließ, bleibt sein musikalischer Einfluss dennoch unumstritten. Er selbst meinte einmal ganz ungeniert: „Elvis mag der ‚King of Rock’n’Roll‘ gewesen sein, aber ich bin die Königin.“ Und auch andere Größen der Musikgeschichte beriefen sich auf ihn. So gestand ein gewisser David Bowie, dass „meine Welt in Flammen stand, sobald ich Little Richard hörte“. Auch Elton John – wäre hätte es gedacht – wäre ohne den extravaganten Rock’n’Roll-Sänger und -Pianisten nicht der, der er heute sei, wie er anno 1973 dem „Rolling Stone“ verriet: „Ich hörte Little Richard und Jerry Lee Lewis und wusste, das war’s. Ich wollte nichts anderes mehr sein. Ich selbst gehe mehr in Richtung Little Richard als Jerry Lee Lewis, denke ich. Jerry Lee ist sehr geschickt, aber Little Richard stampft mehr.“ Für The Roots-Schlagzeuger Ahmir Khalib „Questlove“ Thompson besteht bei der Frage nach den „wahren König des Rock’n’Roll“ ebenfalls kein Zweifel, wie er aus gegebenem Anlass via Facebook wissen ließ:

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Mach’s gut, „Mr. Tutti Frutti“.

 

(via FAZ findet man einen weiteren recht informativen ersten Nachruf)

 

Rock and Roll.

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