Grenzt es bereits an Wahnsinn, sich ein Stück aus dem von Veröffentlichungsjahr zu Veröffentlichungsjahr ausschweifender werdenden Songfundus von Mark Kozelek zu greifen und dieses dann einer Eigeninterpretation zu unterziehen? Hm…
Anno 2018 – und im Hinblick auf den zwar stetig anwachsenden, jedoch auch immer gewöhnungsbedürftiger werdenden kreativen Output des 51-jährigen nimmermüden Ex-Frontmanns der Red House Painters – würde ich spontan antworten: Ja klar, da dürfte ein Scheitern in Ehren vorprogrammiert sein! Allerdings hat sich Phoebe Bridgers mit „You Missed My Heart“ ein Stück vom 2013 erschienenen Album „Perils From The Sea„, welches gemeinsam mit The Album Leaf-Kopf Jimmy LaValle entstand, gegriffen – und tut gut daran, eines der zwar simpler gestrickten, aber auch besten und berührendsten (jüngeren) Stücke aus Kozeleks Feder zu wählen.
Denn so viel verändert die aus Los Angeles stammende Indie-Musikerin, welche im vergangenen Jahr auch auf ANEWFRIEND bereits Erwähnung fand, gar nicht für ihre Version der Konzelek/LaValle-Coproduktion, welche den Abschluss ihres 2017 erschienenen Debütalbums „Stranger In The Alps“ bildet. Bridgers kappt dem Stück lediglich den elektronischen Unterbau und reduziert es auf sein emotionales Grundgerüst, begleitet auf den weißen und schwarzen Tasten. Oder eben, wie man bei der unten stehenden Daytrotter Session erleben kann, auf etwas E-Gitarren-Begleitung. In jedem Fall gilt: der Song bleibt in seiner fast schon lakonischen Ehrlichkeit großartig – ob nun von Mark Kozelek und Jimmy LaValle, oder eben von Phoebe Bridgers interpretiert…
„Broke into her house. Saw her sittin‘ there Drinking coke and whiskey in her bra and underwear Saw him in the kitchen, hangin‘ up the phone I asked him nicely please to pack his things and go
He gave her a reassuring look that said he wouldn’t leave But I asked him once again and this time pulled out my shiv I struck him in the back and I pulled it out slow And I watched him fall down And as the morning sun rose He looked at me and said:
‚You missed my heart You missed my heart You got me good. I knew you would But you missed my heart You missed my heart.‘ Were his last words before he died
Looking out the window, up at the blue sky Listening to her scream, listening to her cry A feeling of relief came over my soul I couldn’t take it any longer and I lost control
I chased her up the stairs And I pinned her to the ground And underneath her whimpering I could hear the sirens sound I rattled off a list of everything I missed Like going to the movies with her And the way she kissed me Driving into Wheeling and showing her off Backyard barbecues and reunions in the park I said I loved her skin and she started laughing And while I clenched down on her wrist She said ‚That’s quite a list But there’s one thing you missed
You missed my heart, you missed my heart That’s quite a list, but what you really missed You missed my heart, you missed my heart That’s quite a list, but what you really missed‘
Running through the parking lot Running through the fields Policemen on my back Something hit my skull and cracked
They dragged me off to jail, set a million dollar bail Where I tried to tie a noose, but I failed and I broke loose Racing through the prison yard Shot down by a tower guard He got me in the shins And he got me in the arms
They strapped me in the gurney Took me to the infirmary Where the priest read my last rites And just before, everything went dark
I said: ‚He missed my heart, he missed my heart He got me good, I knew he would But he missed my heart, he missed my heart‘ And just before, everything went dark
The most poetic dream came flowing like the sea Laying there my lifeblood draining out of me A childhood scene then, sky moon beams Fishing with my friends sitting in the wild lands
Watching the Ohio river flow at night Waiting for the bullhead catfishes to bite Downriver from the Moundsville prison graveyards…“
Das neue und aktuelle „Album der Woche“, nun eben mit ein, zwei Tagen Verspätung. Ein Grund, keinerlei Ausrede: Das Album erschien erst an diesem Montag. Und es stammt zu großen Teilen von einem Künstler, von dem vor wenigen Woche schon einmal an dieser Stelle die Schreibe war… Ist es nicht langweilig – gar: einfallslos – auch die nächste Veröffentlichung von Mark Kozelek zum „Album der Woche“ zu machen? Für mich: keinesfalls. Denn Qualität spricht stets für sich selbst. Und ein Künstler wie eben jener Mark Kozelek kann gar nicht zu oft in zu hohen Tönen gelobt werden. Warum? Lest ihr hier. Während die Musik ihr Übriges tut…
Wer kennt das nicht: Da hat man einmal etwas, was man abgöttisch liebt – und tief in einem drin rumoren noch immer die kleinen Teufel des Zweifels. Da ist für einen winzigen Moment alles schön und gut und wunderbar. Und obwohl man für eine gefühlte Ewigkeit in diesem Sepiablick aus Zufriedenheit verweilen möchte, kommt sie doch plötzlich auf, diese innere Unruhe. Nichts ist nie nur wahr oder falsch, nur schwarz oder weiß. Wie sang Gisbert zu Knyphausen unlängst: „Die Welt ist grässlich und wunderschön.“ Das Leben, eine pulsierende Janusköpfigkeit…
Wer, wenn nicht Mark Kozelek, könnte besser von all diesen Dingen singen. Der 46-jährige, US-amerikanische Musiker ist seit den späten achtziger Jahren höchst umtriebig in der Indie-Musikszene unterwegs – anfangs noch mit den großartigen Sadcore-Slowrockern Red House Painters, später mit den zu weitläufigen Elegien neigenden Sun Kil Moon und als mit Nylon-Steel-Gitarre bewaffneter Solo-Barde. Über die Jahrzehnte mag seine Stimme merklich an Rauheit und Charisma zugelegt haben. Doch die Art, die Zuhörer mit seinen Texten zu bannen und gefangen zu nehmen – sie scheint Kozelek von Jahr zu Jahr, von Tournee zu Tournee, von Veröffentlichung zu Veröffentlichung nur weiter zu verfeinern, ja: manifestieren. Wer behaupten mag, dass die Lyrik des scheuen Singer/Songwriters – Bob Dylan und Bruce Springsteen lassen wir hier mal außen vor – als vertonte US-Chronik des 20. und 21. Jahrhunderts seinesgleichen zwar suchen, aber in einem weiten Feld keinerlei Ebenbürtigkeit findet, der greift zwar hoch, jedoch keinesfalls zu hoch. Denn Kozelek besitzt das seltene Talent, scheinbar alltägliche Beobachtungen eines Außenstehenden gefühlt zu den eigenen zu machen, während er selbst mit stoischer Stimme empathische Zeilen um den kleinen Mann da an der nächsten Straßenecke spinnt. Er ist der Begleiter der von der Gesellschaft Unbedachten, der Biograf des hart schuftenden Fließbandarbeiters, der eine ganze Familie ernähren muss, seine lang gehegten Wünsche auf ewig hinten an stellt, und doch Monat um Monat nicht weiß, wie sicher der kommende Lohnzettel noch ist. Und Kozelek ist auch der weltreisende, stille Verwalter eines familiären Erbes, von welchem er knochentrocken berichtetet – mit nüchternem, klaren Blick, warmer Stimme, und umringt von einer Menge an Familienfotos. Träume, Realismus, Lakonie, kleine zynische Spitzen, Romantik – all das spiegelt Mark Kozelek in Musik und Text. Man mag’s fast auf den Zwang, zuhören zu müssen schieben, dass diesem Mann noch kein Denkmal errichtet wurde. Andere Gründe, die gegen größeren Erfolg sprächen, gibt es nämlich kaum…
Und: Auch das Veröffentlichungspensum eines Mark Kozelek sucht seinesgleichen. So ist das dieser Tage erschienene und simpel „Mark Kozelek & Desertshore“ betitelte Werk bereits – nach dem Solo-Coveralbum „Like Rats“ und der erst vor wenigen Wochen in die Regale gestellten, großartigen Zusammenarbeit mit The Album Leaf-Kopf Jimmy LaValle namens „Perils From The Sea“ – die dritte Kozelek’sche Studioalbumveröffentlichung des laufenden Jahres. Daneben tourt der Mann beinahe unablässig um die Welt und konserviert einige dieser Shows dann als Livealben. Wann bitte kommt der Musiker dann dazu, neue Songs zu schreiben? Nun, die Antwort liegt bei „Mark Kozelek & Desertshore“ quasi auf dem lyrischen Präsentierteller…
Wichtiger jedoch dürfte sein, dass Kozelek erstmals seit der Auflösung der Red House Painters Ende der Neunziger wieder auf Albumlänge mit seinen alten Weggefährten gemeinsame Sache macht. Nachdem der Frontmann wider Willen bereits gut der Hälfte des 2011 erschienenen Desertshore-Albums „Drawing Of Threes“ seine Stimme lieh, begab er sich nun für ein komplettes Album mit den ehemaligen Red House Painters-Mitgliedern Phil Carney (Gitarre) und Chris Connolly (Keyboard) ins Studio, um – unterstützt durch den Sun Kil Moon-Schlagzeuger Mike Stevens – nach vielen Jahren ein neues gemeinsames Album aufzunehmen. Dass man(n) die Sache im Titel nüchtern getrennt hält, erscheint beim Inhalt zur Makulatur verkleinert, denn auf „Mark Kozelek & Desertshore“ erinnert Vieles an jene Großtaten aus vergangenen Red House Painters-Tagen – nur eben: versierter, alterweiser, komprimierter.
Und das neue Werk rückt einmal mehr Kozeleks lyrische Finessen ins Licht, zwischen Alltagsbeobachtungen und Persönlichem spielend leicht hin und her zu springen. Ob er all diese in „Mariette“ geschilderten Streifzüge durchs pralle Südstaatenleben von New Orleans wirklich unternommen hat? Ob die Schönheit an seiner Seite ihm wirklich fortwährend Zweifel am Zusammensein vorhielt? Ob er wirklich einst die „Satanische Bibel“ in einer Mall in Ohio gekauft und gar Anton LaVey, den Gründer der „Church Of Satan“, persönlich kennengelernt hat (wie in „Hey Bastards I’m Still Here“ zu hören)? Ob er wirklich aus Schlafmangel ein Ranking von Gitarristen erstellt hat, bei dem Saitenfrinkler wie Robert Fripp (King Crimson), Johnny Marr (The Smiths), Malcolm Young (AC/DC), Neil Young, Jimmy Page (Led Zeppelin), Jeff Beck, Steve Vai oder Kirk Hammett (Metallica) gut wegkommen, während er – wohl augenzwinkernd – bekennt: „I hate Nels Cline“? Die lyrischen Grenzen zwischen Erträumtem, Erdachtem und tatsächlich Erlebtem sind während der 45 Minuten jederzeit fließend. Und egal, ob er in dem nach einem Steve McQueen-Zitat benanntem „Hey Bastards I’m Still Here“ alte Filme stets mit Kindheitserinnerungen an seinen Vater und seine Heimatstadt im mittleren Westen der USA verknüpft, ob er in „Katowice Or Cologne“ vom Leben auf Tour und über all das, was man zu Hause zurück lässt berichtet, ob „Tavoris Cloud“ als große, herzzerreißende Akusikgitarrenode an das innere Kind, die geliebte Katze und den nicht minder geliebten, im vergangenen Jahr verstorbenen Musiker/Freund Tim Mooney (American Music Club) gen Himmel aufsteigt, ob er sich in „Sometimes I Cant Stop“ zu zutiefst menschlichen Schwächen, zu Widersprüchen, aber auch zu all seinen positiven Charakterzügen, seinem kürzlich ebenfalls zu früh verstorbenen Musiker/Freund Jason Molina (Magnolia Electric Co.) und den Wonnen augenscheinlich simpler Familienaktivitäten bekennt oder mit „Brothers“, das vom Vater und schweren Schicksalsschlägen erzieht, wie sie wohl jede Familie schultern muss, den bewegenden, pianogetragenen Schlussakkord unter die zehn Stücke setzt – Kozelek ist immer bei sich selbst. Da tut sich ein Song wie „You Are Not Of My Blood“ schon als das kleine Biest des Albums, das mit schleichendem Rhythmus und verhangener Orgelbegleitung daherkommt, und das sich partout nicht von falschen Freunden vereinnahmen lassen möchte, hervor: „You’ll die a lonely death /…/ You’ll die a lonely person“ – bevor die Band im Chor mächtig einstimmt: „You are not of my blood“. Da schildert der Singer/Songwriter zum Countrytwang von „Don’t Ask About My Husband“ – freilich mit einer Menge Empathie – erdachte Monologe aus der Sicht des gehörnten Ehepartners. Kozelek schimmert – trotz gefühlter vornehmer Zurückhaltung – an allen Ecken und Enden. Und das liegt freilich auch an seinen Mitmusikern Phil Carney, Chris Connolly und Mike Stevens, denn diese rücken mit reppetitiven Gitarrenlinien, hypnotischen Saitenschleifen und dezenter Rhythmusarbeit Stimme und Texte in den Vordergrund. Klar dürfen ab und an mal ein paar angejazzte Pianonoten durchfahren („Mariette“), klar spielt die Band für Momente etwas energischer auf („Katowice Or Cologne“), natürlich rufen die Gitarren von „Livingston Bramble“ (welches ebenso wie „Tavoris Cloud“ nach einem Boxer benannt ist) sofort Neil Young & Crazy Horse auf den Plan, erinnert das schleppende „You Are Not Of My Blood“ ebenso an die seligen Slint wie an die Red House Painters, oder „Katowice Or Cologne“ gar an Tortoise. Dennoch gehört Mark Kozelek die Show. Und der nutzt sie, erneut – dabei hat „Perils From The Sea“ die qualitative Gefühlsmesslatte keinesfalls niedrig gelegt… Ob er am Ende wirklich Wilco hasst? Antworten findet man in „Mark Kozelek & Desertshore“ zwischen Erzählungen, Anekdoten und gefühlten Tagebuchpassagen zuhauf…
Und: Wer bitte möchte nicht einem Mann lauschen, der Zeile wie jene zu Papier und ins Mikro bringt: „At the age of 46 / I’m still one fucked up little kid / Though I moved out here I know / I’m still that kid from Ohio / Who still has hopes / Still has dreams / Still not learned a fucking thing /…/ Who’s living in a world that I’m still getting to know“? Rette sich, wer kann. Wer einmal Mark Kozelek verfällt, der ist auf alle Zeit verloren. Und darf aufs Leben wetten. Tausende kleine und große Wahrheiten – und alles, was man selbst dafür tun muss, ist: hinhören. Deal?
Hier kann man sich anhand der Stücke „Mariette“…
…“Katowice Or Cologne“…
…und „Brothers“ einen ersten Eindruck von „Mark Kozelek & Desertshore“ verschaffen:
Ja was zur Hölle war denn nun bitteschön zuerst da? Das Huhn? Das Ei? Manche Fragen verkommen in der Tat mit der Zeit, je öfter man sie sich stellt oder gestellt bekommt, zum Geduldsspiel, zum metaphorischen Kausalkettenstelldichein ohne Anfang und Ende.
Auch bei „Perils From The Sea„, der ersten Zusammenarbeit von Mark Kozelek und Jimmy LaValle, könnte man sich diese Frage stellen. Dabei liegen doch die Fakten auf dem Tisch der überlieferten Musikhistorien: Es war Kozelek selbst, der LaValle im September 2011 kontaktierte und ihm eine Zusammenarbeit anbot. Da beide die Arbeit des jeweils anderen seit jeher schätzten, willigte LaValle ohne viel nachzudenken ein. Und siehe da – mit „What Happened To My Brother“, welcher nun den Songreigen des gemeinsamen Albums eröffnet, stand auch schnell das erste Stück. Eines wird sofort klar: hier umkreisen sich zwei Pole. Zum einen der 46-jährige Mark Kozelek, früher Denker und Lenker der Sadcore-Slowrocker Red House Painters, danach Vorsteher der elegischen Americana-Groover Sun Kil Moon und – vor allem – stets tieftrauriger, selbstbegleitender Akustikgitarrenbarde mit einem kreativen Output und Veröffentlichungs- Und Tourneepensum, welches wohl jedem Kollegen die an Schreibblockade grenzende Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte. Zum anderen Multiinstrumentalist Jimmy LaValle, ganz früher einmal Teil des Grindcore-Kollektivs The Locust sowie von Black Heart Procession und nun das Mastermind des Electronica-Projekts The Album Leaf. Beide schufen in der Vergangenheit Großes in ihren jeweiligen musikalischen Nischen. Beide heimsten für ihr Schaffen zwar berechtigtes Lob von Musikfreunden wie kundigen Journalisten ein, konnten – und wollten – jedoch nie den kommerziellen Reibach machen, denn ihre Musik zeichnete stets eines aus: sie entzog sich jeder Plattitüde.
Diese beiden umtriebigen Kreativlinge trafen nun gewollt aufeinander. Euphorische Musikfreunde beider Lager erwarteten Großtaten, Skeptiker hingegen elegische Langeweile. Und? Die Wahrheit liegt – zumindest bei den ersten ein, zwei Hördurchgängen – wohl irgendwo dazwischen. Denn offenkundig „spektakulär“ ist keines der elf Stücke. Vielmehr gibt jeder der beiden jene Zutaten in die musikalische Sud, die ihn bislang auszeichneten. LaValle besorgt mit behutsam pluckernden, pumpenden, klackernden Beats, verträumt flirrenden Keyboard- und Synthesizerklänge, die mal an die Folktronica-Sphären seines Stammprojektes, mal an Dubstep-Bekanntmacher wie The xx oder gar an The Notwist erinnern – die instrumentalen Soundscapes. Kozelek legt auf diese so episch wie bedächtig pumpenden Klangteppiche sein sonor windschiefes, unverwechselbares Organ und erzählt große kleine amerikanische Geschichten, wie wohl nur er es kann (und eventuell noch Bruce Springsteen). Diese handeln seit jeher von der Vergangenheit, verpassten Chancen, (Alp)Träumen, Tragödien und dem Leben auf Tour – vom Verlassen und (N)irgendwo ankommen, vom einfachen Leben an der nächsten Straßenecke, von Dreck und Staub, von Licht und Schatten. Doch wo sonst Gitarren – ob nun elektrisch und surrend oder akustisch und gezupft – von eben diesen Geschichten ein stückweit ablenken, stehen diese nun auf „Perils From The Sea“ beinahe komplett nackt da, denn hier lenkt nur höchst selten ein Tönchen den inneren Fokus von Kozeleks Organ, dessen Akustische auf dem Album nur in wenigen Ausnahmen – etwa im romantischen Geständnis „Caroline“ oder in „Here Come More Perils From The Sea“ – zum Einsatz kommt. Und so kommt der Hörer all den verwandtschaftlichen Aufarbeitungen („Got me thinking about my grandpa for some reason / Met him half a dozen times in a nursing home / The last time I saw him, he was in a box / And they were lowering him into the ground“ – „Ceiling Gazing“), den komplett unkitschigen Liebesbeweisen („And I’m so happy to be alive / To have these people in my life“), den Kindheitserinnerungen („1936“), den Lebewohl-Andenken an verstorbene Freunde, den schaurigen Moritaten („You Missed My Heart“), den Erzählungen vom täglichen Kampf um Leben und Überleben („Gustavo“) so unheimlich nahe, dass man schnell hofft, dass vieles von all dem nur den kreativen Zellen Kozeleks entsprungen sein mag. Denn so persönlich, so intim war der eh schnell zu fragilen Elegien neigende Musiker einem selten. Fast jedes Stück weht hin und her wie eine in Schwarz-weiß oder verblichene Sepiatöne getauchte Fotografie im Wind. Man sieht Menschen, Portraits aus längst vergessenen Tagen. Und obwohl man all dies vermutlich zum ersten Mal vor Augen und Ohren haben mag, scheint es fast so, als seien sie alte Freunde, Bekannte und Wegbegleiter… So neu, so alt, so sehr gestern wie morgen und heute.
Natürlich ist „Perils From The Sea“ beileibe kein Album, das dem Hörer sofort und ohne Umschweife entgegen springt, das sich anbiedert und zu sagen scheint: „Höre mich, verfalle mir Hals über Kopf!“. Nein, und so etwas wie poplastige – schlimmer gar: tanzbare Loungemusik! – durfte man von diesen zwei tendenziell in sich gewandten Trauerklössen auch keinesfalls erwarten. Vielmehr bilden Mark Kozelek, der weltenbummelnde, melancholische Geschichtenerzähler, und Jimmy LaValle, der genialisch im Hintergrund agierende musikalische Direktor, für elf wunderbare Songs eine nahezu perfekte, sich organisch ergänzende Symbiose, dessen Schichten sich dem Hörer erst nach und nach erschließen. Denn obwohl einige der Stücke bereits als Konzelek’sche Soloversionen in dessen Live-Programm zu hören waren, erreichen sie erst jetzt – und durch LaValles instrumentale Ausformulierung – ihre wahre Größe. Für den einen mögen sich während der nahezu 80 Minuten, in denen keiner der Songs die Fünf-Minuten-Marke unterschreitet, einige kleine Längen einschleichen. Der andere hüllt sich in diese mäandernden Songmeditationen wie in eine warme Decke. Auf „Perils From The Sea“ werden bewusst nahezu alle Genregrenzen zwischen Singer/Songwriter, Electronica, Folktronica, Dubstep verwischt – ja, selbst Minimal- und Hip Hop-Tendenzen deuten sich an! Und am Ende weckt der zehnminütige, tränenreiche Abschluss „Somehow The Wonder Of Life Prevails“, welcher zum Besten zählt, was beide in ihren nicht eben knappen Diskographien vorzuweisen haben, die Hoffnung, dass „Perils From The Sea“, dieses erlesene Kleinod von seltsam großen Momenten, erst der Anfang einer gemeinsamen Reise ist…
Nach Huhn und Ei kräht längst kein Hahn mehr.
Hier kann man sich mit „What Happened To My Brother“, „Gustavo“ und „Baby In Death Can I Rest Next To Your Grave“ drei Stücke aus „Perils From The Sea“ anhören:
Seit Jahren ist Mark Kozelek einer der wohl umtriebigsten Musiker im Geschäft. Dass dieser Fakt – und auch der Künstler selbst – wohl nur den wenigsten ein Begriff sein wird, ist an und für sich auch kein Wunder, denn der 46-Jährige ist seit als Leisetreter in jeder Beziehung bekannt. Das war bereits mit seiner ersten, 1989 gegründeten Band Red House Painters so, es setzte sich mit seiner neuen, nach dem Red House Panters-Split 2002 formierten – und noch immer aktuellen – Band Sun Kil Moon fort, und während seiner zahlreichen Solo-Ausflüge durfte man auch keine „Besserung“ erwarten. Klar erlauben sich die durchaus jam-erfahrenen Vollblutprofis, hier und da auch einmal kleine E-Gitarren-Dissonanzen mit einfließen zu lassen. Natürlich hing – und hängt – nicht jede Note kerzengerade von den Saiten. Aber am Ende stand und steht da immer dieser US-Amerikaner, der zur Akustischen ruhige, melancholische Geschichten vom Leben erzählt. Und wäre da nicht diese Stimme, wer weiß, wie viele ihm zuhören würden…
Und der Mann hat definitiv immer neue Geschichten zu erzählen, denn allein in den letzten 13 Jahren gehen gut und gern 20 Veröffentlichungen auf sein Kreativitätskonto, veröffentlichte er unter anderem gar Alben, auf welchen er Stücke von Modest Mouse (das Sun Kil Moon-Album „Tiny Cities“ von 2005) oder AC/DC (das Soloalbum „What’s Next To The Moon“ von 2001) als puristisch-entlarfende Akustikversionen darbietet. Und so er sich den nicht in (s)einem Aufnahmestudio befindet, so kann man sich sicher sein, dass Kozelek wohl gerade auf Tournee ist – nur im dann wieder einen Live-Zusammenschnitt der aktuellsten Auftritte zu liefern… (Ob man selbst als absoluter Fan des Singer/Songwriters wirklich alle diese Live-Alben benötigt, muss am Ende jeder selbst entscheiden.)
Dass Mark Kozelek seine Gewohnheiten für’s Jahr 2013 ändern würde, war wohl kaum abzusehen. Und so sind allein für den Februar vier Neuerscheinungen angesetzt: das letzte Sun Kil Moon-Album „Among The Leaves“ wird auf LP veröffentlicht, zwei neue Konzerte seiner letzten Tourneen – diesmal mitgeschnitten in Melbourne und in Peking/Shanghai – wurden für die heimische Anlage archiviert, und Kozelek bringt erneut eine Platte mit Coverversionen unter seine Hörerschaft – „Like Rats“ beinhaltet erneut eine höchst differenzierte Künstlerschaft, deren Ausgangssongs Kozelek, wie so oft nur „bewaffnet“ mit Akustikgitarre und Ausnahmestimme, zu (s)einem homogenen ganzen formt.
„Like Rats“ setzt sich aus folgender Tracklist zusammen…
01. I (Bad Brains)
02. Like Rats (Godflesh)
03. Free-For-All (Ted Nugent)
04. Young Girls (Gary Puckett & The Union Gap)
05. Right Back Where We Started From (Maxine Nightingale)
06. Time Is Love (Josh Turner)
07. Silly Girl (Descendents)
08. Onward (Yes)
09. Carpet Crawlers (Genesis)
10. 13 (Danzig)
11. Green Hell (Misfits)
12. I Killed Mommy (Dayglo Abortions)
13. I Got You Babe (Sunny & Cher)
…und kann bereits hier in Gänze vorgehört werden. Wer es bewegter haben mag: hier kann man sich das Video zum Titelstück ansehen…
Und auch danach gönnt sich Kozelek keine Pause, denn bereits im April wird „Perils From The Sea“, die Zusammenarbeit seiner Band Sun Kil Moon mit dem Jimmy LaValle-Projekt The Album Leaf erscheinen (mehr Infos auf der Seite des Labels, Caldo Verde, welche auch Höreindrücke bietet).
Klar, wen all die Vorgänger bisher recht kalt ließen und eher zum Gähnen denn zum Träumen animierten, den werden wohl weder die kommenden noch die zukünftigen Veröffentlichungen von Kozelek und Band(s) begeistern können. Ich jedoch liebe den Mann, liebe seine Lieder, liebe vor allem seine Erzählweise und seine Stimme. Und allein für den Song „Have You Forgotten“ (bekannt geworden als Teil des Soundtracks zum Cameron Crowe-Film „Vanilla Sky„) sollte man Kozelek, diesem stillen Geschichtenerzähler, einen Altar errichten.
Meine allerliebster Sehnsuchtssänger Mark Kozelek, welchen man allein für Songs wie „Have You Forgotten“ oder „Summer Dress“ heilig sprechen sollte, veröffentlicht mit seinem aktuellen Bandprojekt Sun Kil Moon am 29. Mai Album Nummer sechs. Einen ersten Song aus „Among The Leaves“ namens „Sunshine in Chicago“ könnt ihr bereits hier hören:
Kozeleks Songs, ob nun von seiner ehemaligen Band, den Red House Painters, solo oder eben Sun Kil Moon, sind für mich seit Jahren der perfekte Soundtrack für ausgedehnte Herbst- und Frühlingsspaziergänge, wie gemacht, um die ersten oder letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf der Nasenspitze tanzen zu lassen… Wer einen Einstieg in den Klangkosmos von Sun Kil Moon bzw. Mark Kozelek sucht, dem empfehle ich das 2003 erschiene SKM-Debüt, „Ghosts Of The Great Highway„, die Red House Painters-Zusammenstellung „Retrospective“ oder eins von Kozeleks zahlreichen Live-Alben.