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Song des Tages: corook – „it’s ok!“


Manchmal lassen sich zwischen den zahllosen Quatsch-und-Klickquoten-Videos auf TikTok und Co. tatsächlich kleine, mit ernsthaftem Augenzwinker-Hintersinn gedachte Highlights entdecken. Die Clips von corook etwa. co…wer?

Hinter diesem Allerwebs-Alias versteckt sich Corinne Savage, die sich schon optisch von all den perfekt geschminkten, zu irgendwelchen trendigen Choreographien tanzenden Social-Media-Püppchen abhebt. Vielmehr liegen die Talente der Sängerin, Songwriterin, Produzentin, Multi-Instrumentalistin und selbsternannten „huge fuckin dork“ (was auf Deutsch augenzwinkernd soviel wie „riesige Idiotin“ bedeuten mag) anderswo. So kann die Endzwanzigern – je nach Tagesform – etwa einen Rubiks-Würfel in weniger als einer Minute lösen. Aufgewachsen ist das „sommersprossige, pummelige Babe“ in Pittsburgh, Pennsylvania, wo sie im heimischen Kinderzimmer den Songs von Drake, Gwen Stefani oder Mac Miller lauschte. Sie besuchte eine High School für darstellende Künste, outete sie sich in ihrem letzten Schuljahr als „QUEERAF“, und danach das Berklee College of Music, welches sie mit zwei Abschlüssen beendete. Mittlerweile lebt Savage mit ihrer Freundin im vor allem unter aufstrebenden Musik-Talenten angesagten Nashville, Tennessee („howdy.“), wo sie seit 2021 die meiste Zeit mit dem Schreiben und Produzieren von Musik für ihr Künstlerprojekt corook verbringt und sich dafür nur allzu gern allein in ihrem Zimmer einschließt (und dafür in jüngster Vergangenheit dem Coronavirus die Schuld zuschob, aber eigentlich wohl einfach nur ihrer asozialen Ader frönt). Als corook ließ Savage etwa unlängst, im April, ihre Debüt-EP „achoo!“ hören, welche einige ihrer Lustige-Musikvieos-trifft-auf-Hintersinn-Songs bündelt.

Nun hat die vielseitige US-Künstlerin ihre emotional verletzliche und tröstliche neue Single „it’s ok!“ veröffentlicht. Als „Schlaflied für Erwachsene“, an Tagen, an denen einem einfach alles im Leben zu viel wird, erinnert das Stück die Hörer*innen daran, dass es total okay ist, nicht den Erwartungen und Normen zu entsprechen und ab und an Tage zu haben, an denen es einem bereits schwer fällt, aus dem Bett zu kommen, weil sich einfach alles überwältigend anfühlt. Mental Health und Body Positivity im unterhaltsam-eingängigen Drei-Minuten-Popsong-Format? Funktioniert hier tatsächlich bestens!

„Ich habe diesen Song mit der Absicht geschrieben, ein Schlaflied für mich selbst zu schaffen“, erzählt Corinne „corook“ Savage. „Einen Song für die Tage, an denen es mir schwerfällt, aus dem Bett zu kommen oder wenn meine Sorgen den Tag beherrschen. Als ich einen Clip von diesem Song auf TikTok gepostet habe, war ich mir nicht sicher, was mich erwarten würde. Ich glaube, die interessanteste Reaktion war die Anzahl der Leute, die sich selbst im Bett beim Singen des Liedes gefilmt haben. Es fühlte sich wie ein wirklich einfaches, aber bedeutungsvolles Zeichen der Solidarität an, nach dem Motto ‚Ja, das mache ich auch‘. Als ich diese Videos sah, fühlte ich mich mit diesem Gefühl nicht mehr so allein. Ich hoffe, dass dieser Song eine Erinnerung daran ist, dass die einzige Aufgabe des Tages darin besteht, das zu tun, was man kann, und sich selbst zu gefallen.“

Wie mit den Songs zuvor kreiert corook bei „it’s ok!“ einen ganz eigenen, unbestreitbar genresprengenden Sound, und behandelt in ihrer Musik und ihren Bildern obendrein zutiefst persönliche Themen durch ihre ebenso einzigartige wie schrullige und humorvolle Linse.

„Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird

I should get up outta bed, I should probably drink some water
I should, I should, I should
But I know that I’m not gonna
Do the things statistically that make me feel better
Get outside and out my mind, I know I’ll feel better
Scrolling, scrolling, scrolling through the videos and pictures
Scrolling, scrolling, scrolling like my eyes are drinking liquor
Feeling overstimulated, maybe it’s a sign
If I’m here any longer, I’ll get tan lines from the brightness
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Ok, ok, ok, I got banana socks on like could I get any cuter
Grab a cup of tea and I walk to the computer
Oh, you’re fucking kidding me – another school shooter?
Suddenly I’m cripple by the chances of my future
A parade or a concert or a theatre or a school
Can’t prove I’m any safer in the comfort of my room
Somewhere in Malaysia there’s a plane that disappeared

And no one talks about it and I think that’s pretty weird so
What if it was me?
My chances aren’t that far
What if the plane I take next week ends up where they are?
This isn’t making any sense and now I’m kinda spiraling
Take a deep breathe
And keep reminding

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Brimheim – „hey amanda“


Als geneigter Sportsfreund nimmt man die Färöer im Grunde lediglich dann hin und wieder wahr, wenn ihre Fußball-Nationalmannschaft, die derzeit einen stattlichen 125. Platz der FIFA-Weltrangliste belegt, alle paar Jahre eine ordentliche Klatsche von einer der großen Ballsportnationen bekommt. Im krassen Kontrast zu diesen hypermaskulinen Duellen, in denen sich 22 Männer wie in einem modernen David-gegen-Goliath-Gladiatorenkampf begegnen, steht mit Teitur Lassen das bislang wohl bekannteste Kind der Inseln, wenngleich der 45-jährige Musiker, der seinen Nachnamen der Einfachheit halber gleich zu Karrierebeginn unter den Singer/Songrwriter-Schemel fallen ließ, mit seiner sanften Stimme eher pazifistische Engel über den Vulkanstein denn Bälle per Seitfallzieher ins Tor hüpfen lässt. Und dann ist da neuerdings auch Helena Heinesen Rebensdorff aka. Brimheim, die zwar eine ebenso zauberhafte Stimme hat, aber für ein Musikvideo zu ihrem im Januar erschienenen Debütalbum „can’t hate myself into a different shape“ in eine Ritterrüstung schlüpft und gewalttätig ihre martialischen Herr-der-Ringe-Fantasien auslebt. Keine Frage: Jene Dame dürfte aktuell die beste Neuigkeit sein, die es von der Inselgruppe mit ihren gerade einmal knapp 54.000 Einwohnern zu hören gibt.

Denn die verschleierten Indie-Stücke der dänisch-färöischen Sängerin, deren Mutter auf den Färöern ebenfalls keine Unbekannte zu sein scheint, tönen von der ersten Sekunde an recht interessant, in ihren besten Momenten gar beeindruckend. Zur Eröffnung offenbart uns die Protagonistin dezent unumwunden „heaven help me i’ve gone crazy“ – nicht, dass sie uns am Ende nicht gewarnt hätte. Dabei präsentieren sich die elf Stücke inhaltlich alles andere als als kryptische Schriftrollen, die erst übersetzt werden müssen. Ganz im Gegenteil sind Rebensdorffs Texte meist nahbar und direkt, sodass man sich oft genug bestens in sie hineinversetzen kann. Verrückt ist sie sich wahrscheinlich selbst vorgekommen, denn der beeindruckende Spagat aus schmerzhaftem Reflektieren und kraftvoller Ermächtigung mag durchaus zur Tour de Force geraten. „can’t hate myself into a different shape“ schildert in dezidiert therapeutisch angelegten Selbstfindungs-Skizzen die Auseinandersetzung mit der eigenen Queerness, der Liebe in einer Gesellschaft, die sie auch im Jahr 2022 leider noch nicht immer und überall ermöglicht wird, und der mentalen Gesundheit, die schlussendlich von all den Widerständen in die Knie gezwungen werden kann. Ja, diesem Album hört man die Resilienz an, die nötig war, damit es entstehen konnte.

Mit Zeilen wie „I’ve never tried harder not to be myself“ beschreibt sie das ungesunde Versteckspiel ihrer selbst schon im herausragenden Titelsong. Während „hey amanda“ die platonische Liebe zur titelgebenden Jugendfreundin feiert und „favorite day of the week“ ordentlich Ohrwurm-Potential besitzt, verzweifelt sie in „baleen feeder“: „I wish I didn’t care what you think of me“. Und während andere nicht zu sehen scheinen, wie hart sie an sich arbeitet, schafft sie es sich immer noch selbst zu versichern: „I am not a burden“. Der Kampf ist allgegenwärtig – auch in der Musik. Denn die Klagerufe geben sich im ersten Moment gerne zart, bauen sich behutsam auf, um dann mit einem Hieb der Zurückhaltung hinterrücks den Kopf abzuschlagen. Gitarren treffen auf Synthieflächen, das Schlagzeug biegt mit fast schon frechem Pomp ums Eck, der Bass weiß gar nicht, wo er sich zuerst anschmiegen soll. „can’t hate myself into a different shape“ tönt wie das wie das uneheliche Kind von Florence Welch und PJ Harvey, ist zu gleichen Teilen aufrichtig und verletzlich und voller toller Ideen, was nicht verwunderlich ist, liest man doch aus Interviews mit Helena Heinesen Rebensdorff oft genug bereits ein ordentliches Nerdtum in Bezug auf Produktion raus.

Der Indie Rock von Brimheim, was passenderweise übrigens ungefähr so viel heißt wie „Heimat der brechenden Wellen“, weckt mit seiner Dringlichkeit und Energie außerdem Assoziationen zu Kolleginnen wie Torres, zu Hurray For The Riff Raff, zu Emma Ruth Rundle, zu Sharon van Etten – und somit zu Musik, mit und in der etwas gesagt wird. Kraft und Zerbrechlichkeit, Nachdenklichkeit und Eingängigkeit sind auf diesem Album nicht zwangsläufig Widersprüche. „hurting me for fun“ will es zum Abschluss noch mal so richtig wissen, setzt nach sanfter Introspektive auf pochende Beats und stampft mit verzerrtem Schlagzeug von dannen – aber sicher nur, um sich nach dieser Herkulesaufgabe von einem Langspieler eine wohlverdiente Auszeit in Brimheims Wohnort Kopenhagen zu gönnen. In der Zwischenzeit könnte sie dann auch einfach der neue Exportschlager der Färoer werden – verdient wäre es allemal.

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Proper. – „The Great American Novel“


Foto: Promo / Milla Belanich

Schwarz und queer in einer überwiegend cis-männlichen, heterosexuellen Szene zu sein, ist – gelinde gesagt – auch im Jahr 2022 alles andere als einfach. Proper. (von denen bereits 2019 auf ANEWFRIEND die Schreibe war) machen trotz alledem das Beste aus den gegebenen Umständen und packen ihre Erfahrungen in kleine, große Songperlen zwischen Sturm, Drang und Sinnsuche. Setzte sich der Album-Vorgänger „I Spent The Winter Writing Songs About Getting Better“ vor knapp drei Jahren noch mit dem Ausbruch aus der Erwartungskulisse des eigenen Umfelds auseinander, will das Trio aus Brooklyn, New York nun gleich ein komplettes Buch vertonen. Jeder Song auf „The Great American Novel“, das seinen Titel einem im US-amerikanischen Literaturdiskurs häufig verwendeten Schlagwort entlehnt, welches das Ideal eines Romans bezeichnet, der exemplarisch das Wesen der USA abbilden soll, also den „besten amerikanischen Roman“, der je geschrieben wurde (oder geschrieben werden kann), versteht sich als Kapitel eines Twentysomething-Protagonisten, der in den 2010er Jahren aufwächst und sich mit der missbräulichen Beziehung seiner Herkunft und seiner Identität auseinandersetzt.

Sänger und Gitarrist Erik Garlington nennt seinen Hauptdarsteller einen queeren, schwarzen Holden Caulfield, der seine Zwanziger er- und durchlebt. Die Texte, welche er für den neusten Langspieler seiner Band verfasst hat, tun weh, sind in ihrem introvertierten Tagebuch-Charakter herzzerreißend ehrlich und gehören doch – oder gerade deshalb – allesamt mit Farbe an die Wände oder mit Edding auf Unterarme. „There’s nothing I’d love less than to work myself to death“, mosert Garlington in „Shuck & Jive“. Kennen wir alle? Kennen wir alle. Im Fokus stehen soll aber das Aufwachsen als nicht weißer, nicht heterosexueller junger Mensch im Bible Belt, dem evangelikalen Süden der Vereinigten Staaten, das Proper. hier zum Konzept auserkoren haben. „My parents wonder why I won’t have children“ – man will Garlington nicht nur hier in den Arm nehmen. Er und seine Mitmusiker Elijah ‚Eli‘ Watson (Schlagzeug) und Natasha Johnson (Bass) verstehen sich als Sprachrohr der Betroffenen und wollen mindestens in ihrer musikalischen Nische für Awareness und gegen Othering und Rassismus eintreten. Politischer und konkreter auf eine spezielle Problematik zugeschnitten war emorockig Tönendes in letzter Zeit selten. Und auch in Sachen Melodie und Dringlichkeit kämpfen sich Proper. mit den neuen Stücken an die Spitze ihrer Szene.

Der angedeutete Stream of Consciousness von „In The Van Somewhere Outside Of Birmingham“ schielt lethargisch kurz in Richtung Sorority Noise, zerbricht dann aber auch in einem angefressen-wütenden Finale. Die leeren Seiten des Schwulendaseins mit tausend Grindr-Sexdates, aber wenig echtem menschlichen Kontakt thematisiert „The Routine“, während es in „Red, White, & Blue“ darum geht, was es heißt, „Amerikaner zu sein“, wie kompliziert und verletzend diese Beziehung ist, und wieso man von dieser eigentlich nie so ganz loskommen kann. Im brillanten „Huerta“ wiederum setzt Garlington sich mit seiner Familienbiographie und deren multikulturellem Erbe auseinander: „I could have been a farmer in the grasslands“, auch wenn das Spanisch des US-Musikers mit mexikanischen Wurzeln ausbaufähig ist – Hauptsache, irgendetwas sein außer nur „another dull American“. Dazu serviert die Band einiges an Stop’n’Go sowie schroffe Einschläge und bratende Gitarrenwände neben Stakkato-Riffing. „McConnell“ mixt gar Sprechgesang, progressive Gesangslinien und eine Idee von Black Metal zu einer im Grunde ziemlich abgedrehten Melange. „How does it even feel to know that people would cheer if you go?“ – Proper. lassen absolut nichts anbrennen, vor allem nicht, sobald sägende Bläser und weibliche Gaststimme ein wunderschönes Stück wie „Milk & Honey“ veredeln. Hier sind Könner am Werk, die ihr tragisches, bitteres Meisterwerk vorlegen, welches in seinen besten Momenten Scharfkantiges, Furioses, fast schon Schäumendes neben Augenblicke der unvermittelten Ruhe stellt. Allein wie sich „Americana“ aufbäumt und von der zarten, fast schon folkigen Idee zum drastischen Manifest mit Nachdruck, mit Biss, mit ungeschönten Worten und der Hoffnung auf ein besseres Morgen, das sich letztlich doch zu verbergen weiß, erwächst, geht unter die Haut. Aber: Ja, selbst inmitten dieser Hölle gibt es eben immer noch einen Funken Hoffnung: „My body might actually belong to me, and not some palm oil monopoly.“

Braucht’s bei alledem noch Referenzen? Nun, mehr denn je drängen sich bei „The Great American Novel“ so einige Vergleiche zu den Besten des emotional aufgeladenen Indie’n’Alternative Rocks der Nuller-Jahre auf: gleich am Album-Anfang etwa zu den Brand New der seligen „Deja Entendu“-Tage, etwas später zu Tim Kashers wütend polternder Kapelle Cursive oder den wilden Stilritt-Eskapaden von Foxing, ansonsten auch zu Conor Oberst beziehungsweise den Desaparecidos im Stile des Vortrags, des Stilbruchs und der Konsequenz dahinter. Dabei sollte jedoch keinesfalls unter den tönenden Tisch fallen, dass Proper. ein eigenes, gekonnt von Stil zu Stil hüpfendes Biest sind, dass Garlington ein grandioser Geschichtenerzähler ist, dass die ganze Band hier verdammt eindrucksvoll abliefert. „The Great American Novel“ hört sich tatsächlich wie ein großes Buch. Gerne lässt man sich fallen, wachrütteln, weint sich in den Schlaf, will rebellieren, kämpft mit Resignation und hofft auf die große, majestätische Auflösung. Allein der Bandname wird ironisch gebrochen, liest man Proper. als „angemessen“ – den Erwartungshaltungen entsprechend – oder gar „angepasst“. Erik Garlington und seine Bandmates jedoch sezieren ihr Land mit dem Fleischermesser und setzen sich an die Speerspitze einer kulturellen Revolution, die nichts Gutes an alteingesessenem, gottesfürchtigem und kanonenschwingendem Amerikanersein findet. Nicht nur auf die Südstaaten begrenzt, stehen Proper. damit im Sinne, Worte zu ihren Waffen zu machen, tatsächlich in der Tradition der großen Schriftsteller, die sie sich zum Vorbild genommen haben. „I’m the God of silent rage, I bite my tongue and cut my breath“: William Faulkner, Truman Capote, John Steinbeck, J. D. Salinger – und jetzt auch Proper.

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Pillow Queens


Obwohl sich die Stadt weitaus weniger im Fokus befindet als Metropolen wie London, New York oder Berlin, darf man bei genauerem Hinschauen unumwunden feststellen: Auch in der Kulturszene von Dublin tut sich einiges. So bilden etwa Straßenkünstler*innen, Modedesigner*innen, Musiker*innen und Filmemacher*innen in der irischen Hauptstadt eine Szene, die sich offen für Queerness und Randgruppen einsetzt, sich mit jungen Menschen auseinandersetzt und sie aktiviert, um auf die anhaltende Mental-Health- und Wohnungskrise der Stadt zu reagieren und sozialen Ungerechtigkeiten den Kampf anzusagen. Wer wissen möchte, wie all das vertont klingen mag, der sollen den Pillow Queens (s)ein Ohr leihen, die just heute ihr zweites Album „Leave The Light On“ veröffentlichen.

Dabei ist „das Licht an zu lassen“ nicht gerade eine Aktion, die man mit dem 2020 erschienenen Pillow Queens-Debüt-Langspieler „In Waiting“ in Verbindung gebracht hätte. Lieber wollte man diesen im abgedunkelten Kellerclub genießen, sich zwischen schwitzenden Körpern gen Bühne kämpfen, um gemeinsam mit dem irischen All-Female-Quartett die dringlichen Texte by heart mitzugrölen. Nicht ohne Grund avancierte der Erstling der Irinnen vor zwei Jahren zum Kritikerliebling und hatte mit „Gay Girls“ eine der Queer-Hymnen des Musikjahres in petto. Und obwohl die Pillow Queens für die Nachfolger-Platte erneut mit Produzent Tommy McLaughlin gearbeitet haben, ist dieses Mal einiges anders. Und – man mag es kaum glauben – sogar noch besser.

Wobei – alles ist nicht unbedingt anders. Was geblieben ist, sind die queerfeministischen Thematiken, die sich auf recht unterschiedliche Weise in den Songs wiederfinden. So gibt „Well Kept Wife“ einen Kommentar zum gesellschaftlichen Druck auf Frauen im Haushalt ab: „Tell me the house got dirty / Tell me the warmth escaped / Tell me the dinner’s not ready / I know the bed’s not made„. „No Good Woman“ widmet sich derweil der Business-Welt: „All of these men you’ve been working for, all of them treat you so well / They wine and they dine on your back so much / That they step on your neck as well“. Doch nicht nur nach außen, sondern auch ins Innere blickt die LGBTIQ-Band, denn auf der anderen Seite beschäftigen sich einige Stücke (wie etwa „Be By Your Side“) mit der mehr oder weniger gesunden Sehnsucht nach einem Gegenüber. Anderswo, in „Hearts & Minds“, widmet sich die Band dem Imposter-Syndrom, einem psychologischen Phänomen, unter dem vor allem Frauen leiden und bei welchem Selbstzweifel so stark sind, dass man die eigenen Fähigkeiten sowie Leistungen anhaltend unterschätzt und für geringfügig erachtet – die Angst, durch seine vermeintliche Unfähigkeit und die deshalb für sich verbuchte Hochstapelei aufzufliegen, ist für Betroffene allgegenwärtig. So weit, so gewohnt? Nun, vor allem die Art der Darbietung unterscheidet sich immens von bisherigen Pillow Queens’schen Releases…

Denn obwohl sowohl die ersten, seit 2016 veröffentlichten EPs als auch das von queren Themen durchzogene Debütalbum nicht wenig Zündstoff bereithielten (gerade für eine katholische Gesellschaft wie die irische), durfte man dennoch nicht unbedingt erwarten, dass sich Pamela „Pam“ Connolly, Sarah Corcoran, Rachel Lyons und Cathy McGuiness dieses Mal mit so vielen emotionalen Sujets beschäftigen würden. Wohl auch deshalb ist der Einfluss dieser – zumindest teilweisen – thematischen Abkehr auf den Sound unverkennbar: Statt prägnanter Gitarrenriffs und strammem Indie Rock bestechen Pillow Queens nun mit einem durchaus imposanten, komplexen Sound. So tönt „Hearts & Minds“ erhaben-folkloresk, während „Delivered“ mit repitititven Gitarren einen leeren Äther konstruiert, in dem sich die Stimmen der Musikerinnen verästeln. „Historian“ besticht in den Strophen durch eine Julien-Baker-meets-Dream-Pop-Version, nur um im Refrain plötzlich ein sengendes Riff in den Pott zu werfen. Überhaupt nehmen sich die zehn neuen Songs jedoch vor allem viel Zeit, neigen zum gepflegtem Storytelling und gönnen sich dafür auch die ein oder andere Leerstelle. Das kann mal reduziert klingen wie in „The Wedding Band“, mal hingegen nach warmer, in Breitbild-Format getauchter Harmonie wie in „My Body Moves“.

Was die vier Pillow Queens mit „Leave The Light On“ jedoch fraglos geschafft haben: Ihren eigenen Indie-Rock-Sound ins richtige Licht zu rücken, damit alle noch so kleinen Spielereien noch besser als zuvor zur Geltung kommen. So tönen die neuen Stücke zugleich voluminös und intim, sind getrieben von einer gelebten Überzeugung, die nicht selten auch mehrstimmig erklingen darf. Weiterentwicklung? Gelungen!

Rock and Roll.

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Song des Tages: Chiefland – „Disappearing Act / Introspection“


Spätestens seit ihrem 2019er Debütalbum „Wildflowers“, das von der Presse als „mitreißend bis zum bittersüßen Ende“ („VISIONS„) durchaus positiv betrachtet wurde, ist die Göttinger Band Chiefland ein fester Bestandteil der deutschen Post-Hardcore-Szene. Nach einer kreativen Schaffenspause im Corona-Jahr 2020 und zwei Mitgliederwechseln präsentierte das Quartett nun (s)eine neue Single: „Disappearing Act / Introspection“ schlägt zwar überraschend ruhige Töne an, macht thematisch jedoch genau da weiter, wo das Debüt der Band vor zwei Jahren aufhörte…

Die Lyrics handeln vom Zwiespalt zwischen Selbstbild und gesellschaftlichen Erwartungen. Nicht selten sind Menschen gezwungen, sich verstellen zu müssen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. „My demons are here“ heißt es in einer Zeile des Songs, die direkt auf die mentalen Herausforderungen anspielt, welche damit zusammenhängen.

Und: „Disappearing Act / Introspection“ erscheint nicht im luftleeren Raum, denn Chiefland haben durch popNDS kürzlich eine Förderung erhalten. Als Stipendiaten des Förderprogramms entwickelten sie die Kampagne #identityisfluid, welche auf die Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Identitäten aufmerksam macht. Zum einen geschieht dies über Info-Slides auf den Social-Media-Kanälen der Band, zum anderen möchten die Vier aktiv einen Beitrag für die Community leisten. Gänzlich neu ist das kaum, Chiefland haben sich in der Vergangenheit bereits häufiger zu dem Thema geäußert: „Jede unserer Shows soll einen safe space bieten, in dem sich Menschen vollkommen ungeachtet ihrer Herkunft und sexuellen Orientierung frei, respektvoll und vorurteilsfrei begegnen können“, so Sänger Corwin Sandiford. „Unsere Szene-Bubble schreibt sich Inklusivität auf die Fahne, setzt diese aber noch zu selten um.“

Im Zuge der Kampagne bietet die Band außerdem dem queeren Berliner Tätowierer Sven Eigengrau eine Plattform: Es entstand ein gemeinsames Soli-Shirt, das ab dem 2. Juli über den Onlineshop von Uncle M verfügbar sein wird und bereits vorbestellt werden kann. Nur folgerichtig, dass man mit auch dieser Aktion etwas Gutes tun möchte: Chiefland spenden pro verkauftem Shirt 5 Euro an das Queere Zentrum Göttingen. „Wir hoffen, dass wir mit dem T-Shirt, den Infos auf unseren Socials und nicht zuletzt der Single Menschen für das Thema sensibilisieren können. Es sollte zur absoluten Normalität werden, mehr als zwei Geschlechter und eine Vielfalt an geschlechtlichen Identitäten zu akzeptieren und seine Privilegien zu nutzen, um die Communities zu unterstützen“, betont Justus Elbers, seines Zeichens Schlagzeuger von Chiefland. Bis in den Sommer 2021 hinein sammelt die Band mit dem T-Shirt Spenden. Darüber hinaus sind weitere Aktionen geplant, wie zum Beispiel die Verlosung eines Tattoo-Gutscheins. Gute Sache!

Rock and Roll.

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Song des Tages: Suggested Friends – „The Apocalypse (it’s just a day away)“


Ich weiß ja nicht wie’s bei euch so ausschaut, aber bei mir selbst laufen beim Hören neuer Musik nicht selten assoziative Bilder vorm inneren Auge ab. Die Songs von Suggested Friends etwa tönen, als hätten Belle & Sebastian sich mit (den frühen) Tegan & Sara auf ein Tässchen Tee getroffen, dabei alte Mike Oldfield-Platten gehört und daraufhin – eventuell wurde dem Heißgetränk ja ein kleiner Schuss Starkalkoholisches beigemischt, dann wär’s eine waschechte Schnapsidee – beschlossen, gemeinsam Musik zu machen. Manch anderer mag auch vermuten, dass hier das kreative Kaffeepulver angesagter Künstlerrinnen von Phoebe Bridgers über Lucy Dacus bis hin zu Anna Burch in gekonnter Barista-Manier durch einen feinen Riot-Grrrl-Filter gelaufen sein mag… Geht’s zu weit? Nevermind.

Die vierköpfige Band aus London verbindet auf ihrem zweiten, bereits im Oktober 2019 erschienenen Album „Turtle Taxi“ old-schoolig schrammeligen Indie Rock mit zuckersüßem, (im besten Sinne) klebrigem Indie Pop. Obendrein kann Sängerin Faith stimmlich so einige Höhen und Tiefen abdecken und singt gern mehrstimmig-melodieselig mit den restlichen Bandmitgliedern um die Wette. Klar, das mag im Gegensatz zu den teils schroffen, krachig-punkigen Gitarren (von denen das 2017er Debüt noch einige mehr zu bieten hatte) an mancher Stelle ein wenig gewöhnungsbedürftig daher poltern. Dennoch bilden kleine, verspielte Ums-Eck-Hits wie „Pretty Soon Your Grave Will Be A Landfill“ (was für ein Titel!) oder das Titelstück „Turtle Taxi“ (ja, es laufen Schildkröten durch das schräg-sympathische DIY-Video, im Musikvideo zu „For Jokes“ gibt’s sogar Katzen!) einen interessanten Kontrast zum fast schon kitschigen „Blooms“.

Dieser Kontrast ist es unterm Strich auch, der dafür sorgt, dass „Turtle Taxi“ nicht das 23. hübsche Indie-Album aus der an hübschen Indie-Alben ohnehin nicht armen UK-Musik-Szene ist, sondern tatsächlich das Potential dazu besitzt, sich in den Gehörgängen festzusetzen. Das und das Händchen der Band, einfühlsam-persönliche Texte über (queere) Beziehungen, Kapitalismus, Politik, Traumabewältigung und die banalen Absurditäten des Tagtäglichen zu schreiben. Denn immerhin geben die vier Indie-Musiker*innen von Suggested Friends gern Auskunft über ihre queeren Identitäten, ohne allzu lang um den heißen Gender-Brei herum zu tänzeln – das deutet bereits die Beschreibung ihrer Band auf Facebook an: „small choir of mostly lesbians“. Freunde der Muncie Girls oder The Beths sollten hier in jedem Fall das ein oder andere Ohr riskieren!

Rock and Roll.

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