Betterov – Olympia (2022)
-erschienen bei Universal-
Es hatte etwas Unaufgeregtes, als Betterov in den Anfangstagen der Pandemie mit seiner EP „Viertel vor irgendwas“ in eine plötzlich so ruhige, so brachial von Hundert auf Null entschleunigte Welt eintrat. Diese Songs hatten etwas Vertrautes, das über den Einsatz von düsterpoppigen Achtziger-Synths der Cure- oder Smiths’schen Güteklasse oder so mancher, vor allem an Interpols „Turn On The Bright Lights“ geschulter Gitarrenspur hinausgeht. Yessir, der Post Punk im Nacken verschaffte den sieben Stücken ein dickes Plus an Atmosphäre, der verdammt popaffine Indie Rock ging in die Beine. Dazu ist Manuel Bittorf, so steht’s im Pass des 28-jährigen Musik-Newcomers, der sich nach einem Statisten aus der dänischen Komödienreihe “Die Olsenbande” benannte und bereits im vergangenen Jahr hier auf ANEWFRIEND Vorstellung fand, mit einer bis ins markanten Mark bewegenden Stimmfarbe gesegnet, die irgendwo in einem apathischen Parallel-Universum zu stecken scheint. In der echten Welt? Gibt’s eh nur noch Killerviren, Klimakatastrophen, populistische Anti-Intelligenzbestien oder bange machende Kriegsschauplätze in den Nachrichten. Was bleibt: Unverständnis, Apathie, Blicke ins Leere. „An mir geht alles vorbei / Ich bin die pure Langeweile“, schilderte Betterov damals im brillanten Titelsong jener 2020er Debüt-EP sein Empfinden gleichsam passend wie eindrucksvoll.

Und nun? Muss es verdammt noch mal irgendwie weitergehen mit dem superbeschleungiten Leben, am besten so wie vor jenem so eigenartigen, so superentschleunigten Jahr 2020. Wäre da nicht diese posttraumatische Lähmung, an der wir alle irgendwo zu knabbern haben. Long Covid fürs Volk, während um einen herum alles nur teurer, verrückter und unbeständiger wird. Und auch der Künstler, mitsamt einer durchaus hörbaren Springsteen-Frühprägung in der thüringischen Pampa großgeworden und ehemals talentierter Jung-Leichtathlet (sowie Ex-Schauspielstudent), liegt bloß noch herum, ertappt sich inmitten einer Endlos-YouTube-Video-Schleife der größten Sporthistorien-Momente. Jene Metapher wählt Betterov nicht nur für den Titelsong seines Debütalbums: „Olympia“, die höchste Spitze des Sports, wo alle vier Jahre wenige Zentimeter und Sekunden über Weltruhm oder bittere Niederlagen entscheiden, und als Kontrast der persönliche Stillstand, in welchem die Minuten, Stunden und Tage nutzlos dahin rinnen. Betterovs Musik ist, typisch für die Generation, eine fahrig anmutende Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben inmitten kaum greifbarer, von existenziellen Krisen und gesellschaftlicher Aufruhr diktierten Umständen. Gentrifizierung, Leistungsdruck, Zukunftsangst – kaum verwunderlich also, dass einen die eigenen Depressionen ab und an dazu zwingen, in Schocklähmung vor den Endlossschleifen irgendwelcher gottverdammten Internetclips zu verharren.
Dementsprechend bietet „Olympia“ (zu dem man hier ein paar Track-by-track-Erläuterungen von Betterov und hier ein Interview findet) – zieht man Intro und Outro ab – elf formidable Songs vom inneren Kampf, von Analyse und Selbstverortung – und von schlaflosen Nächten, wie etwa das hymnische „Schlaf gut“ berichtet, ein Stück, das Betterovs bemerkenswertes Talent zu nachhaltig-ohrwurmigen Harmonien einmal mehr unterstreicht. Und tagsüber? „Berlin ist keine Stadt“ heißt es in diesem kleinen Hit, allerdings hat der Wahl-Berliner hier lobenswerterweise nicht den üblichen „Berlin ist nicht cool“-Diss à la Kaftklub im Hinterkopf. Vielmehr geht es um Erinnerungen an den unterschiedlichsten Ecken und Straßenzügen der Vier-Millionen-Einwohner-Metropole. Doch so sehr man sich auch bemüht, im Hier und Jetzt zu sein: Nach einer gewissen Zeit wird diese Stadt zu einem reinen Gedankenmuseum, welches ohne die passende Person an der Seite eben nur die Hälfte wert ist. Fehlende Wertschätzung für Kunst und Kultur wiederum verhandelt der Sänger im feinen Synth-Rocker „Dussmann“ in Form einer symbolischen Exkursion durch das Berliner Kulturkaufhaus. Bei einem waschechten Hit wie diesem, der in einer besseren Musikwelt jegliche Charts anstelle all der Ballermann’schen „Layla“-Grütze anführen würde, verwundert es kaum, dass Podcast-Musiker Olli Schulz Betterov bereits vor Monaten über jeglichen grünen Klee lobte.

Doch zurück nach Berlin. Denn auch dort merkt man als junger Künstler, dass die Großstadtmieten besonders hoch sind, und am Ende des Portemonnaie- und Kontoinhalts noch recht viel Monat übrig bleibt. Und dennoch geht es nach der Party schon mal in einem Benz nach Hause – selbst wenn man diesen nicht selbst lenkt und dem Taxifahrer am Ende ein paar saure Euronen in die Hand drücken muss, wie uns „Bring mich nach Hause“ lehrt und die Impressionen der vorbei rasenden Großstadtlichter in einen dezent psychedelischen, umso mehr betrunken-sentimentalen, Musik gewordenen Late-Night-Roadmovie fasst. Freilich ist das Leben in dem kleinen Dörfchen bei Eisenach, in welchem Manuel Bittorf aufwuchs, deutlich günstiger – aber eben auch grauer und öder. Dennoch wirft der Nachwuchskünstler, der zweifellos über eine der spannendsten neuen Stimmen innerhalb der deutschsprachigen Musiklandschaft verfügt, der das Raue und gelegentlich angenehm Brüchige bestenfalls zu größter emotionaler Intensität verhilft, in „Böller aus Polen“ einen kurzen nostalgischen Blick zurück: „Von allen Orten, die es gibt auf der Welt / Bin ich ausgerechnet hier gebor’n / Und du, du hast das alles gesehen / Und du wolltest trotzdem bleiben“. Apropos „emotional intensiv“: Par excellence gelingt in diesem Sinne der zunächst gemächlich beginnende Trennungssong „Urlaub im Abgrund“, welcher sich über fünf Minuten beständig steigert, bis sich das Ich in höchster Ekstase von seiner gescheiterten Liebesbeziehung freimacht. Wen wundert’s, dass Betterov da auch mit seinem „merkwürdigen Leben“ und „den Leuten“, die ihn umgeben, fremdelt… Dennoch findet der Musiker im (quasi) abschließenden, treibenden Highlight „Bis zum Ende“ auf seinem Weg hoch von der Lockdown-Couch versöhnliche Worte: „Was auch noch kommt bei mir / Gehst du mit zum Ende? / Mit mir bis zum Ende / Ich warte hier auf dich / Wir verwandeln uns zusammen / Werden schlauer als die anderen / Verstehen zusammen / Nur noch die Hälfte / Ich warte hier auf dich“. Betterov will weder mit erhobener Faust rebellieren noch durch irgendetwas – und hier unterscheidet er sich tatsächlich von aktuell ebenfalls gelobten „Brüdern im Geiste“ wie Drangsal oder Tristan Brusch – rebellieren, seine Geschichten über das Scheitern und auf der Stelle treten, über das von Vergangenem träumen und von alten Gewohnheiten frei strampeln sind echt, frei von AnnenMayKantereit’scher Konsenspop-Scham und Selbstdarstellung, dafür jedoch umso sympathischer und nahbarer. Diesem „Hype“ darf man also nur allzu gern vertrauen.
Was dem von Tim Tautorat, der sonst durch seine Arbeit mit Faber, Provinz oder AnnenMayKantereit Lorbeeren vom Indie-Deutschpop-Baum pflückt, produzierten Debütalbum – vor allem im Vergleich zu den vorher veröffentlichten Singles und EPs (mit „Live in Concert (Die Dussmann Session)“ konnte man sich im vergangenen Dezember bereits einen ersten Höreindruck von Betterovs Live-Qualitäten verschaffen) – ein wenig abgeht, ist das Staubige, das Unmittelbare – und letzten Endes auch hier und da die fulminant aufspielende Langlebigkeit von Songs wie etwa dem großartigen „Platz am Fenster„, welches unerklärlicherweise fürs Album außen vor blieb. Zudem merkt man, dass Betterov, Band und Tim Tautorat sicherlich den ein oder anderen Hördurchgang der jüngsten Alben von Sam Fender oder The War On Drugs genossen haben, schließlich fährt das zu gleichen Teilen warme und nostalgische Soundoutfit der Songs hier in ganz ähnlichen Gewässern. All das darf man jedoch gern unter „Krittelei auf hohem Niveau“ abheften, denn man tapeziert die eigenen Gehörgänge immer wieder gern mit all diesen feinfühligen Beobachtungen über den enervierenden Kummer, die vermaledeite Depression und dieses komische Erwachsenwerden, über Stadt und Land sowie dieses große Ganze, welches man, halb achselzuckend, halb hilflos, gern „Welt“ nennt. Selbiger begegnet man dieser Tage nämlich am besten mit einer Extraschippe Lakonie: „Gott hat für das alles nur sieben Tage gebraucht“, erinnert sich Betterov an jene zweifelhafte religiöse Theorie und konkludiert nüchtern: „Und genau so sieht’s hier auch aus.“
Rock and Roll.