Ihre Freiheiten erkämpften sich Hong Faux über viele Jahre gegen die Kräfte des Marktes, der zwar auf Zahlen und Massentauglichkeit achtet, jedoch selten genug auf den Ideenreichtum von Bands und Künstler*innen. Und ebendas ist manches Mal ein fataler Fehler, denn hört man dem dritten Album „Desolation Years“ genau(er) zu, eröffnet sich allen interessierten Gehörgängen ein weitreichendes und dynamisches Songwriting, dem man mit Eingrenzungen nun wirklich keinen Gefallen tut.
An ihrer speziellen Mixtur aus Alternative und Stoner Rock, unüberhörbarem Grunge-Touch und poppigem Melodiegespür hat das Quartett aus dem schwedischen Stockholm zwar auch acht Jahre nach ihrem zweiten Langspieler „A Message From Dystopia“ recht wenig verändert, klingt jedoch dennoch einmal mehr verdammt frisch und individuell. Mit elf Songs in unter 42 Minuten Spielzeit kommen die Nummern von „Desolation Years“ zum Großteil kurz und knackig auf den Punkt, wie etwa der Opener „Wake Me Up For Exit“, der Stadionrocker „Fornever“ oder das gleichsam simple wie höllisch effektive „New Vegas“ unter Beweis stellen.
Für Abwechslung sorgen das knarzig-schleppende „Trains“, das melancholische „Zero Point“, das mit seinen harten Stoner- und Heavy-Metal-Passagen vergleichsweise brachiale „Disco Necropolis“ sowie leicht vertrackte Nummern wie der Titelsong oder „Parasite“. „Whitman, Price & Hadd“ und „Starkiller“ (man beachte den feinen Beatle’esken Einschub!) schielen vielleicht etwas zu sehr in Richtung der deutlichen, in den Neunzigern und Nullerjahren verwurzelten Vorbilder wie die frühen Foo Fighters, Audioslave oder Queens Of The Stone Age, machen aber dennoch Laune und entpuppen sich – so man sie denn lässt – als waschechte Ohrwürmer. Das gilt denn auch für den einerseits verdammt poppigen, andererseits sentimental-herzergreifenden Rockballaden-Abschluss „The Flood“.
An so mancher Stelle des dritten Albums beschleichen all jene, die in der benannten Zeit selbst jung waren, sanfte Retro-Gefühle der Ungnade später Geburt, denn wären Hong Faux zwanzig Jahre früher auf den Plan getreten, würden sie heute vermutlich zu den größten Bands ihres Landes – und eventuell der internationalen Alternative-Rock-Szene – zählen.
Dennoch: Von diesen herrlich staubtrockenen Songs mit fuzzy Gitarren (Björn Billgren), rumpelndem Bass (Johan Bergqvist) und knackigem Schlagzeugspiel (Jonathan Hummelman), die Niklas Serén mit dezent Neo-Grunge’eskem Gesang garniert, dürfen sich alle Interessierten gern die Gehörgänge durchpusten lassen… Scandinavia rocks! 🤘
Zumindest in der australischen Musikszene sind sowohl Sean Harmanis als auch Scott Kay keine gänzlich unbeschriebenen Blätter. Der eine (Harmanis) als Stimme und Frontmann der Symphonic Deathcore-Band Make Them Suffer, während sich der andere (Kay) normalerweise für die sechs Saiten der Progressive Metal-Kapelle Voyager verantwortlich zeichnet. Und da die Banddichte im heimatlichen Perth wohl auch Grenzen haben dürfte, liefen sich die beiden in der Vergangenheit das ein oder andere Mal über den Weg und freundeten sich an – bis zu Onslow, ihrem gemeinsamen musikalischen Projekt, war es von da aus quasi nur noch ein Kängurusprung, aus welchem nun eine erste EP resultiert.
Und diese gerät durchaus bemerkenswert, weist sich doch eine erstaunliche musikalische Bandbreite auf, mit Songs, die innerhalb von Sekunden und meist inmitten eines einzigen Stückes von Jingle-jangle-Melodien zu vollkehligem Metal-Geschrei reichen. Das Ergebnis ist etwas ganz Außergewöhnliches – ein schwer zu definierender Genreritt, der sowohl hymnische Infrastrukturen als auch donnerndes Beiwerk aufweist.
Sean Harmanis, der sich auch bei Onslow vor allem für den Gesang verantwortlich zeichnet, erzählt Folgendes über den Entstehungsprozess der EP: „Nach den Gesangsaufnahmen zum letzten Make Them Suffer-Album spürte ich mehr Kreativität in mir sowie den Wunsch, diese zu kanalisieren und zu verfeinern. Nachdem ich zu Beginn von Covid ein paar Monate lang versucht hatte, Songs zu schreiben, beschloss ich, sie Scott zu zeigen, einem langjährigen Freund und Gitarristen, den ich immer bewundert und respektiert habe. Ich wollte ein ehrliches Feedback zu den Songs, Riffs und Ideen hören. Scott war von den Songs begeistert und hatte einige eigene Ideen, die er einbringen konnte. Von da an beschlossen wir, zu schauen, wohin uns das führen würde. Die Songs handeln größtenteils vom Leben im Allgemeinen, obwohl ich mir insgesamt sehr wenig Gedanken über die Texte selbst gemacht habe. Beim Schreiben der Texte ging es mehr darum, welche Worte sich natürlich ergeben oder gut klingen, als um die Bedeutung der Songs. Für mich ging es bei der Veröffentlichung eher darum, mir selbst zu beweisen, dass ich Songs schreiben kann, als zu versuchen, die Songs zu persönlich zu gestalten. Scott war mir während des gesamten Prozesses eine große Hilfe, da er nicht nur tolle Ideen einbrachte, sondern mir auch viel Selbstvertrauen in meine Gitarrenarbeit mitgab.“
Schon „Saving Face“, die Eröffnungsnummer der selbstbetitelten EP, kontrastiert Heavy-Metal-Riffs mit engelsgleichem Gesang und Melodien, die geradezu opernhaft, dramatisch und theatralisch tönen, bevor aus voller Kehle schreiender Gesang einsetzt – im besten Fall ja eine äußerst befriedigende Dichotomie. „Let Me Rust“ wiederum beginnt mit fast schon gen Firmament stürmenden Gitarrenwänden, bevor Harmanis‘ süßlicher Gesang über die gedämpfte, zurückhaltende Instrumentierung gleitet – beinahe im Falsett, fast schon engelsgleich. Umso explosiver und kathartisch geraten die attackierenden Gitarren und angefuzzten Basslinien. Deftones, anyone? Ähnlich geht auch „Gauze“ vor: mal atmosphärisch und treibend, mit zuckriger Melodie und Gesang, dann wieder kontrastiert von Passagen mit schwermetallischem Gebrüll – ein Kontrast, der wirklich gut funktioniert und mit seiner Art janusköpfiger Persönlichkeit die zwei Seiten eines Gefühls zum Ausdruck bringt. Zudem versetzt einen der Song mit seinen gewaltigen Riffs und seiner kolossalen Instrumentierung in die frühen 2000er zurück und lässt eine tiefe Verehrung für damals recht einflussreiche Bands wie Alkaline Trio oder Jimmy Eat World erkennen. Das gleichsam komplexe wie gefühlsbetonte „Limbs“ unterstreicht mit seiner sich ständig ändernden Taktart und einer erstaunlichen Synkopierung zwischen rhythmischen Instrumenten und aufsteigenden Gitarren die enormen Songwriting-Fähigkeiten des Duos Harmanis/Kay. Das abschließende „Freddie Mercury“ dürfte vor allem für alle Freunde von Bands wie Brand New ein besonderes Highlight darstellen, gemahnt es doch an Großtaten wie etwa deren Meisterwerk „The Devil And God Are Raging Inside Me“ – Vergleiche zu Stücken wie „Jesus Christ“ sind quasi unabdingbar. Das Stück beginnt zunächst balladesk-nachdenklich und entwickelt sich gen Ende zu einem geradezu stratosphärischen Shoegaze-Orkan, der Elemente aus Post Rock ebenso in sich vereint wie aus Alternative Rock und Post Hardcore. Sean Harmanis über den Song, der zwar nach dem legendären Queen-Frontmann benannt sein mag, am Ende aber wohl wenig mit selbigem zu tun hat: „‚Freddie Mercury‘ handelt davon, dass man an etwas festhält, von dem man tief im Inneren weiß, dass es nicht mehr da ist. Unsere Herangehensweise an das Songwriting rührt wahrscheinlich von unserer Wertschätzung für Post Rock her. Wir haben es beide schon immer geliebt, dass vor allem Bands aus diesem Genre in der Lage sind, aus dem Nichts heraus diese gigantischen Klangwände aufzubauen, und instrumental wollten wir wirklich etwas von diesem Einfluss in den Song einfließen lassen.“
Letztendlich bieten die fünf Stücke der „Onslow EP“ (zu welcher man hier Track-By-Track-Erläuterungen des Duos findet) eine erfrischende, gelungene Mischung mit tönenden Zutaten aus einigen sehr unterschiedlichen Genres: Progressive Metal, Post Hardcore, Alternative Rock, Post Rock, Post Grunge und Emo Rock, gar sachte Prisen aus Indie Pop lassen sich hier wiederfinden. Mächtig gewaltig geratene Songs aus Down Under, die sich in den Dienst von Dramatik und Katharsis stellen.
Die US-amerikanische Post-Grunge-Rockband Daughtry, die vor allem in den heimischen US of A bekannt für Hits wie “September”, “Waiting For Superman”, “It’s Over Now”, “Home” oder “World On Fire” sind, feiern die Erinnerung an Chris Cornell und haben sich hierfür mit Lajon Witherspoon (Sevendust) zusammengetan. Gemeinsam nehmen sie sich freilich nicht irgendeinen Song vor, sondern den ikonischen, 30 Jahre jungen Temple Of The Dog-Evergreen „Hunger Strike„.
Frontmann Chris Daughtry, der einst durch seine Teilnahme an der US-Casting-Show „American Idol“ entdeckt wurde, meint hierzu: “Chris Cornell hatte eine jener Stimmen, die mich im Herzen berührt haben und mich dazu brachten, Rocksänger zu werden. ‚Hunger Strike‘ ist einer der, wenn nicht sogar das ikonischste Rock-Duett unserer Generation. Die gesamten Neunziger stecken in diesem Song!”
Lajon Witherspoon teilt mit: “Was für eine Ehre, Teil dieses unglaublichen Songs zu sein und mit meinem Bruder Chris Daughtry und den Jungs zusammenzuarbeiten. Für mich setzte dieser Song eine musikalische Bewegung in unserer Community und in der Welt in Gang…”
Und selbst wenn Daughtry und Lajon Witherspoon dem Klassiker am Ende wenig neue musikalische Nuancen abgewinnen, so hat diese Coverversion dennoch etwas Gutes, denn die Einnahmen des Songs werden die Musiker der Charity-Organisation „Feeding America“ zur Verfügung stellen.
Ist die Box dein Gefängnis oder dein Versteck? Wirst du klaustrophobisch, wenn du daran denkst, wie du in einer geräuschlosen, regellosen, dunklen Box sitzt oder wünscht du dir vielleicht sogar, an genau so einem Ort zu sein?
Das ewige Mindfuck-Gedankenexperiment um Schrödingers Katze – lebt sie noch oder ruht sie bereits in aeternum ihre Äuglein aus? – beschäftigt nach wie vor und dient als vielfältiger Quell der Inspiration – man denke nur an den jüngsten Netflix-Serien-Hit „DARK„. KID DAD vertonen das Paradoxon auf Albumlänge – für ein Langspieldebüt gleichermaßen mutig wie faszinierend. Das noch junge Paderborner Quartett, ursprünglich 2016 als Grunge-Band gestartet, ist nach seiner vor drei Jahren veröffentlichten „Disorder„-Debüt-EP mittlerweile in den verschiedensten Alternative- und Rock-Gefilden verhaftet und lässt eine Pluralität packender wie abwechslungsreicher Einflüsse von Punk über Prog bis Post-Hardcore zu. Das im August erschienene „In A Box“ versucht nun aus der Katzenschachtel auszubrechen…
„Mir wird schnell langweilig, deshalb ist es mir auch so wichtig, ein abwechslungsreiches Album rauszubringen.“ (Marius Vieth)
Lineare Arbeitsweisen werden ohnehin meist überbewertet, das zeigt bereits das eröffnende „A Prison Unseen“. Hier kommen zwei Ideen zusammen, die lange Zeit unvollendet geblieben waren – das gewisse Etwas fehlte – und sich nun nahezu perfekt ergänzen. Zwischen funkelnder, fieberhafter Aufbruchsstimmung im Refrain und emotional aufgeladener Fragilität in den Strophen ergibt sich ein spannender, mitreißender Spagat – wie gemacht für Sänger und Gitarrist Marius Vieth, um sich bereits im Einstieg in Szene zu setzen. Die Bridge erinnert ein wenig an die verträumten Klänge Alt-Js, der Refrain ähnelt den Anfängen der Blackout Problems. Auch textlich und visuell ist es ein Leichtes, sich in den Song fallen zu lassen. So zeigt das dazugehörige ausdrucksstarke Musikvideo, wie der Protagonist allmählich die Kontrolle über sich selbst verliert.
„Happy“ arbeitet ebenfalls mit gekonnter Laut-Leise-Dynamik, nur wohl noch direkter und kompromissloser. So springt einem der Refrain mit seinem zügellosen Auftreten zwischen Punk und Grunge in bester Royal Blood-Manier arschlings ins Gesicht – eine Art „Song 2“ mit zusätzlichen Kanten, ein feiner Kontrast zwischen Einlullen und unbarmherzigem Hallo-Wach-Ruf.
Es geht auch ohne große Explosion, wie unter anderem „The Wish Of Being Alone“ zeigt. Über weite Strecken mäandern KID DAD in der endlosen Suche nach dem großen Aha-Effekt, docken kurzzeitig an Post-Rock-artige Aufbauten an – eine kleine, dramaturgisch wertvolle Explosion darf nicht fehlen – und finden doch wieder zurück zum reduzierten Glück. Der eigentümliche Rhythmus von „Your Alien“ beantwortet Fragen, die sich niemand zu stellen traut, während „[I Wish I Was] On Fire“ abermals geschickte Spannungsbögen zwischen noisiger Breitseite und softem Anschmiegen klöppelt. In „Limbo“ oder dem melancholischen „Window“ finden schließlich beißende Härte und vertraute Blackmail-Einflüsse in poppigen Auslegern zusammen. Das austarierte Spiel mit den Gegensätzen zählt zu den Höhepunkten dieses Debüts.
Wiederholt um mehrere Ecken gedacht und dabei doch auf sympathische Weise sortiert: KID DAD, die über die Jahre bereits als Support für verschiedenste Kapellen von Taking Back Sunday über Sorority Noise, And So I Watch You From Afar, Samian oder Blackout Problems einiges an Bühnenerfahrung sammeln durften, verstehen den Wert präziser, wechselhafter Songaufbauten auf beeindruckende, durchaus atemberaubende Weise. Jeder Song ist klar strukturiert und doch gewissermaßen unvorhersehbar, weil die Paderborner kleine Überraschungen, unorthodoxe Widerhäkchen und emotionale Schwerlast gekonnt miteinander zu verbinden wissen. „In A Box“, dessen Grundkonstrukt auf Vieths Reisen durch China, England und die Schweiz entstand, tönt somit passenderweise wie ein Widerspruch in sich und löst sich, im Gegensatz zur berühmten Katze, in begeisterndem Wohlgefallen auf. Ein Einstand wie ein Wohlfühlschlag in die Magengrube. Eine emotionale Achterbahnfahrt mit Höhen, Tiefen und Loopings. Freunde von gepflegtem Indie Rock mit dezent pompöser Note und ohne Scheu vor poppigen Saitenhieben dürfen hier ebenso zugreifen wie all jene, bei denen bereits Blackmail, Placebo, The Pixies, Blackout Problems oder Ghost Of Tom Joad (was vermisse ich diese Band!) im Plattenregal stehen. Absolut nachvollziehbar, dass man da auch außerhalb der deutschen Landesgrenzen (etwa bei den Kollegen von „Kerrang!“ oder beim „Discovered Magazine„) bereits hellhörig wurde.
KID DAD, zu denen neben Marius Vieth noch Joshua Meinert (Gitarre), Max Zdunek (Bass) und Michael Reihle (Schlagzeug) gehören, sind – je nachdem, wie man es sehen möchte – überzeugte DIY’ler oder Kontrollfreaks, denn vom Artwork über die Musikvideos entstand hier nahezu alles in Eigenregie. Was läge also näher, als mal eben noch kurz zu versuchen, die Welt retten? Mit ihrem Song „Limbo“ hat das westfälische Vierergespann nämlich auch eine ebenso lobens- wie unterstützenswerte Charity-Aktion ins Leben gerufen: Mit „SAFE IN A BOX“ sammelt die Band Geld für die Arbeit von SOS Kinderdorf e.V. sowie der NSPCC aus England. Beide Organisationen helfen Kindern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Mehr Informationen dazu gibt es unter kid-dad.com/safeinabox. Feine Sache!