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Das Album der Woche


Lizzy McAlpine – five seconds flat (2022)

-erschienen bei HARBOUR ARTISTS & MUSIC-

„Ich möchte meinen Fans mit jeder Platte etwas anderes bieten, denn ich bin mit jeder Platte anders“, sagt Lizzy McAlpine über ihr zweites, im April erschienenes Album „five seconds flat„. Klar, Worte wie diese muten zwar zunächst wie eine nur allzu oft gelesene Allerweltsphrase an, bedeuten jedoch musikalisch: weg von klassischen, reduzierten Schlafzimmer-Songwriter-Stücken und hin zu etwas größer gedachten wie arrangiertem Pop, E-Gitarren und elektronischen Sounds. Nur der Herzschmerz, den manch eine(r) schon von ihrem 2020er Debüt „Give Me A Minute“ oder der 2021 veröffentlichten „When The World Stopped Moving: The Live EP“ kannte (und im besten Fall gar liebte), bleibt auch 2022 ganz und gar derselbe.

Elizabeth Catherine „Lizzy“ McAlpine, Jahrgang 1999, stammt aus einem Vorort von Philadelphia, Pennsylvania und die Musik übt – ja, noch so eine Allerweltsphrase – schon lange eine Faszination auf sie aus – im Grunde bereits, seit sie groß genug war, um auf dem Klavier ihrer Großeltern herumzuhämmern. Es dauerte nicht lange, bis ihre unkoordinierten Experimente klarere Strukturen annahmen und das Nachwuchstalent seine Kompositionen und Coverversionen auf Soundcloud und YouTube teilte. Mit ihren bisher über 150 Millionen Streams (insgesamt auf allen Plattformen) konnte sich McAlpine in den sozialen Medien so sogar die Unterstützung von Musik-Größen wie Shawn Mendez, Phoebe Bridgers, dodie, Lennon Stella oder FINNEAS sichern. Letzterer, seines Zeichens ja der Bruder und kongeniale Songwriting-Partner von Billie Eilish, hat mit dem von ihm mitgeschriebenen Song „hate to be lame“ sogar ein Feature auf dem aktuellen Album. 

Und auch wenn „five seconds flat“, zu dem obendrein ein sehenswerter 30-minütiger Kurzfilm entstand, bei welchem Gus Black (der ja in der Vergangenheit ebenfalls als Musiker in Erscheinung trat) Regie führte, weder einen Preis für große Innovationskunst gewinnen mag noch wird, klingen die 14 Songs der Platte, welche hauptsächlich von Philip Etherington (der damals ihr Kommilitone auf dem Berklee College of Music war) und Ehren Ebbage produziert und in Eugene, Oregon sowie im The Laundry Pile in Los Angeles aufgenommen wurden, deutlich selbstbewusster und abwechslungsreicher als die der Vorgänger, liefern im besten Sinne eine Dreiviertelstunde gelungene Singer/Songwriter-Pop-Unterhaltung, die im ein oder anderen Moment durchaus spannende Akzente zu setzen weiß. Thematisch drehen sich die Stücke nach wie vor um die zwischen Feinfühligkeit und Nostalgie pendelnde Reflexion gescheiterter Beziehungen, um das Erwachsenwerden einer Anfangszwanzigerin sowie um nachdenklich-depressive, jederzeit intime Gefühlswelten – da bleibt sich McAlpine treu. Ausreichend Veränderung also, ohne das Gewohnte über Bord zu werfen? So mag man’s sehen – und der Newcomerin zugute halten, dass auch dies etwas ist, das nicht viele so gut hinbekommen. Lizzy McAlpine gelingt dieser Spagatschritt – und damit auch das oft schwierige zweite Album – nahezu spielend. Und eine bessere Geschichtenerzählerin wird man in diesem Jahr in gefälligen Pop-Gefilden lange suchen…

Hier lässt Lizzy McApline eine eigene „My Soundtrack“-Playlist mit Künstler*innen, welche die Stücke von „five seconds flat“ beeinflusst haben, hören…

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Caracara – New Preoccupations (2022)

-erschienen bei Memory Music-

Gegen Ende des Jahres 2019 befanden sich William „Will“ Lindsay und seine drei Bandkollegen von Caracara in den letzten Zügen einer Tournee, bei der sie vor einigen der größten Menschenmengen spielten, seit sie die aufstrebende Emo-Rockband aus Philadelphia 2016 gegründet hatten – im Grunde ein Traum, im Grunde das, auf was Lindsay seit seiner Zeit in Highschool-Punkbands hingearbeitet hatte. Dennoch fühlte es sich vor allem für ihn eher wie ein gelebter Albtraum an.

„Ich war mit meinen besten Freunden auf Tour, spielte Musik, die mir wirklich am Herzen liegt, vor dem größten Publikum, das wir je hatten, in Städten, von denen ich nie gedacht hätte, dass es für mich einen Grund geben würde, dorthin zu kommen“, meint Lindsay rückblickend. „Und ich war unglücklich. Ich dachte: ‚Ich hasse das. Ich will nicht hier sein. Die Musik ist mir egal. Ich fühle nichts.'“

Diese Gefühle ergaben für den Frontmann zunächst keinen Sinn. Sie stimmten nicht mit dem überein, was er über sich selbst wusste und was er in seinem Leben wollte. Und doch waren die Gefühle echt, und sie dienten als Weckruf: Will Lindsay musste mit dem Trinken aufhören.

„Ich hatte eine Zeit lang viel über mein Trinkverhalten nachgedacht. Ich habe mir dieselben Ausreden zurechtgelegt wie viele Menschen, die sich in der Endphase einer Beziehung zu einer Substanz befinden“, so Lindsay, dem Ende 2019 schließlich die Ausreden ausgingen und der sich eingestand: „Wenn ich das nicht in den Griff bekomme, verliere ich das Reisen. Ich werde nicht mehr in einer Band mit meinen besten Freunden spielen können. Und das war für mich einfach unverzeihlich.“

Dennoch entschied sich der Sänger und Gitarrist nicht sofort für den kalten Schritt in die Nüchternheit, schließlich hätte die Abkehr vom Alkohol Auswirkungen auf ziemlich alle Bereiche seines Lebens gehabt. Mit einer Band auf Tournee zu gehen, verleitet zum Trinken, gleiches gilt auch für Lindsays verschiedene Broterwerbsjobs in der Dienstleistungsbranche.

„Die meisten Menschen scheinen eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort zu haben, an denen sie trinken, aber bei mir hatte sich der Alkohol in jeden Aspekt meines Lebens eingeschlichen. Alles, was ich tat, beinhaltete das Trinken als parallele Aktivität“, gibt er zu. „Alkohol ist ein fester Bestandteil der Kultur, ist so tief in unser Leben eingebettet. Wenn man die Beförderung nicht bekommt, trinkt man etwas, um sich besser zu fühlen. Und wenn man dann befördert wird, trinkt man, um zu feiern. Ich bin Teil einer Generation, in der die Fähigkeit, ausgiebig zu feiern, fast wie ein Statusmerkmal darstellt. Wer am Ende der Nacht das meiste Gift zu sich nehmen konnte, gilt als Held, und obwohl man intellektuell in der Lage sein mag zu begreifen, wie falsch diese Denkweise sein mag, ist es immer noch so einfach, emotional darin verwickelt zu sein.“

Aber Lindsays Identitätskrise, die durch die Tour ausgelöst wurde, erwies sich für ihn als so etwas wie der letzte Strohhalm. Am 5. Januar 2020 hörte er schließlich komplett mit dem Trinken auf. Die Entscheidung kam zu einem Zeitpunkt, als Caracara (welche ANEWFRIEND bereits 2019 „auf dem Radar“ hatte) gerade in Begriff waren, den Nachfolger des 2017er Debütalbums „Summer Megalith“ und der 2019 veröffentlichten EP „Better“ in Angriff zu nehmen. Lindsay und seine Bandkollegen – Carlos Pacheco-Perez (Keyboards), George Legatos (Bass) und Sean Gill (Schlagzeug) – planten, das neue Album aufzunehmen und dann den größten Teil des Jahres 2020 wieder auf Tour zu gehen. Doch wie so ziemliche alle ihrer Kolleg*innen zwang die Pandemie auch Caracara zu einer ebenso unerwarteten wie langen Pause – was wiederum die Richtung des hervorragenden neuen Albums „New Preoccupations“ änderte.

Während eine Handvoll Songs auf „New Preoccupations“ bereits vor Lindsays Schritt zur Nüchternheit existierten, begann er einige von ihnen, wie etwa „Strange Interactions In The Night“, plötzlich mit anderen Augen zu sehen. In dem hymnischen Stück beschreibt Lindsay, wie er „auf dem Rücken des Teufels wandelt… zwischen dem Runterkommen und dem Rausch“, singt davon, dass er versucht, „das Feuer herunter zu trinken“ und „das Chaos zu betäuben“. Und in der vielleicht aufschlussreichsten Zeile gibt Lindsay offen zu, dass „es eine Version von mir gibt, die ich nicht wiedererkenne“.

„Wenn ich auf den Song zurückblicke, denke ich: ‚Wow, das ist alles hier!‘ Ich habe versucht, mir begreiflich zu machen, dass ich aufhören sollte, lange bevor ich aufgehört habe“, so Lindsay. „Ich bin die letzte Handvoll Songs aus dieser Perspektive und mit dieser Geschichte im Kopf angegangen: Das ist die Geschichte, die ich unbewusst erzählt habe. Wie kann ich das alles zusammenbringen? Was sind die Zutaten, die wir noch brauchen, um eine zusammenhängende Erzählung zu schaffen?“

Obwohl einige der Texte auf „New Preoccupations“ zu den dunkelsten und persönlichsten gehören, die Lindsay bisher geschrieben hat, ist das Album an sich weder als reines Konzeotwerk zu verstehen noch alles andere als grunddüster. Zum einen bleiben Caracara auch auf ihrem zweiten Langspieler jene Art von Band, die in ihren Refrains zum Mitsingen animiert, auch wenn sich ihre Schulterschluss-Zeilen auf dem Papier eher wie bittere Halbdunkelbeichten lesen. Zum anderen wollte Lindsay auf der Platte Klischees von allzu typischen Genesungsgeschichten vermeiden. Sicher, der Alkohol hat ihn in einige dunkle Täler geführt, aber es gab auch genug gute Zeiten, und diese nuancierte Dualität zu umarmen war für ihn der Schlüssel zu einem emotional ehrlichen Kunstwerk.

„Ich liebe Alkohol. Ich liebe das Trinken. Und ich bin dem Alkohol so dankbar dafür, dass er für mich in vielen Situationen eine soziale Stütze war, die es mir ermöglichte, Erfahrungen zu machen, wie zum Beispiel eine wilde Nacht an einem weit entfernten Ort. Ich konnte ein aufregenderer, abenteuerlustigerer Mensch sein. Einige dieser Erfahrungen waren die schönsten Erlebnisse meines Lebens, an die ich immer wieder zurückdenke. Auch wenn es an einem dunklen Ort endete und ich aufhören musste, gibt es immer noch diese schönen, vorbildlichen Momente“, so Lindsay im Rückblick über die ambivalente Wirkung von Alkohol. „Ich möchte auch die wohlverdiente Liebe der Menschen zum Alkohol anerkennen. Ich möchte sagen: ‚Ja, er ist fantastisch.‘ Ich erinnere mich daran, wie toll es ist, und wir dürfen diese Momente durchaus wertschätzen. Sie sind nicht weniger wertvoll, nur weil über ihnen ein trunkener Schleier liegt. All das kann wahr sein – aber man sollte auch aufhören können.“

Lindsay räumt zudem einige Glücksfälle in all dem ein, denn sein persönlicher Tiefpunkt hätte ebensogut auch viel schlimmer ausfallen können. „Wäre das Ende meiner Beziehung zum Alkohol auf eine andere Art und Weise eingetreten, etwa durch einen Krankenhausaufenthalt oder eine Verhaftung, hätte ich vielleicht eine ganz andere Perspektive darauf“, sagt er und fügte hinzu, dass der Zeitpunkt seiner Nüchternheit ihn unbewusst darauf vorbereitet hat, die COVID-Ära zu überstehen. „Als die Pandemie ausbrach, befand ich mich in der Flitterwochenphase. Ich spürte die massive Rückkehr von Dopamin in meinen Körper. Ich hatte die ganze Last der depressiven Seite der Gleichung abgenommen, und ich erlebte die körperlichen Vorteile, wenn man aus der Entzugsphase herauskommt und sich die Chemie wieder einstellt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn ich meinen Alkoholkonsum nicht in den Griff bekommen hätte und die Welt dann stehen geblieben wäre. Ich bin mir sicher, dass ich noch tiefer in den Narzissmus und den Selbsthass hineingerutscht wäre. Es wäre wohlmöglich ein sehr schneller Abstieg gewesen…“

Das „Timing“ der Pandemie ermöglichte es Caracara zudem, langsamer und gezielter an neuen Songs zu schreiben, bevor sie im Mai 2020 gemeinsam mit Produzent Will Yip, der 2019 bereits das Debüt einem Remaster unterzogen hatte, in Philadelphia für etwa einen Monat ins Studio gingen – vorbildlicherweise erst, nachdem man sich vor den Aufnahmen zwei Wochen lang in Quarantäne begeben hatte. Dennoch ist „New Preoccupations“ kein einsiedlerisches Werk geworden – ganz im Gegenteil: Das Album ist voller spezifischer Referenzen, die den Songs ein Gefühl für den jeweiligen Ort geben, von Charleston, South Carolina, bis Belfast in Nordirland. In „Colorglut“ etwa hört Lindsay Songs der Dirty Projectors in einem Volvo auf einem Freeway irgendwo im nirgendwo in Maryland, in „Ohio“ beschreibt er jemanden, der den Kopf aus einem Autofenster im Lincoln Tunnel steckt.

Die Anspielung auf „Ohio“ bezieht sich allerdings eher auf die Stimmung des Songs als auf den Text. Der fast sechsminütige Song war zunächst ein reines Instrumentalstück, bei welchem die Band eine reichhaltige, dynamische Klangpalette für Lindsays zukünftige Texte schuf. „Ich wollte, dass der Song an einem kalten, blauen, aber auch hellen Ort beginnt und dann in eine wärmere, rosafarbene, vielleicht allzu nostalgische Version der Vergangenheit übergeht. Und wenn ich nostalgisch werden will, ist der erste Ort, an den ich mich begebe, der Vordersitz meines Honda CRV, wenn ich in den Hocking Hills herumfahre“, erzählt Lindsay, der davon singt, „auf kaputten Straßen zu fahren und die Haut abzustreifen“. „Es ist ein Song über die Komplexität des Wegziehens von dem Ort, an dem man aufgewachsen ist – und über die gemischten Gefühle darüber, wo man gelandet ist, wo man herkommt und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat. Ich meine, ‚Ohio‘ ist in vielerlei Hinsicht gewachsen, hat sich in anderer Hinsicht jedoch auch zurückgezogen.“

Vor allem im Vergleich mit dem nunmehr fünf Jahre zurückliegenden Debütwerk schaffen es Caracara auf „New Preoccupations“, ihren ohnehin bereits einnehmenden, beständig zwischen Indie Rock, Post Rock und Post Hardcore pendelnden Bandsound noch weiter zu verfeinern – ein Kraftakt, an dem wohlmöglich auch Will Yip einen entsprechenden Anteil haben dürfte, der in Szene-Kreisen schon länger als „Rick Rubin des Post Hardcore“ gilt und sich in der Vergangenheit fürs Klangliche nicht weniger großartiger Platten von Bands von La Dispute über Title Fight bis hin zu Pianos Become The Teeth verantwortlich zeichnete. Unter seinen Fittichen gelingt Caracara eine in jedem Moment besonders tönende Melange aus den seligen Tagen des Neunziger-Emo-Rocks, Post-Grunge-Versatzstücken und weihevollem Heartland Rock, die andererseits jedoch kaum tiefer im Hier und Jetzt verwurzelt sein könnte. Aus Indie Rock, der derb zupacken kann und den Hörer mitten hinein zieht, sich aber auch Ruhepause gönnt und immer wieder mächtig Bock auf Neues beweist.

„New Preoccupations“ endet schließlich mit „Monoculture“, einem Stück mit gewaltigen Gitarren, stampfenden Drums, einen großartig crescendierenden Streichersatz und einem kathartischen Schrei. „I’m finally free to let go“, singt Lindsay und wiederholt die Zeile, bis seine Stimme vor lauter Trauer über das Verlorene, vor Dankbarkeit über das Gewonnene und vor Freude über das Kommende beinahe zu zerbrechen droht. Eine Offenbarung, ein Klagelied – und der Abschluss von einem der wohlmöglich besten Werke des Musikjahres. Eines, das sich in Einzelstücken in keine trendige Spofity-Playlist zwängen lassen mag, sondern deine Aufmerksamkeit einfordert, um sich zu entfalten.

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Church Girls – „Still Blooms“


Foto; Promo / Anthony DiCaro

Auf ihrem letzten, im vergangenen Jahr erschienenen Album „The Haunt“ vermählten Church Girls (von denen hier bereits die Schreibe war) Post Punk mit dezent nach Garage tönendem Indie Rock und wurden daher allen, denen Amyl And The Sniffers zu aufgedreht und Girlpool zu verträumt waren, wärmstens ans Hörerherz gelegt. Kritikpunkte gab’s da eigentlich recht wenige, nur den eigenen Stil ließ die Band aus Philadelphia bei diesem Musik gewordenen Tanz auf vielen Hochzeiten hier und da noch ein wenig vermissen. Ob sich das auf dem neuen, dritten Langspieler „Still Blooms“ ändert?

Nun, in gewisser Weise sind sich Church Girls treu geblieben. Zum einen schon mal in dem Vorhaben, jährlich ein Veröffentlichungslebenszeichen – ob nun als vollwertiges Album, EP oder Single – von sich zu geben, zum anderen in dem Punkt, dass Mariel Beaumont (Gesang, Gitarre und Songwriting) auch 2021 das einzig konstante Mitglied der US-Band-Kollektivs bleibt (was wiederum den nahezu permanenten Aufnahme-, Veröffentlichungs- und Tourplänen geschuldet sein dürfte). Somit ist „Still Blooms“ vor allem die logische musikalische Fortsetzung von „The Haunt“ – wenn auch mit einigen kleinen Unterschieden, vor allem was den Sound angeht. Dieser gerät bei den zehn neuen Stücken nicht mehr ganz so “wuchtig”. Bass sowie Kick und Floor Tom tönen nun weniger dominant, dafür rücken die flimmernden Gitarren mehr in den Vordergrund und der Mix der Songs gestaltet sich heller, mit mehr Fokus auf die Mitten und Höhen, was die Stücke klarer wirken lässt und auch der Stimme von Mariel Beaumont etwas mehr zugute kommt. Darf man trotzdem hier und da die Wucht, Kraft und den damit einhergehenden Kontrast, der „The Haunt“ in seinen besten Momenten so besonders machte, vermissen? Klar.

Dennoch tönen gleich die ersten Songs des neuen Albums, darunter auch die Single „Separated“, recht „typisch Church Girls“ und damit genau so, wie langjährige Freunde der vierköpfigen Band, deren Name sich aus dem Fakt speist, dass Beaumont früher eine kirchliche Mädchenschule besuchte und in ihrer Jugend Messdienerin war, es sich erhofft haben. Mit „Vacation“ folgt dann das erste Stück, welches etwas aus der Reihe tanzt – im positiven Sinne: Gerät der Beginn noch ungewohnt ruhig, setzt dann langsam aber stetig das Schlagzeug von Julien Varnier ein, wenngleich der Grundton eher ruhig – für Church Girls-Verhältnisse – bleibt. Dass sich im weiteren Verlauf des Songs ruhige Parts, die sich durch melodisches Gitarrenspiel mit dezenten Drums auszeichnen, gekonnt mit den voll instrumentalisierten Parts abwechseln, macht „Vacation“ zu einem der Highlights des Albums.

„Separated‘ ist eine Ode an meinen Zwillingsbruder. Es geht um die Erkenntnis, dass unser Zuhause nicht mehr das war, was wir dachten, als sich der Kampf eines Familienmitglieds mit dem Alkoholismus zuspitzte. Der Song ist in gewisser Weise immer noch hoffnungsvoll, denn wir wussten, dass wir im anderen immer ein Zuhause haben würden. Er ist immer noch mein bester Freund und die erste Person, die jeden Song hört, den ich schreibe.“ (Mariel Beaumont)

Und dann ist da wieder dieser eine Song, der einen noch ein kleines bisschen mehr fesselt als der Rest. Ging dieser Titel auf dem Vorgänger noch an „Regression“, darf sich nun wohl „Undone“ mitsamt seinem treibenden Schlagzeug und seiner markanten Bassline als würdiger Nachfolger fühlen – kaum verwunderlich, schließlich stammen hier auch die titelgebenden Zeilen des Albums her: „Unwind the clocks / Pull the blinds / And you’ll find the sky still blooms“. Auch „Dune“ sticht heraus und lässt in der zweiten Hälfte des Songs – und nach einem Instrumentalteil mit wunderschön gespielter Gitarre – dank eines kurzen, leicht sphärisch angehauchten Parts aufhorchen.

Im Gros bietet auch „Still Blooms“ im Grunde genau das, was man von dem Philly-Quartett, zu dem sich dieses Mal – nebst Beaumont und Varnier – noch Mitchell Layton (Gitarre) und Vince Vullo (Bass) gesellen, erwarten durfte: treibende Indie Rock-Songs, die sich mal knapp unter-, mal knapp oberhalb der Drei-Minuten-Marke ansiedeln und hier und da Einflüsse aus Post Punk, College und Emo Rock einfließen lassen. Bei so viel überschwänglicher Kurzweil stört’s im Grunde wenig, dass sich Church Girls auch 2021 ihren Tanz auf vielen Hochzeiten kaum vermieten lassen…

Rock and Roll.

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Song des Tages: Harmony Woods – „Best Laid Plans“


Bevor Sofia Verbilla begann, als Harmony Woods Musik zu machen, schleppte sie Freunde zu Konzerten in ihrer Heimatstadt Philadelphia, brachte Gleichaltrige mit der lokalen DIY-Szene in Berührung oder sehnte sich aus vollstem Teenagerherzen danach, ihre lokalen Indie-Rock-Helden zu treffen. Inspiriert von denselben Bands, zu deren Musik sie gern selbst durch den Moshpit sprang, schrieb Verbilla schließlich im Alter von 16 Jahren ihre ersten eigenen Songs. Und spielte bereits kurze Zeit später, mit 18, Solosets in derselben Location, das auch die Mitglieder von Modern Baseball einst ihr Homebase bezeichneten. Angesichts der umtriebigen DIY-Szene Phillys ist es so kaum verwunderlich, dass einige der Bandmitglieder ihr sogar bei den Aufnahmen zu Harmony Woods‘ 2017er Debütalbum „Nothing Special“ halfen. Jenes fand durchaus schnell Anklang, denn entgegen des tief stapelnden Albumtitels hatte Verbilla nämlich sicherlich etwas Besonderes an sich – mit ihrer kristallklaren Stimme und ihren aufrüttelnden Mitten-aus-dem-Teenagerleben-Texten schien sie bestens darauf vorbereitet, eine feste Größe in der Emo-meets-Indie-Rock-Szene von Philadelphia zu werden…

Der Titel von Harmony Woods‘ 2019 erschienener Nachfolger-LP „Make Yourself At Home“ ist bei genauerer Betrachtung weitaus weniger einladend, als es zunächst scheint: “So make yourself at home / Although you weren’t invited”, singt Verbilla in der Leadsingle „Best Laid Plans“. Es ist die Art von passiv-aggressivem Kommentar, den man jemandem entgegnen könnte, der nach einer gut gemeinten Einladung ein paar Nächte zu viel auf der eigenen Couch verbracht hat, aber auch die recht treffende Zusammenfassung eines Albums, welches sich zu einem guten Teil mit Selbstsabotage beschäftigt. Verbilla singt darüber, dass sie zu viel emotionale Aufmerksamkeit an Menschen verschwendet, die es nicht unbedingt verdienen, oder – in ihren eigenen, Meme-gerechten Worten – deren toxisches Verhalten romantisiert. Schritt für Schritt lernt auch sie, ihr eigenes Wohlbefinden in den Vordergrund zu stellen, und „Make Yourself At Home“ zeigt manches Mal die hässliche Seite dieses Lernprozesses auf.

Verbilla ist eine berührende Lyrikerin; ihre Worte sind unverblümt, unglamourös und oft anschauliche, tagebuchgleiche Erinnerungen an erlebte Traumata. “I can’t feel safe around you / Not when you’re like this“, klagt sie etwa in „Misled“, als würde sie den Schmerz direkt aus ihrer Kindheit kanalisieren: “When I was young / My mother’s lover acted the same exact way”. Das Album beschreibt auch den quälenden Prozess der Aufarbeitung einer missbräuchlichen Beziehung, mit Anspielungen auf häusliche Gewalt und Gaslighting. “You slam the car door shut accidentally / Profusely apologize / You say, ‘That’s not like me’”, singt sie in „The City’s Our Song„, mit genug Weitsicht, um zu erkennen, dass dies tatsächlich charakteristisch für ihr Thema war. „Now all I want is the truth / But you’re frightening me instead / You say, ‚I think you’ve been misled'“, wie es in „Misled“ heißt. Verbilla setzt regelmäßig die Dialoge ihrer emotionalen Antagonisten ein, und wohl auch deshalb fühlt sich „Make Yourself At Home“ genauso sehr nach einem Album aus deren Blickwinkel an wie aus ihrem.

Außerdem erweist sich die damals 20-Jährige auch als Fan des „Recyclings“ eigener Songtextzeilen: „Seasons change, people stay the same“, sinniert sie sowohl in „Best Laid Plans“ als auch im Abschlussstück „Halt“. „One day we will die / And only ghosts will be our friends„, singt sie in „The City’s Our Song“, nur um diesen melancholisch getränkten Gedanken im anschließenden „Ghosts“ wieder aufzugreifen. Auf den ersten Blick mag das vielleicht etwas einfallslos wirken, aber bei wiederholtem Hören wird klar, dass genau das Gegenteil der Fall sein dürfte und dies einfach Verbillas Mantren über Menschlichkeit und Sterblichkeit sind. Je mehr Schmerz sie offenbart („Another trauma I’ll have to unpack“, emo-klagt sie in „Burden“), desto mehr Gewicht haben ihre wiederkehrenden Worte. Wer hier an Singer/Songwriterinnen wie Julien Baker, Phoebe Bridgers oder Lucy Dacus denkt, der liegt wohl gar nicht mal so falsch.

Perfekt ist ihr zweites Album dabei keineswegs. Während Verbilla im Poetischen ihre Stärken beweist, muss sie als Musikerin hier erst noch in Schwung kommen. „Best Laid Plans“ und „The City’s Our Song“ mögen mit dynamischen Refrains überzeugen, auf Albumlänge sind ihnen nur wenige Momente ebenbürtig. Kompositorisch ist „Make Yourself At Home“, welches von Chris Teti (The World Is A Beautiful Place and I Am No Longer Afraid To Die) produziert wurde, im Gros eher einfach gehalten: Es gibt mehr Powerchords als vertrackte Riffs, und die meisten Hooks sind ein wenig zu simpel, um länger hängen zu bleiben. Doch so leicht es sein mag, Harmony Woods die fehlende Komplexität im Musikalischen anzukreiden, so einfach ist es, Sofia Verbilla zu verzeihen, wenn man tiefer im Herzblut ihrer Erzählungen gräbt und abschließende, so, so wahre Zeilen wie “Somebody else won’t make me feel at ease / I had to love myself before you could love me” hört. (Übrigens dürfte sich die Indie-Musikerin diesen Kritikpunkt tatsächlich auch selbst zu Herzen genommen haben, schließlich klingt das in diesem März erschienene dritte, von Bartees Strange produzierte neue Album „Graceful Rage“ deutlich indierockig-komplexer und mehr nach Full Band denn nach einsamem Kämmerlein…)

„Fancy seeing you here
All by yourself
Sitting in the low light
The fractals in your eyes dancing around

Say, are you lonely?
You look like you could use some company
But I’m not one to make the first move
Then again neither are you

So make yourself at home although you weren’t invited
Seasons change, feelings stay the same
Incapable of thoughtful, conscious choices
Seasons change, people stay the same
But I think that’s for another day

So I ask how you’ve been
You snicker and say
‚It can always be worse
But shit’s been pretty rough these days‘

By now, I’ve detected
You’re slurring your speech
You’re grabbing your keys
You’re starting to leave
I impulsively say, ‚You should come with me‘

So make yourself at home although you weren’t invited
Seasons change, feelings stay the same
Incapable of thoughtful, conscious choices
Seasons change, people stay the same
But I think that’s for another day

‚The best laid plans of mice and men often go awry‘
Despite all this, I still want you here by my side“

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Remember Sports


Endlich wieder frischer Indie Punk! Wobei: ganz so frisch ist die Band hinter “Like A Stone” eigentlich gar nicht, denn ebenjene hieß ursprünglich mal nur Sports. Als solche haben sie sich seit 2014 mit zwei schicken, lo-fi’eske DIY-Platten klammheimlich in immer mehr Herzen des weltweiten Indie-Feuilletons geschlichen, bevor ihnen eine andere Band mit demselben Namen ein wenig in die Quere kam. Seit dem 2018er Album “Slow Buzz” prangt nun eben ein anderer Name auf dem Cover: Remember Sports – das klingt wie ein Satz, den sich die Mitglieder der 2012 am College gegründeten Band in Erinnerung an geteilte Jugendtraumata zuraunen und ganz schön passend für eine Zeit, in der sich alle Lockdown-Couchkartoffeln vermutlich ohnehin eher ans Sport machen erinnern als selbigen gemeinsam mit anderen auszuführen. Doch so sehr dieser Name einen doppelten Boden suggerieren mag, so direkt zieht einem das Quartett aus Philadelphia auf ihrem vierten Langspieler gekonnt das Tischtuch unterm Geschirr hervor. Tada! – wackelt bedrohlich, steht am Ende…

Aber: Sind das nur kleine Selbstzweifelchen oder ist das schon toxisch? Ein wenig Sorgen macht man sich wohl schon um das lyrische Ich des Albums, das von Sängerin Carmen Perry mit voller Leidenschaft synchronisiert wird. Mit seinen thematischen Schwerpunkten rund um mentale Gesundheit inklusive Depressionen und Essstörung könnte “Like A Stone” durchaus eine amtliche Triggerwarnung vertragen. So ganz hätte man den vier US-Amerikaner*innen solch schwere Kost gar nicht zugetraut – so man sich denn einfach nur in den wirbelnden Arrangements verliert. Das klingt im ersten Moment mehr nach Pup als nach Emo und gerade deswegen ist dieses tönende trojanische Pferd auch so effektiv. Bei Zeilen wie “I wanna be the girl that talks makes you fall down to your knees / Push me around and make me sorry for everything I’ve done” (“Pinky Ring”) mag man mitkreischen, einfach weil einem dieses Gefühl der Verzweiflung so bekannt vorkommt. Klares Ding: Nicht nur textlich, sondern auch im Songwriting versteckt sich hier genug Reibung für eine ganze Käserei.

Glücklicherweise fallen während der zwölf Songs ganze Steinbrüche vom Herzen. Und Katharsis ist schließlich etwas, was sich viele Musiker*innen von ihrer Kunst erhoffen – und im besten aller Fälle hat dieser Effekt auch eine Auswirkung auf die Hörer*innen. Damit diese Verzahnung aus starker Sehnsucht, starker Abhängigkeit vom Gegenüber (zählt einfach mal nach, wie oft der Satz “I need you” fällt!) und des Vonsichweisens derselben Person besonders ans Hörerherz geht, fliegen einem Riffs und Getrommel nur so um die Ohren. So vertreiben geprügelte, tosende Crash-Becken im Finale des Titelsongs den Liebeskummer aus den Köpfen und auch der feine Indie-Song „Out Loud„, in dem besonders deutlich wird, dass auch die Stimmen von Bassistin Catherine Dwyer und Gitarrist Jack Washburn ihren festen Platz auf „Like A Stone“ haben, behandelt zu pulsierendem Synthesizer und silbrigen Akkorden den zwischenmenschlichen Kampf. Anderswo, in „Easy“, erinnern wirbelnde Tom-Toms und versetzte Riffs an die Darlings von Martha, beim dissonanten Genöle des Perioden-Midtempo-Songs “Eggs” und Zeilen wie „My eggs flow right out of me / Like clockwork, every month“ scheinen die Pillow Queens hindurch und der monotone Spannungsaufbau von “Clock” besitzt durchaus gewisse Wolf Alice’sche Züge. Obendrein zeigt Perrys Gesangsorgan zahlreiche Facetten, akzentuiert bereits genanntes „Out Loud“ mal durch überraschend theatralische Ausbrüche oder erinnert im balladesken „Materialistic“, wenn ihre Stimme nach oben wegbricht, gar an Alanis Morissette zu Zeiten von „Jagged Little Pill“. Die Songs fallen mit ihrem melancholisch-eingängigen, sympathisch unaufgeräumt wirkenden Indie Rock mitten ins Haus. Indie Rock, der bratzig poltert, punkig los spurtet, gern mit dem Tempo spielt und noch viel lieber ein wenig neben der Spur liegt wie der Gesang Perrys oder die widerspenstigen, beinahe parodistischen Solos, die Gitarrist Jack Washburn seinen sechs Saiten regelmäßig abringt. Am Ende steht das countryesk schunkelnde „Odds Are“, welches trotz mancher Wehmut und Bitterkeit auf einer optimistischen Note endet. Dazu lässt Washburn seine Gitarre ein weiteres Mal aufheulen – schön schräg, so wie vieles an dieser Platte.

Zum Bindeglied von Remember Sports wird auf ihrem neusten Langspieler jedoch nicht das Faible fürs Schräge, sondern vor allem das blinde Vertrauen zueinander. Ursprünglich sind die Rollen zwar klar besetzt: Catherine Dwayer zupft den Bass, Jack Washburn und Carmen Perry übernehmen die Gitarren und Connor Perry trommelt schön drauf los. Für „Like A Stone“ löst der Philly-Vierer die strengen Hierarchien jedoch auf, tauscht die Instrumente potentiell öfter als die Socken – und das hört man. Geradlinig ist die Platte selten, immer verstecken sich kleine Extra-Schleifen im Sound, die ebenso am Midwestern Emo der frühen Nullerjahre (á la American Football) geschult zu sein scheinen wie am Weirdo-Art-Punk eines Jeff Rosenstock. Als kreischende Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist Perrys Gesangsgestus einer, von dem man sich noch stundenlang besingen lassen könnte. Kurzum: Endlich wieder frischer Indie Punk!

Rock and Roll.

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Song des Tages: Personal Trainer – „Backyard“


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Unter dem zugegebenermaßen recht Suchmaschinen-unfreundlichen Namen Personal Trainer treten Molly Buckley (Gitarre, Gesang), Melina Harris (Gitarre, Gesang) und Alix Masters (Bass, Gesang), drei queere Frauen aus Philadelphia und Brooklyn, in Erscheinung, die – so hört man – ihr gemeinsames Fangirl-Dasein für Alanis Morissette zusammengeführt hat.

Die durchaus feine Debüt-Single „Backyard“ handelt von zwei Fragen, die einen bei der Erinnerung an die eigene Jugend quälen, erklärt das Newcomer-Trio: „Wie oft haben wir die Chance verpasst, einer Person, die man anhimmelt, seine Liebe zu offenbaren? Wie oft haben wir eine Person verletzt, weil wir uns nicht getraut haben, mit ihr ehrlich umzugehen?“ Mit harmonischem Neunziger-Indie Rock irgendwo zwischen Lucy Dacus, Alex Lahey oder Gurr steigert sich der Song langsam aber sicher zum kathartischen Refrain…

 

 

Rock and Roll.

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