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Song des Tages: All The Luck In The World – „Five Feathers“


“Euphancholie” taufte Benedict Wells in seinem unlängst erschienenen Coming-of-Age Roman „Hard Land“ diesen magischen Gefühlsmix von Melancholie und Euphorie. Ein positiv aufgeregtes Traurigsein, das einem Energie verleiht; ein kleiner Rausch, in dem man trotz des Traurigkeitsanteils doch allzu gern etwas länger verharren mag. Und obwohl der deutsch-schweizerischere Schriftsteller sie zwar nicht in seine dazugehörige Playlist aufgenommen hat, bringen All The Luck In The World ebenjenes Gefühl zum Klingen wie möglicherweise kaum eine andere Band. Und stellen dies einmal mehr mit dem neuen Album „How The Ash Felt“ unter Beweis.

Überhaupt: All The Luck In The World – was für ein schöner Bandname, hört man doch tagein, tagaus vielmehr von all dem Unglück in der Welt. Dabei würde ein etwas schwermütigerer Name auf den ersten Blick sogar besser zum durchaus melancholischen Mix aus Indie Folk und Art Rock der Herren Neil Foot, Ben Connolly und Kelvin Barr passen. Die drei Songwriter und Multi-Instrumentalisten stammen allesamt aus dem beschaulichen Roundwood in den irischen Wicklow Mountains, sind jedoch mittlerweile ins pulsierende Berlin umgezogen. Und wem der Name gerade recht wenig sagen sollte, der wird trotzdem bereits von dem Wahlberliner-Trio gehört haben, denn 2013 verwendete die Reiseplattform trivago ihren Song „Never“ als musikalische Untermalung eines TV-Spots, was dem damaligen Newcomer-Dreiergespann seinerzeit immerhin Platz 85 in den deutschen Single-Charts bescherte. Es folgten mit dem selbstbetitelten Debüt (2014) und „A Blind Arcade“ (2018) zwei Alben, mit denen All The Luck In The World zwar nicht Mumford-und-Söhne-mäßig durch die Decke gingen, auf denen die Band jedoch ein ums andere Mal ein Näschen für feinen, tagträumerischen Indie Folk bewies. Als Foot, Connolly und Barr dann den dritten Langspieler in Angriff nehmen wollten, kam ihnen Corona in die Quere – aufhalten ließen sie sich davon freilich nicht.

Dennoch konnten sich die Iren aufgrund der Pandemie, wie viele von uns, über lange Zeit hinweg nicht sehen und so entstand „How The Ash Felt“ unter Corona-Bedingungen in verschiedenen Ländern quer durch Europa. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb? – klingen die elf neuen Songs extrem intim und nah, zugleich gerät deren Produktion im Vergleich zu den vorherigen Aufnahmen noch detailverliebter, hier und da elektronischer und auch elegischer. Den Anfang macht „Five Feathers“, ein Lied über den Cowboyhut von Neil Foots Vater, der in der örtlichen Dorfkneipe Country-Konzerte organisierte und so auch dafür sorgte, dass die drei Jugendfreunde schon früh mit handgemachter Musik in Kontakt kamen. Der Song beginnt mit glitzernden elektronischen Versatzstücken und endet mit dem zu Herzen gehenden Gesang der drei Musiker. Danach übernimmt „Waves Poem“ mit fein ziselierten Melodien, bevor die erste Single „Only Avenues“ Kopfkino-Filmchen mit klanglichen Verweisen an Bands wie Radiohead oder alt-J entwirft und damit als recht gutes Beispiel für das komplexe Songwriting des neuen Longplayers taugt. Auch das nachfolgende „Patterns“ wurde bereits ausgekoppelt und unterstreicht die Eindringlichkeit des aktuellen ATLITW-Sounds. Im Fall von „Talons“ fällt dieser auf verspielt-muntere Art und Weise aus, die es keineswegs an Emotionen fehlen lässt, ehe „Holding My Arms In“ als reduziertes Interlude grüßt und dem sehr persönlichen „Rue de l’Enfer“ den Weg ebnet. „Hollowing“ übernimmt mit munteren Melodien, während „Equinox“ wieder ruhiger daher kommt und „Sparky“ einmal mehr mit subtilen elektronischen Einsprengseln zu überraschen weiß. „I’ve Been Trying“ heißt es zum Schluss – und obwohl dieses Stück zunächst tatsächlich wie ein letzter unbearbeiteter Gruß aus dem Studio klingt, entwickelt es sich dann jedoch zum aufwendig arrangierten Finale voller Gefühl.

In Zeiten, in denen uns allen das Reisen etwas schwerer gemacht wird, spielen die Songs von „How The Ash Felt“ mal in New York City, mal in Frankreich, an der Ostküste Irlands und natürlich auch in Berlin. Sie handeln davon, sich seinen Emotionen zu stellen und zu akzeptieren, dass man den eigenen Geistern manchmal einfach nicht entkommen kann. All The Luck In The World gelingt dabei das Kunststück, extrem persönliche Gefühle und nostalgische Erinnerungen mit der Weite des Unterwegsseins sowie einer gewissen Unbeschwertheit zu verbinden. Nahezu perfekte November-Musik, bei der die Wicklow Mountains auf Berlin-Friedrichshain treffen. Euphancholie pur.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Jenobi – „Hundred Times“


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Die Songs der aus Göteborg stammenden Songwriterin Jenny Apelmo Mattsson mögen mitunter Düsternis und Wut ausstrahlen, und doch ist ihr Indie-Folkrock an den richtigen Stellen eingängig und scheut auch nicht vor kleinen Pop-Momenten zurück. Mitte September erscheint das Debütalbum „Patterns“ über das ohnehin über jeden geschmacklichen Zweifel erhabene Grand Hotel Van Cleef, anhand der ersten Single „Hundred Times“ darf man sich bereits jetzt einen ersten Eindruck machen.

art-13116_jenobi-patternsApelmo, die vor zehn Jahren – im zarten Alter von 19 Lenzen – mit dem Nachtzug von Göteborg nach Berlin kam, um sich dort auf ihre Musikkarriere zu konzentrieren, als Bassistin der Hamburger Indiefolkrockkombo Torpus & The Art Directors schon auf etliche Band-Alben und Liveshows zurückblicken kann und 2016 unter dem Namen Felicia Försvann die EP „Pretty confused, walking home with no shoes“ veröffentlichte, entdeckte über die Jahre immer mehr, dass es die weiblichen Songwriter waren, die den von ihr favorisierten Genres die wirklich interessanten Nuancen hinzufügten. Inspiriert von Künstlerinnen wie Lykke Li, Anna Calvi oder Feist griff sie immer häufiger zur E-Gitarre als zur Akustischen, fand immer mehr den Mut, Songs zu formulieren, die tief aus ihrer Wut über das Unverstandene sprechen. So entstand „Patterns“, das Debüt ihres aktuellen Projekts Jenobi.

Dennoch ist Jenobi kein reines Soloprojekt: Gitarristin Dorothee Möller (u.a. The Girl & The Ghost), Keyboarderin Lorena Clasen sowie Drummer Felix Roll komplettieren die Band und fügen dem Sound von „Patterns“ lebendige Nuancen zu. Und auch letzterer ist kein gänzlich unbeschriebenes Blatt, denn mit Felix Roll spielte die schwedische Wahl-Berlinerin viele Jahre bei der Hamburger Folkpop-Institution Torpus & The Art Directors (um die es in den letzten Jahren leider recht still wurde).

Freunde von Lykke Li, Feist oder The xx sollten Jenobi definitiv auf dem Zettel haben…

 

 

Rock and Roll.

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