Wie auf ANEWFRIENDzu lesen, hatte Pearl Jam-Frontmann Eddie Vedder im vergangenen Juli mit (s)einer Anti-Kriegswutrede während eines Konzerts im englischen Milton Keynes einen Sturm der Empörung losgetreten. Vor allem israelische „Fans“ der Band fühlten sich durch Vedders Rede angegriffen, obwohl dessen Ansprache allgemein gehalten und explizit nicht an ein bestimmtes Land adressiert war. Schützenhilfe hatte Vedder dabei von einigen Musikerkollegen wie Nirvana-Bassist Krist Novoselic erhalten.
Nun meldet sich Eddie Vedder zwar ohne Rede und große Worte, dafür jedoch mit seiner Live-Coverversion von John Lennons Song „Imagine“, mitgeschnitten bei einem Konzert des Sängers in Portugal im Juli diesen Jahres, zurück. Der Erlös des Covers, das man für gewohnt schlanke 99 Cent bei iTunes kaufen kann, geht an die Organisation Heartbeat.fm, die junge israelische und palästinensische Musiker zusammenbringt. Vedder selbst habe schon immer die Bedeutsamkeit des Lennon-Klassikers geschätzt: „Ich dachte immer, dass dieses Lied vielleicht das kraftvollste ist, das je geschrieben wurde. Was wiederum der Grund dafür war, dass ich es zuvor noch nie gespielt habe“, so der hauptberufliche Pearl Jam-Fronter. Doch für die Organisation Heartbeat.fm, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die verfeindeten Staaten Israel und Palästina durch Musik endlich zu einen, nahm er den Song jetzt (offiziell) auf. „Es scheint so, als gäbe es nun einen Grund, ihn zu spielen“, schildert der Sänger seine Meinungsänderung – und spendet die Einnahmen der iTunes-Verkäufe, im Glauben an den Frieden…
„Imagine there’s no countries / It isn’t hard to do / Nothing to kill or die for / And no religion, too / Imagine all the people / Living life in peace…“
Es kann wohl nur für diejenigen etwas Neues oder Ungewohntes gewesen sein, die noch nie ein Konzert der „Grunge-Dinos“ Pearl Jam gehört haben, nie selbst bei einem dabei waren oder sich nie (intensiver) mit der Band und ihren Hintergründen beschäftigt haben…
Beim Konzert der Band im englischen Milton Keynes am vergangenen Freitag, dem 11. Juli 2014, hält Sänger und Frontmann Eddie Vedder im Mittelteil des Setlist-Klassikers „Daughter“ – wie so oft davor bei gerade diesem Song und eben dieser Stelle – einen Moment inne, bevor es kurz darauf aus ihm heraus bricht: „Was, zum Teufel? Es gibt so viele Menschen, die friedlich miteinander leben! Wir haben moderne Technologien und können mit unseren Freunden in Kontakt treten. (…) Gleichzeitig werfen nicht weit enfernt Menschen Bomben aufeinander. Was, zum Teufel? (…) Ich schwöre verdammt nochmal bei Gott, es gibt einige Leute da draußen, die nur nach einem Grund suchen, um zu töten. Sie suchen nach Gründen, um Grenzen zu überschreiten und Länder zu übernehmen, die ihnen nicht gehören. Sie sollten sich verdammt nochmal verziehen und sich um ihren eigenen verdammten Mist kümmern!“
So erwartbar ein Statement wie dieses für Fans, Wegbegleiter und Kenner der Band um Eddie Vedder gewesen sein dürfte – immerhin hielten Pearl Jam seit ihrer Gründung Anfang der Neunziger nie mit Ansichten und Meinungen hinterm Berg, bezogen oft genug klar politisch Stellung (etwa für diverse „Pro Choice“-Wahlkampagnen, den grünen Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader im Jahr 2000 sowie die demokratischen Kandidaten für das höchste Amt der USA in den Jahren 2004 und 2008, John Kerry beziehungsweise Barack Obama, während man zu Zeiten der George W. Bush-Legislatur aufgrund nicht weniger eindeutiger „Anti-Bush“-Statements vielerorts Auftrittsverbote riskierte) und engagieren sich von ganzem Herzen seit jeher für diverse karitative Projekte und humanitäre Organisationen -, so engstirnig fiel das Echo besonders von einer bestimmten Front aus aus: Israel. So verstand etwa die ebenso landesweit wie international verbreitete und in englischer Sprache erscheinende „Jerusalem Post“ – ironischerweise noch eines der hochwertigeren und meinungspluralistischsten Printerzeugnisse des Landes – die Rede des Pearl Jam-Frontmanns als eindeutig pro-palästinensisches Statement und titulierte diese als „Anti-Israel-Schmährede“. Natürlich muss man kaum Pavlovs Versuchsreihen studiert haben, um vorauszusehen, dass in so einigen israelischen Köpfen noch immer der paranoide Leitsatz „Bist du nicht für uns, so bist du folglich gegen uns“ verankert zu sein scheint. Viel nachdenklicher dürfte die Band jedoch gegebenenfalls stimmen, dass auch nicht wenige selbsternannte „Fans“ über Kanäle wie Facebook oder Twitter ihren Unmut Luft machten (so „drohte“ etwa Ben Red, Radiomoderator und Initiator einer Kampagne für ein erstes Pearl-Konzert in Israel, sogar damit, die entsprechende Kampagnenseite zu entfernen, allerdings „nicht, bevor ich allen gezeigt habe, wer du wirklich bist“), während andere wiederum Vedder für seine gleichsam deutlichen wie wahren Worte lobten.
Es darf wohl bezweifelt werden, dass kaum eine der kritischen Stimmen (auf das Was, nicht das Dass bezogen!) Vedder Vortrag, den die Band im Anschluss folgerichtig mit Auszügen aus Edwin Starrs Anti-Kriegs-Evergreen „War“ ergänzte, in Gänze gehört hat, denn andernfalls käme man kaum umhin, aus dessen Worten vor allem und ausschließlich einen Appell für Frieden in der Welt heraus zu lesen: „Eigentlich wollen wir doch alle das Gleiche: Kinder bekommen, essen, Bilder malen, Kunst machen, Musik hören, ein wenig mehr ficken, noch ein Kind bekommen, essen, arbeiten, essen, arbeiten, lieben, lieben, lieben – da sind wir doch alle verdammt nochmal gleich. Warum also ziehen Menschen in den Krieg? Stoppt diesen verdammten Scheiß – jetzt! Jetzt! Jetzt! Wir wollen ihnen dafür kein Geld geben. Wir wollen ihnen dafür nicht unsere Steuergelder schenken, damit sie dann Bomben auf Kinder schmeißen können. Jetzt! Nie mehr!“.
(Für kurz Angebundene: Eddie Vedder setzt zu seinem Statement ab Minute 4:13 an…)
Unterm Strich bleibt festzustellen, dass hier wohl erneut vor allem jene Hunde am lautesten bellen, die sich als getreten betrachten, während die Band selbst einmal mehr ihre Integrität bewies und wohl nicht wenigen echten Fans, denen die seit jeher vorherrschende unbeugsame wie bewusste Haltung Pearl Jams ebenso wichtig sein dürfte wie deren Songs, aus der Seele sprach. Außerdem darf Vedder wohl zugute gehalten werden, dass er sich nun auf der Homepage der Band in einem öffentlichen Brief erneut zu seiner Anti-Kriegs-Rede, der aktuellen Weltlage und den erbosten Reaktionen seitens einiger seiner Fans äußerte: „Ihr könnt sagen, dass ich ein Träumer bin… aber ich bin nicht der Einzige“, eröffnet der Bandvorsteher seine ausführliche Stellungnahme mit den Worten John Lennons. „Täglich werden in den Nachrichten anhaltende Konflikte vermeldet, deren Geschichten immer schrecklicher werden und den Trauerpegel ins Unerträgliche steigen lassen. Was wird aus unserer Erde, wenn diese Trauer zur Apathie verkommt? Wir fühlen uns hilflos, deshalb schauen wir weg. (…) Gegenwärtig bin ich voller Hoffnung. Zu sehen, wie große Menschenmengen verschiedener Nationen so friedlich und voller Freude mit uns vor der Bühne feiern, inspiriert mich. Daraus entspringt meine Hoffnung.“ Weiterhin erläutert Vedder sein politisches Statement (das wohl schlussendlich mit dem von Pearl Jam einher geht): „Beim Versuch, während eines Rock-Konzertes ein Plädoyer für mehr Frieden zu halten, reflektierten wir die Gefühle all jener, mit denen wir in Kontakt stehen, damit wir alle ein besseres Verständnis füreinander entwickeln. (…) Ich habe nicht vor, das in absehbarer Zeit zu beenden. Ihr könnt mich als naiven Menschen bezeichnen, aber ich bin gerne naiv, herzlich und hoffnungsvoll. Meine Worte werde ich aus Angst vor Fehlinterpretation und Vergeltung nicht zurücknehmen.“
(Beinahe) unabhängig davon, dass Pearl Jam seit gut der Hälfte meines Lebens meine Lieblingsband sind. Völlig unabhängig davon, ob ihre Musik – als reine solche und nur unter qualitativen beziehungsweise geschmacklichen Gesichtspunkten gemessen – nach all den Jahren noch immer Relevanz besitzen sollte (denn das darf freilich jeder für sich selbst entscheiden). In den knappen zwei Minuten eines im Grunde recht persönlichen Songs („Daughter“) hat Eddie Vedder erneut bewiesen, dass er seit jeher mit einem sprichwörtlichen „dritten Ei“ die Bühnenbretter rockt, ihm – Superstarstatus hin, goldene Schallplatten her – Menschenwürde noch immer mehr bedeuten als ein prall gefülltes Bankkonto (womit hier die Debatte vom „Jammern auf hohem Niveau“ freilich ebenso umschifft gehörte die über die menschenverachtende Unsinnigkeit des Konfliktes zwischen Israel und Palästina, da beides hier und heute zu weit führen würde) – und im gleichen Atemzug einmal mehr irrwitzige Friedensnobelpreisträger wie Al Gore oder Barack Obama samt ihrer sämtlichen Geheimlogenkumpane ad absurdum geführt… Für seine Worte, seine Stimme, seine Courage – dafür gebührt diesem Mann, dieser Band unser aller tiefster Respekt!
Der Vollständigkeit halber hier für alle Interessierten Eddie Vedders Antwort auf die Anti-Kriegs-Rede von Milton Keynes im originalen Wortlaut:
„Imagine That — I’m Still Anti-War. –July 16 2014–
Most of us have heard John Lennon sing
‚You may say I’m a dreamer,… but I’m not the only one.‘
And some of us, after another morning dose of news coverage full of death and destruction, feel the need to reach out to others to see if we are not alone in our outrage. With about a dozen assorted ongoing conflicts in the news everyday, and with the stories becoming more horrific, the level of sadness becomes unbearable. And what becomes of our planet when that sadness becomes apathy? Because we feel helpless. And we turn our heads and turn the page.
Currently, I’m full of hope. That hope springs from the multitudes of people that our band has been fortunate enough to play for night after night here in Europe. To see flags of so many different nations, and to have these huge crowds gathered peacefully and joyfully is the exact inspiration behind the words I felt the need to emphatically relay. When attempting to make a plea for more peace in the world at a rock concert, we are reflecting the feelings of all those we have come in contact with so we may all have a better understanding of each other.
That’s not something I’m going to stop anytime soon. Call me naïve. I’d rather be naïve, heartfelt and hopeful than resigned to say nothing for fear of misinterpretation and retribution.
The majority of humans on this planet are more consumed by the pursuit of love, health, family, food and shelter than any kind of war.
War hurts. It hurts no matter which sides the bombs are falling on.
With all the global achievements in modern technology, enhanced communication and information devices, cracking the human genome, land rovers on Mars etc., do we really have to resign ourselves to the devastating reality that conflict will be resolved with bombs, murder and acts of barbarism?
We are such a remarkable species. Capable of creating beauty. Capable of awe-inspiring advancements. We must be capable of resolving conflicts without bloodshed.
I don’t know how to reconcile the peaceful rainbow of flags we see each night at our concerts with the daily news of a dozen global conflicts and their horrific consequences. I don’t know how to process the feeling of guilt and complicity when I hear about the deaths of a civilian family from a U.S. drone strike. But I know that we can’t let the sadness turn into apathy. And I do know we are better off when we reach out to each other.
‚I hope someday you’ll join us,…‘ Won’t you listen to what the man said.