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Das Album der Woche


Philip Selway – Strange Dance (2023)

-erschienen bei Bella Union/Rough Trade-

Eigentlich könnte diese Rezension – gut und gern sowie für Freunde weniger Worte – nach dem nächsten Satz enden. Philip Selway, der Schlagzeuger von Radiohead, macht auch auf seinem dritten regulären Soloalbum „Strange Dance“ wunderschöne Musik. Aber irgendwie wäre das auch etwas unfair, denn Selway, der bei seiner Hauptband stets stoisch im Halbschatten der auch auf Solo-Pfaden deutlich präsenteren Thom Yorke und Jonny Greenwood sein Werk verrichtet und der Musikwelt dort in den letzten – mindestens – zwei Jahrzehnten gezeigt hat, mit welch künstlerischem Anspruch Drumcomputer zu klingen vermögen, wenn man sie denn zu bedienen weiß, hat definitiv Aufmerksamkeit verdient. Ein großer Sänger wird er in diesem Leben freilich nicht mehr werden (eine Eigenschaft, die so einige Radiohead weniger zugetane Ohren wohl auch Thom Yorke zuschreiben würden), das muss er allerdings auch gar nicht, da die Stärken des 55-jährigen britischen Musikers woanders liegen. Selbstverständlich warten seine Kompositionen mit zahlreichen cleveren rhythmischen Ideen auf, diese wären jedoch ohne Selways Fähigkeiten als Arrangeur wirkungslos. Und was für ein Arrangeur er mittlerweile ist! Ob er sich da den ein oder anderen Winkelzug vom mehrfach Oscar-nominierten Soundtrack-Komponisten Jonny Greenwood abgeschaut hat? Weißmannatürlichnicht.

So beginnt etwa „Picking Up Pieces“ als unscheinbare Ballade, ehe sich die Musik zunehmend verdichtet. Am Ende erstrahlt der Song im Geigenglanz, entpuppt sich gar als ambitionierter, stark in Klang gesetzter Ohrwurm. Und apropos Soundtrack: Womöglich hat es, nach den ersten, 2010 beziehungsweise 2014 erschienenen Alleingang-Platten „Familial“ und „Weatherhouse„, seine Soundtrack-Arbeit “Let Go” (von 2017) gebraucht, damit nun Glockenspiele in “What Keeps You Awake At Night” so klingen, wie es beispielsweise Get Well Soon schon länger nicht mehr hinbekommen. Auch hier lässt Selway sich viel Zeit, bis alle Motive eingeführt sind. Grandios orchestrierte Streicher malen auf große Leinwände, die der Radiohead-Schlagwerker auf Abwegen mit seiner Stimme gleichermaßen pastoral wie unaufdringlich dirigiert und die erwähnten Motive nach Lust und Laune kombiniert, ohne dabei freilich die Dramaturgie des Songs aus den Augen zu verlieren. Der Lohn: ein herrliches Finale, das die Lust auf mehr weckt. Und da dem Künstler das Wohl des Konsumenten scheinbar am Herzen liegt, macht er auf diesem hohen Niveau weiter.

Krittelei? Die dürfte darin bestehen, dass er dabei bisweilen knapp am zuckrigen Kitsch entlang schrammt – „The Other Side“ wirkt beispielsweise aufgrund seiner süßlichen Melodieführung dezent überzuckert. Wer kein Problem mit allumfassendem Schönklang hat, wird allerdings auch hier an einem glücksseligen Lächeln nicht vorbeikommen, welches das Gesicht im weiteren Verlauf nur selten verlässt. Songs wie „Make It Go Away“, bei dem erstmals eine Gitarre im Vordergrund zu hören ist, die dann aber auch schnell wieder zwischen Streichern und Bläsern untergeht, sind einfach zu liebenswürdig, um nicht mit Anerkennung quittiert zu werden. Selway mag kein Genie sein, er weiß stattdessen aber sehr genau, was er kann und was er will.

Und wenn das dann in Spinnereien wie dem Titelsong resultiert, sei es ihm auch gegönnt. Mit einer gewissen Tapsigkeit wagt er sich hier in dunklere Gefilde. Der Honigtopf ist sein Ziel, die Taschenlampe sein einziges Werkzeug. Zielstrebig funzelt er sich voran, bis sich alles in Wohlgefallen auflöst. Absoluter Höhepunkt des Albums ist indessen das famos orchestrierte „The Heart Of It All“. Nach einem mehrminütigen Spannungsaufbau explodiert der Song im letzten Refrain in schillernden Farben. Bläser, Streicher und Synthesizer winden sich in schwindelerregende Höhen, während im Hintergrund langsam die Sonne aufgeht. Ja, er kann schon was, dieser Philip Selway.

Natürlich mag der hauptberufliche Schlagzeuger (der hier sowohl den Platz an seinem Stamminstrument als auch die Percussion Valentina Magaletti überließ, während die Streicher-Arrangements von Laura Moody kommen), weder so künstlerisch fordernd noch so umtriebig unterwegs sein wie Thom Yorke (man höre bei Interesse gern mal beim Neo-Progrock/Jazz-Trio The Smile oder der famosen Allstar-Band Atoms For Peace nach!) und auch nicht den dezidierten orchestralen Output eines Jonny Greenwood in der Vita vorweisen können. Dennoch muss sich ja auch Selway abseits von Radiohead, die mit läppischen vier Studiowerken in den vergangenen zwanzig Jahren, von denen sich vor allem das letzte, „A Moon Shaped Pool“ von 2016, beinahe schon wie ein leiser Schlussakkord anfühlte, nicht unbedingt als Vielveröffentlicher gelten dürften, ja irgendwie beschäftigen. Und schreibt auch auf seinem neusten Solowerk, das sich ingesamt als Sammlung großenteils melancholischer Softpopsongs, die wie Eis auf der Zunge zergehen, präsentiert, recht ausgeklügelt und mit der Etikette eines britischen Gentlemans, ohne sich der verkorksten Eton-College-Elite anzubiedern, die gerne so clever wäre, “Strange Dance” zu mögen – und hier doch nichts zu hören hat. 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Richard Walters – „The Man I Loved“


Richard Walters mag hierzulande noch recht unbekannt sein, ein Newcomer ist der im englischen Oxford beheimatete Singer/Songwriter jedoch keineswegs. So hat er als Solokünstler seit 2007 fünf von der Kritik hochgelobte Alben und vier EPs veröffentlicht, zudem waren seine Songs bereits in einer ganzen Reihe von US-Fernsehserien wie „Grey’s Anatomy“, „Tin Star“ oder „CSI: Miami“ zu hören. Ein Anspieltipp gefällig? Gern doch: etwa „Awards Night“ von 2016, ein bewegendes Stück, welches der 2003 verstorbenen Indie-Folk-Legende Elliott Smith gewidmet ist und mitsamt des dazugehörigen Musikvideos noch eine ganze Spur mehr Gänsehaut verbreitet. Und auch als Songwriter und Kollaborateur beweist der 39-jährige Musiker immer wieder ein recht gutes Händchen, arbeitete in der Vergangenheit bereits mit Grammy-Gewinner Joe Henry, der britischen Pop-Ikone Alison Moyet, dem britischen Poeten Simon Armitage (als Teil der Band LYR) und sogar der Oscar-nominierten Schauspielerin und Sängerin Florence Pugh („Midsommar“) zusammen.

Nun hat Walters eine neue EP angekündigt, welche am 7. Januar 2022 erscheinen soll. Bereits jetzt lässt der britische Singer/Songwriter mit „The Man I Loved“ einen ersten Song aus dem noch unbetitelten Mini-Album hören, das in den legendären Middle Farm Studios von LYR-Kompagnon Patrick J. Pearson aufgenommen wurde. Und dieser hat es thematisch durchaus in sich, wie Richard Walters in einem Interview erzählt: „Ende 2019 habe ich einen Freund durch Selbstmord verloren, jemanden, der für mich ein wichtiger Teil meiner persönlichen Geschichte, meines Fundaments war. Es hat mich zutiefst erschüttert, und ich glaube, während des Lockdowns habe ich jede einzelne Emotion in Bezug auf seinen Tod durchlebt; Wut, Schuld, Trauer, Freude und Hochgefühle, wannimmer ich mich an ihn erinnerte. Dieses Lied ist meine kleine Notiz für ihn und unsere Gang, die etwas ausdrückt, was ich – aus dem einen oder anderen Grund – nur schwer artikulieren konnte, als er hier war.“

„How did you become a memory?
You used to be this whole town
Filling in the gaps
The spaces that you’ve left
How did we lose you anyway?
You always seemed so permanent
Nothing I can do to take the place of you
Stars seem paler now you’ve gone

There goes the last of a man that I’ve loved and never told me enough
Here come the words that I’ve wished that I’d say, I never spoke before you left
I hope you knew
I hope you knew

Now I can’t hear that song again
Without you coming into frame
Glitter in the eyes, both of our time
How did we lose you anyway?
You used to be this whole place
Filling in the gaps
The spaces that you’ve left
Stars seem paler without you

There goes the last of a man that I’ve loved and never told me enough
Here come the words that I’ve wished that I’d say
I never spoke before you left
I hope you knew
I hope you knew
I hope you knew
I hope you knew“

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Andrew Bryant – „A Meaningful Connection“


„What is this feeling that I have / ​​Like I’m caught between the here and the now? / Just some shitty midlife crisis / That would bore even the steadiest crowd?“ – bereits die ersten Zeilen des Songs „Reality Winner“ fangen sehr gut ein, worum es in Andrew Bryants neuem Album „A Meaningful Connection“ geht. Um einen Mann, der in einer unsteten Zeit nach Wahrheit sucht, seine Bedürfnisse und Ängste ergründet. Was ist wirklich sinnvoll? Was ist real? Welche Geschichte habe ich noch nicht erzählt, welche sollte noch erzählt werden? Was, wenn sich die vermeintliche Wahrheit am Ende als plumpe Lüge entpuppt? Wie werde ich gehen, wenn meine Zeit gekommen ist?

Das Coverfoto erinnert an John Lennons und Yoko Onos „Bed-ins for Peace„, doch anstatt einer Blume hält der Musiker aus Oxford, Mississippi ein Smartphone in der Hand – hello, peace, love and digitale Zerstreuung. Dementsprechend anspielungsreich und dezent sarkastisch fällt auch die Eröffnungsnummer „Private Window“ aus: „Folk singers on Twitter / You know they’ve got all the answers / They’re all at the tips of your fingers / In that pale blue light / You can lay down in your bed / Hang your hat on every line that you’ve read / While your lover is dreaming / You are waking to that blue bird song.“ Eitel Sonntagssonnenschein ist hier wenig, vielmehr verarbeitet der US-amerikanische Musiker in den neuen Songs unter anderem seine Grabenkämpfe mit dem bösen Teufel aus der Flasche und schafft es, seine Suche nach Sinn und Halt in poetische Texte zu fassen. Zudem zeichnete sich Bryant für alle kreativen Prozesse vom Songwriting über die Aufnahmen, die Performance und den Mix selbst verantwortlich – eine durchaus beeindruckende Leistung. „I sing all my songs and feel them / Staring at the back of my eyelids / And we call this a meaningful connection“, wie er in „Birmingham“ singt, mit einer Stimme, die verletzlich und kraftvoll zugleich erscheint.

Kleine Erzählbrötchen dürfen gern andere backen. Auf „A Meaningful Connection“ sucht Andrew Bryant nach der nur schwer zu fassenden Verbindung, nach der wir uns alle sehnen, und reckt all jenen, die so tun, als sei alles in bester Ordnung, seinen süffisanten Mittelfinger entgegen – denn das, Ladies and Gentlemen, ist es – Scheiße noch eins – offensichtlich nicht. Die songdienliche Instrumentierung unterstreicht Bryants Bariton, der dem eines Timothy Showalter (Strand Of Oaks) nicht eben unähnlich ist, und erinnert mal an den lässigen Country von Chris Isaac („Fight“), mal an den Neo-Lounge von Faye Webster („Private Window“). Überhaupt bilden Musik und Text auf dem neuen Album eine beeindruckende Schere. „I want to be like Christ but I don’t want to die“, singt Bryant etwa in „Fight“ als eine Art geläutertes Mantra und legt damit die Tiefe des emotionalen Schmerzes offen, die einem hier immer wieder begegnet. Dem gegenüber stehen scheinbar skurrile Einsichten, hinter denen sich jedoch kaum weniger tiefe Trauer verbergen mag: „There’s no turning back and there’s no wasting time / When you don’t come from anywhere and you leave nothing behind“ heißt es etwa in „Lying On The Road“, während anderswo, im bereits genannten „Private Window“, eher der moderne Sarkasmus blüht.

In „Birmingham“ findet sich Bryant auf der Heimfahrt am Ende einer Tour wieder, auf welcher sich wohl jeder Musikschaffende am Ende eines langen Tages nach (s)einer inneren Heimat, nach dem besonderen Herzensmenschen am Ende des Weges sehnt. Und während er sich nach Hause wünscht, umarmt Bryant sein technologisches Surrogat: „I’m looking for your name in my phone / I’m looking at my phone, want to see your face in my palm“. Eine wirkliche, bedeutungsvolle Verbindung? Vielleicht nicht, aber dennoch eine Verbindung, die in unserer technologisch isolierenden Welt jeden Tag schwieriger wird. Und besser ein Flackern auf einem gottverdammten Bildschirm als absolute Düsternis.

„Drink The Pain Away“ wendet sich schließlich der traditionellen Country-Ballade zu, mit wenig mehr als einer Akustikgitarre, Gesang, drei Akkorden und der nackten, häßlichen Wahrheit. Als direkte Antwort auf selbige entsorgt Andrew Bryant in „Truth Ain’t Hard To Find“ in den ersten Zeilen des Stückes seine letzte Flasche, auf der Suche nach einem ehrlicheren, nüchternen Weg, mit sich selbst zu leben. Harter Tobak? Wohl wahr. Umso verwunderlicher gerät „Liminal“, der Abschluss des Albums, der mit seinem synkopischen Schlagzeug, einer funkt Basslinie und den atmosphärischen Disco-Synthesizern wie aus einer ganz anderen Welt – und von einer ganz anderen Platte! – klingt. Gleichzeitig ist der Abschluss das einzige Instrumental auf einem lyrisch durchaus schwer wiegenden Album, das Bryants traditionelle Folk-Songwriter-Tendenzen ein ums andere Mal für eine Reise in unsere von Technologie, Zerstreuung und viel zu oft kalte Wirtschaftszahlen geprägte Gegenwart über Bord wirft. Gleichzeitig deplatziert und doch irgendwie das nahezu perfekte Ende für „A Meaningful Connection“, erinnert „Liminal“ den Hörer doch an die graue Hohlheit des Synthetischen, wenn dem Leben alles Natürliche entzogen wird. Und alle, die selbst nach Sinn und Wahrheit zwischen den Zeilen suchen, können Andrew Bryant auf seiner Reise durch seine eigenen Kämpfe, Erfolge und Misserfolge auf dem Weg hin zu „A Meaningful Connection“ begleiten…

Rock and Roll.

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Zitat des Tages


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(gefunden bei Facebook)

 

(Clive Staples „C.S.“ Lewis, 1898-1963, irischer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler)

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


 Foals – Holy Fire (2013)

Foals - Holy Fire (Cover)-erschienen bei Warner Music-

Man stelle sich bitte einmal folgende Szene vor dem geistigen Auge vor: da steht der Wahl-Engländer Herbert Grönemeyer als Gastdozent vor den studentischen Reihen der Oxford University, Kurs „Musiktheorie“, und gibt seine Losung in feinstem Ruhrpott-Schnodderdeutsch zum Besten: „Stillstand ist der Tod / Geh‘ voran, bleibt alles anders“. Das in Oxford heimische Foals-Quintett aus Yannis Philippakis (Gesang, Gitarre), Jimmy Smith (Gitarre, Keyboard), Walter Gervers (Bass), Jack Bevan (Schlagzeug) und Edwin Congreave (Keyboard) sitzt begehrlich lauschend in der ersten Reihe, notiert Zeile um Zeile mit Graphitgriffel auf ihre Collegeblöcke und setzt die Losung alsbald in die Tat um. Denn tatsächlich lässt sich seit ihrem 2008 erschienenen Debüt „Antidotes“ kaum eine Wiederholung feststellen. Waren es anfangs noch die tendenziell hypernervösen NuRave-PostPunk-AftroBeat-Knaller wie „Mathletics“ oder „Hummer“, die Kritiker schier ausflippen ließen und nicht wenige mehr oder minder intellektuelle Indieanistas auf die Tanzflächen unterhalb der speckig-abgeranzten Diskokugeln zogen, erhoben die Foals bereits mit dem zwei Jahre darauf veröffentlichten Nachfolger „Total Life Forever“ süffisant einen Mittelfinger an die Erwartungshaltung und stellten ein Album in die Plattenläden, das keineswegs „nur“ mehr von diesen Rock tragenden Funk-Biestern lieferte, sondern weiter ausholte und reifere Tiefen ebenso zuließ wie clever austarierte Höhen, und mit dem Sieben-Minuten-Miniepos „Spanish Sahara“ mindestens einen dieser Songs, deren man wohl nie überdrüssig wird, in Petto hatte. Das Tolle: trotz aller Neuerungen, trotz allem Wachstum, trotz aller Steigerung behielten die Foals ein paar ihrer Trademarks bei… Nun, gerade genug, damit alle, die dem Vorgänger etwas abgewinnen konnten, sich in den neuen Songs ebenso wiederfanden. Zwei Top-Ten-Alben und einer Nominierung für den ehrwürdigen „Mercury Prize“ (für „Total Life Forever“) waren die Belohnung. Dass „Holy Fire„, das dritte Album der britischen Kritikerlieblinge, mit Vorschusslorbeeren bedacht werden würde, war abzusehen. Dass es diesen auch gerecht werden würde, stellte jedoch keine Selbstverständlichkeit dar…

Foals #1

Und doch muss man zugeben: Foals haben es wieder einmal geschafft. Ihre Trademarks – die leicht nervösen Rhythmen, die Frickelgitarren, Philippakis‘ hoher Gesang – wurden auch aufs neue Werk „gerettet“, ansonsten macht sich so einiges an bandeigener Innovation in den elf neuen Songs breit. Und als „Großes und Ganzes“ machen die auch noch Sinn! Es fängt bereits beim Opener „Prelude“ an, bei dem mit Knistern, Knacken und einem entfernten Dröhnen Frickelgitarre, Percussion, Keyboard und Schlagzeug ins Studio marschieren und sich die Band mit einem kleinen Jam warm spielt, und setzt sich mit dem ersten vorab veröffentlichten Song „Inhaler“ fort, der wie eine Walze aus Rockinstrumentarium plus Keyboard alle Kritik nach mehr Eingängigkeit gen Tanzschuppenboden drückt. „Sticks and stones don’t break my bones“, stellt Philippakis klar, und warnt vor: „I can’t get enough space“. Da will’s einer wissen! „You don’t have my number / We don’t need each other now / We don’t need the city / The creed or the culture now / ‚Cause I feel / I feel alive / I feel, I feel alive / I feel that the streets are all pulling me down“ – „My Number“ ist gleich darauf der eventuell poppigste, (im gängigen Sinne) tanzbarste Moment der Platte, und erinnert nicht nur einmal mit „Uh-hu“-Chören ohne fremde Scham an The Cures „The Lovecats„. Überhaupt: The Cure! Das Vermächtnis der großartigen Dunkel-Waver um Frontmann Robert Smith lässt sich auch auf „Holy Fire“ wieder aus jeder Ritze der Studiowände kratzen, denn nicht nur ein Mal lassen Melodiegespür sowie Keyboard- und Gitarrenlinien hier die klaren Vorbilder erkennen – was ja an sich nichts Schlechtes heißen mag… „Bad Habit“ besticht mit metallischer Percussion als ein sich im Refrain öffnender Song, ab dessen Mittelteil hymnische Gitarren die Führung übernehmen und Philippakis sich zur eignen Verletzlichkeit, aber auch innerer Stärke, bekennt: „I’ve made my mistakes / And I feel something’s changed / And I know what’s at stake / Wash the stains away /…/ And I feel quite okay“. In „Everytime“ fügen sich elektronische Elemente gekonnt in den Gesamtsound ein, während der Text einen zarten Anflug von emotionalem Eskapismus probt („Every time I see you I wanna sail away“). Das klare Herzstück auf „Holy Fire“ ist, ähnlich wie 2010 „Spanish Sahara“ auf dem Vorgänger „Total Life Forever“, zweifellos „Late Night“: „Oh, I hoped that you were somebody / Someone I could count / To pull me to my feet again / When I was in doubt / Oh now mama, do you hear me / Calling out your name? / Now I’m the last cowboy in this town / Empty veins and my plastic, broken crown“. Philippakis gibt den fragilen Bluesboy, während die Gitarre sich deep und soulful eingroovt, um dann mit der gesamten grandios aufspielenden Band und einer Horde an (Konserven?)Streichern zu Philippakis‘ Worten „Stay with me!“ den emotionalen Klimaxgipfel zu stürmen, dort weiter zu grooven und langsam – und noch immer höchst soulful – in einem Pianoakkord zu verklingen. „Out Of The Woods“, die wohl deutlichste 2013er Foals-Referenz an die Achtziger (The Cure!), ist eine luftige Eskapismushymne von Wäldern, Freunden, Wolken und Weltverzicht, „Milk & Black Spiders“ bietet Konservenstreicher, die am Ende ihre Wand hochfahren, Frickelgitarren und einen eng geschnürten Rhythmus, und scheint textlich das Ziel des Sehnens gefunden zu haben („I’ve been around two times and found that you’re the only thing I need“). Wer auf der im letzten Jahr erschienen Bloc Party-Platte „Four“ vor allem die „härteren“ Gangarten am ansprechensten fand, der wird auch auf „Holy Fire“ einen neuen Liebling finden, denn „Providence“ entpuppt sich ohne Umscheife als tighter, aggressiver New Wave-Tanzflächenfüller, an dessen Ende sich die Band in einem wahren kleinen kakophonischen Inferno austoben darf, und in dem sich Philippakis zu den eigenen animalischen Wesenzügen bekennt („I know I cannot be true / I’m an animal just like you“). Dass manch einer nach solch‘ einem Dezibelbrecher erst einmal Ruhe braucht, ist nur all zu verständlich. Und die gönnt die Band dem Hörer in „Stepson“, einer schwebenden, dezent elektronischen Ballade, bei welcher – in trügerischer Manier – alles im Reinen zu sein scheint. Das abschließende „Moon“ wartet mit meditativer Atmosphäre auf, die zu einem immer bedrohlicher werden Dröhnen anwächst, um am Ende zu verglühen: „The world is quiet / There is nothing left unsaid / A million image, million capture, million dead / And all the birds fall out of the sky in two by two’s / And my teeth fall out my head into the snow / I am you now / And you are me instead / Then I see there is blood on your wedding dress / And all of the old walk down and I’m feeling unsure / When I’m sleeping in my own place / I’m not home /…/ It is coming now, my friend / And it’s the end…“. Die Foals proben zum Abschied von „Holy Fire“ noch einmal die Apokalypse. Und wenn diese wirklich so schön dröhnt, so ist die Frage, ob man gern dabei wäre, eventuell einen zweiten Gedanken wert – insofern man denn eine „Repeat“-Taste in die Hand bekommt…

Foals #2

Mission accomplished. Auch mit „Holy Fire“ schaffen Foals den Spagat zwischen Altbewährtem und – für sie – gänzlich Neuem. Mehr noch: unter der Ägide der beiden Erfolgsproduzenten Alan Moulder und Flood (u.a. U2, Depeche Mode, Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails) erfahren die neuen Songs – im Vergleich zum Albumvorgänger – noch einmal eine Straffung und angenehme Komprimierung. Auf den neuen knapp 50 Minuten steht nun keine Songidee mehr über, werden alle losen Ende bündig groovend verknüpft. Und doch haben die elf Songs noch massig Raum zum Atmen, stellen dem verspielten Indierock-Gerüst des Fünfers kleine Elemente aus Funk, Dance, New Wave oder Post Punk zur Seite, zeigen die Band mit noch mehr gesundem Selbstbewusstsein als noch drei Jahre zuvor, und bieten Philippakis eine Basis für endlich weniger kryptische Texte, die sich auf „Holy Fire“ mit Grundthematiken wie Schuld, Sühne, Vergangenheitsbewältigung, Eskapismus und Heimatfindung beschäftigen und ein ums andere Mal fein prickelnde Gänsehautmomente hervorrufen.

Dass die Foals mit „Holy Fire“ als Jahrgangsbeste in Richtung Semsterferien und Konzertbühnen abschließen, ist noch nicht in die Indierock-Steine gemeißelt. Den Abschluss des „Musiktheorie“-Kurses haben die fünf Klangtüfler-Strebern aus Oxford aber definitiv in der Tasche.

(Chapeau übrigens zum tollen Albumcover, wie ich finde…)

Foals (name)

 

Hier die sehenswerten Videos der ersten beiden aktuellen Albumauskopplungen „Inhaler“…

 

…und „My Number“…

 

…einer Live Session-Version des Albumhighlights „Late Night“…

 

…sowie zu „Spanish Sahara“, welches 2010 bei mir auf Heavy Rotation lief…

 

…und zu „Blue Blood“ (wie „Spanish Sahara“ auf „Total Life Forever“ zu finden):

 

Rock and Roll.

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