Diese Supergroup aus Wien meint es vor allem mit einer Sache wirklich ernst: Spaß zu haben! My Ugly Clementine schaffen eine mehr als zeitgemäße Entstaubung der Gitarre mit vitaminreichen Anleihen der Neunziger-Jahre-Indie-/College-Rock-Ära. Ein Post-Punk-Ansatz hier, ein paar unwiderstehliche Pop-Hooks da, dazu starke, ernste Botschaften – und trotzdem einen Mitsing-Refrain on top und ein Lächeln auf den All-Female-Lippen.

Zur Indie-Legendenbildung trägt schon die Gründungsgeschichte des Quartetts bei: Am Valentinstag (sic!) 2019 reicht schon ein einziges Bild des neu zusammengestellten Vierers in den sozialen Medien, um eine erste kleine Welle der hibbeligen Aufregung zu erzeugen, denn das Personal ist – zumindest in Österreichs Indie-Kreisen – bestens bekannt: Sophie Lindinger (Leyya) als Mastermind hat sich den lang gehegten Wunsch erfüllt, mit von ihr hochgeschätzten Musiker*innen zusammen zu arbeiten – und so steht etwa Mira Lu Kovacs (5K HD, Schmieds Puls) an der Gitarre neben ihr. Dazu kommt an Schlagzeug und Stimme Kathrin Kolleritsch, die mit ihrem queer-feministischen Rap-Soloprojekt KEROSIN95 ebenfalls für die ein oder andere nationale Schlagzeilen sorgte. Fertig war die kleine „Supergroup“, welche mittlerweile ergänzt um Nastasja Ronck (Lucid Kid) die Bühnen weit über die Landesgrenzen hinaus bespielen konnte. Eine „Frontfrau“ gibt es dabei – und trotz der Tatsache, dass sich Lindinger für den Großteil der Musik und Texte verantwortlich zeichnet – bis heute nicht – die Gesangsstimmen werden dem All-Star-Prinzip folgend nach Lust und Laune gewechselt und verteilt.

So ist es auch kaum verwunderlich, dass das erste angesetzte Konzert in Wien binnen Stunden – und noch bevor die erste Single überhaupt zu hören war – ausverkauft war. Apropos „erste Single“: „Never Be Yours“ vermochte die Erwartungshaltung mehr als nur zu erfüllen: Nummer 1 in den FM4-Charts, virale Energie via reddit; Einladungen, in großen Open Air Locations für etablierte Acts zu eröffnen; das Abklappern der schönsten und begehrtesten Festivalbühnen des Landes gleich im ersten Sommer folgten. Mehr Mitsingparolen lieferten die weiteren Singles des vergangenen (Musik)Jahres, „The Good The Bad The Ugly“ und „Playground“. Nun kommt die Band dem Wunsch ihres Publikums nach einem kompletten Album nach.

My-Ugly-ClementineAuf dem Titelbild der nun erschienenen Platte „Vitamin C“ wird dem Menschen – ganz Michelangelo-like – eine Clementine gereicht. Das kraftspendende Obst zieht sich dabei als symbolische Metapher durch das ganze Album – Stichwort „Empowerment. Mit einer stets spielerischen Note wird der persönliche und der gesellschaftliche Status Quo der Gleichberechtigung in verschiedensten Konstellationen verhandelt („Playground“), werden komplizierte Beziehungen durchleuchtet oder wird mit offensivem Selbstbewusstsein Mut zugesprochen („Peptalk“). Den gleichzeitig ernsten wie humoristischen Unterton mag man Sophie Lindinger bei Themenkomplexen wie Gleichberechtigung, Selbstwahrnehmung und der Stärke des (weiblichen) Ichs nicht immer gleich ansehen, doch der Schalk sitzt ihr durchaus im Nacken: Schon für die Namensfindung der von ihr zusammen gestellten Band sind das Verbiegen popkultureller Referenzen nur schwer zu verleugnen.

Clementinen sind übrigens ein Hybrid aus süßen Mandarinen und Bitterorangen – und damit ein keineswegs unpassendes Symbol für die Mischung aus der musikalischen Leichtfüßigkeit und thematischen Ernsthaftigkeit von My Ugly Clementine. Sie sind aber wie die Musik des Vierers, welche nostalgisch gen Sixties gestimmten Indie- und College-Rock mit Post-Punk, nonchalantem Grunge und Popklängen der Gegenwart vermengt, vor allem eines: durchaus erfrischend.