„Es ist natürlich ein Privileg, Musik zu machen. Aber den Menschen ist nicht bewusst, dass es auch ein Privileg ist, Kultur zu erleben. Und hier kümmert sich die Gesellschaft zu wenig um ihre Künstler*innen.“
(Ren Aldridge, Frontfrau der englisch-österreichischen Raging Feminist Post-Hardcore-Band Petrol Girls, im Interview mit „VISIONS“ – Ausgabe 358, 01/2023)
Seit sechs Jahren begeistert der Österreichische Dream-Folk-Musiker Baswod seine Hörerschaft nun schon mit feinfühligen Songs. Den Bürojob hat er unlängst aufgegeben, er möchte seine Brötchen jetzt als Musiker verdienen – kein einfacher Zeitpunkt in unbeständigen Zeiten ohne (echte) Live-Konzerte. Vor wenigen Tagen erschien sein neues Album „I Need You To Pencil In The Rest“, auf welchem feinfühliger Folk auf handgemachten Indie Pop trifft. Es ist eine Reise zu den innersten Empfindungen…
Eigentlich kommt Dominik Linder alias Baswod aus Kärnten, lebte bis vor Kurzem jedoch für einige Zeit als Wahlwiener in Österreichs Hauptstadt (mittlerweile hat es ihn nach Hamburg verschlagen). Sein Debütalbum „The Ships Have Set“ erschien 2015, seitdem gilt der junge Musiker als einer der hochkarätigsten Indie-Geheimtipps des Alpenstaats. Jedes seiner Alben ist eine kleine Stubenhocker-Reise, sanft und intensiv zugleich, stets verträumt und mit offenen Augen schlafend. Dass Dominik Linder als Ein-Mann-Band agiert, verstärkt den Eindruck eines introvertierten Schlafzimmer-Dichters – den wird er auch auf seinem dritten Album „I Need You To Pencil In The Rest“, welches noch in Wien entstand, nicht los.
Vor einigen Jahren, so um 2012, machte ein US-amerikanischer Singer/Songwriter namens Nigel Wright von sich reden, der – wenn auch in ähnlich erlesenem Indie-Rahmen wie Dominik „Baswod“ Linder – international gelobt wurde – und genau an jenen (oder meinetwegen den bei derartiger Musik reichlich oft zitierten Sufjan Stevens) erinnern Baswods Songs an mancher Stelle. Schon beim ersten Titel „Kids They Always Knew We’d Stay Together“ verfällt man leicht in tiefe Trance, kann sich von den sorgfältig komponierten Melodien kaum losreißen. So nostalgisch der Songtitel klingt, so fühlt sich auch die Musik an. Wer hüpfende Fröhlichkeit sucht, wird sie hier nicht finden – das Glück ist in den Songs still und in sich gekehrt, nach innen strahlend. Dieses Gefühl zieht sich durch alle Lieder und wird wohl am intensivsten bei „0000 | All I Did Was Wandering“: Eine vielschichtige Gitarrenmelodie verdichtet sich immer wieder und löst sich wieder auf, verbunden durch Linders Gesang. Der Rhythmus gleicht häufig dem eines plätschernden Gebirgsbaches, durchzogen von melodischen Sonnenstrahlen.
Ein ganz ähnliches Bild vor dem inneren Auge erzeugt fast unausweichlich auch „Rain And The Obscure Taste Of Distilled Water“, bei dem die lyrische Eleganz des Titels direkt in ein musikalisches Bild umgewandelt wird. Instrumental verwendete Baswod scheinbar so ziemlich alles, was um ihn herum Geräusche erzeugte – von Gitarren über ein Piano und Glas bis hin zu Holzböden ist alles dabei. Der Mut des Dream-Folk-Musikers zum Experiment erzeugt oftmals komplexe, fast mysteriöse Klänge, bei denen man sich nie ganz sicher ist, ob man das soeben bespielte Instrument überhaupt kennt. Fast wie zufällig legen sich die Töne übereinander und kreieren eine harmonische Symmetrie. Dabei hilft natürlich auch, dass Linders Songtexte niemals versuchen, die Melodien zu übertrumpfen, sondern sich trotz ihrer lyrischen Schönheit zurücknehmen, in den Hintergrund treten und nur sichtbar werden, wenn man aktiv versucht, ihnen zu lauschen – ein Ton gewordenes Shangri-La.
Für verträumte, ruhige Stunden an Sonn- und Quarantäne-Tagen ist „I Need You To Pencil In The Rest“, dessen Titel mutmaßlich einer Textzeile aus dem Frightened Rabbit-Song „My Backwards Walk“ entnommen ist, mit all seiner berührenden Zartheit wohl der optimale Begleiter. Die elf Stücke behandeln introspektive Themen wie Identität, den Blick in Vergangenheit und in die Zukunft oder die Frage, was von einem selbst übrig bleibt, wenn man alles Äußere außen vor lässt. Und sobald wieder Veranstaltungen erlaubt sind, sollte man sich Baswods wunderbar tagträumerische Lieder wohl unbedingt live anhören…
Diese Supergroup aus Wien meint es vor allem mit einer Sache wirklich ernst: Spaß zu haben! My Ugly Clementine schaffen eine mehr als zeitgemäße Entstaubung der Gitarre mit vitaminreichen Anleihen der Neunziger-Jahre-Indie-/College-Rock-Ära. Ein Post-Punk-Ansatz hier, ein paar unwiderstehliche Pop-Hooks da, dazu starke, ernste Botschaften – und trotzdem einen Mitsing-Refrain on top und ein Lächeln auf den All-Female-Lippen.
Zur Indie-Legendenbildung trägt schon die Gründungsgeschichte des Quartetts bei: Am Valentinstag (sic!) 2019 reicht schon ein einziges Bild des neu zusammengestellten Vierers in den sozialen Medien, um eine erste kleine Welle der hibbeligen Aufregung zu erzeugen, denn das Personal ist – zumindest in Österreichs Indie-Kreisen – bestens bekannt: Sophie Lindinger (Leyya) als Mastermind hat sich den lang gehegten Wunsch erfüllt, mit von ihr hochgeschätzten Musiker*innen zusammen zu arbeiten – und so steht etwa Mira Lu Kovacs (5K HD, Schmieds Puls) an der Gitarre neben ihr. Dazu kommt an Schlagzeug und Stimme Kathrin Kolleritsch, die mit ihrem queer-feministischen Rap-Soloprojekt KEROSIN95 ebenfalls für die ein oder andere nationale Schlagzeilen sorgte. Fertig war die kleine „Supergroup“, welche mittlerweile ergänzt um Nastasja Ronck (Lucid Kid) die Bühnen weit über die Landesgrenzen hinaus bespielen konnte. Eine „Frontfrau“ gibt es dabei – und trotz der Tatsache, dass sich Lindinger für den Großteil der Musik und Texte verantwortlich zeichnet – bis heute nicht – die Gesangsstimmen werden dem All-Star-Prinzip folgend nach Lust und Laune gewechselt und verteilt.
So ist es auch kaum verwunderlich, dass das erste angesetzte Konzert in Wien binnen Stunden – und noch bevor die erste Single überhaupt zu hören war – ausverkauft war. Apropos „erste Single“: „Never Be Yours“ vermochte die Erwartungshaltung mehr als nur zu erfüllen: Nummer 1 in den FM4-Charts, virale Energie via reddit; Einladungen, in großen Open Air Locations für etablierte Acts zu eröffnen; das Abklappern der schönsten und begehrtesten Festivalbühnen des Landes gleich im ersten Sommer folgten. Mehr Mitsingparolen lieferten die weiteren Singles des vergangenen (Musik)Jahres, „The Good The Bad The Ugly“ und „Playground“. Nun kommt die Band dem Wunsch ihres Publikums nach einem kompletten Album nach.
Auf dem Titelbild der nun erschienenen Platte „Vitamin C“ wird dem Menschen – ganz Michelangelo-like– eine Clementine gereicht. Das kraftspendende Obst zieht sich dabei als symbolische Metapher durch das ganze Album – Stichwort „Empowerment“. Mit einer stets spielerischen Note wird der persönliche und der gesellschaftliche Status Quo der Gleichberechtigung in verschiedensten Konstellationen verhandelt („Playground“), werden komplizierte Beziehungen durchleuchtet oder wird mit offensivem Selbstbewusstsein Mut zugesprochen („Peptalk“). Den gleichzeitig ernsten wie humoristischen Unterton mag man Sophie Lindinger bei Themenkomplexen wie Gleichberechtigung, Selbstwahrnehmung und der Stärke des (weiblichen) Ichs nicht immer gleich ansehen, doch der Schalk sitzt ihr durchaus im Nacken: Schon für die Namensfindung der von ihr zusammen gestellten Band sind das Verbiegen popkultureller Referenzen nur schwer zu verleugnen.
Clementinen sind übrigens ein Hybrid aus süßen Mandarinen und Bitterorangen – und damit ein keineswegs unpassendes Symbol für die Mischung aus der musikalischen Leichtfüßigkeit und thematischen Ernsthaftigkeit von My Ugly Clementine. Sie sind aber wie die Musik des Vierers, welche nostalgisch gen Sixties gestimmten Indie- und College-Rock mit Post-Punk, nonchalantem Grunge und Popklängen der Gegenwart vermengt, vor allem eines: durchaus erfrischend.
Klar, wer von Tirol hört, der hat wohl zuallererst beeindruckende Bergpanoramen, unendliche Weiten und malerische Postkarten-Naturlandschaften vorm geistigen Auge. Und so mag es einem zugleich passend und widersprüchlich vorkommen, dass sich MOLLY mit den Songs ihres Debütalbums „All That Ever Could Have Been“ ebenda recht passabel einfügen…
Denn in der Tat könnte diese Melange aus Shoegaze (das Elegische), Dream-Pop (die verträumte Ziellosigkeit und der beinahe schon klischeehaft produzierte Klang) und Post-Rock (die kurzen Ausbrüche), die – wie es bereits auf den ersten EPs und Songs wie „Glimpse„, „As Years Go By“ oder „Sun Sun Sun“ der Fall war – einen gleich an eine ganze Heerschar artverwandter Bands wie Galaxie 500, Slowdive, Low, Beachwood Sparks, Dungen, The Besnard Lakes, M83 oder Sigur Rós (schon allein wegen der Falsettstimme des Sängers!) denken lässt, gut als musikalische Untermalung einer Wanderung durch oder eines Flugs über die Alpen dienen. Soundscapes par excellence. Damit wird das aus Innsbruck stammende Duo aus Lars Andersson (Gesang, Gitarre) und Phillip Dornauer (Schlagzeug, Bass, Synthesizer) logischerweise keine Welten bewegen, lädt allerdings mit seinen Songs, die irgendwo in der Ferne Themen wie die Krisen des Erwachsenwerdens, Vergänglichkeit und Zeit erahnen lassen, zur schönsten Tagträumerei ein…