Seitdem ist logischerweise so einiges passiert: In der Band-Heimat US of A war ein gewisser George W. Bush anno dazumal gerade einmal etwas länger als ein Jahr im Amt des US-Präsidenten, zudem war die Nation noch mitten dabei, die weltverändernden Ereignisse des 11. September 2001 zu verarbeiten (leider ohne dabei ihr eigenes Selbstverständnis als vermeintliches „home of the brave and land of the free“, geschweige denn die immanente Waffen- und Kriegsvernarrtheit angemessen zu hinterfragen). Zwei aus recht unterschiedlichen Gründen bemerkenswerte US-Staatsoberhäupter namens Barack Obama und Donald Trump später mögen sich in den US of A zwar so einige Dinge gewendet haben, jedoch keineswegs zum Besseren – ganz im Gegenteil: das Land mit seien 331 Millionen Einwohnern scheint in vielerlei Hinsicht tiefer gespalten denn je; ganz egal, ob man sich auf die Grenzen zwischen Arm und Reich, Bleichgesichtern, Migranten und People of Color, Demokraten- und Republikaner-Wählerschaft oder Abtreibungsgegner und -befürwortern bezieht. Ein Land, das nach eigenem Selbstverständnis das lebenswerteste, demokratischste und schlichtweg obertollbeste der Welt sein mag, hat sich ohne jeglichen Zweifel innerhalb eines Vierteljahrhunderts hinein in die steinzeitliche Geistesgegenwartsecke meilenweit entfernt vom einstigen „American Dream“ manövriert. Und hierzulande? Sieht es nach immerhin 16 Jahren Bundeskanzlerinnenschaft von Angela Merkel mitsamt rautenschem „Wir schaffen das!“-Allesaussitzen kaum besser aus – minus bescheuerter Waffengeilheit, logischerweise. Dutzende klimatische Brandherde, etliche Naturkatastrophen, eine weltweite Pandemie und immer mehr unzufriedenem Rumoren innerhalb nahezu aller Bevölkerungsschichten (das sich etwa in spinnertem Verschwörungsschwurbelertum Bahn bricht) später ist die Welt – gefühlt, gefühlt – dem Rand einer unsicheren Zukunft näher als dem friedefreudeeierkuchenen Happy-go-lucky. Und dass ausgerechnet Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder unbeirrt zu Intimkumpel und Russland-Präsident Wladimir Putin hält, der Anfang des Jahres einen Angriffskrieg vor der Haustür der EU und Nato vom Zarenzaun gebrochen hat, ist nur ein klitzekleines Beispiel von vielen, die aufzeigen, was hier in wemauchimmers Namen so verdammt falsch läuft…
Aber zurück zur Musik.
Seit „Lifted…“ haben Bright Eyes mittlerweile sechs weitere Alben veröffentlicht, zuletzt 2020 das tolle „Down in the Weeds, Where the World Once Was„. Conor Oberst, damals zarte 22 Lenze jung, hat, wie die Band auch, in der Zwischenzeit der von ihm mitbegründeten Labelheimat Saddle Creek den kreativen Rücken gekehrt, nebenbei eine durchaus beachtliche Solo-Karriere hingelegt und mit 42 Jahren den Titel des „spokesman for a generation“ ebenso final ad acta gelegt wie die optische Erscheinung des grüblerischen Holden-Caulfield-Lookalikes – Bürden, an denen er zwischenzeitlich ein ums andere Mal beinahe zu zerbrechen drohte, denen er jedoch andererseits auch so einige auch heute noch über nahezu jeden kritischen Zweifel erhabene Meisterwerke wie den 2005 zeitgleich veröffentlichten Album-Doppelschlag „I’m Wide Awake, It’s Morning“ und „Digital Ash in a Digital Urn“ abrang.
Eine Sache, auf die man sich bei neuen Releases aus dem Hause Bright Eyes, zu deren Kern neben Oberst noch immer Mike Mogis und Nate Walcott zählen, stets verlassen konnte, ist, dass man in die Werke Stück für Stück eintauchen konnte, Zug um Zug in aller Seelenruhe in deren Zentrum schwimmen konnte, darin versinken durfte – und bei jedem Durchgang noch stets Neues, Faszinierendes entdecken konnte – sowohl in der Musik als auch in den Texten. Hier die große, sinnstiftende Weltumarmung, da die nihilistische Abscheufratze der Einsiedelei – drunter ließen es Oberst, Mogis, Walcott und ihre vielen Mitmusiker selten geschehen. Das galt damals für die vielen tollen Stücke von „Lifted…“, für „Lover I Don’t Have to Love“, „Method Acting“, „Bowl of Oranges“, „Waste of Paint“ oder „Let’s Not Shit Ourselves (To Love and to Be Loved)“, die freilich nur als zu erlebendes Ganzes einen wirklichen Sinn ergaben, das gilt ebenso noch heute, zwanzig Jahre später.
Man selbst mag merklich älter geworden sein, sich Dutzende Male ver- und entliebt, graue Haare und mehr Lebensfalten bekommen, eventuell sogar eine Familie gegründet haben. Legt man jedoch ein Kleinod wie „Lifted…“ mit seinen zig alles andere als perfekten – und ebendarum so sympathischen – Ecken und Kanten ein (oder eben auf), so sind all die Erinnerungen, welche damals, 2002, vorm inneren Cinemascope-Auge an einem vorbei schwirrten, wieder da. Freilich mögen Conor Oberst und seine Musiker*innen-Gang noch ähnlich gelungene Werke im Oeuvre-Köcher haben, nur war eben dieses das, in welches sich nicht wenige (wie etwa ich) zuerst verlieben durften. Und an die erste Liebe erinnert man sich mit etwas Sentimentalität im Knopfloch auch in unbeständigen Zeiten wie diesen nur allzu gern.
Passend zum Zwei-Dekaden-Jubiläum hat das US-Indie-Label Take This To Heart Records einige durchaus namenhafte Künstler*innen und Bands wie Kali Masi, Sarah and the Safe Word, Snarls oder Future Teens versammelt, um „Lifted…“ in Gänze covern zu lassen. Noch lobenswerter ist, dass es das Ergebnis via Bandcamp als „Name your price“-Download gibt und alle Einnahmen karitativen Zwecken zugute kommen. Reinhören, Zugreifen und nach Möglichkeit einen kleinen Spenden-Betrag da lassen lohnt sich also in jedem Fall!
„Released twenty years ago this month, ‚Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground‘ suspends the Bright Eyes project at a fascinating pivot point. Midway between the lauded ‚Fevers and Mirrors‘ and the one-two punch of ‚I’m Wide Awake It’s Morning‘ and ‚Digital Ash in a Digital Urn‘ three years later, ‚Lifted‘ accentuates Conor Oberst’s fascination with expansive arrangements. Twinklings of chamber pop, dusted-up country, and the band’s propulsive and influential indie-folk roots abound. (Bright Eyes’ gaze upon mainstream popularity would begin its laser focus on this cycle, earning the group its first Billboard 200 placement and late-night TV cred.)
Take This to Heart Records presents ‚A Monument to Commemorate Our Time‘, a full-album toast to Bright Eyes’ breakthrough. Each featured artist offers their spin of each towering moment and simmering comedown that aligns with their main output and elevates the source material. Where else can you find glitterbomb electropop reworks side-by-side with tributes worthy of the original’s anguish and wanderlust? Fans of the 2002 LP, come for a celebration. Newcomers: here’s a reason to dive in.
‚A Monument to Commemorate Our Time‘ is benefitting the National Multiple Sclerosis Society, with all proceeds being donated in perpetuity.“
Ein schlaksiger Mann um die Zwanzig singt in den Sonnenuntergang hinein, und Zehntausende hängen an seinen Lippen. Begleitet nur von seiner Gitarre, das schwarze Haar im Gesicht, trägt er „Lua“ vor, einen Song voller Einsamkeit, dessen aufs Minimalste reduzierte Lebensbejahung seinen Zuhörern offensichtlich aus den leidwunden Herzen spricht: „It’s not something I would recommend / But it is one way to live…“ Das Video, aufgenommen auf dem Coachella Festival in Kalifornien, stammt aus dem Jahr 2005.
Fünfzehn Jahre später ist von der Schlaksigkeit des Sängers nichts mehr zu erahnen, auch das Altern ist kaum mehr zu leugnen. Conor Oberst, um die Jahrtausendwende Posterboy gewordene Galionsfigur der Emo-Kultur im Indie Rock, nun mittlerweile runde Vierzig und durch „A“ wie „Alkoholismus“ bis „S“ wie „Scheidung“ vom Leben abseits der Bühnen nicht eben mit Samthandschuhen behandelt, trat Mitte des Jahres erstmals seit langem wieder gemeinsam mit seiner Haupt- und Herzensband Bright Eyes auf. Auf dieses, auf solch ein Comeback hätte selbst jemand, der die nun schon mehr als zwanzigjährige Karriere der Band aus dem vergleichsweise verschlafenen Omaha, Nebraska begleitet, nicht wirklich sein sauer Erspartes verwettet. Dafür hatte sich vor allem Oberst zu gemütlich in seine Karrieren abseits der Bright Eyes eingerichtet, welche einige mal mehr, mal weniger gelungene Solo-Werke, 2015 ein „Payola“ betiteltes Comeback-Album mit den Krawallbrüdern der Desaparecidos sowie im vergangenen Jahr ein tolles gemeinsames Album mit seiner weiblichen Kreativ-Hälfte Phoebe Bridgers unter dem Moniker Better Oblivion Community Center abwarf. Und nun? Konnten sowohl der Ort als auch die Bedingungen des Auftritts der Bright Eyes zeichenhafter kaum sein: Um die Vorgabe des Social Distancing zu wahren, wurde die Band, zu deren festen Stamm neben Oberst auch die Multiinstrumentalisten Mike Mogis und Nate Walcott zählen, aus einem Studio ins derzeitige Leitmedium der außerparlamentarischen Opposition zugeschaltet. Der Song, den sie für Stephen Colberts „Late Show“ auswählten, markiert den Abgrund, der sich zwischen 2005 und 2020 auftut: Das kalifornische Abendrot ist verloschen, was nunmehr vorherrscht, ist die lichtlose Schwärze am tiefsten Punkt der Erde, dem „Mariana Trench“ (Marianengraben).
Der Song, unterlegt von marschierenden Beats, sich überlagernden Schlagzeugspuren sowie Gitarrenelementen und getragen von sphärischen Synthesizerklängen, trifft eine mehr als pessimistische Zeitdiagnose: Die Todesglocke erklingt, während die kränkelnden kapitalistischen Märkte zusammenbrechen. Der Cowboy, gerade erst aus der Reha entlassen, säuft sich zu Tode. Eine Riesenwelle verschlingt die legendäre Interstate 405, die Nord- und Südkalifornien miteinander verbindet. Und während man sich selbstgenügsam aufs Kleine und vermeintlich Heile zurückzieht („They’d better save some space for me / In that growing cottage industry“), bereitet man sich zugleich auf den bevorstehenden Krieg vor: „And now I’m ready for the war“. Hätte man „Mariana Trench“ im Jahr 2005 gehört, welches mit dem Hurrikan Katrina selbst ein katastrophisches war, hätte man den Song vermutlich als „dystopisch“ bezeichnet. Aber das? War einmal.
„I could have been a famous singer
If I had someone else’s voice
But failure’s always sounded better
Let’s fuck it up, boys – make some noise!“
(aus „Road to Joy“ von „I’m Wide Awake, It’s Morning“)
Unverändert, vielleicht nur etwas dunkler, ist allerdings Conor Obersts markant-spezielle Stimme, die gerade durch ihre unverhohlene Schwäche, durch das so sympathisch Unperfekte und Trauerkloßig-brüchige im einem Maße betört, dass man ihr am liebsten eine warme Decke und einen dampfenden Kakao anbieten würde. Sie hat als Trademark immer schon die wichtigste und zentralste Rolle bei Bright Eyes gespielt, allein der Kontext ist jetzt, neun Jahre nach dem bislang letzten Album „The People’s Key“ und satte 18 Lenze nach dem fulminanten Durchbruchswerk „Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground“ ein anderer: Während Oberst Gesangsorgan in „Lua“ und eigentlich auf dem gesamten dazugehörigen Album „I’m Wide Awake, It’s Morning“ die in Seventies-Folkrock getauchte Selbstreflexionen eines jungen Amerikaners zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum Ausdruck brachte (deren ausgestellte Melancholie irgendwann auch zu einem gewissen Überdruss führen konnte), dient sie nun als Reflektormedium für das Große und Ganze, für all die Schrullen und menschlichen Makel. Mit seiner bisweilen wegbrechenden, sich dann aber wieder aggressiv aufbäumenden Stimme artikuliert Oberst – als stellvertretend Leidender, wenn man so mag – die Unruhe und Zerrissenheit der amerikanischen Gegenwart. Ein bisschen hört sich das an mancher Stelle an, als würde er späteren Generationen vom Fall einer verantwortungslosen Zivilisation berichten, deren Hochmut er nie geteilt hat. Ganz im Gegenteil: Oberst beschäftigt sich gern und öffentlich mit Politik und Spiritualität (zu hören etwa im Bright Eyes-Werk „Cassadaga„), alternativen Energien und Gesellschaftsformen sowie dem Leben der amerikanischen Ureinwohner, um sich dort Hinweise für eine bessere, gerechtere Welt zu holen.
„Down in the Weeds, Where the World Once Was“ lautet der Titel des neuen, im August erschienenen Albums – ein konzeptuelles, opulentes und daher zuweilen nicht eben stolpersteinfrei zugängliches Werk, sowohl was das Textliche betrifft als auch, was das Musikalische angelangt. Es ist ein Musik gewordener dezent dystopischer Zeitroman, der jede Vorstellung von harmonischer Einheitlichkeit abgeworfen hat, ja sich vielmehr wie ein kopfüber zusammenzitiertes Gebilde ausnimmt: Es beginnt, direkt im Anschluss an eine (beinahe schon traditionelle) enigmatische Sound- und Wortcollage, mit einer Dixieland-Nummer („Pageturners Rag“). Im Folkrock von „Just Once in the World“ spielen im Hintergrund zitternde Mandolinen, die an den großen Ennio Morricone erinnern. Was läge da näher als die Vertonung der scheinbar letzten Tage einer Zivilisation, des raschen Zerfalls einer lange gehegten Weltanschauung und des Verblühens der Gefühle, welcher sich das wunderschön melancholische „One And Done“ mitsamt einem Streichorchester widmet? Das mit Beats aus dem stoisch dahinpluckernden Drumcomputer unterlegte „Pan And Broom“ derweil darf als Referenz an die LoFi-Ästhetik der Neunzigerjahre gehört werden (und damit auch auf die Anfänge der eigenen Bandgeschichte, die Oberst im zarten Alter von 14 Jahren legte). „Stairwell Song“ handelt vom „cinematic ending“ einer Liebe, das der Song mit einem beinahe schon zärtlichen Trompetensolo musikalisch gleich selbst in die Tat umsetzt, während das vorab veröffentlichte „Persona Non Grata“ mit einer Armada aus Dudelsäcken (!) ins Gefecht zieht und Oberst in „Tilt-A-Whirl“ gleichsam seinem 2016 verstorbenen Bruder ein bewegendes letztes Geleit bietet und das Älterwerden seiner Mutter beobachtet. Bemerkenswert auch, dass sich die Band im trotzig-erbaulichen „Forced Convalescence“ in die für sie völlig ungewohnten Gefilde des Funkpop begibt – passenderweise begleitet von Red Hot Chili Peppers-Bassist Flea, der nebst Schlagzeuger Jon Theodore (The Mars Volta, Queens Of The Stone Age) für die kraftvolle Rhythmusarbeit gewonnen werden konnte. Man könnte diese Liste wohl noch lang, länger und ewig weiterführen – und müsste dabei natürlich auch Obersts gewohnt scharfsinnige Texte miteinbeziehen: Das astwerkene Spektrum der Referenzen reicht von den Visionen des Propheten Ezechiel über den Anschlag auf das Pariser Bataclan bis hin zu Pink Floyds immergrüner Prog-Ballade „Wish You Were Here“.
Verbindet man den ausufernden Zitatcharakter des neuen Werks mit dem apokalyptischen Szenario, das im Kernsong „Mariana Trench“ entfaltet wird, so ergibt dies – ja, was eigentlich? Einmal eingetaucht, wird man nicht so schnell fertig mit diesem Album: Was ist mit dem pontifikalen „Benedicente, benedicente, benedicente“ in einem Song mit dem Titel „To Death’s Heart (In Three Parts)“ anzufangen? Und was bitte soll die Erwähnung des Tiananmen-Massakers in „Persona Non Grata“ bedeuten? Fragen wie diese werden während der knappen Stunde allerorten aufgeworfen, hier aber zumindest ein Deutungsansatz: Dem Selbstanspruch nach ist „Down in the Weeds, Where the World Once Was“ eine popmusikalische Summe der modernen Zivilisation in ihrer ganzen faszinierenden Vielfalt und verletzlichen Heterogenität – ein Ansatz übrigens, dem auch der große David Bowie zeitlebens nachspürte und den Bob Dylan (noch so ein Säulenheiliger der Musikhistorie) seit einigen Jahren ebenfalls und auf seine höchst eigene Weise verfolgt. Wie eine Arche will es sie in sich aufnehmen, bevor die große Flut – „that big wave“ – sie unweigerlich erfassen wird. Und zugleich liefert das Album, das programmatischerweise an so einigen Stellen herrlich überfrachtet daher tönt, den Soundtrack zu diesem Untergang: „Now all I can do / Is just dance on through“. Es scheint, als seien Conor Oberst und seine Bright Eyes nunmehr unter die Tanzmusiker gegangen, aber es ist eine Tanzmusik im Zeichen des Fatalismus, der Werke wie Arcade Fires „Funeral“ oder Father John Mistys „Pure Comedy“ recht nahe stehen. Oder unter die Maler, denn schöner und umfassender hat schon lange niemand die Liebe und das Leben in immer neuen katastrophischen, apokalyptischen Farben abgebildet, voller Flammen, Kometen, Unglücke, Vergnüglichkeiten, Geburten und Tode. „To love and to be loved, let’s just hope it is enough…“
Überraschungen ohne größere Ankündigung (*andenkopfklatsch* Sonst wären’s ja keine!) sind meist die besten, oder? Etwa im Falle von Conor Oberst: Nach „LAX„, einem Soundtrackbeitrag zur neusten Nick-Honby-Romanverfilmung „Juliet, Naked“ (mit Ethan Hawke und Rose Byrne in den Hauptrollen), entlässt der in den letzten Jahren zumeist solo agierende Bright-Eyes- und Desaparecidos-Frontmann die neue Doppel-A-Seiten-Single aus den Stücken „No One Changes“ und „The Rockaways“ in die Musikwelt (zunächst digital via Bandcamp und Co., im Februar 2019 sollen beide auf Vinyl erscheinen)…
Natürlich dürften beide Songs geübten Oberstinatos, die in den letzten Jahren das ein oder andere Konzert des 38-jährigen US-Musikers besucht haben, durchaus bekannt vorkommen. Und auch dem Rest sollte das grundlegend singer/songwriterische Soundgerüst nicht ganz fremd sein, lehnen sich doch beide Stücke sowohl stimmungsmäßig als auch klanglich an das ruhige, nicht selten bewegende 2016er Solo-Album „Ruminations“ (seinerzeit – und auch heute noch völlig zurecht – „Album des Jahres“ von ANEWFRIEND) an: zu „No One Changes“ begleitet sich Conor Oberst lediglich solo am Piano, bei „The Rockaways“ bekommt er – am Keyboard – Unterstützung von Bright-Eyes-Bandmate Nathaniel Walcott. Wenn es nach mir ginge, dürften baldestmöglich gern noch so einiger mehr Songs dieser Größenordnung folgen…
Tim Kasher? Guter Mann, klar. Und obwohl ich’s wahrscheinlich nicht zum ersten (und garantiert nicht zu letzten) Mal erwähne: irgendwie ist der 42-jährige Hansdampf in allen Indierock- und Singer/Songwriter-Gassen – gerade was das „Saddle Creek“-Umfeld betrifft – ja auch für den Namen dieses bescheidenen Blogs verantwortlich, während ich „Album Of The Year„, das 2004 erschienene dritte Album seiner Band The Good Life, seit Jahr und Tag zu meinem wohl liebsten Album aller Zeiten zähle (insofern sich das denn abschätzen lässt).
Dabei bin ich jedoch weit davon entfernt, zum blauäugigen Fanboy zu mutieren, denn dem regelmäßigen Besucher dieses digitalen Buchstabensalats dürfte wohl kaum entgangen sein, dass ich, wenn’s denn angebracht sein sollte (und das war es beim bisher letzten The-Good-Life-Werk „Everybody’s Coming Down“ – leider), auch nicht mit Kritik am Werk vom Kasher-Tim spare. Denn in den letzten Jahren konnte man in der Tat nicht immer zufrieden mit dem musikalischen Output des indierockenden Zweiflers sein, der zwar beständig neue Album in die Regale stellte, die Schnittmengen seiner Bands – The Good Life, welche 2000 als stilles Singer/Songwriter-Projekt startete, auf der einen Seite, Cursive, die seit 1995 im beständigen On/Off-Modus existieren und seitdem Neunziger-Emo mit Indierock und Post-Hardcore vermengen, auf der anderen – jedoch mehr und mehr verschwimmen ließ. Obendrein klangen dann die zuletzt solo veröffentlichten Alben „The Game of Monogamy“ (2010) und „Adult Film“ (2013) irgendwie nach den Schnittmengen aus allem, und gerade deshalb vor allem nach einem: Tim Kasher. Was wiederum nur eines beweist, nämlich dass der Musiker, den es vor einigen Jahren vom heimatlichen Omaha, Nebraska ins sonnige Kalifornien zog, damit alles, was wohl zukünftig unter den Bannern von The Good Life oder Cursive erscheinen würde, obsolet macht. Denn ganz egal, welche Mitmusiker ihre Noten betragen, am Ende tragen alle Songs – von Cursive über The Good Life oder die Solo-Sachen – vor allem Kashers Stempel und Handschrift.
Das ist auch beim neusten, im März erschienenen Solo-Werk „No Resolution“ kaum anders. Obwohl: etwas Neues gibt’s da schon, denn „No Resolution“ ist quasi der Soundtrack zu Tim Kashers erstem eigenen Film (Drehbuch, Regie – alles er, der Hansdampf). Doch obwohl man das szenische Äquivalent zur Geschichte über ein junges verlobtes Paar, das auf dem Weg zur Hochzeit alles richtig machen will und doch grandios scheitert, noch nicht gesehen hat (und sich der Charakter eines Soundtracks mit immer wieder eingestreuten Instrumentals klar herausstellt), lassen sich die neusten Songs aus dem Hause Kasher gut hören. Besser noch: mit typischen Kasher-Topoi von Herzschmerz und dem Scheitern der Liebe an der ollen Realität sind es seine wohl besten seit Jahren, vielleicht sogar seit „Album Of The Year“, mindestens seit „The Game Of Monogamy“. Dabei hat sich der Mann durchaus Gedanken über eine musikalische Neuausrichtung gemacht, denn auf „No Resolution“ stellt er seinem auf Folk getrimmten grüblerischen Indierock öfter denn je ein kammermusikalisches Streicherquartett zur Seite, während das Schlagzeug meist subtil bleibt.
Dass Tim Kasher im ein oder anderen Moment erneut Bezug auf die Soundgefilde seiner Bands nimmt, beweist etwa „No Secret“, das den Furor von Cursive besitzt, ohne jedoch in deren oftmaliges hektisches Zucken zu verfallen.
Auch 2017 gilt: Wo Tim Kasher draufsteht, ist auch Tim Kasher drin. Zu einhundert Prozent. In Bestform. Wer braucht da noch wirklich Cursive oder The Good Life?
„The song is essentially two characters: one that is restless in his day to day existence and wants to break out of it and a second character that keeps chiming to explain that – for some – life is only as difficult as we choose to make it.
The ’secret‘ the character keeps offering, isn’t really much of a secret at all, haha, thus, it’s NO Secret. The song follows a quiet LOUD quiet pattern so I complimented that with constant edits of a backing band appearing and disappearing throughout the video.“
„I got a fever I can’t shake I got a sickness I ain’t gonna quit I’m on a streak that I can’t break Lighting the wick of each relationship
I got a secret to tell you It’s never as hard as you’re making it seem I got a secret to tell you You are the doomed ‚cause you want to be
I’m as ticked off as a time bomb All I can seem to blow out is my knee Half a man does a half ass job I’d blow my top for some disability
I got a secret to tell you You won’t be content ‚til you’re six feet under I got a secret to tell you This life is yours to plunder
Oh, yeah! It’s simple enough to be happy But who’s gonna choose to ignore Such basic truths – not you
I can’t remember my childhood All I recall is a flickering screen My life is likely a forgery Cobbled together by books and TV
I got a secret to tell you You’re not the proxy you pretend to be Yeah, I got a secret to tell you You can play dumb if it suits your needs
I’m bustin‘ out of this coffin I’m gonna roll my old bones in the dirt Cuttin‘ a rug with my skeletons
Hastily hidden, they never stay put Boy, I got a secret to tell you Nobody’s ransacking your dresser drawers I got a secret to tell you You’re not even sure what they’re hiding for
Oh, yeah! Nobody wants to be lonely But you’re willing to make an exception Just for you – lonely you“
Via Bandcamp gibt’s „No Resolution“ – nebst den anderen Alben – in Gänze im Stream:
Ein kleiner privater Vorgriff: Am letzten Septembertag diesen Jahres, solange ich denken kann auch gleichzeitig mein Geburtstag, fahre ich im Herbstsonnenschein zu einem Freund, um ein Paket aus der alten Heimat abzuholen. Aus den Lautsprecherboxen meines mittlerweile leicht in die Jahre gekommenen Opel Corsa tönen zum ersten, jedoch längst nicht letzten Mal die zehn neuen Stücke von „Ruminations“. Ich fühle mich so gut wie lange nicht, was nicht im Besonderen am Wetter (Sonne kommt, Regen geht) oder an meinem Geburtstag (schließlich ist das Älterwerden nur eine kleine Leistung) liegt, sondern vielmehr am Moment als solchen. Und: an diesem Album. Natürlich hat man – im Speziellen ich, der sein ganzes Leben bereits Musik so intensiv in sich aufsaugt wie nur ein Bruchteil aller Menschen (das mag ich einfach einmal in Bescheidenheit behaupten) – mit den Jahren das Meiste bereits in irgendeiner Form, Note oder Variation gehört, ist nur noch Weniges wirklich besonders. Trotz alledem gibt es sie noch, diese Momente, in die sich ein Album perfekt einfügt – und sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde. An diesem einen Tag zum Ende des Septembers – an meinem Geburtstag, im Auto gen Sonnenschein fahrend und mit „Ruminations“ zum ersten Mal im Ohr, durfte ich einen dieser Momente erleben. Mehr kann Musik einem nicht schenken. Und dafür darf, sollte, muss man dankbar sein. Und das bin ich.
„Laryngitis, Angst und Erschöpfung“ – Was sich als Begründung zunächst höchst beliebig und nach einer Ausrede für das von tausendundein Klischees besudelte Drogenproblem eines Berufsmusikers anhört, war bei Conor Oberst tatsächlich eine ernsthafte Sache.
Immerhin hat der heute 36-Jährige fast sein ganzes Leben im Musikergeschäft verbracht, ist seit dem zarten Teenageralter aus freien Stücken im nicht immer rosaroten Hamsterrad aus Plattenaufnahmen, Promoterminen und Tourneen rund um den Erdball mitgelaufen. Der Erfolg mit Bright Eyes, seit 1995 seine auch vom beflissenen Feuilleton beachtete On/Off-Hauptband, seinem 2001 ins Leben gerufenen und 2012 wiedervereinigten rüde-lauten Nebenprojekt Desaparecidos, der (un)geplant kurzlebigen All-Star-Truppe Monsters Of Folk (zu der, neben Oberst, auch My-Morning-Jacket-Vorsteher Jim James, Folker M. Ward und Intimus Mike Mogis gehörten) und zuletzt immer öfter solo (beziehungsweise mit seiner Mystik Valley Band) gaben ihm freilich recht. Schon 2002, als das vierte Bright-Eyes-Werk „LIFTED or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground„, das Oberst auch international bekannt machte, erschien, verlieh man dem damals gerade zarte 22 Jahre alten US-Musiker mancherorts das freilich unfreiwillige Label des „neuen Kurt Cobain“. Eine zweifelhafte Ehre, klar. Außerdem traf diese Umschreibung weder das Musikalische noch Oberst Intentionen im Geringsten. Natürlich war vor allem auf seinen Frühwerken immer eine ordentliche Portion Teenage Angst mit an Bord, natürlich trug der Herr schon immer sein Herz auf der Zunge und sparte in seinen Texten nie mit schonungslosen Beschreibungen seines zerrütteten Inneren. Eventuell war Conor Oberst sogar zu offen, denn 2013 warf ihm eine junge Frau vor, sie zehn Jahre zuvor im Backstage-Bereich nach einem Konzert vergewaltigt zu haben – ein heftiger Nackenschlag ausgerechnet für ihn, der sich stets für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte stark gemacht hatte. Dass das angebliche Vergewaltigungsopfer die Vorwürfe ein Jahr darauf zurückzog und das Ganze damit als dreiste Lüge entlarvte, spielte für den Menschen hinter der Fassade des bejubelten Indie-Musikers wohl nur eine kleinere Rolle (auch wenn die nachhingehende Rehabilitation freilich gut getan haben mag). Solch ein Vorwurf prallt vor allem an einem Sensibelchen wie Oberst nicht ab. Als er wenig später, im Jahr 2015, auf Tournee mit den wiedervereinigten Desaparecidos ging, um das zweite gemeinsame Album „Payola“ auf Clubbühnen vorzustellen, traf Conor Oberst schließlich der sprichwörtliche Hammer – Schluss, aus, rien ne va plus. Mental wie körperlich ließ sich der (einstige) Indie-Darling der Millennials im Oktober 2015 erst ins Krankenhaus einweisen, sagte alle weiteren Tourtermine ab, zog am Ende gar von seiner Wahlheimat, dem nie stillstehenden Big Apple New York City, zurück ins beschauliche Omaha. Dort hatte einst, Oberst war wohl erst um die zwölf Jahre alt, alles angefangen. Dort hatte er erste Bands gegründet (die sich dann etwa Commander Venus oder Norman Bailer, aus denen sich später die noch heute – allerdings ohne Oberst – existierenden The Faint entwickelten, nannten), dort hatte er in den Neunzigern gemeinsam mit Freunden erste Konzerte inmitten einer damals nicht existenten Konzert- und Clubszene organisiert, dort rief er als einer der Hauptinitiatoren gemeinsam mit seinem Bruder Justin und Produzent/Musiker Mike Mogis das noch heute mit viel Szene-Kred umwehte Indie-Label „Saddle Creek“ ins Leben.
Nun also zurück zu den Wurzeln, zurück nach Omaha. Und obwohl sich in der größten Stadt des beschaulichen Bundesstaates Nebraska so Einiges getan hat seit Obersts Jugendzeit, obwohl viele der einstigen Freunde und Weggefährten Familien gegründet, die Musik zum Hobby erklärt, in andere Richtungen weiter entwickelt, vielleicht weg gezogen sind oder das Label gewechselt haben, muss es sich für den Musiker selbst, der in New York City vor lauter Möglichkeiten, Managerterminen, Ablenkungen und Zerstreuungen nie so ganz zur Ruhe kommen konnte (wenn er denn mal da war), wie ein schockbefreites Nachhausekommen angefühlt haben. Oberst packte sich den heimischen Garten voller Feuerholz, um für einen langen, harten Winter im mittleren Westen der USA gerüstet zu sein (man weiß ja nie) und igelte sich ein, um nach Jahren voller Vom-Aufnahmestudio-rauf-auf-die-Bühne-Schleifen endlich runter und wieder bei sich selbst anzukommen. Seine einzige Vorgabe: keine Musik. Doch wer den Werdegang von Conor Oberst in den letzten 15 Jahren verfolgt hat, der wird wissen, dass das nicht gut gehen konnte… Zum Glück.
Denn neben dem Feuerholz sorgte er dafür, dass in der heimischen Garage auch ein zwar spartanisch, jedoch voll funktionstüchtiges Probe- und Aufnahmestudio bereit stand. Dort schrieb sich Oberst dann in den kalten Tagen, die er im heimischen 400.000-Einwohner-Städtchen Omaha verbrachte (wo es – wohl auch durch sein Zutun – mittlerweile tatsächlich eine veritable, florierende Künstler-, Musik- und Club-Szene gibt), all seine schwer wiegenden Gedanken von der Seele, und begab sich im Februar diesen Jahres dann für lediglich 48 Stunden in die „ARC Studios“ seines Langzeit-Kumpels Mike Mogis, um kurz darauf zu verkünden: „Ich habe tatsächlich gegen meinen Plan ein Album geschrieben.“
„Ich wollte eigentlich gar kein Album schreiben. Ehrlich gesagt, wollte ich gar nichts tun. Die Winter in Omaha haben einen lähmenden Einfluss auf Menschen, aber das war jetzt mein Glück. Ich blieb jede Nacht lange auf, spielte am Piano und schaute durch das Fenster dem Schnee beim Stapeln zu. Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich das ganze Feuerholz verheizt hatte und mehr als genug Songs für ein Album hatte.“ (Conor Oberst)
Nun mag die Tatsache, dass einer wie Oberst, der in den vergangenen drei Jahrzehnten gefühlten 50 Platten in den verschiedensten musikalischen Konstellationen in die Regale gestellt hat, ein neues Album veröffentlicht, in Rom freilich keinen weißen Rauch aus den Schornsteinen blasen. Und dass es sich bei „Ruminations“ um knapp 40 Minuten Musik in ihrer pursten Form handelt – denn Mr. Bright Eyes spielte jede einzige Note selbst ein und begleitet sich lediglich spartanisch an Piano, Akustischer und Mundharmonika -, dürfte sich, so gelesen, weitaus unspektakulärer anhören als das eigentliche Ergebnis.
Überhaupt: „Ruminations“ – zu Deutsch so viel wie „Nachsinnen“ oder „Grübeln“ -, davon haben Conor Obersts Songs Einiges intus. Wie dramatisch die Lage gewesen sein muss, schreibt Musiker-Kumpel Simone Felice in seinen Liner Notes: „Er befand sich an einem Ort, an dem er nicht mehr wusste, ob er jemals wieder einen Song schreiben kann. Vielleicht war der Brunnen vergiftet. Oder die Muse hatte sich in Asche aufgelöst“, erinnert sich der Singer/Songwriter an ein gemeinsames Telefonat. Dementsprechend dramatisch beginnt bereits der von Oberst zu Piano und Mundharmonika vorgetragene Albumopener „Tachycardia“ (zu deutsch „Herzrasen“): „I’m a stone’s throw from everyone I love and know / But I can’t show up looking like I do / In an old suit my hair is slicked back nice and smooth / In a court room, sweat rolling down my back / It’s a bad dream / I have it seven times a week / No it’s not me / But I’m the one who has to die“ – ähnlich bedrückende Zeilen hatte man man vom ewigen Indie-Boy mit dem traurigen Hundeblick zuletzt auf „Digital Ash In A Digital Urn„, 2005 quasi als „bösen Zwilling“ im Doppel mit dem anderen Bright-Eyes-Meisterwerk „I’m Wide Awake It’s Morning“ veröffentlicht, von ihm gehört. Und: so in etwa geht es weiter. Natürlich kommt bereits das nächste Stück, „Barbary Coast (Later)“, zur Akustischen weitaus versöhnlicher daher, wenn Oberst in ebenso einfachen wie gewohnt tollen sprachlichen Bildern seine Flucht vor all dem großstädtischen Trubel beschreibt („I don’t mind my head / When there’s room to dream / Feel like Paul Gauguin / Painting breadfruit trees / In some far off place / Where I don’t belong / Tried to lose myself / In the primitive / In Yosemite / Like John Muir did / But his eyes were blue / And mine are red and raw / ‚Cause the modern world / Is a sight to see / It’s a stimulant / It’s pornography / It takes all my will / Not to turn it off“). Aber Oberst wäre nicht er selbst, wenn er dem Süßen nicht das Saure gegenüber stellen würde: „I don’t wanna feel stuck, baby / I just wanna get drunk before noon“. Im Grunde ließe sich hier jeder Song zitieren und bis ins Innerste zerlegen: den betrunken Walzer, den Conor Oberst in „Gossamer Thin“ (zu Deutsch „hauchdünn“) aus den schwarzen und weißen Tasten schält, als er (unter anderem) die zärtlichen Minuten einer im Verborgenen keimenden Liebe singt („She likes the new pope / She’s not scared of hell / They meet once a week at a secret motel / She kisses his neck, she plays with his hair / Her screams sound like pleasure, her moans like despair“), die kalte Panik, welche ihn wohl manche Nacht schlaflos verbringen ließ („Early to bed, early to rise / Acting my age, waiting to die / Insulin shots, alkaline produce / Temperature’s cool, blood pressure’s fine / One twenty-one over seventy-five / Scream if you want, no one can hear you“ – „Counting Sheep“), den vertonten Verlust der Unschuld in „Next Of Kin“ („Get too drunk and you can’t perform / Something dies when a star is born / I spread my anger like Agent Orange / I was indiscriminate / Yeah, I met Lou Reed and Patti Smith / It didn’t make me feel different / I guess I lost all my innocence / Way too long ago“), die Verknüpfungen von Gott, gestohlenen Motorrädern und Gelegenheitssex in „The Rain Follows The Plow“, die Beschreibung von trügerischen Anhimmlungsgesten in „You All Loved Him Once“, welche man mit etwas Fantasie auch als politisches Statement zur diesjährigen US-Wahl verstehen könnte („You all loved him once / Yes, you ate out of his hand / He mirrored your confusion / So that you might understand / Then your soul was an experiment / So he drew a diagram / You all loved him once / It ended bad“). All das mündet – und das ist auch gut so – in die wohl positivsten Zeilen des Albums: „Rise and shine, get out of bed / Get ready for the day / Get a coffee from the deli / And walk the riverbank / Be careful with your headphones on / When you cross the FDR / Don’t want to be a casualty / Before you make it to the bar / And hide your shakes, and worried face / Just sit down in the back / Your friends got there ahead of you / And night is falling fast“ singt Oberst nicht ohne windschiefen Hymnus im abschließenden „Till St. Dymphna Kicks Us Out“ – die Heilige Dymphna, die Patronin der psychisch Kranken, wacht in jenen Stunden über ihn und all jene, die ihren Verstand verloren haben. „Let’s get enabled / Great minds, they think alike / I never was a good judge of when to call it a night / And we can keep drinking till St. Dymphna kicks us out“ – ein Hoch aufs pure Leben.
Natürlich mag „Ruminations“ der Irrsinn, der nicht wenige Platten der Bright Eyes und Desaparecidos ausmachte, abgehen, die Pathetik auf den Spuren von Wagner, die Suche nach Geräuschen und Experimenten, diese Verspieltheit und Reduktion in wilder Allianz. Auf der Habenseite schlägt sich Conor Oberst auf seinem bereits zehnten unter eigenem Namen veröffentlichten Werk (zählt man denn die Frühwerke aus Teenagertagen mit) von jener behäbigen Alt.Country-Behäbigkeit frei, die noch vielen Stücken der letzten Platten „Outer South“ (2009), „One Of My Kind“ (2012) oder „Upside Down Mountain“ (2014) anhing, und welche wohl selbst einem Großteil des US-amerikanischen Indie-Publikums mit „Rolling Stone“- und Wilco-Prägung zu träge erschienen sein dürfte. Stattdessen bekommt man von Oberst Songs serviert, welche selbst für ihn in dieser schonungslosen Nacktheit, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit überraschend erscheinen – dieser musikalische Dreizack aus Piano, Akustischer und Mundharmonika verdeckt eben nichts. Wenn man soll will, ist „Ruminations“ Conor Oberst persönliches „Blood On The Tracks“ oder „Nebraska“ (sic!) – und mit etwas Glück, Weitsicht und Geschmack (über alle drei Dinge ließe sich freilich vortrefflich streiten) wird sich dieses Werk auch selbst eines Tages in dieser Reihe wiederfinden. Und: Nein, der weltgrößte Mundharmonika-Man wird aus Conor Oberst wohl nie. In jedem Fall ist „Ruminations“ das Album eines zutiefst verunsicherten Mannes, der hier sprichwörtlich um sein Leben singt. Die Panik und das Leben, die Liebe und den Tod, den verlorenen Glauben und die Verlustängste, den kalten Schweiß und die warme Herzlichkeit, den Sex und die Einsamkeit – man hört sie in jeder Zeile, die Conor Oberst mit nicht selten bebender ins Mikrofon singt. „Ruminations“ ist ein großes, ernsthaftes Werk, an dem man sich kaum satt hören möchte, und Conor Oberst weder „der neue Kurt Cobain“ noch „der neue Bob Dylan“. Conor Oberst ist Conor Oberst, zum Glück. Und so gut, so nah, so ergreifend war er schon lange, lange Zeit nicht. Vielleicht sogar: noch nie.
Für „NPR Music Front Row“ spielte Conor Oberst kürzlich alle zehn Stücke von „Ruminations“ bei einer Show im Housing Works Bookstore Café in New York City, bei welcher er sich lediglich von seinem Musiker-Kumpel MiWi La Lupa (welcher wohl nicht ganz zufällig sein zweites Album „Ended Up Making Love“ im März diesen Jahres bei Obersts eigenem Label „Team Love Records“ veröffentlicht hat) unterstützen ließ…
…während er bei einer Session bei „The Current“ drei Stücke des Albums solo zum Besten gab (nämlich „Next Of Kin“ , „Tachycardia“ und „Till St. Dymphna Kicks Us Out“):
Schon beschissen, wenn eine der Herzensbands endlich, nach acht langen Jahren, wieder ein Album rausbringt und sich dieses dann als regelrechter Rohrkrepierer, bei dem gerade einmal zwei (!) gute Songs ab- beziehungsweise auffallen, herausstellt. So geschehen im vergangenen Jahr bei „Everybody’s Coming Down„, dem fünften Werk von The Good Life.
Dass durchaus mehr drin gewesen wäre, beweisen Tim Kasher und Co. nun mit „Are You Afraid Of Dying?“, einem Outtake aus den „Everybody’s Coming Down“-Sessions, welches die Band nun als ein Jahr später hinterher geschobene Single veröffentlicht. Der Song selbst besitzt dabei alle für The Good Life (allerdings mittlerweile auch für Kashers andere Hauptband, Cursive, sowie Tim Kasher solo) gültigen Trademarks, inklusive verschrobener Melodieseligkeit und einer kleinen Gitarrenorgie ab der Zwei-Minuten-Marke. Good job!