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Das Album der Woche


The Building – PETRA (2019)

-erschienen bei Concord Records-

The Building – kaum ein Bandname könnte wohl anonymer, nach Backstein, hohen Mauern und mausgrauer Fassade klingen. Dahinter versteckt sich jedoch Anthony LaMarca, der einem in der Vergangenheit eventuell bereits als trommelndes Mitglied von The War On Drugs oder als Teil von St. Vincents Backing-Band zu Ohren gekommen sein könnte. Oder eben als The Building. Unter ebenjenem Namen veröffentlichte der Indie-Musiker aus Youngstown, Ohio bereits 2017 mit „Reconciliation“ ein wunderbar unaufdringliches, gleichsam unerwartet bewegendes wie – ja, doch – schönes Album, dessen Aufnahmeprozess wohl kein leichter war, immerhin entstand es zu gleichen Teilen vor und nach LaMarcas erster Krebsdiagnose. Uff? Uff. Kaum vorstellbar also, dass der im Oktober 2019 erschiene Nachfolger „PETRA„, benannt nach seinem deutschen Schäferhund (der einem sowohl vom Albumcover als auch im Musikvideo zu „All Things New“ entgegen hechelt) und einem nützlichen, selbst erfundenen Akronym titels „Peace’s Eternal Truth Renews All“, nicht nur eine noch bessere Platte ist als die erste, sondern auch prall(er) gefüllt mit weitaus härterem Tobak… Ist sie jedoch, allein schon, da sie – leider – im Schatten einer weiteren Krebsdiagnose entstand. Umso bemerkenswerter, dass die neun Stücke gleichzeitig hoffnungsvoller, zielstrebiger, tränenreicher und selbstverwirklichter als alles tönen, dem LaMarca bisher sein bemerkenswertes Talent zugewandt hat.

Es ist eine Platte, die so einige emotionale Mauern durchbricht und in jedem Moment in der Lage ist, persönlichen Niederschlägen mit Eloquenz und Ehrlichkeit zu begegnen. „My body transformed / From grace to a stone“, beginnt LaMarca den atmosphärischen Opener „Transformer“ – zart, fast zögerlich, jedoch offen und ehrlich. Diese Art der schonungslosen, erzählenden Konfrontation mit der nackten Wahrheit mag in manchem Moment bereits beim Hören weh tun (und daher nicht jedermanns Tasse Tee sein), dem Indie-Singer/Songwriter hat genau dieser Weg wohl Halt gegeben, und genau deshalb wiederholt sich dieser hier durchgehend. So lassen sich im recht niederschmetternden „Life Half Lived“, in welchem LaMarca eine langjährige Beziehung für tot erklärt („There’s no time left in my life / I can’t love you anymore“), auch Zeichen der Erkenntnis und des persönlichen, gar spirituellen Wandels finden: „It takes a lot to know you’re weak / I can relive every failure and not be ashamed / You won’t make me feel ashamed“, singt LaMarca trotzig, während seine hohe Tenorstimme die zarte, backsteinschwere Botschaft untermauert.

Unterstützt von seinem Bruder Angelo und seiner Frau Megan, ist „PETRA“ ein Album, das sehr wohl weiß, wann es klein, subtil und zurückhaltend zu tönen hat und wann es einen überwältigen soll. Der Kontrast zwischen „Purifier“, einem einsamen, akustischen Solo-Stück voller geflüsterter Intimität, das die Isolation der Krankheit klar und deutlich zum Ausdruck bringt, und „When I Think Of You“ ist genauso beeindruckend wie treffend. LaMarcas Stimme wird durch Produktion und Musik hervorgehoben, während er sich in transzendente Höhe aufschwingt und wahrhaft einfache, trotz all dem immanenten Schmerz dennoch romantischen Zeilen wie „When I think of you / I’m gone“ ein „I want to be boring again / I want to be comfortable in my skin“ und, zu einem Schwall von Snare, Cello und Violine, einen echten Killer entgegen stellt: „I hate that this is hurting you / But this is happening to me“. Uff. Again. Damn.

Trotzdem ist „PETRA“ viel mehr als eine Platte, die sich „lediglich“ mit Krankheit und Miseren beschäftigt, denn sie setzt anderswo Vorstellungen von Männlichkeit auf „Never Understand“ in Beziehung zu persönlichen Erfahrungen – und resultiert mit Confessional-Zeilen wie „Now I finally see what it is to be man / It’s okay to be wrong“ in einem der vielleicht wirklich berührendsten Texte des Jahres 2019. Wenn der vom Schicksal über alle Maßen gebeutelte Musiker im Abschluss- und Quasi-Titelstück (s)eine Quelle der Positivität anzapft, dann kann wohl selbst der größte Nihilist und Schwarzmaler kaum widerstehen, so zart und verletzlich tönt all das, so langsam schwillt all das bis zum Crescendo an, während LaMarca seine Hoffnungen, sein Versagen und seinen Wunsch, es besser zu machen und besser zu sein, offen und nackt über die in Vinyl gepressten Rillen legt, so dass alle es hören mögen. Wenn die Kick-Drum einsetzt, sollte sich selbst der erbärmlichste Zyniker von der Mitsing-Coda des Albums gefangen nehmen lassen, bei der LaMarca nun von mehr Stimmen, einer vollen Band, unterstützt wird und Beschwörungen von Liebe und Verständnis in die oft genug kalte, irre Welt da draußen hinaus singt. Und eine zwar so einige Welten entfernt von Easy Listening platzierte Platte mit Noten voller Freude abschließt, die einem durch Mark und Bein fließen.

Die Welt, sie braucht mehr Platten wie diese, mehr Künstler wie Anthony „The Building“ LaMarca – mutig, intuitiv und bereit, sich für ihre Kunst aufzureiben, nackt zu machen, um auf dem Weg dorthin allen, die zuhören, einige hart erarbeitete Weisheiten zu vermitteln. Und obwohl „PETRA“ seit ihrem Erscheinen vor etwa eineinhalb Jahren keineswegs die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die es verdient hätte, kann LaMarca stolz auf sich sein. Denn: er lebt. Und hat mit diesem Album ein wirklich außergewöhnliches Werk geschaffen, welches nun gut und gern weitere Leben retten kann.

Rock and Roll.

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Song des Tages: The National – „Never Tear Us Apart“


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The National haben ihre Interpretation des INXS-Klassikers „Never Tear Us Apart“ veröffentlicht, welche als Teil von „Songs For Australia“ entstand, einer Zusammenstellung von Coverversionen australischer Künstler (zumindest die Originale), deren Erlöse den Rehabilitationsbemühungen des jüngst übel von Feuer heimgesuchten Landes down under zugute kommen werden. Die von der australischen Folk-Pop-Sängerin Julia Stone (deren Variante des Midnight Oil-Songs “Beds Are Burning” bereits online zu finden ist) kuratierte, 13 Songs starke Charity-Zusammenstellung erscheint am 12. März sowohl in digitaler als auch physischer Form.

Die „Never Team Us Apart“-Version der fünfköpfigen Indie-Band aus Cincinnati, Ohi ersetzt das für INXS typische Stakkato-Spiel der Streicher-Synthies durch ein digital programmiertes Schlagzeug, wobei die Band um Frontmann Matt Berninger durchaus versucht, dem Originalsong treu zu bleiben. Die Gitarrenparts der Desssner-Twins setzen gleich nach dem ersten Refrain ein, und während die Band – wie so oft in ihren Songs – Bläser in das bittersüße Liebeslied mit einbringt, nehmen die Gitarren schnell prominentere Frontpositionen ein, um einen adäquaten Ersatz zum ursprünglichen Saxophon-Solo von Kirk Pengilly zu bilden.

Die Klavieranteile klingen zarter, was der Coverversion einen durchaus passend melancholischen Grundton verleiht, bei dem es weniger um Effekthascherei und Flair geht als beim 1987 erschienenen Original. Abgesehen davon sind The National freilich eine Band, die Songs über die Feier des somnambulen Gefühls des Verlorenseins seit eh und je kleine große Klangkathedralen gebaut hat, und im Ansatz dieser Maßstäbe ist ihre Aufnahme von „Never Tear Us Apart“ tatsächlich sogar erbaulicher als einige der beliebtesten (wenn auch älteren) Lieder aus der Feder von Berninger und Co…

 

— Die Tracklist von „Songs For Australia“ —

Songs_For_Australia_Cover_BMG1.  The National, “Never Tear Us Apart” (INXS)
2.  Petit Biscuit, “Chateau” (Angus & Julia Stone)
3.  Dermot Kennedy, “Resolution” (Matt Corby)
4.  Dope Lemon, “Streets Of Your Town” (The Go-Betweens)
5.  Kurt Vile, “Stranger Than Kindness” (Nick Cave)
6.  Joan As Police Woman, “Hearts A Mess” (Gotye)
7.  Damien Rice, “Chandelier” (SIA)
8.  Martha Wainwright, “The Ship Song” (Nick Cave)
9.  Paul Kelly, “Native Born” (Archie Roach)
10. Dan Sultan, “Into My Arms” (Nick Cave)
11. Pomme, “Big Jet Plane” (Angus & Julia Stone)
12. Julia Stone, “Beds Are Burning” (Midnight Oil)
13. Sam Amidon, “Let Me Down Easy” (Gang of Youths)

 

 

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Austin James Craig – „Ghosts Of Ohio“


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Foto: Facebook

Manchmal scheint ein Musiker derart unbekannt (oder zumindest potentiell desinteressiert dem digital-viralen Internetz-Leben gegenüber) zu sein, dass selbst die hartnäckigste Google-Suche wenig Informatives ausspuckt…

So etwa im Fall von Austin James Craig. Schnell hat man zwar in Erfahrung gebracht, dass der Newcomer aus Akron im Nordosten des US-Bundesstaats Ohio mit aktuell knapp unter 700 Facebook-Likes durchaus ausbaufähiges Potential in Sachen Hörerschaft besitzt. Dass Craigs Debütalbum „Ghosts Of Ohio“ im Oktober 2019 erschien (und via Bandcamp nicht nur im Stream, sondern auch als „name your price“ zu finden ist). Anderswo ist zwar zu lesen, dass ebenjenem Werk „vor einigen Jahren“ bereits eine EP vorausging, diese wiederum findet nicht einmal vonseiten des Künstlers selbst Erwähnung…

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Der Qualität der Songs von „Ghosts Of Ohio“ selbst tut all die Abwesenheit von Hintergrundinfos natürlich keinen Abbruch, schließlich bewegen sich die sieben Stücke stilistisch irgendwo im Spannungsfeld von Singer/Songwritertum, elegischem Alt.Country und wehmütiger Americana – alles musikalische Fächer, die einem Native aus der „Rubber Capital of the World“ (aus der übrigens auch eine Band namens The Black Keys stammt) durchaus liegen dürften. Da kommen einem die frühen Werke eines Noah Gundersen ebenso in den Sinn wie Bruce Springsteens reduziert-düstere Trilogie aus „Nebraska“, „The Ghost Of Tom Joad“ und „Devils & Dust“ (dazu passt wiederum, dass Craig kürzlich eine Coverversion des Boss-Evergreens „Atlantic City“ auf den einschlägigen Streaming-Plattformen online brachte).

Songs, die irgendwie den good ole All-American-Zeitgeist der Sixties atmen (was wiederum von den Artworks der einzelnen Stücke auf YouTube stilistisch ergänzt wird), andererseits jedoch inmitten ihrer Melancholie auch zeitlos klingen… Genre-Freunde sollten bei Austin James Craig durchaus ein Ohr riskieren!

 

 

Rock and Roll.

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Granny Cool – Wie Ross Smith und seine Oma Instagram und Co. zum Schmunzeln bringen…


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Großeltern sich ja nicht immer ganz einfach. Besonders deutsche. Neben vielen lieben Opas und Omas gibt es bekanntermaßen auch eine Menge launischer, grummeliger und miesepetriger alter Leute, deren liebster Zeitvertreib bis zum Abholetermin durch Gevatter Sensenmann das Monieren des ach so neuzeitlichen Ist-Zustands zu sein scheint – da ein Wehwehchen, hier ein Zipperlein, und sowieso war ja früher alles, aber auch alles besser. Gemessen an ebenjener „Grumpy-Cat-Skala der Abgelederten“ hat der US-Amerikaner Ross Smith da mit seiner Oma wohl den Sechser in der Familien-Lotterie geschossen…

Auf der anderen Seite bedauern wir oft, dass wir zu wenig Zeit mit unseren Großeltern verbringen. Vor allem, weil wir nie wissen, wie viel Zeit uns wirklich noch mit ihnen bleibt. Trotzdem schaffen wir es – Hand aufs Herz – nicht immer, uns zu melden und uns länger – und über den banalen Smalltalk hinaus – mit ihnen zu unterhalten. Dann treffen wir uns eben doch eher mit Freunden oder Kollegen, die wir länger nicht gesehen haben, als mit unserer Oma. Stimmt doch, oder? Aber warum eigentlich? Die wenigsten Omas und Opas sind so langweilig, prüde und konservativ, wie wir vielleicht denken. Ganz im Gegenteil: Die meisten von ihnen haben spannende Geschichten zu erzählen, jede Menge Lebenserfahrung und waren schließlich auch irgendwann mal so alt (oder eben jung) wie wir. Um herauszufinden, wie unsere Großeltern so ticken, müssten wir uns aber mehr mit ihnen auseinandersetzen. So wie Ross Smith

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Foto: Ross Smith / Facebook

Denn der 26-jährige Nachwuchs-Footballer aus Dayton, Ohio und seine Granny sind nicht nur Best Buddies, sondern haben auch noch eine Menge Spaß zusammen. Das liegt besonders an der – uffjepasst und arg gestaunt! – Dreiundneunzigjährigen (!), die sich für keinen Spaß zu schade ist und die Traute besitzt, sich richtig zum Affen zu machen. Umgetextete Eminem-Songs rappen? Jawollo! Mit Plüschpenis auf dem Kopf herum rennen? Machtse! Sich coole Sprüche-Battles liefern? Yeah! Auf Fitness-Geräten rumturnen? Erster! In die schrillsten und abgefahrensten Kostüme schlüpfen? Oma ist dabei, Oma hält’s jung! Und zum Glück gibt es Instagram und Co., denn dort lässt Ross Smith uns (und mittlerweile über 2,7 Millionen Abonnenten auf Instagram sowie 9,4 Millionen Fans auf Facebook) bereits seit einiger Zeit an den verrückten Aktionen teilhaben…

 

Ein paar Beispiele von Smiths Instagram-Account gefällig? Klar:

3. Sie können aber auch patriotisch. Echte Amis eben…

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Happy 4th of July Homies 🇺🇸💥🎆

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4. Hatte ich schon erwähnt, dass die beiden ein Herz und eine Seele am Herd sind?

5. Kostüme können sie natürlich auch…

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Happy Easter Granny Gang 🐣🐇🐰

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6. Klare Message von Granny. Yo.

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God’s Plan (Parody)😂#drake

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7. Die beiden geben in der Tat ein süßes ungleiches Paar ab…

8. Ok, damit war nicht zu rechnen…

Ein Heidenspass und bestes Bauchmuskeltraining ist auch das Scrollen durch diese kreative Fotoserie mit dem bewundernswerten Alt’n’Jung-Duo…

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Cherry Glazerr – „Ohio“


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Foto: Promo / Pamela Littky

Die Zukunft klingt divers, die Zukunft klingt vielversprechend: In nahezu jedem Kindergarten wissen sie – Krabbelgruppe hin oder her – von toxischer Maskulinität. Schüler(innen) weltweit streiken, angetrieben von neuen jungen Ikonen wie Greta Thunberg, ebenso lautstark wie medienwirksam freitäglich für den Klimaschutz. Und die „Generation Z“ der Jahrgänge um 1995 geht so entspannt mit sexuellen Identitäten um, als hätte es nie ein Patriarchat gegeben. Passenderweise ist hier eine Künstlerin, die für diese kommende Zeit stehen könnte: Clementine Creevy, Frontfrau der aufstrebenden kalifornischen Rockband Cherry Glazerr.

Für das Magazin Vice, das seit Jahr und Tag ja ohnehin für unbequeme Aussagen bekannt sein dürfte, ist Creevy bereits eine neue‚ feministische Punkikone. Weder kommt sie deviant rüber wie die große Punk-Poesie-Godmother Patti Smith, noch hat sie eine gängige Normen verlachende Körperlichkeit wie Lagerfelds Plus-Size-Muse Beth Ditto oder eine permanent zwischen Sanftheit und Angriff pendelnde Präsenz wie Skunk Anansie-Frontfrau Skin. Clementine Creevy ist eher gemacht für Instagram, 22 Jahre jung, beinahe idealtypisch hübsch und auf marktkonforme Weise stark wie smart. Gerade daraus belegt sie ihre Gegenwart mit beißendem Spott: „Who should I fuck, daddy? Is it you?“, fragt sie etwa unumwunden im Song „Daddi“ auf dem im Februar erschienenen dritten Album „Stuffed & Ready“.

Cherry-Glazerr-ADW-410Man hört aus dem Text (und nicht nur aus diesem!) eine Wut über Verhältnisse, in denen gerade ihre Jugendlichkeit eine sexuelle Währung ist. Dazu tönt Musik, die kraftvoll und experimentell zugleich klingt, so wie der Sound der frühen Yeah Yeah Yeahs – jene New Yorker Garagepunk-Band, deren Sängerin Karen O seinerzeit, kurz nach der Jahrtausendwende ganz ähnlich wahrgenommen wurde. Wie Machtverhältnisse das Körperinnere durchziehen, ist auch Thema des Titelsongs „Stuffed & Ready“. Creevy erklärt dazu: „Die Texte meines Albums sind selbstreflexiv. Ich hatte das Bedürfnis, Songs zu komponieren, mit denen ich beschreibe was ich durchlebe.“

Das 2017er Vorgängeralbum war demgegenüber noch klassischer politisch – „politisch“ im Sinne von Pussy Riot, den Riot Grrrls von Bikini Kill und (feministisch geprägtem) Punk, schon im Titel ikonisch: „Apocalipstick“ mit seinen sich an Themenkomplexen wie Sexismus, Diskriminierung oder Intoleranz abhandelnden Kleinoden wurde – wohl nicht ganz auf Zufall gestellt – am Tag der Amtseinführung von US-Präsident Trump veröffentlicht. „Auf ,Apocalipstick‘ habe ich gesagt, was ich denke, auf ,Stuffed & Ready‘ zeige ich allen, wer ich bin.“ So präsentieren sich Cherry Glazerr diesmal, der wütenden Introspektiv-Innenschau fast widersprechend, eher als etwas andere großformatig produzierte, fokussierte Alternative-Rock-Band denn als wild-raudauige DIY-Garage-Explosion. Das lässt den Sound an manchen Stellen eventuell etwas beliebiger erscheinen, dafür gehen Songs wie „Wasted Nun“ (das ein stückweit an 2014er Glanzlicht „Nurse Ratched“ anschließt) oder die Eröffnungsnummer „Ohio“ deutlich besser ins Ohr. „Ich wollte Musik machen, die knallt. Die Songs verdienen das!“, wie die Gitarre spielende Frontfrau meint.

Musikalisch sind Cherry Glazerr also – fast logischerweise, und obwohl man in den gelungensten Momenten meint, einen Hauch der Pixies oder von Kurt Cobains unnachahmlicher Fuck-Off-Pop-Attitüde zu vernehmen – nur halb so weltbewegend und bemerkenswert wie die Person, die die Zügel in der Hand hält. Denn Cherry Glazerr ist nicht nur nach außen vor allem das Projekt von Clementine Creevy, sie ist auch tatsächlich die einzige Konstante der Band. Creevy gründete das Projekt 2013 im heimischen Los Angeles mit einigen Highschool-Buddies (nachdem sie bereits ein, zwei Jahre Erfahrungen in anderen Formationen gesammelt hatte), seitdem hat sie immer wieder neue Gefährt*innen gewinnen können. Zuletzt stieg Keyboarderin Sasami Ashworth aus der Gruppe aus, statt ihrer kam Bassist Devin O’Brien an Bord (und hat das Bandschiff mittlerweile wohl auch schon wieder verlassen).

„Für mich ist Cherry Glazerr eine Band, zu deren Essenz eine Vielzahl von Personalwechseln gehört. Ich lenke dieses musikalische Floß, auf das Künstler auf- und wieder abspringen, während die Musik weiter fließt.“

Und die Politik? Ist Clementine Creevys Generation so viel forcierter und auf produktive Art und Weise drängender als die alten Nihilist*innen der „Generation X“ und die ihre Wut ins Schwarzironische verflüchtigende Generation der „Millennials„?

„Die Leute sind genauso meinungsstark und politisch, wie sie es immer waren. Aber wir leben in den Zeiten von Trump. Es muss etwas geschehen. Aber momentan mühen wir uns vor allem damit ab, überhaupt zu überleben“, analysiert Creevy. „Feministin bin ich während meines Studiums geworden. Women’s Studies haben mein Leben verändert und mich alles gelehrt, was zählt. Ich glaube, was meine Generation wirklich beschäftigt, ist, dass es ein Mehr an allem gibt. Auch an Information.“

Vielleicht, ja vielleicht wird ja doch noch alles gut…

 

 

„1, 2, 3, 4

I walked until my face got red, I walked on
The light inside my head went dead, I turned off

I wish myself the best, but I’m broken
The light inside my head went dead, and I turned off

When you’re moving, there’s no ground beneath you
When you’re moving, there’s no ground beneath you
In the winter

She told me to stay the same, I pushed her into my game
I’m full of the bad, bad problems, so just take me away

Just take me away, just take me away
Just take me away, just take me away“

 

Rock and Roll.

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