Von Florian Sczesny war unter seinem Singer/Songwriter-Pseudonym oh sleep im vergangenen Jahr hier auf ANEWFRIEND ja bereitsmehrfach die Schreibe.
Nun hat der Bonner Indie-Musiker seiner stetig wachsenden Hörerschaft mit der „try to rest ep“ nicht nur das bereits dritte Mini-Album präsentiert (nach der „trio ep“ und der „we can’t waste all this time ep„, beide von 2017), deren Songs sich offenkundige Inspirationen von Künstlern wie Sufjan Stevens oder Angelo de Augustine geholt haben – laut Presseinfo beschreiben die vier gewusst filigran-getragenen (und nun auch ab und an von Samples unterfütterten) Lo-Fi-Singer/Songwriter-Stücke „der konzeptuell angelegten EP die Suche nach der eigenen Identität und moderne Sinnkrisen“. Und wann, wenn nicht im Herbst, wann, wenn nicht wenige Zeigerschläge nach Mitternacht ist die Zeit für ebensolche Musik gekommen? Melancholischer Schlafzimmereinsamkeitspop, gern auch fürs Gedankeschweifenlassen zu zweit.
Und nimmt man etwa den Song „numbers“ genauer unter die Lupe, so merkt man, dass sich Sczesny tatsächlich (einmal mehr) tief schürfende Gedanken zu den neuen Stücken gemacht hat. Das hier hat er zu „numbers“ sowie dem dazugehörigen Musikvideo (auf Englisch) zu sagen:
„it is probably the first time that i publicly address a topic that has worried me for quite some time now: smartphone addiction. to me it seems like the excessive use of smartphones not only has become socially accepted – it seems like we’re condoning and trivializing addiction to digital communication services, nomophobia and everyday cases of social isolation.
i see people looking at their phones when they’re in a room with their friends, as they nurture their children, as they witness the beauty of nature or while they go out to see a concert of their favorite band. to me it feels like almost every conversation i’ve witnessed in the last years always had a moment of distraction by modern technology. and somehow this behavior of ’not-really-being-here‘ strikes a chord in me and makes me feel sad and somehow lost … maybe because unfortunately i’m stuck in an addictive behavior myself.
so i didn’t make this video/song and write these lines to judge anyone or point my finger at certain concepts of living, i just want to remind you that meaningful real non-digital human interactions (may it be at a concert, in a bus, at school or at home) live of unconditional focus, appreciation, politeness and warmth and we can’t let our personal addictions and compulsions destroy or alter important moments of our life.
please don’t let technology control your behavior – unless you want it to.“
Herzschlagfinale, die Erste: „Dry your smoke-stung eyes / So you can see the light / Staring at the sky / Watching stars collide“ – die letzten Minuten und Sätze des vor drei Jahren erschienenen Daughter-Debüts „If You Leave“ hatten es in sich. Wabernde Klänge, große Emotionen, eine Stimme, die einem ganz, ganz nahe ans Herz reichte, dieses erst beinahe zum Bersten und dann wieder zum Stillstand brachte. Heart skips a beat. Als sich der Soundnebel des Abschlussstückes „Shallows“ dann so langsam gelegt hatte, waren die Reaktionen nicht selten unisono: man wollte mehr. Mehr. Mehr. Mehr.
Fotos: Promo / Sonny Malhotra
Und die Vermittlung ebendiesen Gefühls kommt bereits einer Leistung gleich, immerhin machen es Daughter dem Hörer nicht ganz einfach. Denn in der Tat muss der (oder die), der (oder die) tiefer in die Stücke des Londoner Trios eintauchen möchte, eine gehörige Prise endherbstlicher Melancholie in den Herzkammern mit sich herum schleppen. Für all jene, die lieber zu einheitsbreiigen DJs wie Avicii oder Skrillex ihr eigenes Happy-Go-Lucky zelebrieren, wären wohl schon drei Minuten der Daughter’schen vertonten Schwermut zu viel und die Mixtur aus in sich gekehrtem Folk, dezent angebrachtem Post-Rock, scheuem Shoegaze und gefächerten Elektronik-Experimenten nur schwer zu ertragen. Nein, einen Soundtrack fürs vergnügte nihilistische Wochenend-Partyvolk werden Elena Tonra (Gesang, Gitarre), Igor Haefeli (Gitarre) und Remi Aguilella (Schlagzeug) wohl nie liefern. Das beweisen die drei nun auch auf ihrem neusten Werk „Not To Disappear„. Als verräterischen Beweis hierfür muss man noch nicht einmal eines der zehn Stücke hören, es reicht ein Blick aufs Cover, für das die Band ein Gemälde der britischen Künstlerin Sarah Shaw auswählte: Nachhimmel, einsame Straßen, von irgendwoher Lichter, die vor dem mutmaßlich benommenen Auge langsam verschwimmen. Es deutet sich an: Tonra und ihre Mannen haben wieder eine Dreiviertelstunde Schwermut im Gepäck.
Passend zum Artwork präsentiert sich da bereits Song Nummer eins, „New Ways“: „Washed out brain / I have a dirty mind / Oh, I need, I need new ways / To waste my time“ – zu schleppend elektronischen Beats schält sich Tora aus den Tiefen irgendeines gottverlassenen Clubs und in die Nacht. „I’ve been trying to stay out / But there’s something in you / I can’t be without / I just need it here / I’m trying to get out / Find a subtle way out / Not to cross myself out / Not to disappear“ – den anderen wollen, ihn vermissen, sich selbst nicht verloren gehen – es sind wieder die ganz großen Herzeleid-Themen, die Daughter bereits in den ersten Minuten anschneiden, bevor das Stück von geradezu sägenden Gitarren seinerseits ins Nachtdunkel geschnitten wird. Ähnlich gestaltet sich auch das darauf folgende „Numbers“, in dem Daughter kühlen Beats Gitarrenakkorde beimischen, zu denen sich alsbald Aguilellas Schlagzeug gesellt, während auch hier der Text erneut Skepsis an einer aufkeimenden Liebe offenbart: „Take the worst situations / Make a worse situation / Follow me home, pretend you / Found somebody to mend you / I feel numb / I feel numb in this kingdom /…/ You better, you better, you better / You better make me / Me better, me better / You better make me better“. Und überhaupt: die Texte. Klar war Vorsteherin Elena Tonra, die anfangs Daughter allein als scheues Folk-Projekt ins Leben rief, bevor 2010 der Schweizer Haefeli und der Franzose Aguilella dazustießen, auch auf den vorhergehenden Veröffentlichungen (das bereits erwähnte Debüt von 2013, dazu drei 2010 beziehungsweise 2011 veröffentlichte EPs sowie die „4AD Sessions EP“ von 2014) nicht als Sonnenscheinchen von Welt bekannt. Dementsprechend setzt sich auf „Not To Disappear“ das höchst melancholische Gefühl fort, das bereits „If You Leave“ zu vermitteln im Stande war. Das umspannende Sujet diesmal: Einsamkeit in all seinen Formen und Nuancen. Sei dies nun dieses mulmige Gefühl zwischen zwei Menschen in einer Beziehung, die sich irgendwann einmal kennengelernt haben, und am Ende doch irgendwo Fremde geblieben sind, während die Liebe längst Klingelstreiche an einer anderen Haustür spielt („How“, „Numbers“, „To Belong“…), oder, wie etwa im vorab veröffentlichten „Doing The Right Thing“ oder in „Mothers“, das einsame Gefühl, welches einen an Alzheimer erkrankten Menschen befällt – besonders herzzerreißend, wenn man weiß, dass Tonra hier aus der Perspektive ihrer Großmutter singt („Then I’ll lose my children / Then I’ll lose my love / Then I’ll sit in silence / Let the picture soak / Out of televisions / Float across the room“ – „Doing The Right Thing“). Neu sind vor allem die direkteren Worte, die die 26-Jährige zum Beispiel im tollen „Alone / With You“ wählt: „I hate living with you / I should get a dog or something / I hate walking with you / Talking to myself is boring conversation / You and I were once friends / Now you’re only an acquaintance“. Doch was zunächst wirkt wie die „Ich hasse dies, ich mag jenes nicht“-Abrechnung mit dem (Ex-)Freund, ist bei genauerem Hinhören die Abrechnung mit ihrem Alter Ego – ein cleverer lyrischer Kniff. Ebenfalls bissig zeigt sich etwa das atemlose „No Care“ mit pumpendem Schlagzeug, bei welchem sich (noch) elektronischere Remix-Neubearbeitungen geradezu aufdrängen, während anderswo, in „To Belong“, bereits die Resignation die Füße hochlegt („Don’t you think we’ll be better off / Without temptation to regress, to fake tenderness / Waiting to see someone we won’t know for long / In cities we’ll only leave /…/ I don’t want to belong“). Hin und hergerissen ist auch der große siebenminütige Quasi-Abschluss „Fossa“, der mal zu ebenso lieblich wie simpel-ehrlichen Zeilen wie „I don’t know you now / But I’m lying here, somehow“ oder „I don’t owe you much / But I miss you so / I’m missing you“ tendiert, mal zum offenen Bekenntnis „I feel alone“ (die Einsamkeit, da ist sie wieder), bevor alles von sich aufbäumenden Gitarren ins Aus gespielt wird (ein hervorragender Abschluss, denn nicht ohne Grund wählt die Band aktuell diesen Song als beendenden Rausschmeißer ihrer Konzerte). Dass Daughter darauf noch das reduziert gehaltene „Made Of Stone“ folgen lassen, mögen wohl nur sie selbst verstehen – immerhin bringt jedoch genau dieses Stück das Album mit der weltweise-versöhnlichen Zeile „You’ll find love, kid, it exists“ zu Ende.
Während das Trio rein textlich noch immer zur Fraktion der winterlichen Stubenhocker zählen dürfte, hat sich – wohl auch bedingt durch die Tournee zu „If You Leave“ – musikalisch Einiges seit dem Debüt getan. Denn anders als noch auf dem Erstling gehen Daughter auf den zehn neuen Stücken, welches in London entstanden sind und gemeinsam mit Produzent Nicolas Vernhes (Animal Collective, Deerhunter, The War On Drugs) in Brooklyn, New York aufgenommen wurden, deutlich mehr Experimente ein, deren Gesamtergebnis gleichsam breitwandiger und gewohnt fragil klingt. Auf „Not To Disappear“ schaffen Elena Tora und Co. eine winterlich kalte Klanglandschaft, die gleichzeitig beängstigend und einladend wirkt. Präzise Gitarren, verwaschene Synthies, ein wuchtiges Schlagzeug – sie schichten Sounds und Klänge aufeinander und verpacken die Intimität der Texte in einen voluminösen Sound, der Elena Tonras Stimme diesmal mit weniger Hall klarer als noch auf „If You Leave“ in den Vordergrund stellt. Wer einen anderen Vergleich mag: war „If You Leave“ ein Landschaftsbildnis, so ist „Not To Disappear“ der Soundtrack zu den einsamen Nachtstunden in der Großstadt. Das mag einerseits an artverwandte Bands wie The xx erinnern, gleichzeitig aber auch – und das darf man gern als Kompliment verstehen – an ebenfalls mit Emotionen jonglierende Größen wie Sigur Rós. Intensiv bleibt „Not To Disappear“ dabei zu jeder Minute, das zweite Herzschlagfinale wählt jeder selbst.
Zur filmischen Untermalung des Albums haben sich Daughter mit den britischen Filmemachern Iain Forsyth und Jane Pollard zusammengetan, die man bereits vom großartigen Nick-Cave-Porträt „20,000 Days On Earth“ kennen dürfte. Gemeinsam entstand eine Musikvideo-Trilogie, welche die Stücke „Doing The Right Thing“, „Numbers“ und „How“ verbindet:
Hier wiederum kann man sich den Auftritt der Band bei diesjährigen „BBC 6 Music Festival“ ansehen, bei welchem Daughter freilich auch einige Songs von „Not To Disappear“ zum Besten gaben:
Setlist: How Tomorrow Numbers Doing the Right Thing Smother Youth New Ways Fossa