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Sunday Listen: Beachheads – „Beachheads II“


Es lässt sich ja irgendwie einfach nicht vermeiden, erst einmal mit „der anderen Band“ einzusteigen, denn eigentlich spielen Marvin Nygaard (Bass) und Vidar Landa (Gitarre) schließlich bei den norwegischen Raudaubrüdern Kvelertak. Mit ihrem Merchandiser Børild Haughom am Gesang und dem Schlagzeuger Espen Kvaløy sind sie allerdings Beachheads. Und wenn man nun denkt, man könne der Einfachheit halber ein „file under Kvelertak“ setzen, hat man sich ziemlich geschnitten, denn es ist eher ein deutliches „don’t file under Kvelertak“. Denn: Das schwere Metall bleibt auch auf dem zweiten, passenderweise einfach „Beachheads II“ betitelten Album außen vor, vielmehr zimmert das Quartett aus Oslo zehn Songs irgendwo im weiten Spannungsrund zwischen Power Pop, Garage Rock und Post Punk zurecht, die mit jeder Menge flottem Wind ebenso zeitgenössisch wie dezent retro klingen, sodass einem die Kvelertak-Verbindung nur dann bewusst wird, wenn es einem jemand unters Näschen reibt. Da ertappt man selbst harte Metalheads an mancher Stelle beim entspannten Fußwippen…

Eine reine Spaßveranstaltung also? Mitnichten! Man lausche nur den Texten. „I feel nothing / Nothing at all“, singt Børild Haughom etwa in „Nothing“. Hoppla? Hoppla! Der Kontrast zwischen diesen Zeilen, die er zum schiebenden Schlagzeug von Espen Kvaløy und dem treibenden Riff von Vidar Landa mit seiner angenehm unangestrengten Stimme singt, er könnte größer kaum sein. Vielleicht nimmt man ja diese Art von immanenter Schwermut einfach mit dem norwegischen Trinkwasser zu sich? Beachheads sind auch auf ihrem zweiten Album die potentiell traurigste Gute-Laune-Band der Welt. Oder eben die fröhlichsten Melancholiker Norwegens? Nichts Genaues darf man höchstens vermuten.

Betrauerte Haughom auf dem 2017er Vorgänger noch den Tod seines Vaters (etwa im majestätischen „Procession„), setzt er sich nun, wie eben im benannten „Nothing“, mit seinen Depressionen auseinander: „This kind of sadness tears me apart / I’ve never felt like this before in my life / I will be swinging back / It’s hard to cope with and figure out / I see a darkness, I realize.“ Es ist daher vor allem der Widerspruch zwischen musikalischer Leichtigkeit und inhaltlicher Schwermut, der „Beachheads II“ erneut so strahlen lässt. Während Haughom scheinbar nichts mehr fühlt, fühlt man selbst in den besten Momenten dieses Albums so einiges, verliebt sich Hals über Kopf mit jedem neuen Durchlauf in einen anderen Song. Mal in „Down South“, dieses sonnige Roadmovie, mal in die gedoppelten Stimmen von „Jupiter“, mal ins straighte „Break It Off“, in welchem Haughom mit der Tür ins Holzhaus fällt: „I don’t like you being here / I’ve never liked your style / You really can’t come back again / Let’s break it off this time“, um am Ende seinem verhassten Gegenüber zu gestehen, dass er leider high sei. Dann wieder überrumpelt einen das an R.E.M. erinnernde „Change“, in dem Beachheads ebenso wie in der im besten Sinne Smiths-würdigen Single „Death Of A Nation“ Stellung beziehen. Oder das zupackend-zackige „10.000 Hurts“, welches mit einem der eingängigsten Refrains einer Platte aufwartet, auf der nahezu jeder Song das Zeug zum Hit hat.

Dass Beachheads sich teilweise nicht einmal die Mühe gemacht haben, ihre Demos für das Album neu einzuspielen, zeigt wieviel Selbstvertrauen die Norweger in petto haben (oder eben einfach einen mittleren Scheiß auf perfekten Studiohochglanz geben). Und wo sie es doch tun, vertrauen sie darauf, gemeinsam und live mehr Herzblut einzufangen, als es mit zig Overdubs je möglich wäre. Womit wir bei dem wären, was Beachheads bislang schuldig bleiben: Wann kann – ja: darf – man diese Band endlich live erleben? Am besten auf der nächsten Tour von Kvelertak, da hätte man schon drei Viertel der Band zusammen, schließlich reicht einem dort die Beachheads’sche Stimme Platten und Shirts mit derben Metal-Designs, während 50 Prozent der Band zeitgleich mit ihrer Haupt-Kombo auf der Bühne für Krawall sorgen. Zudem ist es kaum vorstellbar, dass ihnen nicht auch die Fans von Kvelertak ruckzuck aus der Hand fressen würden – spätestens beim – ja, ja – dezent balladesken „Live And Let Live“, wenn sich Haughom mit seiner eigenen Angst vor dem Tod auseinandersetzt. Zum Heulen schön tönt er, dieser Band gewordene Widerspruch – und auch dank dieser halben Stunde Musik weiterhin viel zu gut, um weiter nur als schnödes Kvelertak-Seitenprojekt betrachtet zu werden.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Ida Maria – „Dirty Money“


Ida Maria mag Rock’n’Roll durch und durch sein, der richtig große internationale Durchbruch blieb der norwegischen Punkrockerin by heart trotz damaliger positiver Kritiken von „Pitchfork“ oder dem „Rolling Stone“ bislang verwehrt. Dabei könnten einem Mini-Hit-Singles aus ihrem 2008er Debütalbum „Fortress Round My Heart“ wie „Oh My God“ oder „I Like You So Much Better When You’re Naked“ durchaus bereits zu Ohren gekommen sein, immerhin waren diese seinerzeit in zahllosen TV-Serien wie „Grey’s Anatomy“, Gossip Girl“ oder „Big Mouth“ zu hören. Doch nach so einigen vielfältig desillusionierenden Erfahrungen im gleichsam wuseligen wie irgendwie anonymen Los Angeles und im Haifischbecken Major-Industrie kehrte Ida Maria Børli Sivertsen, der die Liebe zur Musik schon in die Wiege gelegt wurde (ihr Vater ist Ska- und Jazzmusiker, ihre Mutter singt bei festlichen Anlässen, beide sind Lehrer) nach der Veröffentlichung ihres zweiten, weithin (zu) wenig beachteten Langspielers „Katla“ im Jahr 2013 nach Norwegen zurück, wurde Mutter und veröffentlichte mit „Love Conquers All“ (2013) und „Scandalize My Name“ (2016) noch zwei weitere Alben, bei denen sie sich vermehrt in anderen musikalischen Spielarten versuchte (auf letzterem etwa knietief im Gospel und in Spirituals). Danach verschwand die mittlerweile 36-Jährige jedoch von der musikalischen Bildfläche – nur um sich nun mit der EP „Dirty Money“ zurückzumelden. Und um eines vorweg zu nehmen: Man kann durchaus das Gefühl entwickeln, dass Ida Maria noch nie so sehr nach sich selbst klang – ängstlich, energiegeladen und laut.

Noch vor der Veröffentlichung der kompletten EP veröffentlichte die Norwegerin Ende 2020 die erste Single „Sick Of You“ – nicht nur ein feines „Hallo zurück!“, sondern auch eine Art abschließender Mittelfinger an das chaotische zurückliegende Jahr und ihre eigenen persönlichen Fallstricke. Wie bei den anderen neuen Stücken auch könnte man bei „Sick Of You“ glatt vermuten, dass Maria für die Klangästhetik tief aus den Annalen des Garage-Rock-Revivals der 2000er Jahre geschürft hat (zu dem sie selbst ja auch ihren Teil beigetragen hat). Zu derben, bluesig-schweren Gitarren, die an Zeitgenossen wie The Black Keys oder The White Stripes erinnern, schmettert Maria immer und immer wieder „I’m so sick of you“ in dem für sie so typischen Heulen. Die im April erschienene zweite Single „I’m Busy„, die sie gemeinsam mit Mark Ronson produzierte und mit Oscar-Preisträger Anthony Rossomando, der unter anderem „Shallow“ auf Lady Gaga und Bradley Cooper maßschneiderte, schrieb, besitzt ein paar eingängige Hooklines, ist aber auch eines der mutigeren künstlerischen Statements in Marias bisheriger Karriere. Über glitzernde, verzerrte Gitarren-Licks und einem stetigen Schlagzeugbeat singt Maria über gedankenlosen Sexismus und Frauenfeindlichkeit.

Irgendwo aus diesem Spektrum ziehen die neuen Stücke auch ihre entschiedene thematische Energie: feministische Unabhängigkeit, Sex, Drogen und Rock’n’Roll. Bei Ida Maria jedoch kommt all das eher als echter Ausdruck denn als übertriebener, kunstvoll aufgesetzter Bombast daher, weil die Songs die sehr realen Emotionen, mit denen sie sich auseinandersetzt, mal unumwunden ansprechen, mal galant touchieren. Und: Die Songs erzählen nicht nur Geschichten über bedeutungslose Beziehungen oder dem Stinkefingerzeig an alle machistischen Idioten, sondern unternehmen auch den Versuch, die Objektivierung von Frauen in der Musikindustrie zu thematisieren und sich von den geschlechtsspezifischen Fesseln zu befreien, die in der (Musik)Welt, in der Maria (nun wieder) agiert, auch heute noch – und auch nach #MeToo – zum zwangsläufigen Gepäck gehören – eine Welt, von der sie in der Vergangenheit sehr öffentlich, sehr offensichtlich desillusioniert war.

Denn, wie bereits erwähnt, passte Ida Maria nie so richtig, nie so ganz ins leicht verdauliche, leicht zu formende Superstar-Schema F der Musikindustrie. Zwar brachte die Preisträgerin des prestigeträchtigen Spellemannprisen einiges an Talent und Soundoutfit mit, aber nichts von den gut bekömmlichen Persönlichkeitsvorstellungen, denen die an Profit und Prestige interessierten Anzugträger der Major-Plattenfirmen jedes Jahr bei den Preisverleihungen nur allzu gern die roten Teppiche ausrollen. „Ein Mädchen kann keine Musik auf einer großen Plattform herausbringen, ohne irgendein verdrehtes, verrücktes Schönheitsideal zu erfüllen – was wiederum nicht mit meinen eigenen Vorstellungen davon übereinstimmt, was eine Frau sein kann“, sagte Maria selbst dazu. „Eine Frau ist eine komplexe Kreatur. Und es gibt derzeit nicht genügend komplexe weibliche Vorbilder da draußen.“

Durchaus kritisch – und die fünf Songs der neuen EP, welche im Laufe der letzten zwei Jahre in diversen Studios zwischen Los Angeles und Norwegen entstanden, gehen in Punkto Kritik und Introspektivität noch ein paar Schritte weiter. Das Titelstück etwa, das mit „Dirty Money“ das Sujet im Namen quasi bereits selbsterklärend vorwegnimmt, relativiert Marias individuelle Existenz und ihr Verhältnis zur Klimakrise. Sie kritisiert sowohl die großen Plattenlabels, die auch in nicht eben umweltfreundlichen Geschäftsfeldern wie dem Ölmarkt Geld scheffeln, als auch sich selbst, weil sie als kleiner staubkorner Teil der Musikindustrie indirekt davon profitiert und dieses im wahrsten Sinne dreckige Geld mitverdient.

Die „Dirty Money EP“ gerät so vielschichtig und persönlich, dass der sonst so triviale Randnotenfakt, dass diese unabhängig von Altitude Music veröffentlicht wird, plötzlich relevant erscheint, weil in diesem noch einmal Ida Marias Verachtung der großen Labels deutlich wird. Dennoch können all die, die weniger an Tiefschürendem, Systemkritischem interessiert sind, die Songs auch ohne allzu große Hirnzermaterei genießen, derart getränkt wurden diese im dickwandigen Fass des Garage Rock, derart versetzt wurden diese mit euphorisierendem Shout-Sing-Gesang. Klares Ding: mit dem ersten vollwertigen Release nach mehrjähriger Pause meldet sich Ida Maria in absoluter Bestform zurück und präsentiert allen, die sie vermisst haben, eine perfekte Melange aus sommerlich-rock’n’roll’nem Spaß und bedeutungsvollen Botschaften.

(Bei Paste findet man zudem ein ausführliches Interview mit der norwegischen Indie-Musikerin…)

(via Vimeo)

„Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go (help, help, help)
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Everybody wanna be full makeup and on TV
Talking ‚bout your jealousy
Mum, I know I look insane, but they all promised me champagne
Swear they want me for my brain

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Girls in line wanna be a star, honey, you’re not getting far
Not with psychotherapy
Please, don’t put your parents through, naughty days in Malibu
Coming off your ecstasy

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

What’s it feel like? Devil emotion
Find my body, bottom of the ocean
What’s it feel like? Devil emotion
Find my body, bottom of the ocean

Pay me, all your dirty money
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Pay me, all your dirty money (shoulda seen the coke get)
I’m your favorite monkey, watch me go

Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Pay me, all your dirty money
I’m your
favorite monkey, watch me go
I’m your favorite monkey, watch me go
Cocaine, shoulda seen the coke get
Lined up in the backstage at my show

Rock and Roll.

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Song des Tages: Kings Of Convenience – „Rocky Trail“


Foto: Promo / Salvo Alibrio

Kings Of Convenience, anyone? Mehr als eine Dekade war es recht ruhig um das norwegische Indie-Folk-Pop-Duo (was aufgrund der Tatsache, dass ihr mittlerweile zwanzig Jahre zurückliegendes Debütwerk einst den Titel „Quiet Is The New Loud“ trug, noch einmal etwas amüsanter gerät). Umso schöner, dass das, was die Spatzen bereits seit etwa einem Jahr leise als Gerücht von den Dächern zwitscherten, nun offiziell ist: Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe melden sich in Kürze mit einem neuen Album – dem ersten in zwölf Jahren – zurück. Und präsentieren mit „Rocky Trail“ obendrein einen frischen Song, der fast nahtlos an alte Gassenhauer wie „I’d Rather Dance With You“ oder „Misread“ anknüpft.

Die Tatsache, dass die mehr als zehnjährige Veröffentlichungspause ihrem sanften Akustikgitarren-Trademark-Sound nichts anhaben konnte, dürfte wohl vor allem in der gefühlt ewigen Freundschaft des Duos begründet liegen – Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe kennen sich bereits seit Teenager-Zeiten. Anfang der Neunziger gründeten sie in ihrer Heimatstadt Bergen die Indie-Band Skog (auf Deutsch „Wald“ — vom The-Cure-Song „A Forest“ inspiriert). Auch wenn sich Skog nicht hielten und noch vor der Jahrtausendwende wieder auflösten, begannen die beiden Musiker zusammen ebenso melancholische wie poppig-ohrwurmige Songs als Kings Of Convenience zu schreiben. Stolze zwanzig Jahre ist es her, dass das Duo mit ihrem Debüt die vielsagende Maxime „Quiet Is The New Loud“ verkündeten. 2004 folgte „Riot On An Empty Street„, für das sie nicht nur Leslie Feist als Duettpartnerin gewinnen konnten, sondern ihnen auch einiges an Aufmerksamkeit über die norwegischen Landesgrenzen hinaus einbrachte. Eile für Ruhm war dennoch nie die Sache von Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe, denn erst fünf Jahre später erschien das bis dato letzte Album „Declaration Of Dependence„.

Was die beiden in der Zwischenzeit so getrieben haben? Nun, der optische Vorzeige-Nerd Erlend Øye war in der Zwischenzeit nicht nur als Produzent in der Bergener Musikszene aktiv (unter anderem für die Indie-Pop-Band Kakkmaddafakka), sondern arbeitete vornehmlich mit Electro-Acts wie Dntl oder Röyksopp zusammen und veröffentlichte Musik unter seinem eigenen Namen sowie als Teil der Berliner Band The Whitest Boy Alive. Nach Zwischenstopps in London, Manchester und Berlin, hat es ihn nun ins sonnige Sizilien verschlagen. Für „Peace Or Love„, ihr am 18. Juni erscheinendes viertes Album, gingen Øye und Bøe wieder zusammen ins Studio. Ganz nach dem Motto: Wer Bequemlichkeit wertschätzen kann, kann sich auch zwölf Jahre Zeit mit dem nächsten Album lassen. So verteilte sich der Aufnahmeprozess der elf neuen Stücke auf fünf Jahre und fünf verschiedene Städte – und dürfte wohl mutmaßlich manches Mal so entspannt abgelaufen sein wie das Musikvideo zu „Rocky Trail“, in dem simple Gitarren-Performance auf einen skandinavischen Atelierhaus-Traum trifft, es vermuten lässt.

Eirik Glambek Bøe beschreibt jedoch die Arbeit an der Platte so: „Natürlich wirkt es wie ein Comeback, aber so fühlt es sich gar nicht an. Es war ein sehr langsam zehrendes Projekt. Wir haben uns lange selbst angeflunkert, indem wir dachten, wir wüssten schon alles darüber, wie man Platten macht. Und dann waren wir im Studio und merkten, dass es bei den Aufnahmen wirklich darum geht, einen magischen Moment festzuhalten. Es ist ziemlich hart, etwas simpel klingen zu lassen.“

Und wie kam’s zum einmal mehr recht konträr zum Musikalischen lautenden Albumtitel? “Wir sind so an den Ausdruck ‘Peace And Love’ gewohnt, aber an einem Punkt muss man sich fragen: Kann ich beides haben?”, so Eirik Glambek Bøe. “Und die Wahrheit ist: wahrscheinlich nicht. Es ist ein autobiografischer Titel. Es ist eine Sammlung der Schwierigkeiten, die wir in den vergangenen acht Jahren bewältigen mussten.” In jedem Fall: Velkommen tilbake, Kings Of Convenicence!

Rock and Roll.

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Song des Tages: Highasakite – „God Don’t Leave Me“ (live)


Im Jahr der Bandgründung direkt ein komplettes Debütalbum zu veröffentlichen und damit im Heimatland die Charts zu entern, ist schon beeindruckend genug. Erfolgreiche Genre-Wechsel und ein starkes Feingefühl für bewegende Sound-Landschaften haben der Kunst von Highasakite außerdem bereits mehrfach die Krone aufgesetzt. 2012 trafen sich Sängerin Ingrid Helene Håvik und Schlagzeuger Trond Bersu auf der Trondheim Jazz Conservatory und beschlossen schnell, zukünftig zusammen Musik zu machen – die Geburtsstunde der norwegischen Indie-Pop-Band.

„Rare musical landscapes, a place of long dark shadows, sudden flashes of glittering light, brooding silences and unexpected explosions of fierce percussion…“ (Highasakite über Highasakite)

Man braucht auch kein Geheimnis draus zu machen, man hört’s ohnehin schnell – ausschweifend atmosphärisch ging es bei Highasakite schon immer zu. Doch setzte das Duo, welches vor allem auf der Bühne manches Mal zum Quintett anwachsen kann, diese Fähigkeit bei den von Electro-Folk durchdrungenen ersten Langspielern „All That Floats Will Rain“ und „Silent Treatment“ noch auf sehr malerische Weise ein, wurden ihre Songs auf dem 2016er Album „Camp Echo“ deutlich vielschichtiger und elektronischer, ja: düsterer. Anstatt länger in melancholischen Traumbildern zu schwelgen, thematisierten Ingrid Helene Håvik und Trond Bersu in vielen Stücken verdammt weltliche Ängste in Verbindung mit Krieg, Terror oder der Klimaerwärmung. Findige Füchse lesen dies bereits aus dem Albumtitel „Camp Echo“ heraus, schließlich handelt es sich hierbei um den Namen eines Gefangenenlagers in Guantanamo Bay. Passend dazu verlagerten Highasakite die dazugehörige Soundkulisse hin zu Neunziger-R’n’B, Trance und sinistrem Synthie-Pop mit tonnenschweren Tastentönen, Drumbeats und Verfremdungseffekten – kühl, aggressiv und aufgewühlt klingen hier viele Momente, in einer Manier, die oft genug an The Knife erinnert. Diesen Weg setzte die Band, die bereits mehrfach den renommierten norwegischen „Spellemannsprisen“ einheimsen konnte und 2016 sogar beim „Nobel Peace Prize Concert“ auftrat, unlängst auch mit dem 2019 erschienenen Album „Uranium Heart“ fort: Schlagzeug, Gitarre, Synthesizer und allerlei elektronische Elemente bilden vornehmlich den Rahmen für die hingebungsvoll-epischen Klangflächen der Norweger.

Was auf Konserve zwar recht gut als Kopfkino-Untermalung funktioniert, an mancher Stelle jedoch auch schnell überfrachtet wirkt und – zumindest nach meinem Gusto – zu electronica-lastig gerät, bekommen Highasakite live wesentlich wirkungsvoller hin. Bestes Beispiel ist etwa die „Acoustic Versions EP„, auf der die Band vier Songs von „Camp Echo“ in reduziertem Gewand präsentiert. Oder eben diese 2019er Live-Variante des tollen Songs „God Don’t Leave Me“ (hier und hier gibt’s weitere Auszüge von jener Show). Auch dieser stammt vom 2016 erschienen dritten Album und verhandelt zum Widerhall von Synthies und Chor einen verzweifelten Ruf an Gott, den laut Band ein Soldat in seiner größten Not ausstoßen könnte…

(Auf den Song aufmerksam geworden bin ich übrigens durch seinen Einsatz in der zwar etwas vorhersehbaren, jedoch dennoch sehenswerten norwegischen Nordic-Noir-Serie „TWIN„, welche auch für alle Freunde von „Game Of Thrones“ einen Binge-Versuch wert sein dürfte, immerhin ist Kristofer „Tormund Riesentod“ Hivju hier in einer Doppelhauptrolle zu sehen. Die insgesamt acht Folgen findet man bei Interesse in der ARD-Mediathek…)

„God, don’t leave me, I’ll freeze
I panic in my bedroom half asleep
God, don’t tempt me, I’m weak
And either way, it’s a shitty way to leave
Creator of my awful mind
You crossed the line this time
You crossed the line this time
It’s been a long time since the phone rang and it was you
God, don’t leave me, I’ll freeze
If only ‚bout a second of your time
If only ‚bout a second of your time

God, don’t leave me, I’ll freeze
Like the last summer
God, don’t leave me, I’ll freeze
Like the last summer (God, don’t leave me out)
God, don’t leave me, I’ll freeze
Like the last summer (God, don’t leave me now)
God, don’t leave me, I’ll freeze
Like the last summer (God, don’t leave me now)
Like the last summer (God, don’t leave me now)
Like the last summer (God, don’t leave me now)
Like the last summer…“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Sløtface – „Telepathetic“


Foto: Promo / Jonathan Vivaas Kise

Junge Menschen treibt heutzutage vieles umher – der Klima-Wandel oder zunehmende Rechtsruck-Tendenzen etwa. Hinzu kommen das Zurechtfinden in einer sich immer schneller wandelnden Welt und scheinbar erwachsenen Lebenssituationen, zerbröselnde Liebesbeziehungen sowie die Planung der eigenen Zukunft. „Sorry For The Late Reply“, das bereits im Januar erschienene zweite Studioalbum der Indie-Punker Sløtface, schnappt sich für seinen Titel nicht nur eine Alltagsphrase, die den Zeitgeist junger Erwachsener griffiger kaum fassen könnte, sondern reißt in gleichem Zug eben jene Themenbereiche an, die diese Gesellschaftsgruppe scheinbar in den Wahnsinn zu treiben scheinen. All das packt die Band aus der norwegischen Küsten-Stadt Stavanger in eingängigen Indie-Punk-Rock, der sich an so einigen Stellen herrlich befreiend anfühlt und wohlmöglich auch bei „älteren Semestern“ den Wunsch hervorruft, tanzen zu wollen. Kurzum: Das nahezu perfekte Gitarrenalbum für die „Generation Y„.

Der Sound, den das Quartett um Sängerin Haley Shea auf dem Nachfolger zum 2017er Werk “Try Not To Freak Out” auffährt, ist dabei ebenso vielschichtig wie zumeist dezent poppig. Das mag zu großen Anteilen an Odd Martin Skålnes liegen, der etwa bereits an Sigrids Hit-Single „Don’t Kill My Vibe“ werkelte und der Band als Produzent zur Seite stand. Gleich das Eröffnungs-Dreiergespann aus „S.U.C.C.E.S.S.“, „Telepathetic“ und „Stuff“ setzt auf drei so schmissige Refrains, dass es fast schon frech erscheint, wie sehr sich die Songs bereits nach wenigen Durchgängen in den eigenen Kopf fressen. Die auf Hit getrimmte Ausarbeitung der Aufnahmen kommt gerade in den Strophen von „Stuff“ zur Geltung: Der Beat klingt nahezu programmiert, der Bass übernimmt in leicht angespactem Sound das Ruder und die Gitarre steuert zumeist lediglich kleine Blues-Licks bei. Solche Spielereien sind so banal, dass sie erst im Zusammenwirken mit den anderen drei Instrumenten ihre volle Durchschlagkraft entfalten.

Trotz aller Eingängigkeit sind die Songs im Kern und Herzen jedoch immer Punk. Das spiegelt sich freilich vor allem in den flotteren Stücken wider. So wird „Crying In Amsterdam“, bei dem flottes Tempo auf Lo-Fi-Produktion und Fuzz-Gitarren trifft, von einem elektrifizierenden „Yeah“-Ausruf eingeleitet und zieht das Tempo mit seiner knarzenden Bass-Line und flottem Beat alsbald entsprechend an. Der niedliche Garage-Rocker „Tap The Pack“ treibt wenige Minuten zuvor mit angecrunchten, in den richtigen Momenten aber knarzenden Gitarren befreiend nach vorn. Auch fein: „Nancy Drew“ mit seinem Death From Above-Bass. Dabei versieht die Band ihre Songs stets immer mit einem Fünkchen Pop à la Ash, The Wannadies oder Green Day.

Auch die Texte von Sløtface (die in ihren Anfangstagen als „Slutface“ umher tingelten) verankern sich tief im Punk Sub-Genre, sind zwar selten direkt politisch, dafür stets politisiert. So zieht Frontfrau Haley Shea mal über soziale Ungerechtigkeiten und den Leistungsdruck westlicher Gesellschaften her („S.U.C.C.E.S.S.“), seziert später die monotone Natur der Routine („Telepathetic“) und behandelt schlussendlich auch den mensch-gemachten Wandel unserer Umwelt („Sink Or Swim“). Gerade letztgenannter Song könnte mit Zeilen wie „It’s not politics, it’s sink or swim“ oder „It’s too warm for October“ sowie seinem eingängigen Sound fast schon zur kommenden Hymne der juvenilen „Fridays For Future“-Bewegung mutieren.

Die zurückgenommene Indie-Ballade „New Year, New Me“ wiederum wendet sich mehr dem „Ich“ als Objekt zu und reflektiert jene Neujahrsvorsätze, die eh nie-nie-niemals eingehalten werden. In Sheas Worten heißt das dann: „‘New year, new me‘ is the greatest lie I always tell myself.“ Ertappt? „Laugh At Funerals“ dahingegen nähert sich einer anderen unangenehmen Situation, nämlich dem Zusammentreffen von Verwandten und Freunden, wenn Familienmitglieder versterben. Passend zu seiner emotional aufgeladenen Thematik entlässt der Song gen Ende seine Spannung in einem instrumentalen Ausbruch. Im Anschluss nimmt „Static“ einen jedoch schon wieder bei der Patschehand und schleppt einen mitsamt unverschämt tighter Bass-Linie auf die Indie-Tanzfläche (so diese denn nach Ende des Corona-Lockdowns wieder freigegeben wird).

All diese Erlebnisse machen viele junge Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens durch. Mehr noch: Diese Sorgen – die Angst vor den Folgen der Klima-Katastrophe, dem gesellschaftlichen Druck, einem gewissen Standard entsprechen zu wollen – scheinen mittlerweile ein fester Teil des Heranwachsens geworden zu sein. Sløtface bieten auf ihrem Zweitling gerade jenen Gedanken eine Plattform. Und wo andere nur hohle, stylish gereimte Phrasen singdreschen, lässt das Quartett auf kritische Worte auch Taten folgen, beteiligte sich in ihrer Heimat an Aktionen zum Weltfrauentag und spielte etwa für das Musikvideo zu ihrem Song „Sponge State“ (von der gleichnamigen 2016er EP) illegal auf einem Berg in Førde, wo sich zeitgleich eine Aktivistengruppe an Maschinen eines großen Bergbaukonzerns kettete, der Abfälle in den Fjord kippt. Bei solch einer Nähe zum alltäglichen Leben überrascht es keineswegs, dass die Band in der Vergangenheit für ihr Debüt und ihren unverschämt eingängigen Glitter-Punkrock nicht nur das Grammy-Äquivalent ihres Heimatlandes, den „Spellemann„, in Empfang nehmen durfte, sondern sogar bereits in der erfolgreichen Coming Of Age-Netflix-Serie „Sex Education“ Erwähnung fand. Denn – ja – gerade solche Themen treiben Millennials nämlich umher…

(Wem übrigens die etwas ruhigere Seite von Sløtface mehr zusagt, dem sei das unlängst in tourneefreier Quarantäne entstandene und im Oktober veröffentlichte Quasi-Akustikalbum „the slumber tapes“ wärmstens empfohlen…)

Rock and Roll.

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Song des Tages: The Musical Slave – „They Can’t Stop You“


Wenn selbst einer wie Oscar-Preisträger Glen Hansard (The Frames, The Swell Season) einem digitale Lorbeeren wie „Norwigi embodies the best of cultures crosspollinating and flourishing together. I’m a huge fan of her writing and her videos.“ zuteil werden lässt, dann sollte man getrost ein, zwei Öhrchen riskieren.

Hinter der von hoher Singer/Songwriter-Stelle gepriesenen The Musical Slave versteckt sich die aus Norwegen stammende Straßenmusikerin Kristin Vollset, die – schenkt man ihrer Erzählung Glauben – in ihrem Leben schon gut in der Welt herum gekommen ist:

„The Musical Slave is a travelling musician and storyteller. She plays tropical punk and sings about people, love, cosmic forces, and the world economy. 

The Musical Slave is from Bergen, on the west coast of Norway. But she’s happiest when she’s out wandering. She started making music, jamming on the streets of Lyon, in France around the year 2000. She later moved to London where she ended up making vocal- and noisebased soundscapes. After a few years she travelled to Mexico, and started working as a street musician there. She also worked as a fisher in the Mexican lagoon of Temascal. When she moved back home she started writing her own songs. She has also worked as a school assistant, painter, scaffolder, bricklayer, gardener, and on a farm making cheese and sausages.

The Musical Slave has been performing in the street, since 2003. When she’s on the move she also sometimes makes money selling pancakes. 

From 2006 to 2010 she was in the band Bergen Beach Band.

From 2011 to 2014 she lived in Ireland, where she wrote the famous ballad, ‚No Plan‚, about the urban horse culture in inner city Dublin. She also made a documentary music video for it, which has been screened in film festivals in Dublin, New York and Cairo.

In February 2017 she gave birth to her daughter, Lovis, and until recently she’s been working as a full-time mother. 

She’s now back working on her music, and focusing on recording more of her songs.“

Und auch wie sie zu ihrem Künstlernamen kam, verrät die freiheitsliebende Künstlerin:

 „I call myself ‚The Musical Slave‘ because I believe that the money system turns us into slaves, and stops many people on this planet from doing what they really want to do. When you are always stuck, struggling to survive, you can’t be creative, and you don’t have time and energy left to really live.

But we’re all born with a heart, and we can use this heart to express ourselves, and to fight to turn this world back into the dream its meant to be. And music is a way to spark each other’s hearts, and remind each other to not let anything stop us from doing what we want and being who we want to be.“

Abseits von zwei, drei Songs hat Vollset leider noch nicht allzu viele musikalische Lebenszeichen hinterlassen. Einer davon ist jedoch das im Mai veröffentlichte „They Can’t Stop You“, welches sie ihrer Teilzeit-Wahlheimat Dublin widmet:

I remember when I first arrived in Dublin 8 on a Friday morning in June, how surprised I was that everyone was talking to me. And they had this dark sense of humour that made me feel at home straight away. It was like going back to a different time, when people lived in smaller groups with their own friends and family.

I found a freedom with these people that I haven’t found anywhere else. And with this song, I want to give people the same feeling of freedom they gave me.

This song, ‚They Can’t Stop You‘, is really about the search for freedom. The basic, primal freedom I think every living being longs for, but that, unfortunately, is hard to reach.

And that’s why I love the people of Dublin 8 so much – because out of all the people I’ve met in my life, they’ve come the closest to claiming that freedom. The song is also about the tension between the tribe and the state, and about who gets to decide what freedom is and if we should be allowed it.

I had a big problem in Dublin, that the police kept shutting me down whenever I played in the street. I think the state goes too far in limiting people’s freedom and their right to exercise their culture. And society is transforming quickly now, and with mass surveillance becoming the new norm, and artificial intelligence being able to reach and possibly control every aspect of our lives, redefining and reclaiming freedom is more relevant than ever.

So with this song I hope to remind people what it feels like to be free…

Und neben einem wachen Auge für gesellschaftliche Missstände scheint Irland auch klanglich die ein oder andere Spur hinterlassen zu haben – so meine ich einen Touch der vor zwei Jahren (zu früh) verstorbenen Cranberries-Sirene Dolores O’Riordan herauszuhören.

Klare Sache: The Musical Slave und ihr zukünftiges Schaffen sollte man im Auge (und Ohr) behalten! Ist ja schließlich von Glen Hansard abgesegnet…

Rock and Roll.

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