Vielleicht noch mehr als in der Liebe, gilt dieser Spruch für die Auswahl potentieller neuer Tätowierungen. Unterwäsche, Autos, Versicherungen, Banken, den Arbeitgeber, gar den Partner oder die Partnerin – so ziemlich alles kann man schnell und nahezu problemlos wieder und wieder wechseln, beinahe, wie es einem gerade in den Kram passt. Nur eben die „Kunst auf der Haut“ (die erstmal nicht wenig schmerzvoll unter selbige muss) – für den einen die schönste Körperverzierung, für den anderen schlicht unästhetisch, für einige wenige ewig Gestrige noch immer die Brandmarkung von Seemännern und Knastgängern -, die bleibt (bestenfalls) ewig bestehen. Ich spreche da aus mehrfacher eigener Erfahrung: Die Wahl des richtigen professionellen und qualifizierten Nadelschwingers ist im Vorfeld genauso wichtig wie das gründliche Nachdenken über das Motiv – bestenfalls über die Bedeutung für einen selbst. Wer will schon ewig an eine längst Verflossene erinnert werden, wenn man allmorgendlich in den Spiegel schaut? Oder die Modesünde „Arschgeweih“ vor jedoch Schwimmbadbesuch peinlich berührt verstecken müssen? Ähnlich verhält es sich mit Körperschmuck und Statement gewordenen Songtexten der Lieblingsband (auch hier kann ich mitreden/-schreiben). Nicht alles, was man im Hier und Jetzt als schönste Poesie titulieren würde, würde man schließlich auch morgen – geschweige denn in zehn Jahren – noch so unterschreiben. Wer’s nicht glaubt, der darf sich gern mal an die eigenen juvenilen und adoleszenten Musikvorlieben (von Boybandwahn bis Thunderdome, von Girlgrouppower bis Hair Metal) zurückerinnern…
Das Thema „Songtexte, die unter die Haut gehen“ (beziehungsweise, hier: „Songzeilen, die du dir als Indie-Kind tätowieren lassen solltest„) greifen auch die Schreiberlinge von „Noisey – music by Vice“ auf und unterziehen einige potentielle Tattookandidaten einer kleinen psychologischen Hintergrundanalyse – wenn auch nicht ganz ernst zu nehmen, dann jedoch zumindest mit einem popkulturellen Augenzwinkern…
Manchmal ist die Wahrheit so banal und simpel, dass man sich am Ende am liebsten seiner eigene Geschichte zusammen gebastelt und zurecht gebogen hätte…
Man nehme nur einmal diesen Künstlernamen: Chet Faker. Geil, oder? Da ließe sich etwa zusammenspinnen, dass die Mutter dieses Herren in den sündigen Siebzigern einmal eine Affäre mit dem legendären, Rauschmitteln nicht eben abgeneigten Jazzmusiker Chesney Henry Baker Jr., wohl besser bekannt als Chet Baker, gehabt haben mag, und dass der Spross eben dieser Liaison sich nun aufgeschwungen hat, es seinem verstorbenen Vater gleich zu tun und ebenfalls Musiker zu werden – mit dem Erzeuger als augenzwinkernde coole Hommage im Alias. Nein, wohl alles (h)ausgemachter Hirnsalat, die Realität mag’s leider banal: Hinter dem Pseudonym „Chet Faker“ versteckt sich lediglich der Australier Nicholas „Nick“ James Murphy, der bereits in seinen musikalischen Anfängen feststellte, dass es einen Musiker gleichen Namens (also: Nick Murphy) gab, und sich, um Verwechslungen von vornherein aus dem Weg zu gehen, eben dieses feine Künstlernamenwortspiel ausdachte. Dabei führt einen der Name nicht einmal auf die falsche Assoziationsfährte. Denn der 24-jährige Murphy komponiert seine Stücke ähnlich frei und im Raum schwebend wie im Jazz…
Für erste Furore sorgte er allerdings mit einer Coverversion: 2011 stellte Murphy seine Interpretation des Neunziger-Jahre-Evergreens „No Diggity“ (im Original von Backstreet und Dr. Dre) ins Internet – und löste damit in den musikalischen Blogsphäre eine wahre – wenn auch kleine – Welle der Begeisterung aus. Das E-Piano perlt über simple Funksprünge und umspielt „Location Samples“ (so nennt zumindest der Künstler selbst seine Field Recordings aus Stadt und Land), während Chet Faker süßlich darüber croont: „I like the way you work it/ No diggity, I got to bag it up, bag it up…“. Einen ähnlichen Klangkosmos erspielt sich auch die im vergangenen Jahr erschienene Debüt-EP „Thinking In Textures„: Murphy sammelt Stilmittel aus R&B oder Soul zusammen, vermengt diese mit Beats, Samples oder zarten Industrial-Einflüssen und schüttelt diese Mixtur zu einem höchst zeitgemäßen Cocktail durch, der als Einheit auch in einer Lounge-Bar, irgendwo zwischen Burial, James Blake, Frank Ocean, Flying Lotus, Thom Yorke (der Solo-Yorke, nicht der Radiohead- oder Atoms For Peace-Yorke!) oder alten Motown, nicht unangenehm auffallen würde. Und obwohl den sieben Songs der immerhin knapp 30 Minuten langen EP wohl Vieles näher länge als sich nach Aufmerksamkeit zu drängen, blieben Chet Fakers Qualitäten auch in der australischen Musikszene nicht verborgen. So gewann Murphy 2012 den Preis als „Breakthrough Artist of the Year“ sowie den „Independent Records Award“, während seine gemeinsam mit DJ-Kumpel Flume (aka. DJ Harley Streten) veröffentlichte Single „Left Alone“ die Charts ordentlich aufmischte. Lupenreine Popqualitäten hat Murphys Musik dabei kaum, eher schmiegt sie sich wie ein Tagtraum an die Gehörgänge – so lange, bis man mehr will vom zurückgelehnten Electronica-Crooner aus der Vier-Millionen-Einwohner-Metropole Melbourne. So lange, bis man zu Songs wie „I’m Into You“ oder „Cigarettes And Chocolate“ süchtig lächelt in den grauen Winterhimmel blickt. Immer noch besser, als sich wie Chet Baker für immer aus dem Fenster eines Amsterdamer Hotels zu verabschieden…
Soeben ist mit der Drei-Track-Single „Drop The Game“ / „What About Us“ / „This Song Is…“, welche man als „Lockjaw EP“ finden kann, das nächste Kollaborationsergebnis des sympathischen Bartträger-Aussies mit seinem Elektro-DJ-Kumpel Flume erschienen. Und während man noch immer auf den ersten Solo-Langspieler warten muss (wer die australische Mentalität kennt, der weiß, dass das bei all der Laid-Backness schon mal etwas länger dauern dürfte…), kann man sich die Zeit mit der hervorragenden „Live Sessions EP“ (gibt’s hier für lau, umme und kostenlos!) vertreiben, bei deren drei Stücken – dem Burial-Cover „Archangel“, dem EP-Verteter „Love And Feeling“ und der famosen Backstreet-Interpretation „No Diggity“ – Chet Faker und seine Buddies beweisen, dass deren Musik auch im live bespielten Bandkonstrukt so einiges kann…
Noch nicht genug? Dann gibt’s hier noch die Musikvideos zu „Terms And Conditions“…
…der erfolgreichen Flume-Kollabo „Left Alone“…
…und der neuen Single „Drop The Game“, bei welcher Flume bekannt ebenso mitmischte:
Und wen die Worte des Künstlers selbst interessieren, der findet bei den Kollegen des „Noisey – music by Vice“-Internetportals ein mit Nick „Chet Faker“ Murphy geführtes Interview vom Juli diesen Jahres, in welchem der Australier – natürlich ganz entspannt – mehr über Inspirationen, Freundeskreis und Pläne erzählt.
Das alte Spiel: Sieht jemand gut aus, so neigt der böse Bruder Vorurteil vorschnell dazu, dieser Person jegliches Talent abzusprechen. Frei nach dem Motto: „Noch so jemand, der mit 90-60-90 und einem Paar Rehaugen gut Kasse machen möchte.“ Es kann eben nicht jeder Franck Ribéry sein…
Aber mal ganz ehrlich: In Wirklichkeit macht doch Schönheit – so subjektiv dieser Begriff auch sein mag, gibt es doch in Zeiten der totalen Vernetzung ein mehr oder minder gängiges, globales Verständnisbild dieses hohlen Begriffs – erst das Gesamtpaket erst „so richtig rund“, oder? Und demzufolge müsste auch BANKS in Kürze heftigst durchstarten… Denn die 25-jährige Musikerin Jillian Banks aus dem sonnenverwöhnten Los Angeles bringt alles mit, um das „nächste große Ding“ zu werden: ein bildhübsches Äußeres, eine auf verruchte Weise zärtliche Stimme, massig Talent für das richtige Timing und die Kontakte zu genau den richtigen Produzenten. Und so klingen denn auch das von Totally Enormous Extinct Dinosaurs (aka. TEED) produzierte „Bedroom Walls“ oder „Waiting Game“, das der versierte Leisetreter SOHN (ebenfalls ein Name, den man für die Zukunft auf dem – digitalen – Zettel haben sollte) in eine mit schleppender Elektronik verzierte Pianoballade verwandelt, mal nach sehnsüchtiger, elfenhafter Sirene, mal nach schwerfälligem Tranzflächen-R&B á la Rihanna, oder (meist) nach melacholischem Nachtstunden-Triphop der Marke The xx. Man merkt schnell: Die junge Dame versteht es, Klang und Ästhetik zu einer Einheit zusammenzuführen, die kaum mehr auf der Höhe der Zeit sein könnte. Musik, um sich selbst zu verlieren? Selten war Atemlosigkeit schöner…
„I’m thinking it over / The way you make me feel all sexy but it’s causing me shame / I wanna lean on your shoulder / I wish I was in love but I don’t wanna cause any pain / And if I’m feeling like I’m even, we’ve got nothing to gain…“ („Waiting Game“)
„As for our house, I’ll move out / You can keep the dog we trained / Things soon will be like before I ever met you / Before I ever met you…“ („Before I Ever Met You“)
Übrigens: Wer die ein oder andere berechtigte Lobeshymne mehr lesen mag, dem sei die detailreiche Vorstellung der Kollegen des Noisey Blogs ans Hörerherz gelegt. Die sind sich dann auch schon im Titel sicher: „BANKS wird er nächste große Pop-Star“.
Hier kann man sich BANKS‘ im September erschienener „London EP“ in Gänze hingeben…
…ebenso wie der Single „Fall Over“ (inklusive der B-Seite „Before I Ever Met You“):
Und wer’s audiovisuell mag, der bekommt mit den – freilich in ansprechendem Schwarz-weiß gehaltenen – Szenerien von „Fall Over“, „Waiting Me“ und „Warm Water“ schummrige Sonntagsmelancholien, die noch die komplette nächste Woche im Kopf nachhallen werden. Versprochen? Versprochen.
Was macht Radiohead so besonders? Sicher, spätestens seit derem Geniestreich „OK Computer„, der zwar mittlerweile 16 Jahre auf dem musikalischen Buckel haben mag, jedoch noch immer so zwingend und thematisch aktuell klingt wie 1997, zerbrechen sich allerhand (Fach)Leute an dieser Frage berechtigtermaßen die altklugen Köpfe. Sind es Thom Yorkes kryptische Texte, die zwischen den Zeilen nach Menschlichkeit in einer Welt suchen, die ihr Heil längst im unbarmherzig kranken Kapitalismus verloren hat? Sind es die steten Flirts von moderner Rockmusik mit elektronischen Verfremdungen und Stilmitteln, wegen denen man die englische Band auch heute noch „ihrer Zeit voraus“ wähnt? Keine Ahnung, wohl eine Mischung von allem. Für mich persönlich fanden Radioheads Songs eh meist im Herzen, und weniger im Kopf, statt…
Und was passiert, wenn man Stücke wie „Paranoid Android“ (von dem erwähnten Album „OK Computer“), die ob ihrer Komplexität sogar der Erwachsenenwelt noch immer heftige seitenlange Rätsel aufgeben, Kindern vorspielt? Schreikrämpfe? Irritierte Gesichter? Spontane Tanzeinlagen? Noisey hat genau das für die Reihe „You Review“ ausprobiert. Seht selbst…
Für mich ein feiner Lacher: „I think this band only eats vegetables…“