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Das Album der Woche


Refused – Freedom (2015)

Refused_Album-Cover-erscheint bei Epitaph/Indigo-

Mit Comebacks im Musikgeschäft ist es ja so eine Sache… Die einen können besseren Wissens gar nicht aufhören zu touren und lassen das „Comeback“ im eigentlichen Sinne – mangels Auszeit – erst gar nicht zur Sprache kommen (Rolling Stones, The Who), andere wiederum raffen sich nach Jahren des steten Tantiemenflusses und der Trauer um ihr wichtigstes Mitglied – freilich den Frontmann, die Stimme, das Sprachrohr – wieder auf und zusammen, um mit einem neuen Fronter auf Tournee oder ins Studio zu gehen (The Doors, Alice In Chains, Queen). Fakt ist: beim Großteil ebenjener Beispiele hat vieles, was sie tun (oder eben: nicht tun), längst den roten Bereich des Peinlichkeitsradars überschritten und müffelt bereits seit Jahren unschön nach der bloßen Geldscheffelmaschinerei alter Männer, die gar nicht anders können, als immer und immer wieder Abend um Abend dieselbe Show aus (zu) oft gehörten „Greatest Hits“ zu spielen. Denn mal ehrlich: wer möchte schon die Doors ohne ihren charismatisch unberechenbaren Derwisch Jim Morrison hören, wem kann Queen tatsächlich ohne den ewig großen Freddy Mercury gefallen? Eben. Da ist es fast ein Segen, dass sich mit John Lennon und George Harrison die Hälfte der Beatles zu früh ins Nirwana verabschiedeten, dass sich Nirvana-Frontmann Kurt Cobain im sagenumwobenen 27. Lebensjahr in den Musikerhimmel verabschiedete – und seine beiden verbliebenen Bandmitglieder Krist Novoselic und Dave Grohl die Grunge-Heroen vor zwei Jahren mit einer (hoffentlich) einmaligen Reunion-Show im Rahmen der Einführung der Gruppe in die „Rock and Roll Hall of Fame“ mit Gastsängerinnen wie Joan Jett, St. Vincent, Lorde oder Kim Gordon endgültig ad acta legten. Apropos: Was machen nun eigentlich Led Zeppelin? Deren Gitarrist Jimmy Paige würde ja nichts lieber tun, als deren monumentales Erbe für ein Comeback nach dem Comeback (die einmalige Show 2007 in der Londoner O2 Arena) auf Spiel zu setzten. Glücklicherweise stellt sich Sänger Robert Plant dem ganzen Reibach (bislang) vehement in den Weg, weiß er doch, dass die Band spätestens seit dem Tod von Schlagzeuger John „Bonzo“ Bonham im Jahr 1980 ausgespielt hat. Unterm Strich darf jedoch gelten: Ist der Ruf erst ruiniert, tourt es sich ganz ungeniert…

Foto: Dustin Rabin / Promo

Foto: Dustin Rabin / Promo

Nun sind Refused bei all diesen großen Namen, in dieser Aneinanderreihung mehr oder minder legendärer Bands vergleichsweise kleine Lichter. Und trotzdem haben die Hardcore-Punks aus dem schwedischen Umeå 1998 ein Stückweit das Musikgeschäft auf den Kopf gestellt, als sie der Welt unvermittelt ihr drittes – und für 17 lange Jahre letztes – Album „The Shape Of Punk To Come“ vor den Latz knallten. Darin enthalten: zwölf Stücke, hochpolitisch und auf bittere Art und Weise ebenso zeitgeistlig wie zeitlos, ein purer Genre-Mindfuck aus alles und jedem, sodass man nach 55 Minuten derart geplättet und aufgewühlt war, dass man gleich zum Barrikadensturm auf Pflastersteinbett loslegen wollte. Ja, an „The Shape Of Punk To Come“ riss sich seitdem jede Band, die auch nur versuchte, stilistisch in dessen Nähe zu kommen, erfolglos den Allerwertesten auf. Ein Klassiker? Ohne Umschweife – und das nicht nur wegen dem Instant Hit „New Noise„, dessen dengelndes Gitarren-Intro auch fast zwanzig Jahre später alle Jungen und jung Gebliebenen auf die Tanzflächen von Indiedissen zwischen Stadt und Land zieht, um den Boden innerhalb weniger Augenblicke in einen Moshpit aus umher fliegenden Armen und Beinen zu verwandeln. Unerreicht? Sicher. Greifbar? Noch heute nicht. Noch größer wurde das Album nur, nachdem Refused während der Tournee zum Werk nahezu unvermittelt den Stecker zogen und die Welt in einem abrechnenden Abschiedsbrief wissen ließen: „Wir hoffen, dass wir der letzte Nagel im Sarg des faulenden Kadavers namens Popmusik sein konnten.“ Aus, Schluss, vorbei. (Und man munkelte, dass unerfüllte Erwartungen und interne Spannungen für den Split verantwortlich waren.) Für lange Zeit schien eines unumstößlich: Refused are fuckin‘ dead.

51N5GAQDZRLDass die Band im Jahr 2012 ein – freilich umjubeltes – (Bühnen-)Comeback wagte, dürfte zumindest bei dessen charismatischem Frontmann Dennis Lyxzén nicht an dessen vermeintlicher Unterbeschäftigung gelegen haben, immerhin hatte der heute 43-Jährige nach dem Ende von Refused mit den nicht minder tollen Garage-Rockern von The (International) Noise Conspiracy oder The Lost Patrol Band, die 2003 das ewig großartige Northern-Alt.Country-Meisterwerk „Songs About Running Away“ in die Plattenläden stellten und erst kürzlich eine Transformation zu Power-Punkrockband INVSN durchmachten, – um nur mal zwei von Lyxzéns Bands zu nennen – genug musikalisches Projekte um die Ohren. Nein, die Band machte von Anfang an keinen großen Hehl daraus, dass die umfassende Tournee durch viele große Festivals (ich hatte etwa die Gelegenheit, die Schweden vor drei Jahren bei dänischen Roskilde-Festival zu sehen) eindeutig finanziell motiviert war. Natürlich darf auch ein Musiker, darf eine Band jederzeit seinen „Rücktritt vom Rücktritt“ erklären, darf wieder auf Tour gehen, um damit Geld zu verdienen – Miete, gewisse Freiheiten und die täglichen Brötchen für die Familie müssen ja auch irgendwie bezahlt werden. Wie titelten einst die Manic Street Preachers so großartig: „Freedom of choice won’t feed my children“. Und doch hinterlässt gerade bei einer Band wie Refused, die sich zu Zeiten ihrer ersten Bandphase zwischen 1991 und 1998 immer eindeutig links (man mag bei dem ein oder anderen Text aus Dennis Lyxzéns Feder unumwunden von Faszination für die Ideale des Kommunismus sprechen/schreiben) präsentiert hatte, eine dem schnöden Mammon geschuldete Entscheidung ein überaus schales Gefühl. Wurde da gerade der erste Nagel wieder aus dem modrigen Sargdeckel gezogen? Nach den Konzerten von 2012 schien die Band aber schon wieder die Hardcore-Schaunze voll zu haben. „We’re going home and we’re doing it in style“. Einfach so? Einfach so.

Nun aber: der Rücktritt vom Rücktritt vom Rücktritt. Und diesmal nicht nur auf Konzertbühnen, sondern sogar mit einem neuen Album. „Freedom“ haben die vier Schweden Dennis Lyxzén (Gesang), Kristofer Steen (Gitarre), Magnus Flagge (Bass) und David Sandström (Schlagzeug) ihr erstes Studiowerk seit geschlagenen 17 Jahren vielsagend betitelt. Was wohlmöglich schwerer wiegt: nicht nur Gitarrist Jon Brannström hatte darauf keinen Bock und verließ die Band, sie haben sich mit Landmann Karl Schuster (aka. Shellback) einen Mann als Co-Songwriter und Produzenten ins Boot geholt, der vorher eher mit glattgebügelten Pop-Konserven á la Maroon 5 oder Taylor Swift zu tun hatte – wenn auch nur für zwei der zehn neuen Stücke (den Rest der Produktion übernahm der schon eher Indierock-kredible Nick Launay). Trotzdem: gerade bei den ehemaligen ultralinken Politrock-Vortänzern von Refused legen spätestens seit dem Meilenstein „The Shape Of Punk To Come“ sowohl Fans als auch die gesamte Journailie (Print, Online, sonstwo) jeden Akkord, jede Silbe, jede musikalische Wasserstandsmeldung auf die Goldwaage. Was auch völlig legitim ist, immerhin hatte sich die Band Ende der Neunziger mit markigen Worten Knall auf Fall aus dem Musikgeschäft verabschiedet. Capitalism stole their virginity also? Bring it on…

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Dass die 43 Minuten neuer Musik bei der Debatte um das Für und Wider der Rückkehr dieser (einstmals) mit so hohen, hehren (politischen) Zielen gestarteten Band zurückstecken müssen, bleibt nahezu unvermeidlich. Dass „Freedom“ gegen seinen monumentalen Vorgänger einfach nur verlieren kann, ebenso. Trotzdem passiert in dem ein oder anderen neuen Stück so allerhand. Dabei erweist sich das Eröffnungsstück „Elektra“ (entstanden gemeinsam mit Shellback) mit metallischer Hardcore-Schlagseite als der mit Abstand konventionellste Song auf dem neuen Werk, sodass fast en wenig Studioluft von „The Shape…“ herüber weht. Bereits Song Nummer zwei, „Old Friends / New War“, ist ein mit verstörend verzerrter Stimme eingeleiteter, unter allerlei Effektgewitter begrabener akustischer Protestsong, der trotz leiernder Westerngitarren und Rap-Parts eingängig daherkommt. „Dawkins Christ“ beginnt mit verträumt-bedrohlichem Frauengesang und ist danach einfach nur pure Wut, „Françafrique“ beschert uns einen – leider albernen – Kinderchor, untergelegte Beats, Red Hot Chili Peppers-Funk-Gitarren und Pop-Refrain (ähnlich wird’s später noch einmal bei „366“) wieder einen dieser grenzgenialen Refused-Momente. „Just another word for genocide“ hallt es zum Ende zudem gewohnt bitter und zutiefst politisch aus den Boxen – ein Musik-Text-Kontrast, der (bewusst) verstört. Der Chili-Peppers-Funk fegt dann noch einmal das feine „Servants Of Death“ durch, bevor das sechseinhalbminütige „Useless Europeans“ den verschrobenen halbballadesken Rausschmeißer spielen darf. Dazwischen: viel Wut, ab und an Experimente, eine Prise Hardcore-Pop, jedoch auch reichlich Füllmaterial, das den Hörer dezent ratlos zurück lässt. Wie übrigens auch Dennis Lyxzéns Texte, die mal von „denen da oben, uns da unten“ erzählen möchten, mal „Schwerter zu Pflugscharen“ schmieden möchten, mal die ehemals linken Barrikaden wieder neu hochzuziehen scheinen, um allem zwischen Globalisierung, Völkermord und kaltem Kapitalismus die Stirn zu bieten (Überraschung, Überraschung: der Hund beißt sich in den eigenen Schwanz!). Plattitüden? Leider viele. Refused ziehen derweil unter Krawall weiter die Nägel aus dem eigenen Sarg. Opa Hardcore schüttelt sich kurz. Und riecht so schön modrig nach den Neunzigern. Entdecke die Möglichkeiten…

 

Hier kann man sich mit den Musikvideos zum Albumopener „Elektra“, zu „Françafrique“ sowie zu „Dawkins Christ“ bereits einen ersten Vorgeschmack von „Freedom“ machen:

 

 

Desaparecidos – Payola (2015)

87379_desaparecidos-erschienen bei Epitaph/Indigo-

Dabei zeigen die Desaparecidos mit ihrem Comeback-Album „Payola“, wie man es so viel besser machen könnte…

Obwohl: „Comeback“? Immerhin war Desaparecidos-Frontmann Conor Oberst nie weg. Viel mehr noch: der heute 35-Jährige ist Musiker aus Beruf und Berufung, veröffentlicht seit jungen Teenager-Jahren Platte um Platte, Single um Single – zuerst allein, dann mit seinem immer umfangreicher gestalteten Bandprojekt Bright Eyes (neun Alben seit 1998, das letzte, „People’s Key“, erschien 2011), zwischendrin und später solo (ebenfalls mehr oder minder neun Werke seit den frühen Neunzigern), nebenan als Teil anderer Bands, wie etwa den Monsters Of Folk, zu denen unter anderem auch My Morning Jacket-Kopf Jim James oder Alt.Country-Barde M. Ward gehör(t)en (das selbstbetitelte Debüt erschien 2009). Und da Oberst mit seinem Werdegang vom gefeierten Indie-Wunderkind der Nullerjahre zum krediblen Singer/Songwriter (mit einem kurzen Abstecher in die Klatschspalten durch seine zeitweise Beziehung zu Schauspielerin Winona Ryder) und verheirateten Familienvater nicht ausgelastet war, machte er sich als Mitbegründer des kaum weniger krediblen Indie-Labels „Saddle Creek“ oder als Vertreter humanistischer wie politischer Botschaften einen Namen (etwa als Befürworter von PETA oder der Wahl des demokratischen Kandidaten Barack Obama zum US-Präsidenten im Jahr 2008).

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Eines von Obersts musikalischen Ventilen zur Zementierung eindeutig politischer Botschaften waren in der Vergangenheit die Desaparecidos. Die tragen das Statement ja per se bereits im Namen: „Die Verschwundenen“ – in Mittel- und Südamerika seit jeher ein trauriger Sammelbegriff für all jene, die mutmaßlich dem Krieg aus Drogen und Korruption zum Opfer gefallen sind. Bereits 2002 machte die Band aus Nebraska von sich reden, als sie mit „Read Music / Speak Spanish“ ein fröhlich-angepisstes, knapp 36-minütiges Stück Musik veröffentlichte, das perfekt aus Rooster ihres (damaligen) Stammlabels „Saddle Creek“ passte: vom Klang her zutiefst im ehrlichen Lo-fi-Sound der Neunziger verhaftet, als „Emo“ noch mit Bands wie Fugazi, Mineral, Knapsack oder Sunny Day Real Estate verbunden schien und weniger mit dem späteren hohlen Kajal-Bombast á la My Chemical Romance, von den Texten her abgrundtief zeitgeistig und auf beissende Art und Weise politisch. Und mitten drin Conor Oberst, der bei den Desaparecidos wohl zum ersten Mal seine Bright Eyes-Weinerlichkeit abschütteln konnte, um in den hektischen Songs von „Read Music / Speak Spanish“ (ganz groß, noch immer: „Greater Omaha“) den politischen Post-Hardcore-Schreihals heraus zu kehren. Dennoch blieb die Band ein zeitweises Projekt mit Liebhaberwert, von der sich Oberst, dieser umtriebige Tausendsassa, schnell abwendete, um fortan sowohl Bright Eyes (drei Jahre nach dem Desaparecidos-Debüt setzte er sich mit dem vielseitigen Album-Doppelschlag aus „I’m Wide Awake It’s Morning“ und „Digital Ash In A Digital Urn“ bereits früh selbst ein musikalisches Denkmal) als auch sich selbst zu festigen.

Erst acht Jahre darauf fand Conor Oberst wieder Zeit für seine Desaparecidos. Im Juli 2010 fand die Band für einen zunächst einmaligen Auftritt im Rahmen eines Charity-Konzerts im heimischen Omaha wieder zusammen. Man mag’s wohl der Energie zuschreiben, die die fünf Köpfe der „Verschwundenen“ an diesem Abend wieder gespürt haben dürften, denn schon zwei Jahre darauf veröffentlichte die Band in unregelmäßigen Abständen insgesamt sechs neue Songs als Singles. So überraschend also kommt das zweite Album „Payola“ also gar nicht, immerhin gab es ja drei Siebtel des Werkes schon vor Jahren zu hören.

www.LindseyBest.com

Foto: Lindsey Best / Promo

Trotzdem – oder: überhaupt – ist es schön, dass die Desaparecidos nun nach 13 Jahren auch ihre Rückkehr im Albumformat feiern. Warum? Nun, man nehme nur einmal die Einstiegszeilen des ersten Songs „The Left Is Right“ (der bereits vor zwei Jahren als Single erschien): „It begins when we chain ourselves to the ATMs / Make a mess when we pitch our tents on the statehouse steps / Now we’re taking it, now we’re taking it back / Now we’re taking it, now we’re taking it back / For the greater good / Goddamn Robin Hoods“. Dazu gehen Oberst und seine vier Verbündeten mit schneidenden Gitarren, zackigen Melodien und rumpelnden Drums noch rotziger, noch direkter zu Werke als noch 2002. Die Band vermittelt eindeutige Botschaften, schlägt sich auf die Seite von Hackern und der Occupy-Bewegung, wettert gegen rechte, kleingeistige Ideologen und leicht zu Radikalisierende, womit ausdrücklich auch diejenigen gemeint sind, die daheim via Facebook aus der Anonymität heraus dümmliches Gedankengut verbreiten. Die Stücke von „Payola“ legen Finten zu tatsächlichen Ereignissen und Missständen, poltern gegen Turbokapitalismus, Konsumterror und Überwachungsstaat, erzählen vom Kampf Davids gegen Goliath, schwärmen von Aufruhr und Widerstand. Dabei bedienen sie sich zwar der bekannten Topoi des Politpunk, übersetzt diese aber wunderbar ins Hier und Jetzt: „So we buy and we sell for your corporate cartel/ And we vote when the contestant sings/ A mind control mix for our obedience/ Strong sleep aids and hard energy drinks“. Der Frust ist real, und Krach nötig. Notfalls auch, wie in „Ralphy’s Cut“ oder „Radicalized“, bis die Saiten und Stimmbänder zu Bruch gehen.

Nein, die Welt, sie ist keine bessere als damals, 2002, unter der US-Führung und dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Auch unter dem vorab gefeierten vermeintlichen Hoffnungsträger Barack Obama nicht. Umso wichtiger sind die Songs von „Payola“, welches zwar auf „Epitaph“, dem Punk-krediblen Label von Bad Religion-Gitarrist Brett Gurewitz, erscheint (wie übrigens das Refused-Comebackwerk auch), für das jedoch der „Saddle Creek“-Haus-und-Hof-Produzent Mike Mogis wieder die Studioregler bediente, während Conor Obersts Kumpel Tim Kasher (The Good Life, Cursive) einen kleinen Gastauftritt abliefert (beim Song „City On The Hill“, anderswo gibt es auch Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace zu hören). Und ehrlich: bei allem gebotenen Ernst macht all das verdammt viel Spaß. Man merkt deutlich, wie sehr diese Band gefehlt hat. Scheiß doch auf Comebacks – solange die Desaparecidos nie, nie mehr verschwinden…

 

„Payola“ gibt es hier (va NPR) im Stream…

…desweiteren kann man sich das Musikvideo zu „City On The Hill“ zu Gemüte führen:

 

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Yeah Yeah Yeahs – Mosquito (2013)

Yeah Yeah Yeahs - Mosquito (Cover)-erschienen bei Polydor/Universal-

Niemand kann behaupten, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein…

Immerhin feiern die Yeah Yeah Yeahs, jenes sehr New York’sche Trio um Frontfrau Karen O, in diesem Jahr das dreizehnte Jubiläum ihres Bestehens. Und was war das damals, Anfang des neuen Jahrtausends, für ein Getöse um all diese jungen, aufstrebenden Bands aus den Künstlervierteln des „Big Apple“: The Strokes, TV On The Radio, The Hold Steady – all diese hippen, frischen, aufregenden Bands drohten England, dem Mutterland von Pop’n’Rock, plötzlich den Rang abzulaufen (ein im Grunde unnötig angeheizter Wettstreit, der jedoch dem ständigen Neuerungsgedanken der Musikszene nur dienlich sein konnte). Wer angesagt und dabei sein wollte, den zog es in den kommenden Jahren konsequent nach Brooklyn oder Williamsburg, wo fortan Mieten und neue Proberäume fröhlich hochgezogen wurden. Gitarrist Nick Zinner, Schlagzeuger Brian Chase und ihre charismatische Frontchanteuse Karen O waren als – mindestens – Langzeit-New Yorker natürlich mittendrin im Geschehen. Und die drei hätten zu dieser Zeit auch kaum einen besseren Startplatz finden können, schließlich stießen bereits ihre ersten, 2001 beziehungsweise 2002 veröffentlichten EPs (die „Yeah Yeah Yeahs“ EP und die „Machine“ EP) auf dermaßen neugierige Ohren, dass ihr 2003 auf den dürstenden Musikmarkt geworfenes, von TV On The Radio-Chefsoundtüftler David Andrew Sitek produziertes Debüt „Fever To Tell“ quasi nur ein indie-öffentlichkeitswirksamer Start-Ziel-Siegeszug werden konnte. Zu recht? Nun, allein Songs wie „Date With The Night“, „Cold Light“ oder „Y Control“, in denen die Yeah Yeah Yeahs den Punkrock mit all seinem Schweiß, Dreck und Rotz von den schäbigen Miefclubs und Garagenproberäumen direkt auf die mittelgroßen Bühnen von Los Angeles, Berlin oder Tokyo transportierten, sollten für sich sprechen. Ganz nebenbei zeigte sich Miss O wie selbstverständlich auch von ihrer verletzlichen Seite – und brachte mit „Maps“ einen dieser großen Dreieinhalbminüter an den Start, deren zeitloser Intensität man wohl nie überdrüssig wird. Überhaupt: Karen O – er muss ihr wohl im halb koreanisch- (Mutter), halb polnischstämmigen (Vater) Blut liegen, dieser beinahe sekundenschnelle Wechsel von fauchendem Biest zu introvertiertem Liebchen. Und sollte man sich je fragen, wo der kreisende Stilzeiger der Yeah Yeah Yeahs gerade steht, so muss man sich nur den aktuellen Look der 35-Jährigen anschauen. Waren zum Debüt noch punk’sche Lederkluft, Schlabbershirt und zerrissene Jeans angesagt, so wurde Karen Os Look immer verspielter, schriller, mutiger – ja: selbstbewusster. Denn von Album zu Album wuchsen die innere wie äußere Sicherheit der Yeah Yeah Yeahs stetig, verwandelte sich Karen O von der rotzenden Rockröhre zur stilsicher den Trends vorauseilenden Indie-Ikone, die sich gern auch auf musikalischen Nebenschauplätzen abseits ihrer Hauptband betätigte (etwa beim Soundtrack zur Spike Jonze-Kinderbuchadaption „Where The Wild Things Are“ oder beim gemeinsamen Covern des LedZep-Klassikers „Immigrant Song“ mit Trent Reznor und Atticus Ross, welches auf dem Soundtrack zu „The Girl With The Dragon Tattoo“ zu finden ist). Und: ja, dies sollte erwähnt werden, denn mit diesem Wissen ergeben die Nachfolger zum weltweit mehr als eine Million Mal über die Ladentische gewanderten „Fever To Tell“ erst richtig Sinn… Schlich sich die Band mit dem 2007er Zweitwerk „Show Your Bones“ noch heimlich aus den Punkschuppen und öffnete ihren Stil langsam für mehr Eingängigkeit und Vielfalt, wurde bereits auf dem 2009 veröffentlichten „It’s Blitz!“ ausgiebig mit Synthesizern und großen, fiesen Diskokugelhymnen experimentiert. Dem bedauerlichen Fakt, dass dabei für einen Moment ebenso der Gitarrenvirtuose Nick Zinner wie auch Karen Os ohnehin beständig faszinierende Textkunst in den Hintergrund gedrängt wurden, darf man wohl zugute halten, dass sich die Yeah Yeah Yeahs stets auf die Bandfahnen geschrieben haben, Stillstand oder Wiederholungen tunlichst zu vermeiden. Löblich, allemal.

YYYs Promo #1

Und auch das neue, vierte Album „Mosquito„, bei dem neben den beiden Stammproduzenten Nick Launay und David Andrew Sitek erstmal Ex-LCD Soundsystem-Chef James Murphy hinter den Reglern saß, weicht nicht vom Kurs des stetigen Neuerungswillens von Karen O & Co. ab, denn auch hier steckt hinter beinahe allem noch ein zweiter, größerer Hintergrundgedanke. Das fängt bereits beim Coverartwork an, das wohl auch in der Endabrechnung 2013 zum gleichsam Hässlichsten wie Faszinierendsten zählen wird, was in diesem Jahr ein Plattencover „zieren“ durfte: die Grafik des südkoreanischen, in Los Angeles lebenden Künstlers Beomsik Shimbe Shim, kurz „Shimbe“ genannt, zeigt ein herzzerreißend schreibendes Baby, das gerade noch von einem grellgrünen Brei genascht hat, und dessen Fuß sich nun im Griff eines Moskitos befindet, der soeben zum fiesen Stich in den kleinkindlichen Allerwertesten ansetzt. Darunter der Schriftzug der Band, der nicht zufällig an den des Ekel-Kultfilms „Garbage Pail Kids“ erinnert. Von Karen O stammen die Ideen, Karen O beaufsichtigte die Ausführung, Karen O und ihre Jungs hatten das letzte Wort. Und so absurd dieses Frontgebilde anmuten mag, so herrlich muten die die 48 beiliegenden Musikminuten an. „Fallen for a guy, fell down from the sky / Halo round his head / Feathers in a bed / In our bed, in our bed / It’s sacrilege, sacrilege, sacrilege, you say“ – Knallt der Opener „Sacrilege“ dem Hörer noch unvermittelt sündige Textzeilen zu Indierockgitarren und einem mächtigen Gospelchor vor den Latz, hält das darauf folgende „Subway“ bereits direkt unter einer gotischen Kathedrale – schlurfende Beats und herrlich mulmige Melancholieschwälle inklusive. Doch auf Gitarrenwände sollte man sich auf „Mosquito“ nicht allzu sehr einschießen, denn auch hier setzen die Yeah Yeah Yeahs ihren unbedingten Willen zum Experiment fort, mischen mal gemäßigte („Always“), mal derbe Elektronikwände („Under The Earth“) in ihren Bandsound, oder bitten in „Buried Alive“ Rapper Kool Keith (oder dessen alter ego Dr. Octagon) ins Studio – ein Versuch, der leider nur mäßig gelungen ausfällt, und umso mehr an jene Rap-meets-Punk-Gehversuche der Neunziger Jahre erinnert. Dass die Yeah Yeah Yeahs tatsächlich noch Punk können, zeigt das von Gitarrist Zinners „Area 51“-Besuch inspirierte „Area 52“ (sic!), dass rotzfrech riffend aus dem Boden gestampft wird, und bei dem Karen O lautstark fleht: „I wanna be your passenger / Take me as your prisoner! / I wanna be an alien! / Take me please, oh alien“. Dass bei allen Gegenläufen manche Songs einfach nur richtig gut sein wollen (und können!), zeigt „Despair“. Und dass sich das Trio stets mindestens ein großes Stück fürs Ende aufhebt, beweist „Wedding Song“, welches in fünf Minuten flirrend leicht gen Himmel aufsteigt. „In flames I sleep soundly / With angels around me / I lay at your feet / You’re the breath that I breathe“ – Karen Os Stimme begleitet uns hinfort, bis von Fern nur noch das selige Läuten der Kirchenglocken zu vernehmen ist…

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Auch mit ihrem vierten Album „Mosquito“ gelingt es den Yeah Yeah Yeahs zwar nicht, ein zwingend kohärentes Album fertig zu stellen, jedoch fragt sich der Kenner der Vorgänger und Bandhistorie berechtigtermaßen, ob dies je die Absicht des Trios war. Denn wie schon in der Vergangenheit machen Karen O, Nick Zinner und Brian Chase nichts anderes, als ein Potpourri aus Stilen und Einflüssen zu einem großen Ganzen zusammenzufassen. Und auch wenn „Mosquito“ beileibe kein zeitloses Album sein mag, so ist es doch umso zeitgemäßer, selbstbewusster und unterhaltsamer. Die Yeah Yeah Yeahs schaffen damit etwas, was New York-Rockwellen-Zeitgenossen wie den Strokes mittlerweile abhanden gekommen scheint: sie bleiben als Band stilsicher zeitgemäß, ohne sich in Retro-Schleifen zu wiederholen (beim neuen Album von Julian Casablancas & Co. mag zwar irgendwo eine Band anwesend sein, sie tritt jedoch reichlich seelenlos auf). „Mosquito“ ist schlussendlich wie ein spätsommerlich schwüler Abend in New York: brodelnd, faszinierend, anziehend, abseitig und gefährlich. Mit Hochhäusern und Türmen und Schluchten und fiesen, kleinen Moskitos. Nicht jeder Song sticht hier – aber wenn, dann tut’s so schön höllisch weh. Niemand kann behaupten, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein…

 

Szene aus "Sacrilege"

Da einem großen Song meist auch ein großes Video nicht schaden kann, darf Schauspielerin Lily Cole in den bewegten (respektive: bewegenden) Bildern zu „Sacrilege“ als äußerlich unschuldige femme fatale allen (!) Bewohnern einer bigotten US-Kleinstadt den Kopf verdrehen. Prädikat: großartig.

 

Für alle, die tiefer in den Klangkosmos und Backkatalog der Yeah Yeah Yeahs eintauchen möchten, hat ANEWFRIEND einen bewusst subjektive, knapp zweistündige Werkschau der besten Stücke von 2002 bis 2013 zusammengestellt, welche ihr euch anhand der nachfolgenden Tracklist gern nachbasteln dürft:

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1.  Maps

2.  Y Control

3.  Modern Romance

4.  Sacrilege

5.  Down Boy

6.  Heads Will Roll

7.  Isis

8.  Sealings

9.  Sheena Is A Punk Rocker

10. Subway

11. Machine

12. Cold Light

13. Miles Away (John Peel Session)

14. Date With The Night

15. Despair

16. Countdown

17. Gold Lion

18. Cheated Hearts

19. 10×10

20. Runaway

21. Wedding Song

 

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1.  Little Shadow

2.  Turn Into

3.  Tick (live session version)

4.  Let Me Know (demo)

5.  Hyperballad (live)

6.  Diamond Sea (iTunes Live Session)

7.  Hysteric (acoustic version)

8.  Cheated Hearts (iTunes Live Session)

9.  Runaway (iTunes Originals version)

10. Maps (iTunes Originals version)

 

Song 11 (CD 1) – von der „Machine“ single (2002)

Songs 1-3, 12, 14 (CD 1) – von „Fever To Tell“ (2003)

Songs 13, 16 (CD 1) – von der „Maps“ single (2003)

Songs 17, 18 (CD 1) + 2 (CD 2) – von „Show Your Bones“ (2006)

Songs 6, 20 (CD 1) + 1 (CD 2) – von „It’s Blitz!“ (2009)

Songs 5, 7, 19 (CD 1) – von der „Is Is EP“ (2007)

Song 8 (CD 1) – vom „Spiderman 3“ Soundtrack (2007)

Song 7 (CD 2) – von der Deluxe Edition von „It’s Blitz!“ (2009)

Songs 4, 10, 15, 21 (CD 1) – von „Mosquito“ (2013)

Song 4 (CD 2) – von der „Gold Lion“ single (2006)

Songs 6, 8 (CD 2) – von der „iTunes Live Session“ (2006)

Songs 9, 10 (CD 2) – von der „iTunes Originals“ Session (2009)

 

 

Und da wohl jeder Artikel über die Yeah Yeah Yeahs ohne das tränenreich tolle Video zum Evergreen „Maps“ unvollständig erscheinen würde, gibt’s hier das Video…

(Hintergrundgeschichte: Karen Os damaliger Freund Angus Andrew sollte beim Videodreh anwesend sein. Als dieser jedoch nicht erschien und die Band das Video in dessen Abwesenheit drehen musste, brach die Sängerin vor laufender Kamera – songdienlich – in Tränen aus… „Wait… they don’t love you like I love you“)

 

…sowie die nicht minder feinen Kamerawerke zu den Singles „Heads Will Roll“…

 

…und „Y Control“:

 

Rock and Roll.

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