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„The Baby Superstar“ – Gil Finkelstein verjüngt die Prominenz


Egal ob sie nun aus dem Musiker-Business, aus der Sportwelt, aus Hollywood oder dem Superhelden-meets-Superschurken-Universum stammen – der aus Israel stammende und in Kalifornien beheimatete Grafikdesigner Gil Finkelstein verjüngt unter dem Titel „The Baby Superstar“ via Instagram auf ebenso kreative und humorvolle wie herzallerliebste Weise die hinlänglich bekannte Prominenz, die zwar hier vor allem durch volle Windeln von sich reden machen mag, sich jedoch oft genug auch durch das ein oder andere „Markenzeichen“ zu erkennen gibt… Prädikat: sollte man gesehen haben.

Hier eine Auswahl allseits bekannter Musikgrößen:

(via Instagram)

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Steve Adey – „Do Me A Kindness“


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Richtig gute Coveralben aufzunehmen – diese Idee kann nur allzu leicht nach hinten losgehen, denn sie bietet gleich an zwei Fronten Fallstricke: hält man sich zu nah ans jeweilige Original, so unterstellen einem viele eifrige, zum Gähnen neigende Kritiker mangelnde Kreativität und ein dezentes Defizit an Mut, verfremdet man die Ursprungsversionen jedoch zu sehr, will plötzlich jeder mehr von den „Ausgangstrademarks“ hören. Klare Sache, das: Nicht jedem kann’s so scheinbar leichtfüßig gelingen wie Johnny Cash und Produzentenguru Rick Rubin zu deren „American Recordings“-Zeiten. Man nehme etwa Steve Adeys Album „Do Me A Kindness„…

81l-Z68Oy4L._SX522_Der dritte, 2017 erschienene Langspieler des in Experimenten erprobten Singer/Songwriters aus dem schottischen Edinburgh besteht aus neun Coverversionen und der Adaption eines Gedichts von Hermann Hesse – wahrscheinlich per se schon nicht die Art von Dingen, die den musikalischen Appetit anregen und des Hörers Puls rasen lassen, oder? Bekanntlich sind Alben mit Coverversionen meist eine praktische Veröffentlichungsablenkung, wenn der jeweilige Künstler gerade an einer Schreibblockade leiden mag oder just die Rockstar-Reha verlassen hat (soweit zumindest die Klischees, welche ja auch irgendwoher stammen müssen). Das Ergebnis ist denn meist und im Allgemeinen ein verdammt janusköpfiger Haufen. Umso klüger ist es, sich dieser Art von kreativer Schnapsidee stets mit porzellaner Vorsicht zu nähern (oder es lieber gleich zu lassen).

Insofern mag man Steve Adey bereits von Vornherein hoch anrechnen, dass der gebürtig aus dem englischen Birmingham stammende Musiker bei diesem Album keineswegs die einfachsten Optionen gewählt hat. Keine der Melodien auf  „Do Me A Kindness“ stammt von einem offensichtlichen Karaoke-Bar-Liebling – stattdessen hört man hier Songs, deren Originale aus den Federn von unter anderem Bob Dylan, David Bowie, Morrissey, PJ Harvey, Low, Nick Cave, Portishead oder Smog stammen. Und: sie sind – das lässt sich schnell feststellen – wunderschön aufgenommen. Adeys frühere Karrierestopps als Toningenieur haben sich hier sicherlich als äußerst nützlich erwiesen, als er die (im Gros alle von ihm selbst gespielten) Instrumente und – vor allem – die Stimmen passenderweise in einer Edinburgher Kirche aus dem 19. Jahrhundert aufnahm – eine hervorragende, weise temperierte Kombination aus Klarheit und natürlich klingendem Hall. Deshalb der explizite Tipp: Holt eure besten Kopfhörer dafür raus, Kinners! Aber wenn wir die Produktionslorbeeren hinter uns gelassen haben, was bleibt uns dann noch? Mit drei Worten schon vorweg: eine Menge Trostlosigkeit.

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Denn „Do Me A Kindness“ ist ziemlich harter Gemütstobak. Manch einer mag sogar so weit gehen, Nick Drakes herb-melancholisches „Pink Moon“ dagegen als eine Best-Of-Sammlung der Beach Boys zu bezeichnen. Nach 46 Minuten sich langsam bewegenden Wellen ängstlichen Atemanhaltens (wenn auch wunderschön aufgenommenen Wellen ängstlichen Atemanhaltens…) mag es manch einem Lauschmuschelträger vielleicht schwerfallen, vom heimischen Sofa aufzustehen. So wird etwa Morrisseys „Every Day is Like Sunday„, das schon zu Zeiten seiner Erstveröffentlichung 1988 auf „Viva Hate“ nicht gerade ein fröhlicher Tobsuchtsanfall war, mit dem unerbittlichen Ticken einer Drum-Machine, die stur ihren minimalen Takt beibehält, auf ein einem Begräbnis würdiges Tempo verlangsamt. Adey spielt das Stück des skandalträchtigen Ex-Smiths-Frontmanns ohne große ideenreiche Schnörkel (wohl aber mit gesanglicher Unterstützung von Helena MacGlip), was auch bedeutet, dass der sinistre Humor des Originals hier fehlt und seine Version zu einer Art Doomy Pastiche verkommt. Mary Margaret O’Haras „To Cry About“ gerät da schon etwas gelungener, und die lyrische Düsterheit ergänzt sich wunderbar mit Adeys Arrangement. Nick Caves „God Is In The House“ (vom 2001er Album-Meilenstein „No More Shall We Part“) wiederum fehlt es erneut am sarkastischen Biss des Originals, und Adeys minimale Herangehensweise bewirkt, dass so manche hörerische Aufmerksamkeit spätestens in der Mitte des Stückes vorschnell abwandert. Fast schon flott und fröhlich kommt da die Variante des Dylan-Evergreens „I Want You“ daher – nur gut also, dass einen Portisheads „Over“ oder Lows „Murderer“ – in ihren Ursprungsversionen ohnehin schon deftig-großartige Trauerklöße par excellence – schnell wieder ins Graudunkel des schottischen Kirchenschiffs zurück ziehen. Erst „How Heavy The Days“ mit seinem bei Hermann Hesse entliehenen Text gelingt es kurz vor Schluss so richtig, die elegische Musik mit dem düsteren Tonfall der Worte gut zu verbinden. Stampfende Perkussion, seltsam zwitschernde Klaviaturen und verschlungene, umgekehrte Klänge werden zu einem einnehmenden Ganzen vermengt. Aus den fleißig angeschlagenen Akkorden, die Adeys eindringliche Baritonstimme begleiten, entsteht eine komplexe Klanglandschaft – so hätte gern das komplette Album klingen dürfen. Es ist ein sehr beeindruckendes Stück.

Es fällt schwer, „Do Me A Kindness“ vorschnell als lediglich halbwegs gelungen abzutun, da offensichtlich so viel Liebe und Herzblut in diesem Album steckt. Wenn es gut ist, ist es ziemlich unvergleichlich, aber wenn es nachlässt… nun, ihr wisst schon. Steve Adey hat einige seiner potentiell liebsten Songs (mehr zur Auswahl erfährt man hier) genommen und sich nicht gescheut, jedem Stück ein paar neue Charaktermerkmale zu verleihen. Herausgekommen sind keine blass nachgespielten Faksimiles der Originale, es sind praktisch (beinahe) neue Songs. Aber anhand von so wenig Dynamik oder tonalen Veränderungen über den Langspieler hinweg verschwimmen die meisten Stücke ineinander – was jammerschade ist, denn während der grummelgrauen Dreiviertelstunde gibt es so einige großartige Sachen zu entdecken. Freilich würde niemand auf die Idee kommen, Adey vorzuschlagen, dass sein nächstes Album bitteschön eine Sammlung bayrischer „Uffta! Uffta!“-Polkamelodien enthalten sollte, um denn doch für ein klein wenig mehr gelöste Stimmung zu sorgen, aber der bloße Gedanke daran, ein wenig mehr Licht, Luft und Abwechslung Einzug in seine Musik halten zu lassen, würde Steve Adey sicherlich eine breitere Palette an Emotionalität und Musikalität zur Verfügung stellen. Schließlich würde einem auch jeder bildende Künstler den Tipp geben, dass die Gegenüberstellung von Licht und Schatten die Dunkelheit dunkler und die Lichter heller macht. Ganz sicher: Steve Adey trägt definitiv noch das ein oder andere großartige Album in sich, aber „Do Me A Kindness“ ist – zumindest in Gänze – keines. Das nächste dann? Warten wir’s ab.

 

 

Rock and Roll.

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Deals mit dem Gottlosen – Oder: Feiert Nick Cave seinen Geburtstag?


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Der ganz und gar einzigartige Nicholas „Nick“ Edward Cave begeht heute seinen sage und schreibe 60. Geburtstag. Ob der 1957 im australischen Warracknabeal in diese Welt geschubste Wahl-Britte diesen feiert? Nun, ein „Feierbiest“ mag man in dem künstlerischen Tausendsassa, dessen Spektrum sich seit den Achtzigern immerzu erweitert hat und mittlerweile – nebst der seit eh und je großartigen (Rock)Musik, freilich – sogar zahlreiche Film- und Opernmusik, mehr oder minder obskure Lyrikbände, Bücher, Drehbücher sowie kleinere Schauspielrollen umfasst, kaum vermuten. Ein Biest steckt auf jeden Fall in ihm. Man höre nur Meisterwerke wie „Murder Ballads„, „No More Shall We Part“ oder jüngst „Push The Sky Away“ (für Neulinge tut’s erst einmal auch die jüngst erschienenen Werkschau „Lovely Creatures„). Für solch kreative Ergüsse würden geschätzt 90 Prozent seiner Kollegen sogar einen höchst unfairen Deal mit dem Beelzebub eingehen. Und wer es genau nimmt, der dürfte sich irgendwann fragen, ob Nick Cave, dieses sinistre Chamäleon, nicht genau das irgendwann in einer gottverlassenen Mitternacht getan hat…

In jedem Falle: Happy Birthday, Mr. Cave!

(Lesenswert sind auch die Zeilen, die „Rolling Stone“-Autor Arne Willander anlässlich von Caves 60. Geburtstag verfasst hat.)

 

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Tom Schilling & The Jazz Kids – „Kein Liebeslied“


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Deutschland, deine singenden Schauspieler(innen)…

Man nehme sich nur einmal folgende Liste zur Brust: Jan Josef Liefers, Nora Tschirner, Ulrich Turkur, Jürgen Vogel, Uwe Ochsenknecht, Jana Pallaske, Axel Prahl, Ben Becker, Anna Loos, neulich auch noch das lebende Gute-Laune-360-Grad-Produkt Matthias Schweighöfer – die Gesangsleistungen einiger dieser TV- und Leinwandmimen sind längst in Vergessenheit geraten. Zu recht? Gut möglich. Und auch die Tatsache, dass es ihnen Hollywood-Größen über Bruce Willis bis Keanu Reeves, Russell Crowe und Kevin Costner gleichtaten und sich ebenfalls bereits am Mikro *hust* versucht haben, macht’s nicht besser. Gut nur, dass zumindest Namen wie Zoey Deschanel, Julie Delpy, Juliette Lewis oder Jared Leto halbwegs die Walk-of-Fame-Ehre retten, wenn’s ums Tönen geht. Fakt ist: Ne nette Visage macht noch kein angenehmes Stimmband.

Was also soll man nun von einem wie Tom Schilling erwarten? Dass der 35-jährige Schauspieler viele Rollen kann aber nicht eben alles spielen möchte (gell, Herr Schweighöfer?), hat er bereits zur Genüge unter Beweis gestellt – Filme wie „Crazy“ (anno 2000 sein Einstand vor größerem Publikum), „Verschwende deine Jugend“, „Agnes und seine Brüder“, „Napola – Elite für den Führer“, „Elementarteilchen“, „Schwarze Schafe“, „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ oder vor nicht allzu langer Zeit „Oh Boy“ sprechen wohl für sich. Der Berliner kann vor der Kamera Vieles, ist schlußendlich jedoch – bewusst oder nicht – meist auf Rollen wie die des Niko Fischer in „Oh Boy“ festgelegt: ein zielloser Berliner Ex-Student, der sich einen Tag und eine Nacht durch die deutsche Hauptstadt treiben lässt und dabei unterschiedlichsten Menschen begegnet. Irgendwie verpeilt, irgendwie nicht mehr jung und doch weit entfernt von alt, irgendwie über den Dingen schwebend und doch mittendrin im Getümmel. Eigenartige, ja eigenwillige Charaktere, denen er mit mal stiller, mal tiefer Mimik Form verleiht. Ein Charakterschauspieler fürs Arthouse und Bildungsfernsehen, quäkiger Stimme und einem ewigen Babyface.

Dass ebendiese unverkennbare Babyface-Quäkstimme nun ein ganzes Album mit zumeist eigenen Songs veröffentlicht, kommt freilich einer Überraschung gleich. Dass diese dann nicht vollends positiv ausfällt, liegt wohl in der Natur der Sache. Dabei ist der dreifache Familienvater durchaus realistisch: „Ich bin kein toller Sänger, auch kein toller Gitarrist. Ich könnte den ganzen Veröffentlichungen, die tagtäglich erscheinen, nichts Neues hinzufügen. Aber ich habe einen anderen Ansatz, Songs zu schreiben, als ich gerade in der populären Musik sehe.“

bf2d67747cAlso begab es sich mit seiner vierköpfigen Begleitband, den Jazz Kids (die er während der Dreh zu „Oh Boy“ kennelernte, an der Seite von Schilling jedoch keineswegs Jazz spielen), und Produzent Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic, Turbostaat, AnnenMayKantereit) in die legendären Berliner Hansa-Studios, um all die Songs, die ihm im Laufe der Jahre durch die Hirnrinde gerasselt sind, auf Tonbänder zu bringen. Herausgekommen sind mit „Vilnius“ neun eigene Stücke und eine Coverversion („Kinder“, im Original ein Protest-Gassenhauer von Bettina Wegner und in den späten Siebzigern erschienen). Und wie schon die Jazz Kids, die schlußendlich keinen Jazz spielen, hat Schillings Albumeinstand mit der litauischen Hauptstadt eher zwischen den Zeilen Dinge gemein. Etwa die sanfte Schwermut die sich durch die knapp vierzig Minuten zieht und sich ebenso im Cover, welches ein Seestück von Gerhard Richter zeigt, widerspiegelt.

Wer nun jedoch Hintergrundmusik für kuschelige Kaminabende in trauter Zweisamkeit erwartet, der hat auch Schillings (schauspielerische) Rollenwahl in den letzten gut 15 Jahren nicht verstanden, denn Vieles auf „Vilnius“ ist in Schieflage, geradezu kaputt. Wie im Film läuft Romantik hier nie ohne eine gewisse Prise Drama ab. Man nehme nur die Eröffnungsnummer „Kein Liebeslied“, dass ebendas ist: kein Liebeslied. „Deine Sätze sind hohl, deine Versprechen sind leer / Und schön find‘ ich dich schon seit Jahren nicht mehr“ – Ein verbales Großreinemachen, welches zu sägenden Gitarren die Richtung vorgibt. Element Of Crime klingen an, wenn Tom Schilling sprechsingt wie weiland EoC-Frontmann Sven Regener, manchmal gar Nick Cave oder die ollen Hildegard Knef oder Klaus Kinski. Und obwohl Schilling nie so ganz an die Größe seiner Inspirationen heranreicht (eine andere ist, laut eigener Aussage, Rammstein-Fronter Till Lindemann), so sind doch die Stücke eines: unkonventionell. Denn selbst in den käsigsten Momenten (etwa dem Lovesong „Ja oder nein“, im Duett mit Annett Louisan – in etwa die popkulturelle Entsprechung zum „ewigen Babyface“ Schilling) wird die Liebe torpediert: „Und wenn dein Herz einen andern liebt / Und ich, ich bleib‘ allein / Darf ich dich trotzdem lieben – ja oder nein?“. Klar, nicht alle Stücke gelingen. „Draußen am See“ möchte Nick Caves Moritat „Where The Wild Roses Grow“ Konkurrenz machen und klaut ganz offen bei Yann Tiersens „La valse d’Amélie“, „Ballade von René“ möchte eine tiefsinnige Junkie-Chronik in den Straßen von Berlin sein, klingt jedoch nach einem müden „Conny Kramer“-Update fürs Jahr 2017. Nicht alles kauft man Tom Schilling ab.

Und doch ist „Vilnius“ unterm Strich eines der besseren „Jetzt-singt-der-auch-noch“-Alben eines tönenden Schauspielers, eben weil Schilling hier keine Rolle(n) spielt sondern merklich Herzblut in erdig zusammengezimmerte Stücke legt, die das (Schau)Spiel trotzdem nie zu weit treiben. Fortsetzung erwünscht? Keine Ahnung. Doch für den Moment sind diese Songs, die nach Großstadt-Episoden vor blassgrauen Kulissen klingen, nach langen Nächten in kleinen, verrauchten Kaschemmen, nach viel Einsamkeit und doch nach dem prallen, puren Leben, gut genug. Denn sie sind wie der, aus dessen Kopf sie stammen: irgendwie gegen den Strich gebürstet. Irgendwie jung geblieben, sich treiben lassend vom Alltag zerrieben, traurig jubilierend. Und immer noch besser als – gefühlt – alles von Matthias Schweighöfer.

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Wenn man nur ein Stück von „Vilnius“ hören sollte, dann definitiv die Eröffnungsnummer „Kein Liebeslied“. Großartig? Jepp. Und dass im Musikvideo die eh dauerhaft großartige Martina Gedeck mitspielt, macht das Ganze nur noch runder.

 
 

Rock and Roll.

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Abgehört…


Nehmen wir doch einmal die ebenso platte wie wahre Pointe vorweg und legen die Karten gleich zum Anfang auf den Tisch: Eines Tages müssen wir uns alle – ob wir wollen oder nicht – auf die ein oder andere Art und Weise von denen, die wir lieben und die uns lieben, verabschieden. Man mag es wahrhaben oder geflissentlich verdrängen, aber dennoch macht der Tod auch vor unseren Leben nicht Halt. True story.

In der Musikwelt ist dieses Thema natürlich auch kein fremdes. Spontan kommen mir hier etwa Sufjan Stevens letztjähriges berührendes „Carrie & Lowell“ oder viele, viele der jüngsten großartigen Stücke von Mark Kozelek in den Sinn. Und: Seit ein paar Tagen, kann der, der sich an diese nicht eben wattebauschig leichte Thematik heran traut, zwei weitere großartige Platten in den Plattenregalen finden…

 

 

Nick Cave & The Bad Seeds – Skeleton Tree (2016)

packshot1-768x768-erschienen bei Bad Seed Ltd/Rough Trade-

Nicholas „Nick“ Edward Cave ist ein Getriebener. Ein Wahnsinniger. Ein wahnwitzig im Zeitplan arbeitender Kreativer. Und das seit über 30 Jahren. Und einer, der selbst seine den Wahn längst gewöhnten Fans immer noch zu überraschen weiß. Das hatte der 58-jährige Australier und Wahl-Engländer unlängst mit dem vor drei Jahren erschienenen Meisterwerk „Push The Sky Away“ bewiesen, dass ihn sowie seinen engsten musikalischen Vertrauten Warren Ellis und seine kongeniale Begleitband The Bad Seeds auf der Höhe ihres Könnens präsentierte – mit Songs voller Biss und untergründigem Drama, freilich massig dunklen Seiten und mannigfaltig bösem Witz. Wer danach unbedingt mehr Cave sehen wollte, bekam mit „20,000 Days On Earth„, der 2014 erschienenen abendfüllenden Dokumentation der Filmemacher Iain Forsyth und Jane Pollard, welche einen Tag im Leben des Musikers/Texters/Dichters/Schriftstellers/Drehbuchautors/Schauspielers zeigt (und dabei – ebenso wie Caves Songs – einen Bogen zwischen Genialität und Banalität spannt), noch mehr Futter zur (Über)Interpretation hinein in Nick Caves Wirken. Ja, dem Mann, der sich in all den Jahren seine eigene diabolische Welt der Narrenfreiheit zurecht gehauen hat, ging es gut. Und man kennt es ja nur zu gut von sich selbst. Kam möchte man zugeben, dass alles – frei nach Faustischem Prinzip – „eigentlich ganz okay“ ist, – und ich bitte meine Wortwahl zu verzeihen – fickt einen das Schicksal plötzlich umso härter.

Und so war es auch in Nick Caves Fall. Am 14. Juli 2015 starb sein 15-jähriger Sohn Arthur bei einem tragischen Unfall (Gossip-Spoiler: er stürzte im LSD-Rausch von einer Klippe in der Nähe des südenglischen Seebads Brighton, wo Cave und seine Familie leben). Nur böse Geister mögen hier wohl das Karma zur Verantwortung ziehen, denn ausgerechnet Cave, der es vor allem in den Achtzigern und Neunzigern mit bewusstseinserweiternden Substanzen und Parties so wild getriebenen hat wie vor ihm (fast) nur good ol‘ Keith Richards, Cave, der jahrelang intensiv heroinabhängig war, durch die Liebe (zu) seiner jetzigen Ehefrau Susie Bick jedoch glücklicherweise noch rechtzeitig den Absprung schaftte, dieser Nick Cave verlor nun – mutmaßlich durch im jugendlichen Leichtsinn durchgeführte Drogenexperimente – auf tragische Weise einen seiner vier Söhne. Ja, Karma ist eine miese kleine Schlampe.

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Caves nun erschienenes neustes Album „Skeleton Tree“ als „Werk über den Tod seines Sohnes“ zu werten, fällt da nur allzu leicht. Und: Ja, zu einem nicht unerheblichen Teil ist es das wohl auch (oder wird so zumindest in den allgemeinen Tenor der Musikhistorie eingehen). Dabei war ein guter Teil der acht Stücke bereits zu großen Teilen fertig, als sich die Tragödie ereignete. Und doch kann, will, sollte man „Skeleton Tree“ nicht ohne das Wissen um die Hintergründe seiner Entstehung hören, denn Zeilen wie „I call out, I call out right across the sea / But the echo comes back empty / Nothing is for free“ (im abschließenden Titelstück) brauchen die Metaebene. Außerdem klingt Cave nur drei Jahre nach „Push The Sky Away“, das ihn als zwar alterweisen Weltbeobachter, jedoch allzeit angriffslustigen Hansdampf in allen Gossen präsentierte, so ganz anders (und das ist wohl keine Überinterpretation): traurig, vom Schicksal betrogen, manchmal gar müde. Zwar sind auch 2016 seine Bad Seeds wieder mit im Boot, jedoch hört man kaum eine elektrische Gitarre, kommt das Schlagzeug – wenn überhaupt – nur sehr gediegen zum Einsatz. Stattdessen Piano, Vibraphon und akustische Gitarren, welche von Co-Produzent Warren Ellis hinter einem Vorhang versteckt werden, der sie eins werden lässt mit der Ambience, die er mit dem Synthesizer und den Loops erzeugt. Hinter diesem pechschwarzen Vorhang: Nick Cave. Natürlich war der stets edle Anzüge tragende Musiker nie der freundliche Kasper für die gepflegte Massenunterhaltung, jedoch ist selbst für ihn diese Stufe der Traurigkeit, wenn an manch einer Stelle die Stimme gerade noch fürs Letzte reicht, wenn er etwa „With my voice / I am calling you“ („Jesus Alone“) ins Studiomikrofon singt, recht harter Tobak, welcher schließlich im flehentlichen „I Need You“ seine Spitze erreicht („I will miss you when you’re gone / I’ll miss you when you’re gone away forever / Cause nothing really matters / I thought I knew better, so much better / And I need you / I need you“). Da wirkt das in sich ruhende „Distant Sky“, ein geradezu zum Beerdigungsmarsch prädestiniertes Stück, bei welchem Cave Unterstützung von der dänischen Sopranistin Else Torp erhält, geradezu wie Balsam auch auf die Hörerseele.

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Wie bereits der „Rolling Stone“ in seiner Review schrieb: „‚Skeleton Tree‘ ist nicht entstanden, weil Nick Caves Sohn gestorben ist, sondern obwohl er gestorben ist.“ Freilich  werden Album und Tragödie immer miteinander verknüpft bleiben. Freilich wäre auch die gemeinsam mit dem Album erschienene Dokumentation „One More Time With Feeling“ von Regisseur Andrew Dominik, welche Cave und seine Vertrauten bei der Entstehung von „Skeleton Tree“ begleitet und nicht selten persönlichste nahe kommt, ohne die Ereignisse vom Juli 2015 kaum so möglich gewesen. Doch Nick Cave wahrt in jeder der knapp 40 Albumminuten ein Stückweit kreative Distanz, macht keinen der acht Songs nur zu seinen, schafft so etwas universell Trauriges, Berührendes, geradezu Meditatives, dem in keinster Weise der Kirschfaktor eines „Tears In Heaven“ (das damals ja Eric Clapton unter ähnlich tragischen Umständen in die Saiten gefallen war). Und obwohl der Hörer (zumindest ist das bei mir der Fall) diese Distanz auch selbst für sich wahrnimmt, gehen die Gefühle, die Cave in „Skeleton Tree“ durchlebt, durch Mark und Bein – und über allem steht die Hoffnung, dass die Stücke vor allem dem Musiker selbst helfen werden, seinen Frieden mit dem Stich ins Herz zu machen, die ihm diese miese Schlampe Karma an jenem 14. Juli 2015 verpasst hat.

 

Hier gibt es Impressionen von „Skeleton Tree“ in Form von Musikvideos zu „Jesus Alone“ und „I Need You“:

 

 

Touché Amoré – Stage Four (2016)

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-erschienen bei Epitaph-

Auf den ersten Blick scheint Nick Cave und Jeremy Bolm gar nicht so viel zu einen. Der eine ist ein in Südengland beheimateter Australier, der in dreißig Jahren Musikgeschäft so ziemlich jede Höhe und Tiefe mitgenommen hat, der alles Helle, alle Dunkle in unser aller Seelen gesehen hat, in absehbarer Zeit das halbe Dutzend Jahrzehnte Lebenszeit auf diesem von Gott oder wemauchimmer verlassenen Planeten voll machen wird und sich dabei doch in beinahe jeder Minute seine künstlerische Restwürde bewahrt hat. Der andere ist der vorstehende Schreihals einer vor neun Jahren gegründeten Post-Hardcore-Formation aus dem US-amerikanischen Burbank, Kalifornien, der mit knapp über dreißig Jahren gut und gern Sohn des ersteren sein könnte. Klar könnte man Parallelen beim steten Arbeitsethos ziehen (Cave weist in dreißig Dienstjahren mindestens ebensoviele Veröffentlichungen plus Bücher plus Filme plus etc. pp. aus, Bolm hat mit seiner Band Touché Amoré nun vier Alben sowie  massig EPs und Split Singles vorzuweisen), eventuell könnte man beiden auch einen gewissen „heiligen Ernst“ (nebst bösem Augenzwinkern) unterstellen. Zudem sind weder Nick Cave noch Jeremy Bolm als große Spaß verbreitende Jubelcharaktere in Erscheinung getreten. Aber sonst? Ganz eigene Welten.

Und doch ist „Stage Four“, das vierte Album der fünfköpfigen Post-Hardcore-Band Touché Amoré, dem neusten Nick-Cave-Werk näher, als alle Genre-Grenzen vermuten lassen, denn die elf Stücke von Bolms Formation beschäftigen sich voll und ganz mit dem Krebstod seiner Mutter. Oder, genauer: mit dem, was bleibt.

„Stage Four“, das bedeutet: die letzte Stufe einer Krebserkrankung, Metastasen, Endstadium, keine Hoffnung mehr. Als Bolms Mutter und somit auch er und sein Bruder, die die Mutter als Alleinerziehende groß zog, von der finalen Diagnose erfuhren, kam diese wohl einem Schock gleich. Jeremy selbst schien, schenkt man der Musik Glauben, gerade auf dem sprichwörtlichen aufsteigenden Ast, denn mit Touché Amoré lief es nach drei veröffentlichten Alben, welche immer größere Zuhörerscharen anzogen, super, und vor allem „Is Survived By„, 2013 erschienen, ließ rein lyrisch nach Werken, welche offen zu erkennen gaben, sich zu jeder Zeit fehl am Platze zu fühlen, positive Tendenzen erkennen (freilich noch immer lautstark). Dann jedoch schlug das Schicksal mit voller Breitseite zu – nach dem Motto „Dir geht’s prima? Dann wart‘ mal ab!“. Plötzlich wurde Bolm der Boden unter den Füßen weg gezogen – also auch: der Bühnenboden. Seine Band steckte zwangsläufig in dieser Zeit zurück, damit der Sohn sich voll und ganz um seine erkrankte Mutter kümmern konnte. Da jedoch Jeremy wusste, dass seine Mutter nie gewollt hätte, dass sein Leben, seine Leidenschaft wegen ihrem Schicksal in die Brüche gehen würde, kehrte der Frontmann schließlich wieder zu Touché Amoré zurück, um eine Tour abzuschließen. Vielleicht sogar zum Schutz seiner eigenen geistigen Gesundheit. Und: Es kam wie es kommen musste – seine Mutter starb, während Jeremy Bolm auf der Bühne stand.

Und obwohl sie es wohl genauso gewollt hätte, macht sich Bolm – verständlicherweise, irgendwie – noch heute Vorwürfe deswegen. Wieso war ich nicht da? Wäre ich stark genug gewesen? Hätte sie nicht genau das verdient? Bin ich ein schlechter Mensch, ein schlechter Sohn gewesen? Tausend und noch mehr Fragen, welche nie eine Antwort finden werden…

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Und Fragen, davon gibt es während der gut dreißig Albumminuten von „Stage Four“ so einige. Nur Antworten, die findet Bolm selbst nicht. Vielmehr fühlt man sich als Hörer, als würde man den oft lautstark in Mikro geschrieenen, manchmal kehlig geraunten, mal verdruckst gesungenen Tagebucheinträgen des Thirtysomethings lauschen. Heißt auch: Feelgood-Atmosphäre sollte man verdammt nocheinmal woanders erwarten, nur nicht hier. „You died at 69 /  With a body full of cancer /  I asked your god: ‚How could you?‘ /  But I never heard an answer“ („Displacement“) – weder Gott noch irgendsonstjemand kann einen von der Schuld, der Leere, dem Alleinsein, der Hilflosigkeit erlösen. Und: Nein, die Zeit heilt auch lange nach der Todesnachricht („New Halloween“), lange nach existenziellen Sinnkrisen („Displacement“) keine Wunden, lässt höchstens ein wenig Gras darüber wachsen. So sortiert Bolm bei der Auflösung der Habseligkeiten seiner Mutter auch Momente, Erinnerungen, lässt den Schmerz des definitiven Abschieds Stück für Stück zu, um zum Schluss – im letzten Stück „Skyscraper“, bei welchem er Unterstützung von Singer/Songwriterin Julien Baker erhält – in New York City anzukommen, der Stadt, welche seine Mutter über alles liebte, und in der ihn von nun an jede Ecke, jedes Geräusch, jeder Geruch an die Frau erinnern wird, über deren Verlust er wohl nie so ganz hinweg kommen wird. Ein Hoffnungsschimmer ganz am Ende ist jedoch, dass der Sohn es endlich schafft, die letzte Sprachnachricht, die seine Mutter ihm hinterlassen hat, anzuhören. Und der Hörer ebenso. In den letzten Sekunden, die bleiben.

Rein musikalisch reihen sich Touché Amoré in die letzten Veröffentlichungen artverwandter „The Wave“-Bands wie La Dispute oder Pianos Become The Teeth ein, deren aktuelle Alben („Rooms Of The House“ beziehungsweise „Keep You„) ja auch schon einen Schritt weg vom dumpfen Haudrauf-Zwei-Minuten-Mathcore und hin zu progressive gefärbten Indierock-Klangstrukturen machten. Zwar bewegen sich Jeremy Bolm und Co. dabei näher an ihren Vorgängern als etwa Pianos Become The Teeth, die vor zwei Jahren auf „Keep You“ auf grandiose Art und Weise einen Richtungswechsel zu vergleichsweise sanfteren Songstrukturen suchten, lassen jedoch trotzdem fast erstmalig so etwas wie Melodien, Refrains, Wiederholungen in ihren Stücken zu, was der Musik bei allen Rimshot-Beats, glasigen Wave-Gitarren und Tom-Drumming nur zu mehr Vielschichtigkeit verhilft.

„Stage Four“ ist ein ebenso emotionales wie direktes und aufrichtiges Wechselbad aus Trauer und dem Kampf darum, damit klar zu kommen. Es erzählt von denen die gehen und wird von einem erzählt, der zurück blieb, um die Fragezeichen zu zählen und die Erinnerung zu wahren.

 

Eindrücke gefällig? Hier gibt’s die Musikvideos zu „Palm Dreams“ und „Skyscraper“:

 

Rock and Roll.

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Liebe Langfinger…


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(gefunden auf Facebook)

 

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