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Auf dem Radar: Karo Lynn


Karo Lynn hätte es sich einfach machen können. Die 25-jährige Musikerin aus Leipzig präsentierte sich auf ihren bisherigen, 2016 beziehungsweise 2020 erschienenen Alben „Frames“ und „Outgrow“ als talentierte Singer/Songwriterin mit sympathischem Indie-Touch, heimste kleinere Preise ein und hätte mit einer Fortsetzung des Ganzen wahrlich keinen Irrweg beschritten. Glücklicherweise lebt die Musikwelt jedoch nicht immer im Konjunktiv der verpassten Möglichkeiten. Daher wagte sich Karo Lynn für den Nachfolger „A Line In My Skin“ entschlossen heraus aus einer Ecke, in der es zwar gemütlich, aber vielleicht auch irgendwann verdammt langweilig geworden wäre. Viel mehr noch als auf den ersten Werken steht dabei ihre Stimme im Vordergrund – mit Blick auf die elf neuen Songs und deren Charakter scheint das eine fast zwangsläufige Entscheidung. Denn wenn es hier ein faszinierendes Alleinstellungsmerkmal gibt, dann ist es ihre Darbietung am Mikrofon, dieses dunkle Timbre, schwärzer, tiefer und geheimnisvoller als der Störmthaler See bei Nacht.

Eventuell mag es ja auch an der Entstehung während Pandemie, Lockdowns und Co. liegen, dass sich nun eine fast beklemmende, in jedem Moment vollumfänglich majestätische Düsternis über die Musik von Karo Lynn legt, beinahe so als würde k.d. langs kleine Nichte Hope Sandovals Platz bei Mazzy Star einnehmen – selbstbewusster Dream Pop statt schüchterner Indie Folk, anschmiegsamer Dark Pop, der den feinmaschigen Strickpullover dem Karohemd vorzieht. „When All Is Still The Same“, dieser starke Opener des Ganzen, bringt die nachdenkliche Stimmung denn auch direkt auf den Punkt: „I can’t complain / I’m used to it being dark / It refracts the rays / I got caught in circles“. Dieses Kreisen um sich, diese innerlich reflektierende Einkehr trägt sie mit großer Intensität vor, und man hört – trotz der fühlbaren Schwere – gerne zu. „Elephant“, das sie gemeinsam mit Johanna Amelie im Duett singt, paart die Probleme der Zweisamkeit mit der Erzählung großer Zusammenhänge: „I don’t know why you say that / You’re not even close to me / Do I seem indifferent?“, heißt es dort zunächst, und später: „How come you don’t see it? / It’s not a lie, it’s all getting worse / In truth we’re ruining the earth / You know an elephant died for your new table?“.

Freilich hat Karo Lynn, die Mathematik und Physik auf Lehramt studierte und derzeit an einem Gymnasium unterrichtet, mit dem Entwurf eines neuen Soundoutfits, bei dem ihr ihr Schlagzeuger und Produzent Cornelius Miller mit Rat und Tat zur Seite stand, einen großen, durchaus mutigen Schritt gewagt. Dennoch bekommt die Hinzunahme elektronischer Elemente dem Gesamtklang den neuen Stücken überaus gut, und ihre Qualitäten als Songwriterin dürften Eingeweihten spätestens seit „Outgrow“ bekannt sein. Daher weiß sie eben auch, wie sie mögliche Eintönigkeit clever umgehen muss. Das gilt für die Platte als Ganzes, der man Karo Lynns Vorbilder wie Ben Howard, Daughter, Bon Iver oder The War On Drugs durchaus anhört, aber auch innerhalb einzelner Titel – die Mischung aus ruhigen Passagen und kleineren Ausbrüchen wie in „You Inside Me“ sei als ein Beispiel genannt. „It’s Breaking The Ice“ zeigt ihre Stimme anschließend wieder in ihrer ganzen Schönheit, „The City Soaked In Gray“ greift zum monumentalen Ansatz. Im letzten Drittel überzeugt eine weitere Kollaboration, wenn sich Michael Benjamin dazugesellt und in „When I Think I’m Close“ einen überzeugenden Gesangspartner darstellt. „Right Words“ schließt kurz vor Schluss mit angenehmem Schwung wieder mehr an ihre ursprüngliche musikalische Ausrichtung an, bevor „Sun Hues On Water“ Karo Lynns insgesamt durchaus geheimnisvollen dritten Langspieler zu einem stimmigen Ende bringt.

Alles in allem ist „A Line In My Skin“ eine feine Angelegenheit geworden, welche man am besten unter gedimmten, warmweißen Deckenflutern und mit der selten schöner gefühlten Gewissheit, dass sich das kleine Glück auch auf einer Couch und unter einer Decke finden lässt, genießt. Zudem beweist das Album, dass nicht alle Künstler*innen dem oft genug beschworenen Berlin-Hype folgen müssen und ihre kreative DIY-Erfüllung ebenso gut in einer anderen Stadt im Osten der Bundesrepublik finden können.

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Olivia Barton


Olivia Barton ist eine Indie-Folk-Singer/Songwriterin aus Orlando, Florida, die nach ihrem Abschluss am Berklee College of Music nun in Nashville, Tennessee lebt. So weit, so Fakt. Dass die Newcomerin, welche kürzlich in den US of A auch einige Shows im Vorprogramm von Illuminati Hotties spielte, noch recht unbekannt ist, dürfte vor allem daran liegen, dass sich die Songs ihres 2019 erschienenen Debütalbums „I Could Have Smiled At You More“ vornehmlich auf eine Akustikgitarre und Bartons zarte Stimme beschränkten, mit welcher sie Texte vortrug, die sich mit einer Extraschippe Nahbarkeit fast wie intime Tagebucheinträge anhörten. Schon schön irgendwie – und doch allerdings auch so weit weg von einem größeren Publikum wie der aktuelle Coldplay’sche Output von ernstzunehmender nachhaltiger Musik. Ob sich das mit „This Is A Good Sign„, ihrer unlängst veröffentlichten zweiten Platte, für die sie sich mit den Produzenten Collin Pastore und Jake T. Finch (Lucy Dacus, Bre Kennedy, Hadley Kennary) zusammentat, ändert?

Nun, zunächst einmal fühlen sich auch Bartons neue Songs so an, als würde man in ihren Tagebucheinträgen stöbern: Mit allerlei emotionaler Tiefe und entwaffnender Ehrlichkeit legt sie dar, wie es sich anfühlt, in die eigenen Kämpfe als junge Erwachsene hineinzuwachsen. Wie bereits beim drei Jahre zurückliegenden Vorgänger bekommt man hier gitarrengetriebene Stücke mit klarem Gesang, begleitet von recht roher Lyrik, die den Hörer in die verletzlichsten Momente ihres Lebens entführen. In ihren eigenen Worten schreibt Barton Songs über „traurige Dinge, die sie nie vorhatte, Fremden zu erzählen“. Das Album beginnt mit „I Don’t Sing My Songs“, in dem die junge Musikerin die Alltäglichkeit ihres Lebens aufzeigt – all die Dinge, die sie tun sollte, aber nicht tut – untermalt von einem gleichmäßigen Gitarren- und Schlagzeugbeat. Sie singt „I miss everything about anything I had before now“, gibt zu, dass die Nostalgie sie zu verzehren scheint, wenn sie diesen Punkt in ihrem Leben erreicht, an dem sie eigentlich auf ihrem „Höhepunkt“ sein sollte, und setzt dieses Gefühl mit religiöser Schuld, vergangenen Traumata und Existenzialismus in Beziehung. Julien Baker, ick hör‘ dir trapsen.

Apropos Julien Baker: Ebenso wie selbige beschäftigt sich auch Barton mit den Kämpfen des Erwachsenwerdens und der Selbstdefinition außerhalb der Perspektive anderer – in diesem Sinne scheint „Playing Alone“ zur Albummitte der Höhepunkt dieses Gefühls zu sein, verziert mit sanftem Gesang, atmosphärischer Klavierbegleitung und einem nahezu pastoralen Klangoutfit, mit denen sich dieser Song wohltuend vom Rest des Werks abhebt. „Cartwheel“ hingegen ist ein Zwiegespräch mit ihrem inneren Kind: Sie gibt ihrem fünfjährigen Ich die Zuwendung, die sie zuvor vernachlässigt hat – „Light up / Tear up / Talk more / Cartwheel“. Die Erfahrung, eine Musikerin zu sein, ist ein weiteres verbindendes Thema auf dem Album: „I think in lyrics / I think in bad songs“ singt sie etwa in „Baby Pictures“, und „Have you been writing lately?… Nothing on the books yet / Writing is laborious“ in „I Don’t Do Anything“. Barton gibt den Hörer*innen einen Einblick in die Kämpfe, welche mit dem Künstlerdasein einhergehen, und schafft so eine intime Erfahrung mit dem lauschenden Gegenüber, wie alte Freunde, die sich zufällig über den Weg laufen.

In „Erotic“, einem Song, den Barton beinahe nie fertiggestellt hätte, ist sie am verletzlichsten, schließlich erzählt sie darin von einem sexuellen Übergriff, den sie in ihrer Jugend durch einem älteren Mann erlebte. Das Stück besteht nur aus Gitarre und Gesang, während sie sich poetisch entblößt und ihre Erfahrung anschaulich schildert: “Sparkling beneath your grip… I’m a woman in service to men”. In „White Knuckling“ beginnt sie mit Textzeilen, die das gesamte Album innerhalb weniger Worte zusammenzufassen scheinen („Is this a rite of passage / Or a bad one-woman show?“) und ringt obendrein nach dem Tod eines Freundes um Fassung. Dennoch gerät nicht jede der knapp 45 Minuten von „This Is A Good Sign“ derart deprimierend, denn Barton lässt im Laufe der Platte glücklicherweise immer wieder Hoffnungsschimmer auf all die guten Dinge, die der Albumtitel suggeriert, aufscheinen, denn schließlich wäre das Süße ohne das Saure nur halb so süß. Wohlmöglich klingt „Florida Honey“ genau deshalb im wahrsten Sinne des Wortes, als würde es mit seinem angenehm leichten Nineties-Songwriter-Pop-Vibe vor Honig triefen, wenn sie über ihren Partner singt? Dass man am Songtitel nicht gleich den kompletten Inhalt ableiten kann beweist „Antisocial“, das von Bartons Beziehung zu einer Frau handelt, die sie so glücklich macht, wie sie nur sein kann, egal wie unvollkommen beide sein mögen. Doch Männer hin, Frauen her – schlussendlich läuft’s doch immer auf die Selbstliebe hinaus, mit der sich auch Barton schwertut („I guess I don’t like being inside my body“), wenngleich sie im abschließenden Titelsong doch zumindest beschließt, es zu versuchen: “What if all this is a good sign? / When I let go and make space to try”.

Freilich hätte „This Is A Good Sign“ in instrumentaler Hinsicht ein wenig mehr Abwechslung gut zu Gesicht gestanden, hätten die zwölf Songs hier und da gern ein bisschen mehr aus dem Rahmen fallen und mehr mit Sound und Produktion experimentieren können. Andererseits darf Bartons Lyrik so auf der gesamten Platte glänzen, und ihre Erzählungen, ihre schöne Stimme und ihre Verletzlichkeit machen auch ihr zweites Album hörenswert. Freunde von Julien Baker, Lucy Dacus oder der frühen Sheryl Crow dürfen diesen Songs also gern mal ein Ohr leihen.

Rock and Roll.

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Song des Tages: corook – „it’s ok!“


Manchmal lassen sich zwischen den zahllosen Quatsch-und-Klickquoten-Videos auf TikTok und Co. tatsächlich kleine, mit ernsthaftem Augenzwinker-Hintersinn gedachte Highlights entdecken. Die Clips von corook etwa. co…wer?

Hinter diesem Allerwebs-Alias versteckt sich Corinne Savage, die sich schon optisch von all den perfekt geschminkten, zu irgendwelchen trendigen Choreographien tanzenden Social-Media-Püppchen abhebt. Vielmehr liegen die Talente der Sängerin, Songwriterin, Produzentin, Multi-Instrumentalistin und selbsternannten „huge fuckin dork“ (was auf Deutsch augenzwinkernd soviel wie „riesige Idiotin“ bedeuten mag) anderswo. So kann die Endzwanzigern – je nach Tagesform – etwa einen Rubiks-Würfel in weniger als einer Minute lösen. Aufgewachsen ist das „sommersprossige, pummelige Babe“ in Pittsburgh, Pennsylvania, wo sie im heimischen Kinderzimmer den Songs von Drake, Gwen Stefani oder Mac Miller lauschte. Sie besuchte eine High School für darstellende Künste, outete sie sich in ihrem letzten Schuljahr als „QUEERAF“, und danach das Berklee College of Music, welches sie mit zwei Abschlüssen beendete. Mittlerweile lebt Savage mit ihrer Freundin im vor allem unter aufstrebenden Musik-Talenten angesagten Nashville, Tennessee („howdy.“), wo sie seit 2021 die meiste Zeit mit dem Schreiben und Produzieren von Musik für ihr Künstlerprojekt corook verbringt und sich dafür nur allzu gern allein in ihrem Zimmer einschließt (und dafür in jüngster Vergangenheit dem Coronavirus die Schuld zuschob, aber eigentlich wohl einfach nur ihrer asozialen Ader frönt). Als corook ließ Savage etwa unlängst, im April, ihre Debüt-EP „achoo!“ hören, welche einige ihrer Lustige-Musikvieos-trifft-auf-Hintersinn-Songs bündelt.

Nun hat die vielseitige US-Künstlerin ihre emotional verletzliche und tröstliche neue Single „it’s ok!“ veröffentlicht. Als „Schlaflied für Erwachsene“, an Tagen, an denen einem einfach alles im Leben zu viel wird, erinnert das Stück die Hörer*innen daran, dass es total okay ist, nicht den Erwartungen und Normen zu entsprechen und ab und an Tage zu haben, an denen es einem bereits schwer fällt, aus dem Bett zu kommen, weil sich einfach alles überwältigend anfühlt. Mental Health und Body Positivity im unterhaltsam-eingängigen Drei-Minuten-Popsong-Format? Funktioniert hier tatsächlich bestens!

„Ich habe diesen Song mit der Absicht geschrieben, ein Schlaflied für mich selbst zu schaffen“, erzählt Corinne „corook“ Savage. „Einen Song für die Tage, an denen es mir schwerfällt, aus dem Bett zu kommen oder wenn meine Sorgen den Tag beherrschen. Als ich einen Clip von diesem Song auf TikTok gepostet habe, war ich mir nicht sicher, was mich erwarten würde. Ich glaube, die interessanteste Reaktion war die Anzahl der Leute, die sich selbst im Bett beim Singen des Liedes gefilmt haben. Es fühlte sich wie ein wirklich einfaches, aber bedeutungsvolles Zeichen der Solidarität an, nach dem Motto ‚Ja, das mache ich auch‘. Als ich diese Videos sah, fühlte ich mich mit diesem Gefühl nicht mehr so allein. Ich hoffe, dass dieser Song eine Erinnerung daran ist, dass die einzige Aufgabe des Tages darin besteht, das zu tun, was man kann, und sich selbst zu gefallen.“

Wie mit den Songs zuvor kreiert corook bei „it’s ok!“ einen ganz eigenen, unbestreitbar genresprengenden Sound, und behandelt in ihrer Musik und ihren Bildern obendrein zutiefst persönliche Themen durch ihre ebenso einzigartige wie schrullige und humorvolle Linse.

„Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird

I should get up outta bed, I should probably drink some water
I should, I should, I should
But I know that I’m not gonna
Do the things statistically that make me feel better
Get outside and out my mind, I know I’ll feel better
Scrolling, scrolling, scrolling through the videos and pictures
Scrolling, scrolling, scrolling like my eyes are drinking liquor
Feeling overstimulated, maybe it’s a sign
If I’m here any longer, I’ll get tan lines from the brightness
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Ok, ok, ok, I got banana socks on like could I get any cuter
Grab a cup of tea and I walk to the computer
Oh, you’re fucking kidding me – another school shooter?
Suddenly I’m cripple by the chances of my future
A parade or a concert or a theatre or a school
Can’t prove I’m any safer in the comfort of my room
Somewhere in Malaysia there’s a plane that disappeared

And no one talks about it and I think that’s pretty weird so
What if it was me?
My chances aren’t that far
What if the plane I take next week ends up where they are?
This isn’t making any sense and now I’m kinda spiraling
Take a deep breathe
And keep reminding

Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days
You don’t have to try to please nobody
You just gotta try to please your own body
Hey hey – it’s ok
Everybody feels kinda weird some days

Na na na na na na na
Na na na na na na na
Na na na na na na na

Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong yet
Nothing’s really wrong“

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Lizzy McAlpine – five seconds flat (2022)

-erschienen bei HARBOUR ARTISTS & MUSIC-

„Ich möchte meinen Fans mit jeder Platte etwas anderes bieten, denn ich bin mit jeder Platte anders“, sagt Lizzy McAlpine über ihr zweites, im April erschienenes Album „five seconds flat„. Klar, Worte wie diese muten zwar zunächst wie eine nur allzu oft gelesene Allerweltsphrase an, bedeuten jedoch musikalisch: weg von klassischen, reduzierten Schlafzimmer-Songwriter-Stücken und hin zu etwas größer gedachten wie arrangiertem Pop, E-Gitarren und elektronischen Sounds. Nur der Herzschmerz, den manch eine(r) schon von ihrem 2020er Debüt „Give Me A Minute“ oder der 2021 veröffentlichten „When The World Stopped Moving: The Live EP“ kannte (und im besten Fall gar liebte), bleibt auch 2022 ganz und gar derselbe.

Elizabeth Catherine „Lizzy“ McAlpine, Jahrgang 1999, stammt aus einem Vorort von Philadelphia, Pennsylvania und die Musik übt – ja, noch so eine Allerweltsphrase – schon lange eine Faszination auf sie aus – im Grunde bereits, seit sie groß genug war, um auf dem Klavier ihrer Großeltern herumzuhämmern. Es dauerte nicht lange, bis ihre unkoordinierten Experimente klarere Strukturen annahmen und das Nachwuchstalent seine Kompositionen und Coverversionen auf Soundcloud und YouTube teilte. Mit ihren bisher über 150 Millionen Streams (insgesamt auf allen Plattformen) konnte sich McAlpine in den sozialen Medien so sogar die Unterstützung von Musik-Größen wie Shawn Mendez, Phoebe Bridgers, dodie, Lennon Stella oder FINNEAS sichern. Letzterer, seines Zeichens ja der Bruder und kongeniale Songwriting-Partner von Billie Eilish, hat mit dem von ihm mitgeschriebenen Song „hate to be lame“ sogar ein Feature auf dem aktuellen Album. 

Und auch wenn „five seconds flat“, zu dem obendrein ein sehenswerter 30-minütiger Kurzfilm entstand, bei welchem Gus Black (der ja in der Vergangenheit ebenfalls als Musiker in Erscheinung trat) Regie führte, weder einen Preis für große Innovationskunst gewinnen mag noch wird, klingen die 14 Songs der Platte, welche hauptsächlich von Philip Etherington (der damals ihr Kommilitone auf dem Berklee College of Music war) und Ehren Ebbage produziert und in Eugene, Oregon sowie im The Laundry Pile in Los Angeles aufgenommen wurden, deutlich selbstbewusster und abwechslungsreicher als die der Vorgänger, liefern im besten Sinne eine Dreiviertelstunde gelungene Singer/Songwriter-Pop-Unterhaltung, die im ein oder anderen Moment durchaus spannende Akzente zu setzen weiß. Thematisch drehen sich die Stücke nach wie vor um die zwischen Feinfühligkeit und Nostalgie pendelnde Reflexion gescheiterter Beziehungen, um das Erwachsenwerden einer Anfangszwanzigerin sowie um nachdenklich-depressive, jederzeit intime Gefühlswelten – da bleibt sich McAlpine treu. Ausreichend Veränderung also, ohne das Gewohnte über Bord zu werfen? So mag man’s sehen – und der Newcomerin zugute halten, dass auch dies etwas ist, das nicht viele so gut hinbekommen. Lizzy McAlpine gelingt dieser Spagatschritt – und damit auch das oft schwierige zweite Album – nahezu spielend. Und eine bessere Geschichtenerzählerin wird man in diesem Jahr in gefälligen Pop-Gefilden lange suchen…

Hier lässt Lizzy McApline eine eigene „My Soundtrack“-Playlist mit Künstler*innen, welche die Stücke von „five seconds flat“ beeinflusst haben, hören…

Rock and Roll.

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Song des Tages: Brimheim – „hey amanda“


Als geneigter Sportsfreund nimmt man die Färöer im Grunde lediglich dann hin und wieder wahr, wenn ihre Fußball-Nationalmannschaft, die derzeit einen stattlichen 125. Platz der FIFA-Weltrangliste belegt, alle paar Jahre eine ordentliche Klatsche von einer der großen Ballsportnationen bekommt. Im krassen Kontrast zu diesen hypermaskulinen Duellen, in denen sich 22 Männer wie in einem modernen David-gegen-Goliath-Gladiatorenkampf begegnen, steht mit Teitur Lassen das bislang wohl bekannteste Kind der Inseln, wenngleich der 45-jährige Musiker, der seinen Nachnamen der Einfachheit halber gleich zu Karrierebeginn unter den Singer/Songrwriter-Schemel fallen ließ, mit seiner sanften Stimme eher pazifistische Engel über den Vulkanstein denn Bälle per Seitfallzieher ins Tor hüpfen lässt. Und dann ist da neuerdings auch Helena Heinesen Rebensdorff aka. Brimheim, die zwar eine ebenso zauberhafte Stimme hat, aber für ein Musikvideo zu ihrem im Januar erschienenen Debütalbum „can’t hate myself into a different shape“ in eine Ritterrüstung schlüpft und gewalttätig ihre martialischen Herr-der-Ringe-Fantasien auslebt. Keine Frage: Jene Dame dürfte aktuell die beste Neuigkeit sein, die es von der Inselgruppe mit ihren gerade einmal knapp 54.000 Einwohnern zu hören gibt.

Denn die verschleierten Indie-Stücke der dänisch-färöischen Sängerin, deren Mutter auf den Färöern ebenfalls keine Unbekannte zu sein scheint, tönen von der ersten Sekunde an recht interessant, in ihren besten Momenten gar beeindruckend. Zur Eröffnung offenbart uns die Protagonistin dezent unumwunden „heaven help me i’ve gone crazy“ – nicht, dass sie uns am Ende nicht gewarnt hätte. Dabei präsentieren sich die elf Stücke inhaltlich alles andere als als kryptische Schriftrollen, die erst übersetzt werden müssen. Ganz im Gegenteil sind Rebensdorffs Texte meist nahbar und direkt, sodass man sich oft genug bestens in sie hineinversetzen kann. Verrückt ist sie sich wahrscheinlich selbst vorgekommen, denn der beeindruckende Spagat aus schmerzhaftem Reflektieren und kraftvoller Ermächtigung mag durchaus zur Tour de Force geraten. „can’t hate myself into a different shape“ schildert in dezidiert therapeutisch angelegten Selbstfindungs-Skizzen die Auseinandersetzung mit der eigenen Queerness, der Liebe in einer Gesellschaft, die sie auch im Jahr 2022 leider noch nicht immer und überall ermöglicht wird, und der mentalen Gesundheit, die schlussendlich von all den Widerständen in die Knie gezwungen werden kann. Ja, diesem Album hört man die Resilienz an, die nötig war, damit es entstehen konnte.

Mit Zeilen wie „I’ve never tried harder not to be myself“ beschreibt sie das ungesunde Versteckspiel ihrer selbst schon im herausragenden Titelsong. Während „hey amanda“ die platonische Liebe zur titelgebenden Jugendfreundin feiert und „favorite day of the week“ ordentlich Ohrwurm-Potential besitzt, verzweifelt sie in „baleen feeder“: „I wish I didn’t care what you think of me“. Und während andere nicht zu sehen scheinen, wie hart sie an sich arbeitet, schafft sie es sich immer noch selbst zu versichern: „I am not a burden“. Der Kampf ist allgegenwärtig – auch in der Musik. Denn die Klagerufe geben sich im ersten Moment gerne zart, bauen sich behutsam auf, um dann mit einem Hieb der Zurückhaltung hinterrücks den Kopf abzuschlagen. Gitarren treffen auf Synthieflächen, das Schlagzeug biegt mit fast schon frechem Pomp ums Eck, der Bass weiß gar nicht, wo er sich zuerst anschmiegen soll. „can’t hate myself into a different shape“ tönt wie das wie das uneheliche Kind von Florence Welch und PJ Harvey, ist zu gleichen Teilen aufrichtig und verletzlich und voller toller Ideen, was nicht verwunderlich ist, liest man doch aus Interviews mit Helena Heinesen Rebensdorff oft genug bereits ein ordentliches Nerdtum in Bezug auf Produktion raus.

Der Indie Rock von Brimheim, was passenderweise übrigens ungefähr so viel heißt wie „Heimat der brechenden Wellen“, weckt mit seiner Dringlichkeit und Energie außerdem Assoziationen zu Kolleginnen wie Torres, zu Hurray For The Riff Raff, zu Emma Ruth Rundle, zu Sharon van Etten – und somit zu Musik, mit und in der etwas gesagt wird. Kraft und Zerbrechlichkeit, Nachdenklichkeit und Eingängigkeit sind auf diesem Album nicht zwangsläufig Widersprüche. „hurting me for fun“ will es zum Abschluss noch mal so richtig wissen, setzt nach sanfter Introspektive auf pochende Beats und stampft mit verzerrtem Schlagzeug von dannen – aber sicher nur, um sich nach dieser Herkulesaufgabe von einem Langspieler eine wohlverdiente Auszeit in Brimheims Wohnort Kopenhagen zu gönnen. In der Zwischenzeit könnte sie dann auch einfach der neue Exportschlager der Färoer werden – verdient wäre es allemal.

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Jenny Berkel – „These Are The Sounds Left From Leaving“


Obwohl doch beileibe keine Newcomerin mehr, mag Jenny Berkel in unseren Breiten – und selbst unter eingeweihten Singer/Songwriter-Connaisseuren – noch kein „Household Name“ sein. Verwundert das? Nun, ein wenig schon.

Denn immerhin ist es bereits satte zehn Jahre her, dass die in London, Ontario beheimatete kanadische Songwriterin ihr Debütalbum „Here On A Wire“ veröffentlicht hat. Selbigem ließ sie im vergangenen Jahr „Pale Moon Kid“ folgen, dazwischen lag noch eine EP – und der Poetik hat sie sich als Dichterin ebenfalls verpflichtet. Überhaupt: das Lyrische. Die Verbindung zwischen Poesie und Musik funktioniert auch auf Berkels neustem Werk „These Are The Sounds Left From Leaving“ in durchaus überragender Form. Das mag vor allem mit den Umständen der Entstehung der zehn neuen Stücke zusammenhängen, welche ihrem Plan, eine leichte, beschwingte und unbeschwerte Platte zu machen, einen dicken Strich durch die Rechnung machten: “Ich habe das Album in einer winzigen Wohnung geschrieben, zu einer Zeit, als sich alles groß und überwältigend anfühlte”, sagt die Musikerin. Und meint weiter: “Die Songs selbst sind eine Studie über Nähe, die große Ängste in kleine Räume bringt.“

Hört man nun ihren dritten Langspieler, so besteht – bei aller Ernsthaftigkeit – durchaus Hoffnung, dass Berkel mit diesem nun endlich auch in Deutschland einem etwas größeren Publikum bekannt bekannt werden dürfte. Das lässt sich schon alleine daran festmachen, dass hier keiner der ebenso leichtfüßig wie transparent inszenierten Folk-Pop-Songs musikalisch in besonderer Weise als klares Highlight herausragt, sondern jedes einzelne der zwei Handvoll Stücke auf insgesamt recht hohem Niveau seinen eigenen Reiz zu entwickeln weiß.

Wie sicher sich die Musikerin inzwischen in ihrem Bestreben ist, ihre Songs zwischen düster und hoffnungsvoll, transparent und opulent, intim und raumgreifend, leise und bestimmt, geradlinig und vertrackt auszubalancieren, zeigt auch der Umstand, dass sie – zusammen mit Dan Edmonds und dem auch als Musiker in Erscheinung tretenden Ryan Boldt (Deep Dark Woods) – erstmals selbst produktionstechnisch Hand anlegte und sich dabei von Colin Neales schwindelfreie, luftige Streicherarrangements schreiben ließ, die viel Raum für ihre beeindruckend klare und durchsetzungsfähige Alt-Stimme bieten.

Tatsächlich erinnert das Setting an nicht wenigen Stellen an das, was weiland Joe Boyd für den großen, jedoch viel zu früh verglühten Trauer-Troubadour Nick Drake leistete. Diverse Gitarren, Piano, Mellotron, Wurlitzer-Orgel, Bass, Schlagzeug und Streicher – hier wird ein durchaus breites Instrumentarium aufgefahren, über welchem Berkels wohltuend graziöse Stimme ruht. Und auch der Vorwurf, den Kenner der Songwriterin bislang ungestraft machen durften – nämlich dass alle ihre Stücke im gleichen balladesken Gleichstrom-Setting angesiedelt seien – gilt ab diesem Album nicht mehr, denn obwohl Jenny Berkel natürlich noch immer keine derb drauflos prügelnde Rockmusik macht, gibt es mit „Kaleidoscope“, welches mit seinen wehmütigen Streichern die nachdenkliche Wirkung noch unterstreicht, mit „July“ und dem Trennungslied „Lavender City“ gleich mehrere durchaus munter pulsierende Songs im Mittelteil des Albums, die sich längst nicht mehr als „reine Balladen“ einsortieren lassen. Dem gegenüber stehen schwermütige, recht mystisch verzierte, mit viel Liebe zum feinsinnigen Detail ausgestattete Folksongs wie „Watch You Fade“ oder das walzer’eske „Under A Sky“, während sich „You Think You’re Like The Rain“ ganz der Sehnsucht hingibt oder „Here Comes The Morning“ auf bessere Zeiten hofft.

Klar, besonders erbaulich mag sich das alles nicht gerade lesen. Und: Ja, man sollte schon das richtige Gemüt für diese von tiefer Traurigkeit durchdrungene Platte haben, bei welcher sich die Einsamkeit, die Furcht vor zu großer Nähe, aber auch vor dieser Welt da draußen vor der Wohnungstür, oftmals zwischen verwunschenen Vibrafonharmonien und zarten Gitarrenakkorden verstecken. Und irgendwie haben uns zwei Jahre weltumspannende Pandemie und die zuweilen überwältigende Reizüberflutung, welche auch durch die in ständig schnellerer Abfolge auf uns einprasselnden Katastrophenmeldungen auslöst wird, ja alle mehr oder minder müde und mürbe gemacht, oder? Eben. Da kann einem manchmal für Momente durchaus die Haut dünn und vor allem und im Grunde gar nichts Angst und Bange werden. Wer allerdings vermutet, dass sich Jenny Berkel hier als musikalisches Zitterkaninchen vor der Schlange präsentiert, sieht sich auf angenehme Weise enttäuscht, denn mittels ihrer blumigen, allegorischen Poesie-Sprache findet die Songwriterin immer wieder Wege, ihr Anliegen eher ermutigend in Form von aus der Natur gezogenen Metaphern im Format fiktiver Konversationen (welche teilweise im Zwiegespräch mit sich selbst stattfinden) deutlich zu machen. Und schafft damit berückende Kammerpop-Kostbarkeiten, welche sie hoffentlich baldigst aus der Geheimtipp-Ecke hinausführen werden.

Rock and Roll.

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