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Song des Tages: Chefket – „Wir“ (Akustik Session)


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Wenn man so mag, war Chefket zu Zeiten der Veröffentlichung seines Major-Label-Debüts „Nachtmensch“ im Jahr 2015 so etwas wie der wohl älteste Newcomer im Deutschrap. Mit heute 38 Lenzen ist der aus dem schwäbischen Heidenheim an der Brenz stammende Deutschtürke beispielsweise knappe zehn Jahre älter als sein Essener Kollege 3Plusss. Şevket Dirican nach nunmehr vier Studioalben, einer ganzen Reihe von EPs und Mixtapes, Support-Shows für deutlich bekanntere Hip-Hop-Größen wie Marteria, Samy Deluxe oder Jan Delay sowie seinen zahlreichen Beiträgen zu Alben und Songs prominenter Kollegen tatsächlich noch als „Newcomer“ zu bezeichnen, ist indes reichlich fresh… ähm: frech. Auch mit seinem gesellschaftlichen Engagement, etwa für die Linksjugend, hat sich der Wahlberliner einen Namen als „größter Zeigefinger Deutschlands“ gemacht. Warum zum Geier ist der Typ also kein Star? (Und – Spoiler, Spoiler! – leider auch mit seiner vierten Platte „Nachtmensch“ keiner geworden?)

R-7350475-1439540313-9285In „Rap & Soul“, Vorab-Appetizer und gleichzeitig Opener von Chefkets jüngstem Werk (zu dem auch ein Remix mit Promi-Features von Joy Denalane, Max Herre und Xatar existiert),  erklärt der Wahlhauptstädter seine augenzwinkernde und durchaus nachvollziehbare musikalische Prämisse: Rap allein macht auch nicht glücklich. Jetzt aber einen weiteren huttragenden Flummi im Textmarker-Outfit à la Jan Delay zu erwarten, wäre nicht nur reichlich öde, sondern schlichtweg bescheuert. So geht „Nachtmensch“, welches in Zusammenarbeit mit Beat-Bastler Farhot („Chabos wissen wer der Babo ist.“) entstand, im Gros herrlich unaufgeregt mit seinen Neo-Soul-Einflüssen à la Gnarls Barkley um. Wenn hier einmal die Trompete gezückt wird, dann nicht um feurige Fanfaren zu blasen, sondern um der Stimmung weitere – jawollja! – Deepness einzuhauchen. Und so gelingt dem Rapper gleich zu Beginn von „Nachtmensch“ ein Tiefschlag gegen das Profane: Mit Hammond-Orgel, pendelnd zwischen Single- und Double-Time, zeichnet Chefket auf, was er vor hat, zitiert einige seiner Lieblingskünstler und erklärt die Runde für eröffnet, ohne dabei gleich zum ultimativ-lachhaften Bling-Bling-Schwanzvergleich zu fordern: „Ich bin Rap, ich bin Soul, ich bin Jazz, Rock ’n‘ Roll / Ich bin cool, easy, Chef, du bist high, denn ich bin dope.“

Gleich anschließend zeigt er auf, was der vorherige Track schon anklingen ließ, und positioniert sich als „Glücklichster Rapper„: „Alle prahlen die ganze Zeit und sagen, sie hätten viel Geld / Aber Chefket ist der glücklichste Rapper der Welt“ lautet die Quintessenz seiner Zeilen über dem dissonanten Gummi-Beat, die klarstellen, wie sehr der Rapper auf den Fame (leider) artverwandter Sonnenbräune-und-Protzkarren-Besitzer scheißt – und das kauft man diesem Typen – Deutschtürken-Klischee hin oder her – nur allzu gern ab. Im Soul-Titel „Fliegen“ indes, genau wie im argwöhnischen „Nachtmensch“ und im depressiven „Kater“, gibt sich Chefket weitaus nachdenklicher, spricht von der Sehnsucht nach dem High-Sein, der Schlaflosigkeit und dem Katzenjammer im Nachgang. Mit dem leicht pathetischen „Träume“ (das mit einem Melody Gardot-Sample aufwartet) berappelt er sich und formuliert sein eigenes kleines „Die Gedanken sind frei„, um sich anschließend ins Getümmel zu stürzen und sich selbst zu sagen: „Lass gehn'“. Mit Handclaps und schwungvollem Rhythmus bringt er ein Schippchen Jackson Five ins Geschehen ein, denn für eine Nacht wird mit zufälligen Club-Bekanntschaften getanzt und nicht länger übers Grüblerische nachgedacht. Auf dem Fuße folgt der urbanen Party jedoch wieder die große Infragestellung, bis sich schließlich das hörenswerte „Wir“ zeitlos (leider) wichtigen Themen wie Vorurteilen, Integration, Identität und Rassismus widmet (und damit dem verwandten, anno 2018 deutlich zu kurz gekommenem Eko Fresh-Song „Aber“ recht nahe steht) und „Immer mehr“ erklärt, wie es sich eben so verhält mit dem Leben: Streben, fallen, weitermachen.

So liefert Chefket ein Album voller Schwankungen, welches dennoch zur kurzweilig-runden, stellenweise dezent melancholischen Sache wird, indem es sich mit dem Gang der Dinge anfreundet und seine Kraft aus der Bipolarität zieht, während über allem die Aussage vom Anfang steht: Glücklichsein ist umstandsunabhängig. Dass Chefket damit einmal mehr nicht der große (kommerzielle) Durchbruch gelang und er mit „Nachtmensch“ eben nicht den Charts-Mainstream enterte, mag zwar zunächst für ein wenig Kopfschütteln sorgen – wenn man jedoch auch nur kurz ein, zwei Ohren bei unsäglichen Autotone-Kaspern wie Capital Bra und Co. riskiert, ist schnell alles klar… Dann doch lieber ein durch und durch exzellenter, mit einem feinen Flow gesegneter Rapper wie Chefket, der sich auch für seinen Soul-Stimme keineswegs verstecken muss, und dessen jüngste Auseinandersetzung mit der (zumindest nach außen) ach so weltoffenenFridays For Future“-Clique oder seine eigenen Erfahrungen mit (potentiellem) Alltags-Rassismus ihn nicht unbedingt weniger sympathisch erscheinen lassen. Guter Mann.

 

Sehr zu empfehlen: Chefkets 2016er „Nachtmensch (Akustik EP)„, auf der er fünf Stücke aus „Nachtmensch“, nur von Klavier, Geige und einer Background-Sängerin begleitet, im reduzierten Gewand in den Berliner Red Bull Studios neu interpretierte (und wer weiterlesen mag, dem sei dieses im Zuge von „Nachtmensch“ auf tagespiegel.de erschienene Porträt nahegelegt):

 

Wenn du wissen willst wie Deutsche leben, geh‘ und frag‘ sie
Und wenn du mal mit ihnen streitest, nenn‘ sie nicht einfach ‚Nazi‘
Ja, es gab sie, es gibt sie und es wird sie immer geben
Steiger‘ dich nicht rein, denn die meisten sind dagegen
Wenn du wissen willst wie Türken leben, geh‘ und frag‘ sie
Aber nicht in ’nem Dönerladen oder im Taxi…

 

Rock and Roll.

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