Was tun nach einem in vielen Belangen qualitativen wie emotionalen Über-Album wie „The Midnight Organ Fight„? Nun, die Schotten um Frontmann Scott Hutchison legten 2010 mit „The Winter Of Mixed Drinks“ einen Nachfolger vor, der zwar ebenfalls nicht gen Firmament zu jauchzen vermochte (welch‘ Wunder!), musikalisch jedoch – der unverhofften Aufmerksamkeit hinsichtlich des zwei Jahre zuvor veröffentlichten Vorgängers sei Dank – mit einem hörbaren Plus an Bläsern, Streichern, Klavieren und tief mollenden Paukenschlägen ums Eck bog – windschiefer indierockender Schotten-Pop, wenn man so will.
Dass das Ergebnis – vor allem in der Rückschau (und auch da stimmte Scott Hutchison kürzlich meiner Einschätzung zu) – etwas unrund gerät und vor allem eine Band zeigt, die, im stetigen Wandel begriffen, ihren Weg sucht, macht allerdings wenig aus, schließlich enthält „The Winter Of Mixed Drinks“ mit den Singles „Swim Until You Can’t See Land„, „Living In Colour“ und vor allem „Nothing Like You“, welches vor allem textlich quasi die den Mittelfinger weit nach oben streckende Antithese zum gestrigen „Song des Tages“, „My Backwards Walk„, bildet, mindestens drei ewige Evergreens des Frightened Rabbit’schen Backkatalogs…
Hier gibt es das offizielle…
…und alternative Musikvideo zu „Nothing Like You“…
…sowie den Song live beim iTunes Festival 2012:
„This is a story and you are not in it, uh huh Flock of pages torn out Here is a bedroom that you’ve never been in and Here is your shovel, there’s the ground
Look, two lovers covered in covers, uh huh I can put us to bed tonight I am bruised but she is dressing my wounds Night nursing a broken man
She was not the cure for cancer And all my questions still ask for answers But there is nothing like someone new And this girl, she was nothing like you
After waking up post-operation I found I’ve come in a dream again All the pain, almost as painful as ever but Something in me was not the same
At night during dreams of submission I could claw back my heart and soul As the size of the tumor diminishes Slowly fill that black hole
She was not the cure for cancer And all my questions still ask for answers But there is nothing like someone new And this girl, she was nothing like you
She was not the cure for cancer And all my questions still ask for answers But there is nothing like someone new And this girl, she was nothing like you
There is nothing like someone new And this girl, she was nothing like you There is nothing like someone new And this girl, she was nothing like you, whoa“
Nicht nur bei Kennern der Banddiskografie nimmt „The Midnight Organ Fight“ einen besonderen Stellenwert ein, auch Scott Hutchison selbst bezeichnete den zweiten Frightened-Rabbit-Longplayer in einem kürzlich gegebenen Interview, in dem er alle fünf Alben in einem persönlichen Ranking kommentierte, in der Rückschau als sein zweitliebstes (erstaunlicherweise sah er, wie ich, „Pedestrian Verse“ in der Pole Position). Außerdem gab das schottische Indierock-Quartett kurz vor dem Tod ihres Frontmanns unlängst einige Konzerte, bei denen Scott und Grant Hutchison, Billy Kennedy, Andy Monaghan und Simon Liddell das Werk zu dessen zehnjährigem Jubiläum in voller Länge präsentierten (und damit wohl zum ersten Mal seit dem 2012er Live-Album „Quietly Now! (Liver! Lung! FR!)„)…
Und gerade bei einem Konzeptalbum wie „The Midnight Organ Fight“, bei dem ein Song-Highlight für gut 45 Minuten ins nächste greift, mag es schwierig sein, einen persönlichen Favoriten zu finden. Der Einstieg „The Modern Leper“ vielleicht? Das schwarzhumorig-zynische „Good Arms vs. Bad Arms„? Die flotten „The Twist“ oder „Head Rolls Off„? Lieber nicht die am Ende leider traurige Realität gewordene düstere Vision „Floating In The Forth„…
Für mich würde spontan (und doch immer wieder) „My Backwards Walk“ das Rennen machen. Weil Scott Hutchison im Text davon singt, dass es am Ende einer in die Brüche gegangenen Beziehung zwar einfach sein mag zu realisieren, dass der Mensch, mit dem man einmal Bad, Bett und die Gefühle zwischen zwei Herzklappen geteilt hat, einem schon längst nicht mehr gut tut. Ihn (oder sie) jedoch aus Herz, Hirn und dem Leben zu bekommen? Weitaus schwieriger… Ein beziehungsferner Stein, der all das nicht kennt.
„You’re the shit and I’m knee-deep in it…“
Hier gibt die Albumversion…
…sowie „My Backwards Walk“ live beim iTunes Festival 2012:
„I’m working on my backwards walk Walking with no shoes or socks And the time rewinds to the end of May I wish we’d never met, then met today
I’m working on my faults and cracks Filling in the blanks and gaps And when I write them out they don’t make sense I need you to pencil in the rest
I’m working on drawing a straight line And I’ll draw until I get one right It’s bold and dark, girl, can’t you see I done drawn a line between you and me
I’m working on erasing you Just don’t have the proper tools I’ll get hammered, forget that you exist There’s no way I’m forgetting this
I’m working hard on walking out Shoes keep sticking to the ground My clothes won’t let me close the door ‚Cause the trousers seem to love your floor
I been working on my backwards walk There’s nowhere else for me to go Except back to you just one last time Say yes before I change my mind
Was macht man, wenn Worte fehlen? Wenn einen manche Tage – Sonnenschein hin, Regen her – einfach nur traurig machen? Ich für meinen Teil würde raten: Setzt Kopfhörer auf und lasst Musik eure Sprache sein! Und ebenjene „Sprache“ tönte in den letzten knapp zehn Jahren immer wieder von Songs aus der Feder von Scott Hutchison – ausgestattet mit massig herzwarm-bitterem Sarkasmus sowie breitestem schottischem Akzent.
Im Rückblick ist es kaum zu glauben, dass mich die Stücke von Frightened Rabbit (Scotts 2003 ins Leben gerufene Hauptband), Owl John (sein Solo-Pseudonym, unter dem er 2014 einen Alleingang wagte) sowie jüngst Mastersystem (der famos lärmende Versuch einer schottischen „Supergroup“ gemeinsam mit seinem Bruder Grant, der auch bei Frightened Rabbit am Schlagzeug sitzt, sowie Justin Lockey von den Editors und dessen Bruder James von Minor Victories) bereits seit einer Dekade treu begleiten und immer wieder aufs Neue begeistern… Und: Ja, das lag (und liegt) vor allem an Scott Hutchisons feinem Gespür für kleine wie große Melodien, über welche er Zeilen über das Leben legte, die vom Rinnsal der Gosse erzählen, jedoch nie den Hymnus vergessen, der einen beim Blick in den blauen Himmel befällt. Ich kann kaum die Male zählen, die mir Frightened Rabbit’sche Alben wie das just zehn Jahre jung gewordene „The Midnight Organ Fight„, „Pedestrian Verse“ (anno 2013 ANEWFRIENDs „Album des Jahres“ und auch nach gefühlt 12.456 Durchlaufen in der Heavy Rotation noch immer so großartig wie an Tag eins, und noch tiefer ins Hörerherz gegraben) oder zuletzt das im vergangenen Jahr erschienene „Painting Of A Panic Attack“ bereits den mentalen Allerwertesten gerettet haben. Wie sehr mich Songs wie „Holy„, „My Backwards Walk„, „I Wish I Was Sober„, „Swim Until You Can’t See Land„, „Keep Yourself Warm„, „State Hospital“ oder „Good Arms vs. Bad Arms“ noch heute begeistern, während ich bei anderen (ungleich leiseren) Vertretern wie „If You Were Me“ oder „Die Like A Rich Boy“ nie ohne Träne im Anschuss hindurch komme. Dass Scott Hutchison im Verbund auch durchaus mit hochgezogener Lautstärke zu überzeugen wusste, durfte ich anhand des erst vor wenigen Wochen erschienenen Mastersystem-Debütwerks „Dance Music“ feststellen, welches drauf und dran ist, (s)einen berechtigten Platz in der diesjährigen ANEWFRIEND’schen Jahresbestenliste zu finden…
Scott Hutchisons Texte haben eine Qualität, eine bittersüße Direktheit, welche den geneigten Hörer bis tief ins Mark treffen können. Wer gerade frisch getrennt ist, wird bei Zeilen wie „I am armed with the past, and the will, and a brick / I might not want you back, but I want to kill him“ (aus „Good Arms vs. Bad Arms“) unweigerlich und überschwänglich die Faust ballen, bevor einen eine trotzig-lakonische Frage wie „Are you a man or are you a bag of sand?“ (aus „Swim Until You Can’t See Land“) wieder in die Zukunft blicken lässt. Mit diesen Trademarks stechen Hutchisons Stücke selbst aus der nicht schwachen schottischen Indierock-„Konkurrenz“ (The Twilight Sad, There Will Be Fireworks, We Were Promsied Jetpacks, Aereogramme, Campfires In Winter etc. pp.) heraus. Zumindest für mich und mein Hörerherz.
Da Scott Hutchison – aller spröden Herzlichkeit und schottischen Bodenständigkeit zum Trotz – in der Vergangenheit nie als Ballermann’sche Frohnatur bekannt war, war die Nachricht, als ihn Familie und Bandmitglieder vor zwei Tagen als vermisst meldeten, keine gute, sondern eine durchaus besorgniserregende – gerade in Verbindung mit ebenjenen (nun letzten) Zeilen, die Hutchison wenig vorher via Twitter postete: „Be so good to everyone you love. It’s not a given. I’m so annoyed that it’s not. I didn’t live by that standard and it kills me. Please, hug your loved ones.“ („Seid gut zu allen, die ihr liebt. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, und das widert mich an. Nach diesem Standard habe ich selbst nie gelebt, und das bringt mich um. Bitte umarmt eure Liebsten.“). Kurz darauf schob er noch ein „I’m away now. Thanks“ nach, verließ nachts sein Hotel in Edinburgh – und verschwand…
Wie heute bekannt wurde, handelt es sich bei der Leiche, die die schottische Polizei bei der Suche nach Scott Hutchison am gestrigen Donnerstagabend an einem Küstenabschnitt in der Umgebung von South Queensferry fand, um den schottischen Musiker. Die Todesumstände sind (zumindest noch) genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, welche Rolle Hutchisons Depressionen, mit denen er zeitlebens zu kämpfen hatte, dabei spielten. Dass ebenjene Zeilen, die er vor zehn Jahren in „Floating In The Forth„, dem Quasi-Abschluss von „The Midnight Organ Fight“, sang, jetzt auf geradezu gruselige Art und Weise Realität wurden, wird einen das Album nie mehr ohne Gänsehaut hören lassen… Und am Ende steht nur eines fest: Scott Hutchison ist tot. Und hat im Alter von 36 Jahren viel, viel zu früh die gesellige Bierseligkeit des kleinen Pubs um die Ecke verlassen. Mit ihm verliert die schottische Musikszene einen ihrer besten Songschreiber.
„And fully clothed, I float away (I’ll float away) Down the Forth, into the sea I think I’ll save suicide for another day…“
(aus „Floating In The Forth“)
Wenn mir – auch in Zukunft – die Worte fehlen, dann werde ich meine Kopfhörer aufsetzen – und deine Songs haben. Danke dafür, von Herzen. Mach’s gut, Scott! Fuck it. Aye… cheers, mate!
„If I leave this world in a loaded daze I can finally have and eat my cake…“
(Durchaus treffend formulierte Nachrufe haben auch der britische „The Guardian“ oder „The New Yorker“ zu bieten, während der „Mirror“ – natürlich – das Augenmerk auf die Ereignisse als solches legt…)
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Menschen, die unter Depressionen leiden und Suizidgedanken haben, finden bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 Telefonseelsorge rund um die Uhr Hilfe. Die Beratungsgespräche finden selbstredend anonym und vertraulich statt.
Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.
Leute, passt bitte auf euch und eure Mitmenschen auf! Gebt Liebe, wannimmer ihr Liebe geben könnt. Alles, was uns bleibt, ist das Jetzt…